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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Finnlands Regierungschefin ist für kürzere Arbeitszeiten
Kürzer ist besser
Von Harald Schauff

Weniger arbeiten, mehr Zeit für die Familie und für Hobbys! Ein Beitrag der Frankfurter Rundschau von Anfang Januar ("Mehr Freizeit: Finnlands Premierministerin möchte die Viertagewoche testen" von Moritz Serif) nennt das ‚Wunschdenken‘. Was von der Warte der Arbeitsideologie aus wie ein frommer Wunsch erscheint, ließe sich in der Langzeitbetrachtung als logische Konsequenz aus den Möglichkeiten, die der technische Fortschritt eröffnet, ansehen. Dieser Logik folgt offensichtlich die amtierende finnische Premierministerin Sanna Marin. Sie plädiert für die Einführung einer viertägigen Arbeitswoche bei sechs Arbeitsstunden pro Tag. Dies verkündete sie anlässlich des 120-jährigen Geburtstages der Sozialdemokratischen Partei Finnlands in Turku.

Bisher umfasst die Arbeitswoche in Finnland genau wie in Deutschland die klassischen 40 Stunden: Bei fünf Arbeitstagen in der Woche beträgt die tägliche Arbeitszeit acht Stunden. Die finnische Regierungschefin hält das für viel zu viel und viel zu lange. Deshalb fordert sie die o.g. drastische Arbeitszeitverkürzung.

Hinter Marin, selbst Mutter eines Kindes, steht ihre Fünf-Parteien-Koalition. Laut Bericht der ‚New Europe‘ ist geplant, die Vier-Tage-Arbeitswoche zu testen. Marin ist überzeugt: Die Menschen verdienen es, mehr Zeit mit ihren Familien, Angehörigen, Hobbys und sonstigen Lebensbereichen zu verbringen. Sie hält dies für den möglichen ‚nächsten Schritt im Arbeitsleben.‘ Wie ‚Daily Mail‘ berichtet, soll sich die Bildungsministerin und Chefin der Linksbündnis-Partei, Li Andersson, von Marins Idee begeistert gezeigt haben.

In der betrieblichen Praxis haben einige Firmen kürzere Arbeitszeiten bereits getestet. So führte Microsoft in Japan ein dreitägiges Wochenende ein, um Angestellte zu entlasten, die viele Überstunden machten. Die Maßnahme schlug erfolgreich zu Buche: Die Produktivität stieg um knapp 40 Prozent. In Skandinavien werden die Arbeitszeiten flexibel gestaltet. Beschäftigte können ihre Arbeit innerhalb eines Zeitfensters von drei Stunden aufnehmen, der Arbeitstag dauert sechs Stunden.

Lange ist es her: Einst war die Einführung der 40-Stunden-Woche in der Bundesrepublik ein beachtlicher Fortschritt. 1946 betrug die Arbeitszeit im Schnitt noch 48 Stunden. Im Zuge des Wirtschaftsaufschwunges der 50er Jahre konnten die Gewerkschaften Lohnerhöhungen aushandeln. 1955 forderte der DGB auf den Maikundgebungen: ‚40 Stunden Arbeit sind genug‘. 1956 wurde die 40-Stunden-Woche erstmals in einer Branche, der Zigarettenindustrie, im Tarifvertrag vereinbart.

In den 80ern schrieben sich die Gewerkschaften die 35-Stunden-Woche auf die Fahnen. 1990 wurde sie in den Tarifverträgen der westdeutschen Metallindustrie, der Stahl-, Elektro- und Druckherstellung so wie dem holz- und papierverarbeitenden Gewerbe festgeschrieben. In anderen Branchen wurde eine 38,5-Stunden-Woche vereinbart. In den 90ern ging der Einfluss der Gewerkschaften in den Tarifkonflikten zurück. Mehrere Branchen führten seit Mitte der 1990er Jahre wieder die 40-Stunden-Woche ein.

Von Gewerkschaftsseite ist seitdem keine Forderung mehr zu hören nach genereller Arbeitszeitverkürzung. Stattdessen wird der herkömmlichen Vollzeittätigkeit mit ihrer 40 oder 38,5-Stunden Woche im Schulterschluss mit Sozialdemokraten und Linkspartei das Prädikat ‚gute Arbeit‘ angeheftet. Das erinnert an die Nachkriegszeit, als die Rede von ‚guter Butter‘ war, wie der Verteilungskritiker Günther Moewes anmerkt.

Die schwer gebeutelte SPD denkt nicht einmal im Traum daran der finnischen Genossin ansatzweise in Richtung Arbeitszeitverkürzung zu folgen. Vertreter der Führungsspitze wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil pflegen lieber das Image der SPD als ‚Partei der Arbeit‘. Selbstredend ist die ‚gute Arbeit‘ des 40/40-Modells gemeint: 40 Wochenstunden bei 40 Jahren Erwerbstätigkeit.

