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Lokales
Interview mit dem zwangsgeräumten Kölner Kalle Gerigk
Im Namen des Volkes
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Am Mittwoch, dem 16. April 2014, wurde Kalle Gerigk, nachdem ein erster Versuch am 20. Februar am Widerstand der Bevölkerung gescheitert war, unter großem Aufwand der Staatsmacht zwangsgeräumt. Ihr Einsatz begann gegen 2 Uhr mitten in der Nacht. Die Dachgeschosswohnung in der Fontanestraße 5 im Kölner Agnesviertel, in der Kalle seit mehr als 30 Jahren gelebt hatte, steht jetzt leer – bereit für die Luxussanierung im Rahmen des angeblichen Eigenbedarfs eines Immobilienmaklers – gegen den Willen des Volkes. Am 21. April, Ostermontag, hat Kalle die Transparente abgehängt, mit denen seine Nachbarn in der Fontanestraße ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht haben – im Namen des Volkes. Bei der Gelegenheit haben wir uns mit Kalle unterhalten.
Kalle ist zuversichtlich: der 1. FC steigt heute am Ostermontag auf – und er ist aufgestiegen
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com
Frage: Es hat ein Urteil gegeben: Im Namen des Volkes! Was stand da drin?
Kalle Gerigk: In dem Urteil stand, dass mein Vermieter die Wohnung zugesprochen bekommt und der Eigenbedarf korrekt sei.
Das Verfahren lief über mehrere Jahre. Was ging der Räumungsklage voraus?
Fünf Jahre ungefähr ist das jetzt gelaufen vom Kauf der Wohnung bis zu meinem Auszug, d.h. bis jetzt das Urteil vollstreckt worden ist – in der Form, dass der Gerichtsvollzieher mich mit Amtshilfe der Polizei praktisch zwangsgeräumt hat.
Du hattest aber Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Eigenbedarfs?
Ja, ich bezweifle das. Die Wohnung ist gekauft worden. Zeitgleich ist die Wohnung im Internet zum Kauf angeboten worden. Das hat mich sehr skeptisch gemacht. Bei der ersten Gerichtsverhandlung kam das zur Sprache. Da hat mein Vermieter argumentiert, dass er zwar in der Immobilienbranche tätig ist – auch als Makler, aber dass er die Anzeige nur geschaltet hat, um an Kunden zu kommen. Er hatte angeblich immer den Wunsch, mit seiner Lebenspartnerin, die er zu dem Zeitpunkt hatte, dort einzuziehen. Die Lebenspartnerin ist gefragt worden, wie die Wohnung mal aussehen wird: ja, so 70, 75 qm, sie wisse es nicht so genau, vielleicht auch 80, sie wisse es nicht genau… Nein! Es sind 130 qm. Da muss man sich doch wirklich mal fragen: wie weltfremd ist das? Da kommt jemand nach Hause, sagt hallo Schatz. Ich hab jetzt etwas gefunden. Ich will mit Dir mein Nest bauen. Und da fragt die Frau nicht, wie groß die Wohnung sein wird? Wo gibt es so was denn? Die Richter haben’s geglaubt. Dazu kommt noch ein anderer Grund. Die Frau, die mit meinem Vermieter in die Wohnung einziehen wollte, ist damals aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Eine Genossenschaftswohnung in Köln-Holweide. 58qm. Das war zu klein. Da hat sie dem Gericht glaubhaft gemacht: ich bin da ausgezogen, weil ich den Platz brauchte, zum Lernen, für mein Jurastudium. Das war einfach zu eng.
Im Verlauf des Verfahrens war dann die Beziehung beendet?
Ja, die Beziehung war beendet. Das war ein Punkt. Der zweite Punkt war, dass diese Freundin überhaupt nicht wusste, wie diese Wohnung später einmal aussehen wird. Man muss wissen: die Wohnung hat 68qm, aber ausgebaut, mit zwei Speichern hat man eine Fläche – nach den Bauplänen, die ich gesehen habe – von 130qm. Das bespricht man doch zu Hause. Und der dritte Punkt war, dass die Wohnung schon im Internet zum Verkauf stand. Das waren für mich drei gravierende Punkte, wo ich nie gedacht hätte, dass ich diesen Prozess verliere. Das Urteil hat mich schon sehr überrascht.
Dein Vermieter hatte zuvor aus einem anderen Grund versucht, Dir fristlos zu kündigen. Wie war das? Hast Du versucht, mit Deinem Vermieter zu reden?
Es gab nie ein einziges Gespräch. Mein Vermieter hat die Wohnung gekauft. Ich hab eine Telefonnummer gehabt, eine Handy-Nummer, und eine Anschrift. Mehr nicht. Ich hab versucht ihn anzurufen. Ich brauchte die Konto-Nummer, weil der Eigentümerwechsel stattgefunden hat. Ich hab ihn nicht erreicht, ich habe die Verwaltung angerufen, hab die gefragt, wie sieht’s aus, ich hätte gerne die Konto-Nummer von meinem Vermieter. Da hat man mir gesagt, das wäre kein Problem, ich könnte den Dauerauftrag weiter laufen lassen, das würde man mit ihm verrechnen. Nach drei Monaten kam die fristlose Kündigung, ich hätte meine Miete nicht bezahlt. Da merkte ich natürlich, der Wind wird ein klein bisschen rauher.
Unmittelbar nach dieser Kündigung, mit der er nicht durchgekommen ist, kam die Eigenbedarfskündigung. Die war natürlich viel zu früh. Zu dem Zeitpunkt hatte ich einen Kündigungsschutz – ich nenn das mal Bestandsschutz – das heißt, wenn man eine Wohnung kauft mit lebendem Inventar – mit jemandem, der drin wohnt, war es damals so, darf man in den ersten drei Jahren keinen Eigenbedarf anmelden. Das hat den nicht interessiert. Auch seinen Anwalt nicht. Sein Anwalt ist ein Spezialanwalt für Mietrecht. Der wird das gewusst haben. Aber man hat es einfach mal versucht. Weil, probiert man es zehnmal, irgendwann klappt’s. Außerdem kam dann auch direkt schon mal die Räumungsklage. Diesem ersten Prozess habe ich relativ locker entgegengesehen. Ich wusste, ich bin im Recht. Ich habe drei Jahre Bestandsschutz. Eine Woche vor diesem Gerichtstermin hat man diesen Termin zurückgezogen mit der Begründung: ja, wir hätten ja schon gekonnt, aber wir wollen doch nicht so hart sein. Überlegen Sie es sich doch mal. Nein! Man hätte es nicht gekonnt.
Die drei Jahre Bestandsschutz sind Dir gewährt worden und Du hast sie ausgeschöpft?
Die sind mir gewährt worden, plus neun Monate. In den ersten drei Jahren hat man einen Bestandsschutz plus einer Frist von sechs oder neun Monaten, je nachdem, wie lange man darin wohnt. Ich muss jetzt dazu sagen, dieses Gesetz hat sich für den Mieter etwas verbessert. Es gibt jetzt, seit letztem Jahr im April, einen Bestandsschutz von acht Jahren. Zu der Zeit als mein Vermieter die Wohnung gekauft hat, hat das Land Nordrhein-Westfalen viele Wohnungen selbst verkauft, und man hat diesen Bestandsschutz zurückgefahren auf drei Jahre, um es für Käufer attraktiver zu machen. Nachdem man viele Wohnungen verkauft hat, hat man das Gesetz wieder verändert, um gewachsene Strukturen etwas zu schützen.
Schließlich stand – nach zwei Instanzen – die Räumung an: Im Namen des Volkes?
Nach der zweiten Instanz, das war ungefähr letztes Jahr im Oktober, hab ich eigentlich gedacht: okay, ich hab alles versucht. Ich hab verloren. Ich geh hier raus – trotz allem erhobenen Hauptes. Ich finde dieses Urteil ungerecht. Ich geh hier raus und such mir ne Wohnung. Es ist aber auch so gewesen, dass mein Vermieter mich regelrecht gemobbt hat. Erstmal gab es Schäden in der Wohnung, es gab feuchte Wände, wo er sich nie drum gekümmert hat, und die Härte war: mein Vermieter war im Haus, hat sich das Dach angeguckt. Man muss wissen, man kann über meiner Wohnung drüber laufen, auf Holzbalken. Und beim nächsten Regen hat es bei mir reingeregnet. Es hat in die Wohnung reingeregnet, genau in eine Lampenfassung aus Metall, die war glühend heiß. Das war der Moment, wo ich mir gesagt habe, jetzt ist der Bogen überspannt worden. Jetzt mache ich diese Sache öffentlich.
Im Namen des Volkes? Wie ging es weiter?
