NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

Fenster schließen

Literatur
Daniele Ganser: Imperium USA - Die skrupellose Weltmacht
Gegen die Verwüstung durch den gemeinen Gedächtnisschwund
Buchtipp von Afsane Bahar

Dr. phil. Daniele Ganser, Schweizer Historiker und Friedensaktivist, gehört zu den hervorragenden zeitgenössischen Denkern, die gegen den „allgemeinen Gedächtnisschwund“ vorgehen, indem sie geschichtliche Ereignisse tiefgründig aufarbeiten und ihre Ergebnisse in einer verständlichen, klaren Sprache den Menschen zur Verfügung stellen. Friedensforschung, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik gehören zu den Schwerpunkten seiner Forschung [2]. Er leitet das „Swiss Institute for Peace and Energy Research“ in Basel [3]. Ihn habe ich persönlich als ausgezeichneten Redner [4] im Rahmen der Aktionswoche der „Kampagne Stopp Air Base Ramstein“ [5,6] in der Versöhnungskirche in Kaiserslautern am 8.9.2017 nach dem bewegenden Vortrag des Theologen Eugen Drewermann erlebt [7].

Der gemeine Gedächtnisschwund
gehört zu den gefährlichen Volkskrankheiten
Er grasiert gewaltig und global
Im Gegensatz zu anderen Volkskrankheiten
die in der Regel lediglich
das Leben der betroffenen Person beeinträchtigen
verwüstet der gemeine Gedächtnisschwund
generationenübergreifend ganze Regionen [1]

Sein neuestes Buch, „Imperium USA. Die skrupellose Weltmacht“, ist im April 2020 erschienen [8]. In diesem Buch beleuchtet er die geschichtliche Entwicklung der Vereinigten Staaten [9-11]. Einleitend scheibt er [12]:

    „Ich habe dieses Buch geschrieben, um die Friedensbewegung zu stärken. Zur Friedensbewegung gehören alle Menschen, die Krieg und Terror ablehnen und auch keine Lügen und keine Kriegspropaganda wollen. Die Friedensbewegung hat es in allen Ländern der Welt immer gegeben, auch in den USA. Um dies zu belegen, zitiere ich in diesem Buch immer wieder Stimmen der US-Friedensbewegung. Darunter auch diejenige des afroamerikanischen Bürgerrechtlers und Pfarrers Martin Luther King, der in klaren Worten zum gewaltfreien Widerstand gegen die Unterdrückung der Afroamerikaner und den illegalen Vietnamkrieg aufgerufen hat. Oder die Frauenrechtlerin Jeannette Rankin aus Montana, die als Abgeordnete im Kongress gegen die Teilnahme der USA am Ersten und am Zweiten Weltkrieg gestimmt hat. Oder den früheren NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, der die Überwachung der Bürger aufdeckte. Die Mitglieder der Friedensbewegung haben sich immer an ihrem Gewissen orientiert und sind nie mit dem Strom geschwommen. Sie haben Krieg und Kriegslügen auch dann abgelehnt und das öffentlich gesagt, wenn sie in der Minderheit waren. Einige Mitglieder der Friedensbewegung wurden erschossen, wie Martin Luther King. Andere wurden als »Verräter« und »Hure« diffamiert, wie Jeannette Rankin. Andere wiederum mussten die USA verlassen, wie Edward Snowden, der nun in Moskau lebt. Mit ihrem Beispiel haben sie andere Menschen inspiriert, auch dann gegen Krieg, Terror und Kriegspropaganda Stellung zu beziehen, wenn es schwierig ist und Mut braucht.“

Dr. Daniele Ganser orientiert sich im Rahmen seiner Friedensarbeit an den drei Prinzipien Menschheitsfamilie, UNO-Gewaltverbot und Achtsamkeit [13]:

    „Das Prinzip Menschheitsfamilie ist ein zentraler Leuchtstern für die Friedensbewegung. Die in diesem Buch dargelegten Beispiele zum brutalen europäischen Imperialismus und zum skrupellosen Imperialismus der USA belegen, dass der Einsatz von Gewalt jeweils dadurch ermöglicht wurde, dass die Imperialisten eine Gruppe von Menschen — Indianer, Afroamerikaner, Japaner, Deutsche, Vietnamesen, Iraker, Afghanen und viele andere mehr –explizit aus der Menschheitsfamilie ausgeschlossen hatten.