Daran wird sich geklammert und ignoriert, dass seit Jahrzehnten die Teilzeitbeschäftigung auf dem Vormarsch ist und inzwischen rund ein Drittel aller Erwerbstätigen umfasst. Anders wäre die Rekordzahl von 45 Millionen Erwerbspersonen nicht zu erreichen gewesen. Darauf wird man in der Medienberichterstattung allerdings kaum hingewiesen.

Eher wird der Eindruck gefördert, dass ein Mangel an ‚Fach‘-, also Arbeitskräften, besteht, der in Zukunft immer dramatischere Züge annimmt. Deshalb, so der Tenor, müsse länger gearbeitet, wohl mindestens bis zum 70. Lebensjahr, um am besten auch mehr. Vollzeit geht dabei vor Teilzeit. Dieser Linie folgen hauptsächlich Unternehmensverbände und konservative Politiker. Zum Beispiel Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Anfang Januar sprach er beim Neujahrsempfang der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Hamburg. In seinem Vortrag warnte er vor einer großzügigen Gewährung von Sozialleistungen (Bericht: junge Welt vom 11.1.2020). Sie führte die Empfänger ins Unglück, so seine Behauptung.

Des weiteren forderte der CDU-Politiker, ‚die Balance zwischen Fordern und Fördern‘ richtig einzuhalten. ‚Denn wenn wir überfördern, zerstören wir die Motivation der Menschen (...) und machen sie unglücklicher‘. In diesem Falle nehme der Staat den Lohnabhängigen den Anreiz, ihre persönliche Lebenserfüllung zu finden.

Und die kann dieser Logik zufolge, aus der die gängige Arbeitsideologie zwischen den Zeilen nur so trieft, einzig darin liegen, sich gezwungenermaßen als Arbeitstier ins Laufrad zu begeben, gleich zu welchen Bedingungen und zu welcher Bezahlung. Millionen Niedriglohnbeschäftigte dürften sich von Schäubles Ausführungen verhöhnt fühlen. Der fein klingende Ausdruck ‚Anreiz‘ steht dabei als Synonym für nichts anderes als den puren Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft. Genau diesen wollen Schäuble & Co weiter fördern anstatt die Menschen davon zu befreien, denn dann wären jene ja ‚überfördert‘.

Das soll, darf nicht passieren, also werden auch die Arbeitsbedingungen nicht spürbar verbessert, z.B. durch eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit. Schäuble gab beim o.g. Neujahrsempfang klar zu erkennen, was er davon hält: Er äußerte sich betroffen über die Zustimmung in der deutschen Öffentlichkeit zu den Arbeitszeit-Plänen der finnischen Regierungschefin. Er verwies auf die demographische Entwicklung, die in Deutschland angeblich zu einem drastischen Mangel an Arbeitskräften führt. Wegen ihrer längeren Lebenszeit müssten die Menschen auch länger arbeiten, so Schäuble. ‚Wir brauchen jeden, selbst der Schwerkranke kann anderen etwas geben.‘

Die Worte des Christdemokraten klingen weder sonderlich demokratisch noch christlich barmherzig. Eher haben sie etwas Totalitäres: In Richtung einer totalen Erwerbsgesellschaft, welche die Arbeitskraft von allen bis zum letzten Rest ausquetscht. Gleichfalls totalitär wirkt dabei die Auffassung von Arbeit als Wert an sich. Wem sie dient, welchem Sinn und Zweck, spielt keine Rolle.

Eben so wenig, ob sie gesundheits- und umweltschädlich ist. Hauptsache Arbeit, auch wenn ihr gesellschaftlicher Nutzen fragwürdig ist: Siehe Rüstung, Werbung, Finanzindustrie, die Herstellung von Ramsch usf. Ein Großteil der Jobs, geschätzte 25 bis 50 Prozent, dient nicht dem menschlichen Wohlergehen wie etwa in den Bereichen Nahrung, Fortbewegung, medizinische Versorgung, Pflege, Betreuung, Bildung, Erziehung, Forschung, Wissenschaft, Kunst oder Kultur, sondern der reinen Kapitalverwertung. Im Prinzip handelt es sich hier um eine sinnlose Vergeudung wertvoller Zeit, Energie und Ressourcen.

Ausgerechnet in wichtigen, unverzichtbaren Bereichen wie der Krankenpflege herrscht Personalmangel. Daraus allerdings einen zukünftigen, gravierenden, flächendeckenden Fachkräftemängel ableiten zu wollen, wirkt arg überstrapaziert. Zumal die große Digitalisierungswelle erst noch anrollt. Man darf gespannt schauen, was danach vom ‚Fachkräftemangel‘ bleibt.

Dem hoch gelobten ‚Elder Statesman‘ Schäuble, der sich gern so besonnen gibt, mangelt es hier offensichtlich an Durchblick. Gleichfalls bei der Frage, was Menschen glücklich macht. Hier hat die finnische Premierministerin mindestens doppelt soviel verstanden wie der Herr Bundestagspräsident, obwohl nicht einmal halb so alt.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe März 2020, erschienen.



Online-Flyer Nr. 739  vom 11.03.2020



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