Ich habe keinem Journalisten gesagt, dass mein Vermieter für diesen Schaden verantwortlich ist, aber er hat sich nie ein einziges Mal darum gekümmert. Die Briefe, die ich ihm geschickt oder persönlich vorbeigebracht habe, in den Briefkasten gesteckt – oder auch im Vorverfahren schon – wo auf die anderen Schäden durch Post vom Mieterverein und von mir hingewiesen wurde: er hat nie reagiert und beim Gerichtsverfahren hat er so getan, als ob er von dieser Post zum ersten Mal gehört hat. Da habe ich gesagt, jetzt reicht es mir. Ich werde hier bis zum letzten Tag drin bleiben und mache die Sache öffentlich. Man muss auch wissen, dass so eine Zwangsräumung mit sehr viel Scham behaftet ist. Bei mir persönlich nicht. Aber, wer geht denn schon in die Öffentlichkeit von den Abertausenden, die jährlich geräumt werden, und sagt, ich werde zwangsgeräumt. Es ist oft wegen Mietschulden, oder weil man unbeliebt ist beim Vermieter, oder weil irgendetwas quer gelaufen ist, oder weil man Eigenbedarf bezweifelt – wie in meinem Fall. Ich bin diesen Weg gegangen und habe sehr schnell bemerkt, dass diese Verdrängung aus den Innenstädten ein großes gesellschaftliches Problem ist, weil ich eine unheimlich große Resonanz bekommen habe, weil sich viele direkt mit mir solidarisiert haben. Wie gesagt: im Oktober habe ich gesagt, das mach ich so nicht mehr. Ich bin eh jemand, der sich wehrt. Und ich wehre mich jetzt. Ich bleibe bis zum Schluss.
Irgendwann hast Du mitgekriegt, dass es viele Betroffene gibt, die aus ihren Wohnungen – aus Luxusgründen – verdrängt werden...
Ich hab durch einen Zufall auf einer Veranstaltung – das war die soziale Kampfbaustelle (in der Nähe vom Colonius im Grünbereich) – die Initiative „Recht auf Stadt“ kennen gelernt. Es ging auch um das Thema Zwangsräumung. Da sprach Manfred Müller, und der sagte: wir haben ein Problem, wir erfahren immer zu spät von den Zwangsräumungen. Da sagte einer in der Runde: ja hier ist aber jemand, dem steht das bevor, der Kalle. ... Ich hab kurz referiert, wir haben Telefonnummern ausgetauscht. Zwei, drei Wochen später kam der Anruf: Hör mal Kalle, wir haben drüber nachgedacht. Wir würden das gerne öffentlich machen. Hast Du was dagegen? Ich habe nichts dagegen, das könnt Ihr gerne machen. Dürfen wir auch Deinen Namen nennen? Dürft Ihr auch. Das hat dann noch zusätzlich geholfen, weil die Initiative Flugblätter gedruckt und verteilt hat und Kundgebungen hier vor der Agneskirche gemacht hat. Plakate gab es später auch.
Im Namen des Volkes? Wie war die Resonanz?
Es gab eine unglaubliche Resonanz, die ich nie für möglich gehalten hätte, was mir aber sagt, dass das ein Riesenproblem in unserer Gesellschaft ist. Ich hab’s ja beobachtet in den letzten zehn Jahren, wie sich die Immobilienpreise im Agnesviertel verdoppelt haben. Die Häuserreihe in der Fontanestraße mir gegenüber ist komplett von der WvM (WvM Immobilien + Projektentwicklung GmbH wirbt mit: eine Hausnummer in Köln) gekauft worden, die Wohnungen sind dann einzeln, scheibchenweise verkauft worden. Und da haben sich die Immobilienpreise verdoppelt. WvM ist eine große Immobiliengesellschaft, aber man muss wissen: es gibt viele, viele, viele, weil der Kapitalmarkt in Deutschland unheimlich interessant ist. Die Zinsen sind wahnsinnig niedrig, und Investoren weltweit, die früher in Aktien investiert haben, die investieren dann lieber mal in Wohnungen, weil es einfach momentan das beste Geschäft ist. Und deshalb ist auch dieses Betongold so wertvoll. Aber wir Mieter, die hier im Viertel, in der Innenstadt wohnen wollen, müssen es ausbaden. Es ist ja auch nicht nur so, dass diese Verdrängung aus dem Stadtkern stattfindet. Man muss sich vorstellen, dass für Köln – ich rede mal von Porz-Finkenberg, was eigentlich ein Problemviertel ist, so ähnlich wie Chorweiler – dass das jetzt schon zur mittleren Wohnlage erklärt worden ist. Also in ein paar Jahren wird da auch eine Verdrängung stattfinden. Köln-Kalk ist aufgewertet worden, Nippes, auch die Randgebiete werden aufgewertet. Die Kapitalströme, die nach Deutschland fließen... Bei mir ist es ein kleiner Fisch, einer kleiner Hai, sag ich mal.
Die Initiative „Recht auf Stadt“ hat Dich sehr unterstützt...
Die Initiative „Recht auf Stadt Köln“ hat mich sehr unterstützt. „Recht auf Stadt“ ist eine deutschlandweite Bürgerbewegung, die in Hamburg und anderen Städten aktiv ist. Hamburg hat mittlerweile die größten Probleme mit Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt. Auch in Köln steigen die Mieten. Und so könnte man das immer weiter, weiter spinnen. Man muss das Problem an der Wurzel anfassen. Man muss den Wohnungsbau verändern. Erst mal findet kein sozialer Wohnungsbau mehr statt, weil die Zinsen viel zu gering sind. Die Investoren bauen lieber selbst und können dann direkt teuer weiter verkaufen. Der Boden ist aber weg. Und eine Lösung, die einzige für mich, ist, dass die Städte selbst bauen. Auch mit ihren eigenen Architekten, mit ihren eigenen Handwerkern. Dann ist preiswertes Wohnen, Wohnen für fünf Euro pro Quadratmeter möglich. Es gibt europaweit Beispiele dafür, in Wien,... Das wären Ansätze. Aber nicht, wenn die Stadt, die noch etwas eigenen Boden, weiterhin diesen wertvollen Boden an Investoren verkauft, sogar 20 Prozent unter dem üblichen Marktwert, wenn sich diese verpflichten, teilweise öffentlich geförderte Sozialwohnungen zu erstellen. Das ist ein Skandal! Anstatt diesen Boden zu nehmen und zu sagen: jetzt baut die Stadt selbst, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.
Es ist ein städtischer Ausverkauf, ebenso wie es mit den Grundstücken geschieht, auf denen die Kölner Hallenbäder gestanden haben. Auch die Künstler-Kolonie in der Ehrenfelder Kolbhalle ist ein solcher Ort der Begierde (siehe auch hier)
Man möchte den Stadthaushalt ein bisschen positiver gestalten, greift zu diesen kurzfristigen Lösungen. Jetzt sind wieder Wahlen, man kann nach außen damit wunderbar glänzen. Aber es ist kurzfristig gedacht. Langfristig ist das eine Milchmädchenrechnung. Das funktioniert nicht. Dieses Problem gibt es seit 150 Jahren. Und auch die nächsten Generationen werden es alle abbekommen. Man muss endlich mal umdenken. Auch in kleinen Schritten. Stichwort Milieuschutz. Das ist eine Möglichkeit, die Viertel – wie das Agnesviertel – zu schützen. Milieuschutz heißt, dass es bestimmte Auflagen gibt, wenn man Luxus saniert. Man darf kein zweites Bad einbauen, man darf keine große Terrasse bauen. Wenn es diesen Milieuschutz gibt, machen die Investoren darum einen großen Bogen. Es gibt Städte, die das eingeführt haben.
Du hattest Kontakt zu Kölner Politikern, die Dir Angebote gemacht haben. Wie war das?
Sagen wir mal so: bei der ersten Zwangsräumung hat ein Politiker durch einen Nachbarn meine Telefonnummer erfragt. Der Politiker ist der Martin Börschel von der SPD. Martin Börschel rief mich an und fragte, ob ich denn diese Art des Protestes noch mal überdenken möchte. Ich sagte: Herr Börschel, ich hab das gut überlegt. Ich möchte eine große Öffentlichkeit, und ich finde diese Art des Protestes sehr öffentlichkeitswirksam: eine Blockade, ich lasse das zu und möchte daran festhalten. Der Herr Börschel war der Meinung, ich sollte etwas „kreativ“ damit umgehen. Seine Vorstellung war ein Möbelwagen, den würde er mir auch vor die Tür stellen. Den könnte man mit allen Parolen bekleben und dann quer durch Köln fahren. Und es wäre doch ein wunderbares Bild, wenn dieser Möbelwagen am Ende vor dem Kölner Dom stehen würde. Damit hätte ich doch viel gewonnen. Herr Börschel sagte mir, dass er Informationen von der Polizei hat, dass da Kräfte nach Köln unterwegs sind, die die Straße umgraben wollen. Also, da würde es Randale geben, und das könnte ich meinen Nachbarn doch nicht zumuten. Ich muss sagen, der Herr Börschel hat mich sehr nervös gemacht. Ich hab ihn auch gefragt und gesagt: Herr Börschel, sie haben Angst – aber leider keine Angst um mich. Und das stört mich bei der ganzen Geschichte.