    Durch Kriegspropaganda wurde jedes Mitgefühl mit der ausgeschlossenen Gruppe ausgelöscht. […]

    Das Prinzip UNO-Gewaltverbot ist ein weiterer wichtiger Leuchtstern für die Friedensbewegung. Nach dem unsäglichen Leiden im Zweiten Weltkrieg formulierten die Menschen 1945 ein revolutionäres neues Prinzip, das den Angriff von einem Land auf ein anderes Land strikt untersagt, wie auch das verdeckte Bewaffnen von Banden, um in einem anderen Land die Regierung zu stürzen. Dies war ein großer Fortschritt. Das in der UNO-Charta in Artikel 2 Absatz 4 verankerte Gewaltverbot ist das heute geltende Völkerrecht und besagt:

    „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ […]

    Das Prinzip Achtsamkeit ist der dritte Leuchtstern für die Friedensbewegung. Wir brauchen im 21. Jahrhundert einen Bewusstseinswandel und mehr Achtsamkeit. Wenn wir mit geschlossenen Augen den Blick nach innen richten, können wir erkennen, wie verschiedene Kriegstreiber unsere Gedanken und Gefühle durch Kriegspropaganda seit Jahrzehnten gezielt verwirrt haben und dies auch heute noch tun. […]

    Auch ich übe mich in Achtsamkeit, versuche immer wieder den Blick nach innen zu richten und meine Gedanken und Gefühle zu beobachten. Um aus der Gewaltspirale auszusteigen, müssen wir alle Kriegslügen hinter uns lassen.

    Wer sich in Achtsamkeit übt, kann nicht mehr so leicht durch psychologische Operationen getäuscht werden.“

Weiterhin schreibt er [14]:

    „Wenn die Welt heute von „Amerika“ spricht, es bewundert oder fürchtet, dann ist in der Regel das Territorium der USA gemeint, und nicht eines der Länder aus Südamerika wie Chile oder Brasilien, obschon alle Menschen, die dort leben, ohne Zweifel Amerikaner sind. Für eine präzise Analyse ist es aber unabdingbar, dass man nicht pauschal von „Amerika“, sondern spezifisch von den USA und den dort wohnhaften 330 Millionen US-Amerikanern spricht. Und selbst das ist noch nicht präzise genug. Denn die meisten US-Amerikaner haben überhaupt keinen Einfluss auf die internationale Politik. Es sind nur die Superreichen, eine kleine Gruppe von rund 300.000 US-Amerikanern, welche die US-Außenpolitik steuern und vom US-Imperialismus profitieren.

    Wer die bestehende große Kluft zwischen Arm und Reich in den USA ignoriert, verdeckt die Tatsache, dass auch Millionen von US-Amerikanern unter den Folgen des US-Imperialismus leiden, weil die Regierung das Geld in Rüstung und Krieg investiert, statt der Unterschicht und Mittelschicht ein würdiges Leben zu ermöglichen. […]

    In der Innenpolitik haben die Vertreter der Superreichen wiederholt die Steuern für die Reichsten gesenkt oder Schlupflöcher kreiert. Es kümmert die Superreichen nicht, wenn der Staat immense Schulden anhäuft, die er nicht zurückbezahlen kann, solange ihr Vermögen nicht gefährdet ist. Während der Finanzkrise von 2008, als die Lehmann Brothers Bank Pleite ging, hat der Staat im Sinne der Superreichen interveniert und Milliarden von Dollars zur Rettung von Banken und Investoren ausgegeben, was die Staatsverschuldung in die Höhe trieb. Doch Hausbesitzern aus der Mittelklasse wurde nicht geholfen, was in einer Oligarchie zu erwarten ist. Auch wenn ein Unternehmer aus der Mittelschicht mit seiner Firma Pleite geht, hilft ihm der Staat nicht. Nur die Superreichen können auf die Hilfe des Staates zählen, weil sie die Schlüsselstellen des Staates kontrollieren.

    In der Außenpolitik haben sich die Superreichen Absatzmärkte für US-Produkte und Zugang zu billigen Rohstoffen und Arbeitskräften gesichert. Wenn das US-Imperium in einem fremden Land die Regierung stürzt, stehen dahinter die Interessen der 300.000 Superreichen und ihrer Konzerne, welche sprichwörtlich über Leichen gehen, um ihre Profite zu sichern.

