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Lokales
Wolfgang Schulz kämpft nicht nur für ein hühnerfreundlicheres Köln
Hennrietta und Scharrlotte
Von Christoph Alberto Hardt

Ei, ei, ei, da lachen ja die Hühner – die wilde Federvieh-Fahndung der Polizei Anfang März in der Schenkendorfstraße, sie war wohl noch sinnloser als bisher gedacht: Wolfgang Schulz (59) hatte sich trotz Gerichtsurteils geweigert, der Räumungsklage seines Vermieters nachzukommen und die beiden Hennen Hennrietta und Scharrlotte aus seiner Wohnung zu entfernen. Nachdem Schulz den Tod von Scharrlotte vermeldet hatte, rückten Polizisten mit Gerichtsvollzieher und Hausmeister im Schlepptau an, das verbliebene Tier ins Tierheim Zollstock zu bringen, mussten aber feststellen, dass der Vogel offenbar „ausgeflogen“ war.

Hennrietta und Scharrlotte
Alle Fotos: Wolfgang Schulz
 
Jetzt ließ Schulz gegenüber der Neuen Rheinischen Zeitung die Bombe platzen: Entgegen früherer Presseberichte waren beide Tiere zu diesem Zeitpunkt bereits vor einiger Zeit verstorben. Staatsmacht und Gerichtsvollzieher suchten bei ihrer Fahndung nach Hennrietta in Schränken und Schubladen also nach einem Geister-Huhn, das nur noch durch ihre Akten spukte – die vorerst letzte Wendung in einer Geschichte, wie sie nur das Leben schreiben kann und sie die Kölner normalerweise mit einem Karnevalswagen verarbeiten.
 
Rückblende: 2009 ersteht Wolfgang Schulz auf einem Markt in Waldbröl zwei Haushühner, nimmt sie mit in seine Nippeser Wohnung, wo sie fortan auf dem Balkon leben und ab und an im Garten scharren. „Die Leute haben zum ersten Mal wieder miteinander geredet“, erinnert er sich. „Von Balkon zu Balkon. Die Hühner waren eine echte Attraktion.“ Doch einer älteren Dame habe der Hühnertrubel ganz und gar nicht gefallen. Sie beschwerte sich beim Vermieter. Eine Justizmühle kam ins Rollen, durch die nicht nur Schulz Federn lassen sollte: Wolfgang Kaup, Bezirksvorstand der Vermietergenossenschaft und Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande, wetzte direkt die großen Messer, holte die Presse ins Boot und erklärte im Rampenlicht, die Hühner seien eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung“. Ein Schuss, der nach hinten losging, schlugen sich die öffentlichen Sympathien doch schnell auf Schulz' Seite. Zwei Wochen Presserummel später erlag Kaup plötzlich einem Herzinfarkt.


 
Trotz Niederlage in erster Gerichtsinstanz brachte Schulz es nicht übers Herz, die Legehennen ins Heim zu stecken und ging in Berufung. „Nach Monaten flatterte mir ein Brief ins Haus, eine andere Kammer hätte den Fall übernommen und sehe keine Aussicht auf Erfolg; meine Berufung sei damit abgeblasen“, erzählt der Tierfreund. Von da an habe er der Räumung geharrt und versucht, den Tieren bis dahin noch einen friedlichen Lebensabend zu bieten. Legehennen würden heute nur noch ca. 3,5 Jahre alt, früher seien es mal 18 Jahre gewesen. „Eine Sauerei der großen Züchter, den Tieren wird ihr Verfallsdatum gleich mitgegeben“, meint Schulz. „Von der Federfarbe bis zur Form der Krallen ist alles von den Monopolisten durchgeplant.“ Viele Hennen hätten nicht einmal mehr den ganzen Darm, könnten nur noch das Spezialfutter der Fabriken verdauen. Scharrlotte sei Silvester 2010 gestorben, Hennrietta dann im August 2011. „Man sieht es ihnen an“, so Schulz, „sie nehmen Abschied von der Erde.“


Jetzt sucht der Hartz 4-Empfänger eine neue Wohnung, bei der ein hühnerfreundlicher Vermieter die Anschaffung zweier neuer Hennen erlaubt. Deren Entwicklung, so seine Idee, könne man dann live ins Internet übertragen, Kindern die Tiere zugänglich machen, damit sie auch wieder wüssten, wo ein Frühstücksei herkomme und sich nicht von Begriffen wie „Bodenhaltung“ täuschen ließen.
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Doch Schulz kämpft nicht nur für ein hühnerfreundlicheres Köln, er kämpft auch gegen die Kultur der Profitmaximierung: „Früher waren die Bauern um Köln arm, die Kinder hungrig, da wurde ein Huhn geschätzt“, erklärt der gelernte Schreiner. „Heute ist der Stellenwert der Tiere gering, sie stören, müssen weg, sollen gefälligst in den Massentierhaltungsbetrieben ihr Dasein fristen, die hier in der Ära von Franz Josef Strauß nach US-Vorbild eingeführt wurden.“ Es sei eine fabrikmäßige Tötung, die dort unter dem Radar der Öffentlichkeit stattfinde.
 
Die meisten Kölner wüssten gar nicht, dass Hühner nützliche Allesfresser seien, ihre eigene Sprache hätten und sich wie Kinder auch an Schokoladentorte überfressen könnten, so sehr habe sich die Gesellschaft von den einstigen Haustieren entfremdet, in der die Tiere einst in Schrebergärten und Hinterhöfen ein alltägliches Bild gewesen seien. „Eines Tages ging ich mit meinem Korb mit den beiden Hühnern durch Nippes“, erinnert sich Schulz, und eine alte Frau in einem Rollstuhl rief mir plötzlich hinterher: „Bitte bleiben Sie kurz stehen. Wissen Sie eigentlich, wie lange das her ist, dass ich ein lebendes Huhn gesehen habe?“ (PK)


Online-Flyer Nr. 368  vom 22.08.2012



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