Martin Börschel mit OB Jürgen Roters im Kommunalwahlkampf für die SPD am Tag der Zwangsräumung, dem 16. April 2014
Herr Börschel, der im Kommunalwahlkampf dafür wirbt „Wir können Köln!“, hat Dich nervös gemacht? Wie ging es weiter?
Er sagte, er wolle mich nicht beeinflussen und gab mir seine Büronummer. Ich habe nicht angerufen, aber am nächsten Tag rief der Herr Börschel an. In dem Gespräch hat er gesagt, er macht sich Sorgen um mich. Ich hab gefragt: Haben Sie eine Wohnung? Ja, sagt er, wir können über alles reden. Ja, sage ich, ich werde über alles reden und alles öffentlich machen. Ich möchte keine Exklusivlösung, das heißt, dass man jetzt mit einer Wohnung um die Ecke kommt, nur weil ich der Kalle bin, und weil ich diese Art des Protestes dann doch nicht mache und deshalb eine Wohnung bekomme. Ich mach alles öffentlich, und man kann – öffentlich – über alles reden. Aber unterm Tisch, unter der Ladentheke: mit mir nicht! Daraufhin gab’s auch kein Angebot. Am nächsten Tag gab es Anrufe von Herrn Börschel, auch am Abend vor der Blockade, bis in die Nacht und noch am nächsten Tag – während der Blockade hat er gesagt: Herr Gerigk, gleich geht’s hier los! Gleich geht’s hier zur Sache. Gleich werden hier die Autos brennen! Woll’n Sie das, Herr Gerigk? Woll’n Sie das wirklich? Sie sind der einzige, der das verhindern kann. Geh’n Sie nach unten und stoppen Sie das. Es wird gleich hier richtig zur Sache gehn. Woll’n Sie das?? Ich hatte aber mittlerweile durch einen Bekannten erfahren: der Pressesprecher der Polizei sieht die Sache relativ locker. Trotz alledem hat mich der Herr Börschel sehr, sehr nervös gemacht. Das war eine Situation, die ich kaum ausgehalten habe.
Wir wissen: die erste Blockade war erfolgreich. Und ich habe lange überlegt, ob ich eine zweite Runde mache. Ich hab überlegt: kann ich das dieser Straße nochmal zumuten, kann ich das meinen Nachbarn nochmal zumuten? Für mich persönlich ist der Protest wichtig und richtig. Und trotzdem war das permanent in meinen Gedanken: Kann ich das nochmal machen? Was halten meine Nachbarn nochmal aus? Ich hab lange überlegt. Hab gesagt: ich feier erstmal Karneval, danach entscheide ich mich. Und hab dann gesagt, ich mach ‘ne zweite Runde.
Du hast Dich also nach erfolgreicher Blockade und Verhinderung des ersten Versuchs der Zwangsräumung für „eine zweite Runde“ entschieden. Gab es weitere Versuche der Beeinflussung?
Jetzt kommt eigentlich der Clou! Auf der SPD-Seite stand dann: das bewegende Schicksal von Kalle Gerigk geht weiter. Martin Börschel hat diesen friedlichen Protest mit organisiert. Da bin ich ja fast aus dem Hemd gesprungen... Eine Nachbarin sagte zu mir: Politik ist ein schmutziges Geschäft. Es ist wirklich so, es wird gelogen an allen Ecken und Kanten...
Kommen wir von der Politik zur Berichterstattung...
Auch Journalisten haben versucht, mich in meiner Urteilsfindung zu beeinflussen. Die sind als Vermittler aufgetreten. Von denen weiß ich, dass sie der SPD nahe stehen – schon von Hause aus. Die auch falsch berichtet haben – im Kölner Stadt-Anzeiger. Man hat wirklich für’s Leben dazugelernt.
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat behauptet, Du hättest eine neue Wohnung. Was glaubst Du, warum er diese Falschmeldung verbreitet hat?
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat zweimal behauptet, dass ich eine Wohnung habe. Das habe ich nicht verstanden. Die haben mit mir nicht darüber gesprochen. Ich hab immer gesagt: ich habe eine Übergangslösung in einer WG in der Südstadt. Da war ich aber gar nicht, weil es nur für kurze Zeit in Frage kam. Ich bin letztlich bei Freunden untergekommen. Aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt eine neue Wohnung. Natürlich ist es der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, wenn da jemand in einer Wohnung hockt und hat schon eine andere und macht das nur aus Protest. (Nach meinen Erfahrungen mit Herrn Börschel rundet sich das, was dieser SPD-nahe Journalist geschrieben hat, ab.) Vielleicht will er der Öffentlichkeit jetzt sagen: das ist jemand, der macht das nur aus Protest, um damit diese breite Solidarität ein bisschen runter zu fahren. Ich möchte ihm nichts unterstellen, aber die Frage darf man ja mal stellen. Was sollte das? Er hätte mich fragen können, ob ich eine Wohnung habe.
Du hast sehr viel emotionale Unterstützung erfahren. Zum Beispiel von Deinen Nachbarn, Anwohnern, Künstlern, Prominenten. Was hat Dir das bedeutet?
Meine Nachbarn haben mich sehr unterstützt in einem Haus, das zum großen Teil aus Eigentumswohnungen besteht. Das ist nicht selbstverständlich, weil sie diese Probleme, die ich habe, die ich gehabt habe, nicht bekommen werden. Das hat mich wahnsinnig gerührt, die Unterstützung im Haus, in der Straße, in der Nachbarschaft und in breiten Teilen der Bevölkerung, bis deutschlandweit hinaus. Der Pfarrer der Gemeinde hat zu mir gestanden, alle drei Pfarrgemeinden hier im Agnesviertel. Das hat mich sehr gerührt. Das zeigt mir, dass das wirklich ein großes gesellschaftliches Problem ist, diese Verdrängung aus den Innenstädten. Dass das seit vielen Jahren schon anhält.
Es gab bei den Kölner Künstlern (Schmickler, Becker, Wallraff,..) auch eine große Solidarität. Rolly Brings hat über mich und die Wohnungsnot in Köln ein Lied geschrieben, das hat mich sehr gerührt. Rolly ist 100% authentisch, immer schon gewesen. Das ist mir sehr wichtig. Klaus der Geiger, Winfried Bode u.a., die kommen morgens um sieben, wo nehmen die die Stimme her?
Die ganzen Bekundungen haben mich wirklich wahnsinnig berührt, die Prominenten, die mir geschrieben haben. Unter anderen der Konstantin Wecker. Wenn ich denke: mit 17 Jahren war ich auf einem Konstantin-Wecker-Konzert. Und der Konstantin Wecker hat damals ein dickes Auto gehabt für seine Tourneen. Und mit 17 tickt man noch ein bisschen anders. Da hab ich ihm einen Zettel hinter die Windschutzscheibe gemacht. Und ich weiß den Text heute noch: Sehr geehrter Herr Wecker, ich finde es gut, dass Sie trotz Ihrer sozialkritischen Texte so einen Kleinwagen fahren. Und auf einmal schreibt Dir Konstantin Wecker persönlich und auch auf der Seite von „Recht auf Stadt Köln“ und „Zwangsräumung verhindern“, und sagt Dir: Ja, Kalle, halt durch. Ich find das gut, was Du machst.
Da muss ich mich nochmal bedanken bei allen, die mich unterstützt haben: bei den Musikern, bei den Nachbarn... Meine Nachbarn haben Kuchen für den letzten Abend gebracht. Die haben mir Wein gebracht, Salate... Wie ich mich verabschiedet habe, die hatten Tränen in den Augen
Wie wichtig waren die Sympathie-Bekundungen in einer Zeit, in der Du sehr unter Stress gestanden hast?
Da sind Leute aus dem Viertel auf mich zu gekommen, die haben mich in den Arm genommen. Rentner um die 70-75 Jahre. Eine Nachbarin von nebenan – wo ich heute noch ein Transparent abgemacht habe – die ist so Mitte 80 und gesundheitlich angeschlagen. Die sagte mir, wenn sie ihre Miete bezahlt hat, dann bleiben ihr noch 200 Euro im Monat. Da sage ich mir, der Protest ist richtig, der ist wichtig. Das musste endlich mal sein. Ich hab ja auch gemerkt, dass viele darauf gewartet haben, dass sich mal einer wehrt.