    US-Regierungen haben darauf hingearbeitet, den Zugang zu Erdöl- und Erdgasquellen und anderen Rohstoffen zu sichern, Rivalen zu schwächen und Absatzmärkte für die Produkte der US-Konzerne zu eröffnen. Die imperiale Macht dient dem Geldadel. Eine Kritik am US-Imperialismus richtet sich daher nicht an die armen Menschen in den USA, die auf Parkbänken übernachten, sondern an die Superreichen. […]

    Für ihre Investitionen nutzen die Superreichen Banken und Investitionsfirmen wie Black Rock, Barclays Bank, JPMorgan Chase und Goldman Sachs, welche den Superreichen helfen, ihren Reichtum zu vergrößern. Die Superreichen teilen den Glauben, dass der Kapitalismus nicht nur gut für sie selber, sondern auch für die Entwicklung der ganzen Welt sei. Fehlentwicklungen wie Umweltzerstörung, Ausbeutung und Krieg werden zwar auch von den Superreichen registriert, spielen aber für die Investitionsentscheide nur eine sekundäre Rolle, weil primär die Rendite auf dem eingesetzten Kapital zählt.“

Er beleuchtet auch die Rolle der Medien bei dem weltweiten Kriegsgeschehen [15]:

    „Wie hätte die westliche Wertegemeinschaft reagiert, wenn Russland, Nigeria oder China die Länder Afghanistan, Pakistan und Irak angegriffen hätten? Hätten unsere Leitmedien nicht sofort — und zu Recht — den eklatanten Verstoß gegen das UNO-Gewaltverbot kritisiert? Hätte man nicht sofort auf das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Völker verwiesen und erklärt, dass sich andere Länder nicht einmischen dürfen? Warum hat sich in den USA niemand darüber aufgeregt, dass im Irakkrieg nach dem Angriff von 2003 mehr als 1 Million Iraker getötet wurden? Warum störte sich niemand an den 300.000 Toten in Afghanistan und Pakistan, und dass die USA gegen diese beiden Länder seit 2001 Krieg führt?

    Die sehr effiziente US-Kriegspropaganda hat solch grundlegende Fragen verhindert, und wenn sie auftauchten, als lächerlich oder unwichtig abgetan. Natürlich gibt es in den USA und in Europa gute und fähige Journalisten, das steht außer Frage. Aber es ist auffallend, wie gehorsam viele Journalisten den Erklärungen der US-Präsidenten und Verteidigungsminister gefolgt sind und das Narrativ „Krieg gegen den Terror“ verbreitet haben, ohne zu prüfen, ob dieses Narrativ auch stimmt.

    Über die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben die Leitmedien sehr unausgewogen berichtet, die offenen Fragen wurden verschwiegen und die Geschichte von Präsident George Bush Junior wurde ohne Prüfung blind an die Massen weitergegeben. Die Sprengung von WTC7 wurde vertuscht.

    Leitmedien wie die New York Times versagten auch vor dem Angriff auf den Irak, als sie die Lüge mit den Massenvernichtungswaffen verbreiteten. […]

    Keinem anderen Land der Welt sei es in der Zeit nach 1945 gelungen, seine Verbrechen so meisterhaft zu kaschieren wie den USA. […]

    Gemäß dem Psychologen Rainer Mausfeld, der an der Universität Kiel lehrte, wird beim Meinungsmanagement neben dem ständigen Wiederholen von Kernbotschaften auf Fragmentierung und Dekontextualisierung gesetzt. Dabei werden die Fakten in Fragmente, also kleine Stücke, zerlegt, sodass für den Beobachter kein Sinnzusammenhang mehr entsteht. Dadurch kann man Fakten auflösen oder unsichtbar machen. Bei der Dekontextualisierung werden Informationen aus ihrem Kontext, also Sinnzusammenhang gerissen, indem zum Beispiel verschwiegen wird, was zuvor passierte. Zudem werden die Fakten in einen neuen Kontext gesetzt, also rekontextualisiert.

    Kriege sind dann plötzlich nicht mehr abscheulich und grausam, sondern ein notwendiges Übel um das Böse zu bekämpfen. Insgesamt seien die USA, nach offiziellen Angaben und Schätzungen, seit dem Zweiten Weltkrieg „durch Angriffe auf andere Länder für den Tod von 20 bis 30 Millionen Menschen verantwortlich“, so Mausfeld. Doch diese Zahlen seien kaum bekannt. „Es bedarf in der medialen Darstellung dieser Verbrechen einer beträchtlichen Fragmentierung und einer radikalen Rekontextualisierung als ‚Kampf für Demokratie und Menschenrechte‘, damit Verbrechen dieser Größenordnung sowie ihre geschichtliche Kontinuität für die Öffentlichkeit nahezu unsichtbar werden. Obwohl all dies ausführlich dokumentiert ist, sind diese Verbrechen im öffentlichen Bewusstsein so gut wie nicht präsent“, erklärt Mausfeld.

