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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Weimarer Verhältnisse: Stunde der AfD dank FDP und CDU
Von Evelyn Hecht-Galinski

Meine Prognose, dass sich die FDP nur durch einen Buchstaben von der AfD unterscheidet, hat sich heute erneut bestätigt. Da ließ sich ein FDP-Mann mithilfe von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten wählen, der sich nicht schämt, auf diese Weise ein perfides Spiel, eine Intrige, jenseits aller demokratischen Gepflogenheiten ausgenutzt zu haben. Was nun, Herr FDP-Parteichef Lindner? Ihre halbherzige Aussage, dass die Thüringer FDP in „eigener“ Verantwortung handelt, reichen nicht. Denn diese Verantwortung zeigt die FDP schon lange nicht mehr! Inzwischen ist Kemmerich "umgeschwenkt" und sieht keine Basis für ein Zusammenarbeit mit der AfD – nur merkwürdig, dass er sich von der AfD wählen ließ. Lindners Appell an Union, SPD und Grüne, das "Gesprächsangebot" von Kemmerich anzunehmen, ist eine Zumutung für jeden Demokraten. Wie großherzig von ihm, den linken Wahlgewinner zu übergehen.

Dass die AfD ihr von Höcke geplantes Wahlziel erreichen könnte, war unvorstellbar, und in Zeiten, wo der Hass auf Linke jedes politische und demokratische Gebaren verändert, wundert man sich über nichts mehr, auch nicht über ein solch offensichtlich abgekartetes Spiel!

Besonders erschreckend das Demokratieverständnis der FDP und ihres Vize Wolfgang Kubicki, immerhin Bundestagsvizepräsident, bekam er bei seiner damaligen Wahl nicht auch AfD-Stimmen? Und der über dieses Wahlergebnis noch jubelte, damit jetzt eine „vernünftige Politik“ für Thüringen vorangetrieben wird, an der alle demokratischen Kräfte des Landtags mitwirken. Aber Hallo, Herr Kubicki, Ramelow und nicht demokratisch? Wer hier nicht demokratisch ist, scheint doch eher ihr politisches Verständnis von „vernünftiger“ Politik und Demokratieverständnis in Frage zu stellen. Sind sie eigentlich noch tragbar, als Bundestagsvizepräsident?

Diese FDP, die mit ihren 73(!) Stimmen nur ganz knapp und zitternd über die 5-Prozent-Klausel kam und in diesem Landtag die „Bonsai-Fraktion“ von fünf Abgeordneten stellt, ist es zwar gelungen, mit diesem perfiden Coup einen Ministerpräsidenten zu stellen, steht aber als nackter Kaiser ohne Kleider da, ohne Vertrag, Programm oder Koalition. Nicht einmal eine Rede konnte Kemmerich nach seiner Wahl halten, sondern ergriff erst später das Wort, um mit „zitternden Händen“ ans Mikrofon zu gehen und auf die „Brandmauer der Extreme“ hinzuweisen. Diesem Mann ohne Format und wirklicher Legitimation fehlen die Voraussetzungen, um zu regieren, wie also will er sein Kabinett formen? Was für ein „sauberer“ Ministerpräsident – fragt sich nur für wie lange?

Wie weit sind „wir“ heruntergekommen, dass es zu einer solchen „Satire-Wahl“ kommen konnte? Wer wird wohl Minister stellen in diesem AfD-gestützten Kemmerich-Kabinett? CDU und FDP in den Startlöchern für ein paar Pöstchen, auch für die AfD? Momentan meint Mohring noch, dass, wenn es einen AfD-Mann im Kabinett gäbe, die CDU „raus“ wäre. Was wir heute erlebten, erinnert an Hitler und seine Wahl - und das ist völlig unerklärlich. Vom „Nie wieder“ zum „Immer wieder“, ist ja ein kurzer Weg, wie wir es täglich erleben.

Während die AfD schwärmte und der „Gauleiter“ Alexander Gauland davon fabulierte, dass sich bürgerliche Kräfte durchgesetzt haben, AfD-Fraktionschef Björn Höcke das Wahlergebnis als Erfolg feierte, Bundestag-Fraktionschefin Alice Weidel Kemmerich gratulierte und meinte, dass nun an der AfD kein Weg vorbeiführt, und Parteichef Jörg Meuthen den „Sieg der bürgerlichen Mehrheit“ feierte und den „ersten Mosaikstein der politischen Wende in Deutschland“ sieht, ist es bereits zehn nach Zwölf!

Während Thüringens CDU-Chef Mike Mohring die Verantwortung für das überraschende Ergebnis von sich wies - schließlich musste die CDU einen „Kandidaten der Mitte“ unterstützen - und seine Fraktion sich in den ersten beiden Wahlgängen enthalten hatte und erst im dritten den FDP-Mann wählten, hat die CDU damit den Rechtsextremen den Weg an die Macht geebnet.

Wenig ermutigende Signale kommen aus der Berliner CDU, wenn der Ostbeauftragte der CDU, Christian Hirte, Kemmerich gratuliert und sich darüber freut, dass die Thüringer Rot-Rot-Grün abgewählt haben. Ebenso wie der Berliner Fraktionschef Burkhard Dregger die harsche Kritik nicht nachvollziehen kann. Was soll man zu diesem „Demokratieverständnis“ noch sagen?

CDU-Innenpolitiker Amthor, der gerade erst wegen seiner Anti-Islam- und Antisemitismus-Aussagen ungut auffiel, begrüßte die Wahl, ebenso wie der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes, Georg Maaßen, der die Wahl unterstützt hatte und fand, "Hauptsache die Sozialisten sind weg". Soviel zur "Werte-CDU"!

Allerdings ist CDU-Generalsekretär Zimiack für Neuwahlen in Thüringen, ebenso wie CSU-Chef Söder.

Es erinnert mich alles an das „Ermächtigungsgesetz“, das Hitler an die Macht brachte. Auch Weimar liegt in Thüringen, diesem mehr als berüchtigten Bundesland, mit braunem Gedankengut.

Was nun, Frau Merkel und was nun Gro/Ko? Weiter so: geht schon mal gar nicht nach diesem „Super-Gau“ für die Demokratie. Wie wird sich die CDU in Berlin positionieren? Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer griff den thüringischen Landesverband an, gegen die Beschlüsse der Partei verstoßen zu haben. Wie wird sich Kanzlerin Merkel zu diesem Dolchstoß positionieren?

Kann die SPD, wenn sie noch einen Funken Anstand hat, in dieser Koalition verbleiben, unter diesen Voraussetzungen? Wenn sie nicht noch ihre letzten Wähler endgültig vergraulen will, dann wird es Zeit, „Flagge zu zeigen“.

Nach diesem Warnzeichen sollte ein Umdenken stattfinden, zum Wohle der Demokratie, wenn sie noch etwas Glaubwürdigkeit behalten will.

Gibt es nicht Parallelen zu 1930, in Thüringen als der NSDAP-Politiker Wilhelm Frick als der erste Minister in eine Landesregierung eintrat?

Wehret den Anfängen!


Petition: "Herr Kemmerich, treten Sie sofort zurück! Neuwahlen jetzt!"


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.

Online-Flyer Nr. 734  vom 06.02.2020



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