Was mir auch wichtig ist: es gab nie ein einziges Mal aus meinem Umfeld, von Unterstützern, von Leuten, die sich für mich eingesetzt haben, einen Versuch, mich zu beeinflussen. Im Gegenteil! Auch vor der ersten Blockade hat man gesagt: Kalle, wir wollen keine Märtyrer. Wenn Du das Gefühl hast, Dir wird alles zuviel und Du willst Dir jetzt endlich eine Wohnung suchen: Mach es! Keiner wird Dir böse sein. – Ich sag das deshalb, weil es manchmal in den Zeitungen anders berichtet worden ist. Es gab nie auch nur den Versuch, mich zu beeinflussen. Ich war in jeder Entscheidung frei. Und ich hab mich nur vor den Karren spannen lassen, den ich selbst auch fahren wollte.
Auch die Polizeibeamten, die als Amtshilfe bei der Räumung eingesetzt waren, haben Dir Respekt gezollt?
Bei der ersten Blockade und auch bei der jetzt geräumten Blockade, gab es Polizisten, die mich angelacht haben. Oder im Treppenhaus guckt einer nach links und rechts und sagt zu mir: Eh, Du bist aber ‘ne coole Sau. Und das in dem Stress, wo ich mir dann gesagt habe: Aha! Ist das Ihre Meinung? Er darauf: ja, komm, mach mal. Ich muss meinen Job machen. Das sind Geschichten gewesen... Die haben eine unangenehme Aufgabe, und die Polizei verdient auch nicht die Welt. Die wollen auch preiswert wohnen!
In der Nacht vor dem zweiten Räumungstermin bist Du noch spät aus dem Haus gegangen. Was ist Dir da begegnet?
Ich bin aus dem Haus gegangen, weil man mir gesagt hat, der Stadt-Anzeiger hat geschrieben, Du hast ‘ne Wohnung. Denk ich: das ist ja ein Ding. Da muss ich der Sache mal nachgehen. Den kauf ich mir schnell. Ich bin also zur Tankstelle. Ich wollte (mit dem Fahrrad) durch den Park fahren, da war da um zwei Uhr in der Nacht schon ein Polizeiaufgebot. Ich glaub, auf der Krim war zur gleichen Zeit weniger los, weniger Uniformierte. Das war ein Bild! Ich kam mir doch wirklich vor wie ein Terrorist in dem Moment. Hab ich gedacht: dieser ganze Aufwand, weil ein Typ da oben sitzt und nicht gehen will? Oder dieser ganze Aufwand, weil ein Richter so entschieden hat? Es wurden die Bäume angestrahlt: ob da vielleicht jemand im Baum sitzt? Es war unglaublich. Ich bin dann aber nicht durch den Park – das war mir zu unheimlich. Ich bin dann von der anderen Seite der Fontanestraße rein gekommen. Da musste ich meinen Ausweis zeigen. Man wusste relativ schnell, wer ich bin. Da hat man mich durchgelassen. Das war die erste Kontrolle. Die zweite Kontrolle war vor dem Haus. Was auch unglaublich war: die Polizei hatte nachts um zwei Uhr mein Treppenhaus besetzt. Ich muss ernsthaft fragen: hatten die Angst vor meinen Nachbarn? Diese Nachbarn: Lehrer, KVB-Fahrer, Cafe-Besitzer... Also, was hat man da erwartet? So hat der Staat reagiert auf diese Problematik: dieses Urteil, was da gefällt worden ist. Mir war klar, dass die Straße abgesperrt wird – der Staat lässt sich das nicht zweimal gefallen. Ich wollte auch nie gegen den Staat anstinken, nur auf dieses Problem aufmerksam machen. Aber dieser Polizeieinsatz hat mich in dieser massiven Form überrascht. Ich hab mich gefühlt wie ein Terrorist, der gegen die Staatsmacht Gott weiß was unternommen hat. Ich habe von meinem staatsbürgerlichen Recht Gebrauch gemacht. Mehr nicht. Das ist ein Recht, das jeder von uns hat. Wenn das mehr Menschen machen würden, hätten wir vielleicht auch eine andere Wohnungspolitik
Glaubst Du, dass der Protest besser funktioniert, wenn damit Gesichter und persönliche Schicksale verbunden sind, mit denen man mitfühlen kann?
Das war mir von Anfang an klar, dass dieser Protest mit meiner Person verbunden ist. Dass da einiges auf mich einprasselt. Dass ich einiges auf meine Schultern lade. Dass das besser funktioniert, wie wenn jemand von einer Initiative sagt: ich habe hier das in den letzten zehn Jahren beobachtet, dass die Mieten extrem in die Höhe gegangen sind und dass die Immobilienpreise sich verdoppelt haben. Dass das natürlich viel wirksamer ist, wenn das jemand erzählt, der die ganze Zeit da lebt und der jetzt vor dieser Situation steht. Sonst hätte sich die Presse dafür kaum so sehr interessiert. Und dass ich jemand bin, der immer seine Miete bezahlt, und dass ich jemand bin, der im Leben steht. Mittlerweile ist ja auch bekannt, wo ich arbeite: ich arbeite beim Wohnungsamt der Stadt Köln. Was natürlich der Coup ist. Ich kriege viel Armut mit in meinem Job, hab damit zu tun. Die Journalisten haben in die Hände geklatscht und gesagt: das ist ein Thema! Und das funktioniert eher mit Personen. Das ist schon klar. Ich mache aber allen anderen auch Mut, die zwangsgeräumt werden, weil sie die Miete nicht gezahlt haben. Diese Scham muss man überwinden.
Und vielleicht kommst Du sogar wieder, wenn es eine freie Wohnung in der Fontanestraße gibt...
Ich komme wieder! Wir werden sehen! Ob es die Fontanestraße ist? Das wär der Gag. Einmal Fontanestraße – immer Fontanestraße. Ich sag das mal arrogant, aber es ist nicht arrogant gemeint: Ich kann das meinen Nachbarn doch nicht antun, dass ich jetzt weggehe, komplett weggehe. Das kann ich meinen Nachbarn nicht antun.
Hast Du weitere politische Ziele?
Der Protest ist nach wie vor richtig und das darf jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Das muss am Leben gehalten werden. Ich steh für dieses Thema weiterhin zur Verfügung. Vorhin noch habe ich einen Anruf bekommen von einem älteren Herrn aus Düsseldorf, der soll mit 88 Jahren aus der Wohnung, weil er anscheinend keinen Mietvertrag hat. Er hat aber 50 Jahre mit seiner Frau, die jetzt verstorben ist, in dieser Wohnung gelebt. Jetzt werde ich in die verbotene Stadt fahren. Das muss man öffentlich machen. Da geht bei mir der Hut hoch.
Ach, ja! Ich würde gern für das Bürgermeisteramt in Köln kandidieren! Da muss ich mich mal erkundigen, wie das geht.
„Kalle muss bleiben! Keine Räumung!“
„Gegen jede Räumung!“
„Alle für Kalle“
„Unser Nachbar Kalle bleibt“
Kalle über dem Eingang zum Haus Fontanestraße 5, in dem er seit über 30 Jahren gelebt hatte.
Hinweise:
Reportage vom 22.11.2013
"Alle für Kalle - Zwangsräumung gemeinsam verhindern!" - Protestaktion der Initiative "Recht auf Stadt"
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2013/index-2013-11-22-koeln-alle-fuer-kalle.html
NRhZ-Artikel vom 04.12.2013
Drohende Zwangsräumung und der Protest „Alle für Kalle“ - Das Kapital hat Eigenbedarf
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19734
Reportage vom 17.2.2014
Protest im Agnesviertel wegen der drohenden Zwangsräumung von Kalle Gerigks Wohnung in der Fontanestraße 5
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2014/index-2014-02-17-koeln-kalle-fontanestrasse.html
NRhZ-Artikel vom 19.2.2014
Aufruf zur Solidarität - Kalle bleibt! Zwangsräumung verhindern! Jetzt!
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20057
Reportage vom 20.2.2014
Erfolgreiche Blockadeaktion zur Abwendung der Zwangsräumung von Kalle Gerigks Wohnung in der Fontanestraße (in 2 Teilen)
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2014/index-2014-02-20-koeln-kalle-tag-X.html
NRhZ-Fotogalerie vom 26.02.2014
Zwangsräumung gegen Kalle Gerigk vorerst abgewendet - Alle für Kalle! Kalle für Alle!