    Die Menschen in Nordamerika und Europa werden täglich mit News, Sport, Werbung und einer Flut von oft unnützen Informationen zugeschüttet und viele fühlen sich daher über alles Wesentliche unterrichtet.

    „Die Bürger, die beim Frühstück die Süddeutsche Zeitung lesen, nachmittags in Spiegel Online schauen und sich abends die Tagesschau ansehen, sind im Gefühl umfassender Informiertheit so selbstzufrieden, dass sie die Krankheit, an der sie leiden … nicht einmal mehr erkennen können“, erläutert Mausfeld.

    Die Krankheit ist die Illusion des Informiertseins. Erzeugt wird sie durch andauernden und unkritischen Medienkonsum.

    Zum Glück ist diese Krankheit aber heilbar. Jeder kann selbst entscheiden, weniger Medien zu konsumieren. Denn wer eine Mediendiät macht, nimmt auch weniger Kriegspropaganda auf. Gerade wenn man niedergeschlagen und traurig ist, kann eine Mediendiät helfen, kombiniert mit guter Ernährung, Gesprächen mit Freunden und langen Aufenthalten in der Natur. Zudem ist es ratsam, statt News spannende Bücher zu lesen. Denn News sind fragmentiert, daher kann man sich nur schlecht an die News erinnern, die man vor einer Woche gelesen oder gehört hat. Lange Sachbücher hingegen liefern Kontext und mehrere Beispiele zum selben Thema, wodurch die Information im Gehirn vernetzt und dadurch viel besser abgespeichert wird.“

Im Sinne des folgenden Gedichtes möchte ich die Lektüre des aktuellen Buches von Dr. Daniele Ganser herzlich empfehlen.

Wir verweilen in einem Raum
mit vielen Wänden
Jede Wand hat zahlreiche Fenster
zum Empfangen und zum Senden
Jeder öffnet ein Fenster zum Licht
verfasst dann sein eigenes Gedicht
Wenn wir Blicke und Gedichte
redlich zusammenführen
werden wir gemeinsam
die Wahrheit eher berühren [16]


Daniele Ganser: Imperium USA - Die skrupellose Weltmacht



April 2020, Orell Füssli Verlag, ISBN: 9783280057087, 400 Seiten, 25 Euro


Quellenangaben und Bemerkungen

[1] https://amirmortasawi.wordpress.com/2020/03/10/20689353/
[2] Weitere Bücher von Dr. Daniele Ganser (alle beim Verlag Orell Füssli erschienen):
- Nato-Geheimarmeen in Europa: Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung; 2009
- Europa im Erdölrausch: Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit; 2014
- Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien; 2016  
Seine aufgezeichneten Vorträge sind unter dem folgenden Link zu finden:
https://www.siper.ch/institut/medienarbeit/aufgezeichnete-vortraege.html
[3] https://www.siper.ch/
[4] https://kenfm.de/motivationsrede-von-dr-daniele-ganser-stopp-air-base-ramstein/
[5] https://www.ramstein-kampagne.eu/
[6] https://amirmortasawi.wordpress.com/2017/07/28/20687292/
[7] http://luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP15017_140917.pdf
[8] Umschlag des Buches:
https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2020/05/umschlag-ganser-2020.pdf
[9] Inhaltsverzeichnis des Buches:
https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2020/05/inhaltsverzeichnis-ganser-2020.pdf
[10] Die im Buch aufgeführte Chronologie:
https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2020/05/chronologie-ganser-2020.pdf
[11] Empfohlene Bücher im Buch
https://amirmortasawi.files.wordpress.com/2020/05/empfohlene-bc3bccher-ganser-2020.pdf
[12] https://www.freitag.de/produkt-der-woche/buch/imperium-usa/usa_leseprobe
[13] https://www.rubikon.news/artikel/leuchtsterne-des-friedens
[14] https://www.rubikon.news/artikel/die-oligarchie
[15] https://www.rubikon.news/artikel/die-grosste-show-der-welt
[16] https://amirmortasawi.wordpress.com/2018/12/23/20688159/

Online-Flyer Nr. 746  vom 08.06.2020



Startseite           nach oben