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20076
Reportage vom 16.4.2014
Zwangsräumung von Kalle Gerigks Wohnung in der Fontanestraße und der Protest dagegen
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2014/index-2014-04-16-koeln-kalle-zwangsraeumung.html
Online-Flyer Nr. 456 vom 30.04.2014
Interview mit dem zwangsgeräumten Kölner Kalle Gerigk
Im Namen des Volkes
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Am Mittwoch, dem 16. April 2014, wurde Kalle Gerigk, nachdem ein erster Versuch am 20. Februar am Widerstand der Bevölkerung gescheitert war, unter großem Aufwand der Staatsmacht zwangsgeräumt. Ihr Einsatz begann gegen 2 Uhr mitten in der Nacht. Die Dachgeschosswohnung in der Fontanestraße 5 im Kölner Agnesviertel, in der Kalle seit mehr als 30 Jahren gelebt hatte, steht jetzt leer – bereit für die Luxussanierung im Rahmen des angeblichen Eigenbedarfs eines Immobilienmaklers – gegen den Willen des Volkes. Am 21. April, Ostermontag, hat Kalle die Transparente abgehängt, mit denen seine Nachbarn in der Fontanestraße ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht haben – im Namen des Volkes. Bei der Gelegenheit haben wir uns mit Kalle unterhalten.
Kalle ist zuversichtlich: der 1. FC steigt heute am Ostermontag auf – und er ist aufgestiegen
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com
Frage: Es hat ein Urteil gegeben: Im Namen des Volkes! Was stand da drin?
Kalle Gerigk: In dem Urteil stand, dass mein Vermieter die Wohnung zugesprochen bekommt und der Eigenbedarf korrekt sei.
Das Verfahren lief über mehrere Jahre. Was ging der Räumungsklage voraus?
Fünf Jahre ungefähr ist das jetzt gelaufen vom Kauf der Wohnung bis zu meinem Auszug, d.h. bis jetzt das Urteil vollstreckt worden ist – in der Form, dass der Gerichtsvollzieher mich mit Amtshilfe der Polizei praktisch zwangsgeräumt hat.
Du hattest aber Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Eigenbedarfs?
Ja, ich bezweifle das. Die Wohnung ist gekauft worden. Zeitgleich ist die Wohnung im Internet zum Kauf angeboten worden. Das hat mich sehr skeptisch gemacht. Bei der ersten Gerichtsverhandlung kam das zur Sprache. Da hat mein Vermieter argumentiert, dass er zwar in der Immobilienbranche tätig ist – auch als Makler, aber dass er die Anzeige nur geschaltet hat, um an Kunden zu kommen. Er hatte angeblich immer den Wunsch, mit seiner Lebenspartnerin, die er zu dem Zeitpunkt hatte, dort einzuziehen. Die Lebenspartnerin ist gefragt worden, wie die Wohnung mal aussehen wird: ja, so 70, 75 qm, sie wisse es nicht so genau, vielleicht auch 80, sie wisse es nicht genau… Nein! Es sind 130 qm. Da muss man sich doch wirklich mal fragen: wie weltfremd ist das? Da kommt jemand nach Hause, sagt hallo Schatz. Ich hab jetzt etwas gefunden. Ich will mit Dir mein Nest bauen. Und da fragt die Frau nicht, wie groß die Wohnung sein wird? Wo gibt es so was denn? Die Richter haben’s geglaubt. Dazu kommt noch ein anderer Grund. Die Frau, die mit meinem Vermieter in die Wohnung einziehen wollte, ist damals aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Eine Genossenschaftswohnung in Köln-Holweide. 58qm. Das war zu klein. Da hat sie dem Gericht glaubhaft gemacht: ich bin da ausgezogen, weil ich den Platz brauchte, zum Lernen, für mein Jurastudium. Das war einfach zu eng.
Im Verlauf des Verfahrens war dann die Beziehung beendet?
Ja, die Beziehung war beendet. Das war ein Punkt. Der zweite Punkt war, dass diese Freundin überhaupt nicht wusste, wie diese Wohnung später einmal aussehen wird. Man muss wissen: die Wohnung hat 68qm, aber ausgebaut, mit zwei Speichern hat man eine Fläche – nach den Bauplänen, die ich gesehen habe – von 130qm. Das bespricht man doch zu Hause. Und der dritte Punkt war, dass die Wohnung schon im Internet zum Verkauf stand. Das waren für mich drei gravierende Punkte, wo ich nie gedacht hätte, dass ich diesen Prozess verliere. Das Urteil hat mich schon sehr überrascht.
Dein Vermieter hatte zuvor aus einem anderen Grund versucht, Dir fristlos zu kündigen. Wie war das? Hast Du versucht, mit Deinem Vermieter zu reden?
Es gab nie ein einziges Gespräch. Mein Vermieter hat die Wohnung gekauft. Ich hab eine Telefonnummer gehabt, eine Handy-Nummer, und eine Anschrift. Mehr nicht. Ich hab versucht ihn anzurufen. Ich brauchte die Konto-Nummer, weil der Eigentümerwechsel stattgefunden hat. Ich hab ihn nicht erreicht, ich habe die Verwaltung angerufen, hab die gefragt, wie sieht’s aus, ich hätte gerne die Konto-Nummer von meinem Vermieter. Da hat man mir gesagt, das wäre kein Problem, ich könnte den Dauerauftrag weiter laufen lassen, das würde man mit ihm verrechnen. Nach drei Monaten kam die fristlose Kündigung, ich hätte meine Miete nicht bezahlt. Da merkte ich natürlich, der Wind wird ein klein bisschen rauher.
Unmittelbar nach dieser Kündigung, mit der er nicht durchgekommen ist, kam die Eigenbedarfskündigung. Die war natürlich viel zu früh. Zu dem Zeitpunkt hatte ich einen Kündigungsschutz – ich nenn das mal Bestandsschutz – das heißt, wenn man eine Wohnung kauft mit lebendem Inventar – mit jemandem, der drin wohnt, war es damals so, darf man in den ersten drei Jahren keinen Eigenbedarf anmelden. Das hat den nicht interessiert. Auch seinen Anwalt nicht. Sein Anwalt ist ein Spezialanwalt für Mietrecht. Der wird das gewusst haben. Aber man hat es einfach mal versucht. Weil, probiert man es zehnmal, irgendwann klappt’s. Außerdem kam dann auch direkt schon mal die Räumungsklage. Diesem ersten Prozess habe ich relativ locker entgegengesehen. Ich wusste, ich bin im Recht. Ich habe drei Jahre Bestandsschutz. Eine Woche vor diesem Gerichtstermin hat man diesen Termin zurückgezogen mit der Begründung: ja, wir hätten ja schon gekonnt, aber wir wollen doch nicht so hart sein. Überlegen Sie es sich doch mal. Nein! Man hätte es nicht gekonnt.
Die drei Jahre Bestandsschutz sind Dir gewährt worden und Du hast sie ausgeschöpft?
Die sind mir gewährt worden, plus neun Monate. In den ersten drei Jahren hat man einen Bestandsschutz plus einer Frist von sechs oder neun Monaten, je nachdem, wie lange man darin wohnt. Ich muss jetzt dazu sagen, dieses Gesetz hat sich für den Mieter etwas verbessert. Es gibt jetzt, seit letztem Jahr im April, einen Bestandsschutz von acht Jahren. Zu der Zeit als mein Vermieter die Wohnung gekauft hat, hat das Land Nordrhein-Westfalen viele Wohnungen selbst verkauft, und man hat diesen Bestandsschutz zurückgefahren auf drei Jahre, um es für Käufer attraktiver zu machen. Nachdem man viele Wohnungen verkauft hat, hat man das Gesetz wieder verändert, um gewachsene Strukturen etwas zu schützen.
Schließlich stand – nach zwei Instanzen – die Räumung an: Im Namen des Volkes?
Nach der zweiten Instanz, das war ungefähr letztes Jahr im Oktober, hab ich eigentlich gedacht: okay, ich hab alles versucht. Ich hab verloren. Ich geh hier raus – trotz allem erhobenen Hauptes. Ich finde dieses Urteil ungerecht. Ich geh hier raus und such mir ne Wohnung. Es ist aber auch so gewesen, dass mein Vermieter mich regelrecht gemobbt hat. Erstmal gab es Schäden in der Wohnung, es gab feuchte Wände, wo er sich nie drum gekümmert hat, und die Härte war: mein Vermieter war im Haus, hat sich das Dach angeguckt. Man muss wissen, man kann über meiner Wohnung drüber laufen, auf Holzbalken. Und beim nächsten Regen hat es bei mir reingeregnet. Es hat in die Wohnung reingeregnet, genau in eine Lampenfassung aus Metall, die war glühend heiß. Das war der Moment, wo ich mir gesagt habe, jetzt ist der Bogen überspannt worden. Jetzt mache ich diese Sache öffentlich.
Im Namen des Volkes? Wie ging es weiter?
Ich habe keinem Journalisten gesagt, dass mein Vermieter für diesen Schaden verantwortlich ist, aber er hat sich nie ein einziges Mal darum gekümmert. Die Briefe, die ich ihm geschickt oder persönlich vorbeigebracht habe, in den Briefkasten gesteckt – oder auch im Vorverfahren schon – wo auf die anderen Schäden durch Post vom Mieterverein und von mir hingewiesen wurde: er hat nie reagiert und beim Gerichtsverfahren hat er so getan, als ob er von dieser Post zum ersten Mal gehört hat. Da habe ich gesagt, jetzt reicht es mir. Ich werde hier bis zum letzten Tag drin bleiben und mache die Sache öffentlich. Man muss auch wissen, dass so eine Zwangsräumung mit sehr viel Scham behaftet ist. Bei mir persönlich nicht. Aber, wer geht denn schon in die Öffentlichkeit von den Abertausenden, die jährlich geräumt werden, und sagt, ich werde zwangsgeräumt. Es ist oft wegen Mietschulden, oder weil man unbeliebt ist beim Vermieter, oder weil irgendetwas quer gelaufen ist, oder weil man Eigenbedarf bezweifelt – wie in meinem Fall. Ich bin diesen Weg gegangen und habe sehr schnell bemerkt, dass diese Verdrängung aus den Innenstädten ein großes gesellschaftliches Problem ist, weil ich eine unheimlich große Resonanz bekommen habe, weil sich viele direkt mit mir solidarisiert haben. Wie gesagt: im Oktober habe ich gesagt, das mach ich so nicht mehr. Ich bin eh jemand, der sich wehrt. Und ich wehre mich jetzt. Ich bleibe bis zum Schluss.
Irgendwann hast Du mitgekriegt, dass es viele Betroffene gibt, die aus ihren Wohnungen – aus Luxusgründen – verdrängt werden...
Ich hab durch einen Zufall auf einer Veranstaltung – das war die soziale Kampfbaustelle (in der Nähe vom Colonius im Grünbereich) – die Initiative „Recht auf Stadt“ kennen gelernt. Es ging auch um das Thema Zwangsräumung. Da sprach Manfred Müller, und der sagte: wir haben ein Problem, wir erfahren immer zu spät von den Zwangsräumungen. Da sagte einer in der Runde: ja hier ist aber jemand, dem steht das bevor, der Kalle. ... Ich hab kurz referiert, wir haben Telefonnummern ausgetauscht. Zwei, drei Wochen später kam der Anruf: Hör mal Kalle, wir haben drüber nachgedacht. Wir würden das gerne öffentlich machen. Hast Du was dagegen? Ich habe nichts dagegen, das könnt Ihr gerne machen. Dürfen wir auch Deinen Namen nennen? Dürft Ihr auch. Das hat dann noch zusätzlich geholfen, weil die Initiative Flugblätter gedruckt und verteilt hat und Kundgebungen hier vor der Agneskirche gemacht hat. Plakate gab es später auch.
Im Namen des Volkes? Wie war die Resonanz?
Es gab eine unglaubliche Resonanz, die ich nie für möglich gehalten hätte, was mir aber sagt, dass das ein Riesenproblem in unserer Gesellschaft ist. Ich hab’s ja beobachtet in den letzten zehn Jahren, wie sich die Immobilienpreise im Agnesviertel verdoppelt haben. Die Häuserreihe in der Fontanestraße mir gegenüber ist komplett von der WvM (WvM Immobilien + Projektentwicklung GmbH wirbt mit: eine Hausnummer in Köln) gekauft worden, die Wohnungen sind dann einzeln, scheibchenweise verkauft worden. Und da haben sich die Immobilienpreise verdoppelt. WvM ist eine große Immobiliengesellschaft, aber man muss wissen: es gibt viele, viele, viele, weil der Kapitalmarkt in Deutschland unheimlich interessant ist. Die Zinsen sind wahnsinnig niedrig, und Investoren weltweit, die früher in Aktien investiert haben, die investieren dann lieber mal in Wohnungen, weil es einfach momentan das beste Geschäft ist. Und deshalb ist auch dieses Betongold so wertvoll. Aber wir Mieter, die hier im Viertel, in der Innenstadt wohnen wollen, müssen es ausbaden. Es ist ja auch nicht nur so, dass diese Verdrängung aus dem Stadtkern stattfindet. Man muss sich vorstellen, dass für Köln – ich rede mal von Porz-Finkenberg, was eigentlich ein Problemviertel ist, so ähnlich wie Chorweiler – dass das jetzt schon zur mittleren Wohnlage erklärt worden ist. Also in ein paar Jahren wird da auch eine Verdrängung stattfinden. Köln-Kalk ist aufgewertet worden, Nippes, auch die Randgebiete werden aufgewertet. Die Kapitalströme, die nach Deutschland fließen... Bei mir ist es ein kleiner Fisch, einer kleiner Hai, sag ich mal.
Die Initiative „Recht auf Stadt“ hat Dich sehr unterstützt...
Die Initiative „Recht auf Stadt Köln“ hat mich sehr unterstützt. „Recht auf Stadt“ ist eine deutschlandweite Bürgerbewegung, die in Hamburg und anderen Städten aktiv ist. Hamburg hat mittlerweile die größten Probleme mit Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt. Auch in Köln steigen die Mieten. Und so könnte man das immer weiter, weiter spinnen. Man muss das Problem an der Wurzel anfassen. Man muss den Wohnungsbau verändern. Erst mal findet kein sozialer Wohnungsbau mehr statt, weil die Zinsen viel zu gering sind. Die Investoren bauen lieber selbst und können dann direkt teuer weiter verkaufen. Der Boden ist aber weg. Und eine Lösung, die einzige für mich, ist, dass die Städte selbst bauen. Auch mit ihren eigenen Architekten, mit ihren eigenen Handwerkern. Dann ist preiswertes Wohnen, Wohnen für fünf Euro pro Quadratmeter möglich. Es gibt europaweit Beispiele dafür, in Wien,... Das wären Ansätze. Aber nicht, wenn die Stadt, die noch etwas eigenen Boden, weiterhin diesen wertvollen Boden an Investoren verkauft, sogar 20 Prozent unter dem üblichen Marktwert, wenn sich diese verpflichten, teilweise öffentlich geförderte Sozialwohnungen zu erstellen. Das ist ein Skandal! Anstatt diesen Boden zu nehmen und zu sagen: jetzt baut die Stadt selbst, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.
Es ist ein städtischer Ausverkauf, ebenso wie es mit den Grundstücken geschieht, auf denen die Kölner Hallenbäder gestanden haben. Auch die Künstler-Kolonie in der Ehrenfelder Kolbhalle ist ein solcher Ort der Begierde (siehe auch hier)
Man möchte den Stadthaushalt ein bisschen positiver gestalten, greift zu diesen kurzfristigen Lösungen. Jetzt sind wieder Wahlen, man kann nach außen damit wunderbar glänzen. Aber es ist kurzfristig gedacht. Langfristig ist das eine Milchmädchenrechnung. Das funktioniert nicht. Dieses Problem gibt es seit 150 Jahren. Und auch die nächsten Generationen werden es alle abbekommen. Man muss endlich mal umdenken. Auch in kleinen Schritten. Stichwort Milieuschutz. Das ist eine Möglichkeit, die Viertel – wie das Agnesviertel – zu schützen. Milieuschutz heißt, dass es bestimmte Auflagen gibt, wenn man Luxus saniert. Man darf kein zweites Bad einbauen, man darf keine große Terrasse bauen. Wenn es diesen Milieuschutz gibt, machen die Investoren darum einen großen Bogen. Es gibt Städte, die das eingeführt haben.
Du hattest Kontakt zu Kölner Politikern, die Dir Angebote gemacht haben. Wie war das?
Sagen wir mal so: bei der ersten Zwangsräumung hat ein Politiker durch einen Nachbarn meine Telefonnummer erfragt. Der Politiker ist der Martin Börschel von der SPD. Martin Börschel rief mich an und fragte, ob ich denn diese Art des Protestes noch mal überdenken möchte. Ich sagte: Herr Börschel, ich hab das gut überlegt. Ich möchte eine große Öffentlichkeit, und ich finde diese Art des Protestes sehr öffentlichkeitswirksam: eine Blockade, ich lasse das zu und möchte daran festhalten. Der Herr Börschel war der Meinung, ich sollte etwas „kreativ“ damit umgehen. Seine Vorstellung war ein Möbelwagen, den würde er mir auch vor die Tür stellen. Den könnte man mit allen Parolen bekleben und dann quer durch Köln fahren. Und es wäre doch ein wunderbares Bild, wenn dieser Möbelwagen am Ende vor dem Kölner Dom stehen würde. Damit hätte ich doch viel gewonnen. Herr Börschel sagte mir, dass er Informationen von der Polizei hat, dass da Kräfte nach Köln unterwegs sind, die die Straße umgraben wollen. Also, da würde es Randale geben, und das könnte ich meinen Nachbarn doch nicht zumuten. Ich muss sagen, der Herr Börschel hat mich sehr nervös gemacht. Ich hab ihn auch gefragt und gesagt: Herr Börschel, sie haben Angst – aber leider keine Angst um mich. Und das stört mich bei der ganzen Geschichte.
Martin Börschel mit OB Jürgen Roters im Kommunalwahlkampf für die SPD am Tag der Zwangsräumung, dem 16. April 2014
Herr Börschel, der im Kommunalwahlkampf dafür wirbt „Wir können Köln!“, hat Dich nervös gemacht? Wie ging es weiter?
Er sagte, er wolle mich nicht beeinflussen und gab mir seine Büronummer. Ich habe nicht angerufen, aber am nächsten Tag rief der Herr Börschel an. In dem Gespräch hat er gesagt, er macht sich Sorgen um mich. Ich hab gefragt: Haben Sie eine Wohnung? Ja, sagt er, wir können über alles reden. Ja, sage ich, ich werde über alles reden und alles öffentlich machen. Ich möchte keine Exklusivlösung, das heißt, dass man jetzt mit einer Wohnung um die Ecke kommt, nur weil ich der Kalle bin, und weil ich diese Art des Protestes dann doch nicht mache und deshalb eine Wohnung bekomme. Ich mach alles öffentlich, und man kann – öffentlich – über alles reden. Aber unterm Tisch, unter der Ladentheke: mit mir nicht! Daraufhin gab’s auch kein Angebot. Am nächsten Tag gab es Anrufe von Herrn Börschel, auch am Abend vor der Blockade, bis in die Nacht und noch am nächsten Tag – während der Blockade hat er gesagt: Herr Gerigk, gleich geht’s hier los! Gleich geht’s hier zur Sache. Gleich werden hier die Autos brennen! Woll’n Sie das, Herr Gerigk? Woll’n Sie das wirklich? Sie sind der einzige, der das verhindern kann. Geh’n Sie nach unten und stoppen Sie das. Es wird gleich hier richtig zur Sache gehn. Woll’n Sie das?? Ich hatte aber mittlerweile durch einen Bekannten erfahren: der Pressesprecher der Polizei sieht die Sache relativ locker. Trotz alledem hat mich der Herr Börschel sehr, sehr nervös gemacht. Das war eine Situation, die ich kaum ausgehalten habe.
Wir wissen: die erste Blockade war erfolgreich. Und ich habe lange überlegt, ob ich eine zweite Runde mache. Ich hab überlegt: kann ich das dieser Straße nochmal zumuten, kann ich das meinen Nachbarn nochmal zumuten? Für mich persönlich ist der Protest wichtig und richtig. Und trotzdem war das permanent in meinen Gedanken: Kann ich das nochmal machen? Was halten meine Nachbarn nochmal aus? Ich hab lange überlegt. Hab gesagt: ich feier erstmal Karneval, danach entscheide ich mich. Und hab dann gesagt, ich mach ‘ne zweite Runde.
Du hast Dich also nach erfolgreicher Blockade und Verhinderung des ersten Versuchs der Zwangsräumung für „eine zweite Runde“ entschieden. Gab es weitere Versuche der Beeinflussung?
Jetzt kommt eigentlich der Clou! Auf der SPD-Seite stand dann: das bewegende Schicksal von Kalle Gerigk geht weiter. Martin Börschel hat diesen friedlichen Protest mit organisiert. Da bin ich ja fast aus dem Hemd gesprungen... Eine Nachbarin sagte zu mir: Politik ist ein schmutziges Geschäft. Es ist wirklich so, es wird gelogen an allen Ecken und Kanten...
Kommen wir von der Politik zur Berichterstattung...
Auch Journalisten haben versucht, mich in meiner Urteilsfindung zu beeinflussen. Die sind als Vermittler aufgetreten. Von denen weiß ich, dass sie der SPD nahe stehen – schon von Hause aus. Die auch falsch berichtet haben – im Kölner Stadt-Anzeiger. Man hat wirklich für’s Leben dazugelernt.
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat behauptet, Du hättest eine neue Wohnung. Was glaubst Du, warum er diese Falschmeldung verbreitet hat?
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat zweimal behauptet, dass ich eine Wohnung habe. Das habe ich nicht verstanden. Die haben mit mir nicht darüber gesprochen. Ich hab immer gesagt: ich habe eine Übergangslösung in einer WG in der Südstadt. Da war ich aber gar nicht, weil es nur für kurze Zeit in Frage kam. Ich bin letztlich bei Freunden untergekommen. Aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt eine neue Wohnung. Natürlich ist es der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln, wenn da jemand in einer Wohnung hockt und hat schon eine andere und macht das nur aus Protest. (Nach meinen Erfahrungen mit Herrn Börschel rundet sich das, was dieser SPD-nahe Journalist geschrieben hat, ab.) Vielleicht will er der Öffentlichkeit jetzt sagen: das ist jemand, der macht das nur aus Protest, um damit diese breite Solidarität ein bisschen runter zu fahren. Ich möchte ihm nichts unterstellen, aber die Frage darf man ja mal stellen. Was sollte das? Er hätte mich fragen können, ob ich eine Wohnung habe.
Du hast sehr viel emotionale Unterstützung erfahren. Zum Beispiel von Deinen Nachbarn, Anwohnern, Künstlern, Prominenten. Was hat Dir das bedeutet?
Meine Nachbarn haben mich sehr unterstützt in einem Haus, das zum großen Teil aus Eigentumswohnungen besteht. Das ist nicht selbstverständlich, weil sie diese Probleme, die ich habe, die ich gehabt habe, nicht bekommen werden. Das hat mich wahnsinnig gerührt, die Unterstützung im Haus, in der Straße, in der Nachbarschaft und in breiten Teilen der Bevölkerung, bis deutschlandweit hinaus. Der Pfarrer der Gemeinde hat zu mir gestanden, alle drei Pfarrgemeinden hier im Agnesviertel. Das hat mich sehr gerührt. Das zeigt mir, dass das wirklich ein großes gesellschaftliches Problem ist, diese Verdrängung aus den Innenstädten. Dass das seit vielen Jahren schon anhält.
Es gab bei den Kölner Künstlern (Schmickler, Becker, Wallraff,..) auch eine große Solidarität. Rolly Brings hat über mich und die Wohnungsnot in Köln ein Lied geschrieben, das hat mich sehr gerührt. Rolly ist 100% authentisch, immer schon gewesen. Das ist mir sehr wichtig. Klaus der Geiger, Winfried Bode u.a., die kommen morgens um sieben, wo nehmen die die Stimme her?
Die ganzen Bekundungen haben mich wirklich wahnsinnig berührt, die Prominenten, die mir geschrieben haben. Unter anderen der Konstantin Wecker. Wenn ich denke: mit 17 Jahren war ich auf einem Konstantin-Wecker-Konzert. Und der Konstantin Wecker hat damals ein dickes Auto gehabt für seine Tourneen. Und mit 17 tickt man noch ein bisschen anders. Da hab ich ihm einen Zettel hinter die Windschutzscheibe gemacht. Und ich weiß den Text heute noch: Sehr geehrter Herr Wecker, ich finde es gut, dass Sie trotz Ihrer sozialkritischen Texte so einen Kleinwagen fahren. Und auf einmal schreibt Dir Konstantin Wecker persönlich und auch auf der Seite von „Recht auf Stadt Köln“ und „Zwangsräumung verhindern“, und sagt Dir: Ja, Kalle, halt durch. Ich find das gut, was Du machst.
Da muss ich mich nochmal bedanken bei allen, die mich unterstützt haben: bei den Musikern, bei den Nachbarn... Meine Nachbarn haben Kuchen für den letzten Abend gebracht. Die haben mir Wein gebracht, Salate... Wie ich mich verabschiedet habe, die hatten Tränen in den Augen
Wie wichtig waren die Sympathie-Bekundungen in einer Zeit, in der Du sehr unter Stress gestanden hast?
Da sind Leute aus dem Viertel auf mich zu gekommen, die haben mich in den Arm genommen. Rentner um die 70-75 Jahre. Eine Nachbarin von nebenan – wo ich heute noch ein Transparent abgemacht habe – die ist so Mitte 80 und gesundheitlich angeschlagen. Die sagte mir, wenn sie ihre Miete bezahlt hat, dann bleiben ihr noch 200 Euro im Monat. Da sage ich mir, der Protest ist richtig, der ist wichtig. Das musste endlich mal sein. Ich hab ja auch gemerkt, dass viele darauf gewartet haben, dass sich mal einer wehrt.
Was mir auch wichtig ist: es gab nie ein einziges Mal aus meinem Umfeld, von Unterstützern, von Leuten, die sich für mich eingesetzt haben, einen Versuch, mich zu beeinflussen. Im Gegenteil! Auch vor der ersten Blockade hat man gesagt: Kalle, wir wollen keine Märtyrer. Wenn Du das Gefühl hast, Dir wird alles zuviel und Du willst Dir jetzt endlich eine Wohnung suchen: Mach es! Keiner wird Dir böse sein. – Ich sag das deshalb, weil es manchmal in den Zeitungen anders berichtet worden ist. Es gab nie auch nur den Versuch, mich zu beeinflussen. Ich war in jeder Entscheidung frei. Und ich hab mich nur vor den Karren spannen lassen, den ich selbst auch fahren wollte.
Auch die Polizeibeamten, die als Amtshilfe bei der Räumung eingesetzt waren, haben Dir Respekt gezollt?
Bei der ersten Blockade und auch bei der jetzt geräumten Blockade, gab es Polizisten, die mich angelacht haben. Oder im Treppenhaus guckt einer nach links und rechts und sagt zu mir: Eh, Du bist aber ‘ne coole Sau. Und das in dem Stress, wo ich mir dann gesagt habe: Aha! Ist das Ihre Meinung? Er darauf: ja, komm, mach mal. Ich muss meinen Job machen. Das sind Geschichten gewesen... Die haben eine unangenehme Aufgabe, und die Polizei verdient auch nicht die Welt. Die wollen auch preiswert wohnen!
In der Nacht vor dem zweiten Räumungstermin bist Du noch spät aus dem Haus gegangen. Was ist Dir da begegnet?
Ich bin aus dem Haus gegangen, weil man mir gesagt hat, der Stadt-Anzeiger hat geschrieben, Du hast ‘ne Wohnung. Denk ich: das ist ja ein Ding. Da muss ich der Sache mal nachgehen. Den kauf ich mir schnell. Ich bin also zur Tankstelle. Ich wollte (mit dem Fahrrad) durch den Park fahren, da war da um zwei Uhr in der Nacht schon ein Polizeiaufgebot. Ich glaub, auf der Krim war zur gleichen Zeit weniger los, weniger Uniformierte. Das war ein Bild! Ich kam mir doch wirklich vor wie ein Terrorist in dem Moment. Hab ich gedacht: dieser ganze Aufwand, weil ein Typ da oben sitzt und nicht gehen will? Oder dieser ganze Aufwand, weil ein Richter so entschieden hat? Es wurden die Bäume angestrahlt: ob da vielleicht jemand im Baum sitzt? Es war unglaublich. Ich bin dann aber nicht durch den Park – das war mir zu unheimlich. Ich bin dann von der anderen Seite der Fontanestraße rein gekommen. Da musste ich meinen Ausweis zeigen. Man wusste relativ schnell, wer ich bin. Da hat man mich durchgelassen. Das war die erste Kontrolle. Die zweite Kontrolle war vor dem Haus. Was auch unglaublich war: die Polizei hatte nachts um zwei Uhr mein Treppenhaus besetzt. Ich muss ernsthaft fragen: hatten die Angst vor meinen Nachbarn? Diese Nachbarn: Lehrer, KVB-Fahrer, Cafe-Besitzer... Also, was hat man da erwartet? So hat der Staat reagiert auf diese Problematik: dieses Urteil, was da gefällt worden ist. Mir war klar, dass die Straße abgesperrt wird – der Staat lässt sich das nicht zweimal gefallen. Ich wollte auch nie gegen den Staat anstinken, nur auf dieses Problem aufmerksam machen. Aber dieser Polizeieinsatz hat mich in dieser massiven Form überrascht. Ich hab mich gefühlt wie ein Terrorist, der gegen die Staatsmacht Gott weiß was unternommen hat. Ich habe von meinem staatsbürgerlichen Recht Gebrauch gemacht. Mehr nicht. Das ist ein Recht, das jeder von uns hat. Wenn das mehr Menschen machen würden, hätten wir vielleicht auch eine andere Wohnungspolitik
Glaubst Du, dass der Protest besser funktioniert, wenn damit Gesichter und persönliche Schicksale verbunden sind, mit denen man mitfühlen kann?
Das war mir von Anfang an klar, dass dieser Protest mit meiner Person verbunden ist. Dass da einiges auf mich einprasselt. Dass ich einiges auf meine Schultern lade. Dass das besser funktioniert, wie wenn jemand von einer Initiative sagt: ich habe hier das in den letzten zehn Jahren beobachtet, dass die Mieten extrem in die Höhe gegangen sind und dass die Immobilienpreise sich verdoppelt haben. Dass das natürlich viel wirksamer ist, wenn das jemand erzählt, der die ganze Zeit da lebt und der jetzt vor dieser Situation steht. Sonst hätte sich die Presse dafür kaum so sehr interessiert. Und dass ich jemand bin, der immer seine Miete bezahlt, und dass ich jemand bin, der im Leben steht. Mittlerweile ist ja auch bekannt, wo ich arbeite: ich arbeite beim Wohnungsamt der Stadt Köln. Was natürlich der Coup ist. Ich kriege viel Armut mit in meinem Job, hab damit zu tun. Die Journalisten haben in die Hände geklatscht und gesagt: das ist ein Thema! Und das funktioniert eher mit Personen. Das ist schon klar. Ich mache aber allen anderen auch Mut, die zwangsgeräumt werden, weil sie die Miete nicht gezahlt haben. Diese Scham muss man überwinden.
Und vielleicht kommst Du sogar wieder, wenn es eine freie Wohnung in der Fontanestraße gibt...
Ich komme wieder! Wir werden sehen! Ob es die Fontanestraße ist? Das wär der Gag. Einmal Fontanestraße – immer Fontanestraße. Ich sag das mal arrogant, aber es ist nicht arrogant gemeint: Ich kann das meinen Nachbarn doch nicht antun, dass ich jetzt weggehe, komplett weggehe. Das kann ich meinen Nachbarn nicht antun.
Hast Du weitere politische Ziele?
Der Protest ist nach wie vor richtig und das darf jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Das muss am Leben gehalten werden. Ich steh für dieses Thema weiterhin zur Verfügung. Vorhin noch habe ich einen Anruf bekommen von einem älteren Herrn aus Düsseldorf, der soll mit 88 Jahren aus der Wohnung, weil er anscheinend keinen Mietvertrag hat. Er hat aber 50 Jahre mit seiner Frau, die jetzt verstorben ist, in dieser Wohnung gelebt. Jetzt werde ich in die verbotene Stadt fahren. Das muss man öffentlich machen. Da geht bei mir der Hut hoch.
Ach, ja! Ich würde gern für das Bürgermeisteramt in Köln kandidieren! Da muss ich mich mal erkundigen, wie das geht.
„Kalle muss bleiben! Keine Räumung!“
„Gegen jede Räumung!“
„Alle für Kalle“
„Unser Nachbar Kalle bleibt“
Kalle über dem Eingang zum Haus Fontanestraße 5, in dem er seit über 30 Jahren gelebt hatte.
Hinweise:
Reportage vom 22.11.2013
"Alle für Kalle - Zwangsräumung gemeinsam verhindern!" - Protestaktion der Initiative "Recht auf Stadt"
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2013/index-2013-11-22-koeln-alle-fuer-kalle.html
NRhZ-Artikel vom 04.12.2013
Drohende Zwangsräumung und der Protest „Alle für Kalle“ - Das Kapital hat Eigenbedarf
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19734
Reportage vom 17.2.2014
Protest im Agnesviertel wegen der drohenden Zwangsräumung von Kalle Gerigks Wohnung in der Fontanestraße 5
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2014/index-2014-02-17-koeln-kalle-fontanestrasse.html
NRhZ-Artikel vom 19.2.2014
Aufruf zur Solidarität - Kalle bleibt! Zwangsräumung verhindern! Jetzt!
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20057
Reportage vom 20.2.2014
Erfolgreiche Blockadeaktion zur Abwendung der Zwangsräumung von Kalle Gerigks Wohnung in der Fontanestraße (in 2 Teilen)
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2014/index-2014-02-20-koeln-kalle-tag-X.html
NRhZ-Fotogalerie vom 26.02.2014
Zwangsräumung gegen Kalle Gerigk vorerst abgewendet - Alle für Kalle! Kalle für Alle!
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20076
Reportage vom 16.4.2014
Zwangsräumung von Kalle Gerigks Wohnung in der Fontanestraße und der Protest dagegen
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage-2014/index-2014-04-16-koeln-kalle-zwangsraeumung.html
Online-Flyer Nr. 456 vom 30.04.2014