NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 01. November 2024  

Fenster schließen

Fotogalerien
Acht Jahre nach Einsturz des Kölner Stadtarchivs
Nach acht Jahren immer noch fassungslos
Von Arbeiterfotografie

„Ich bin die Zeit, ich laufe und laufe. Was ihr auch so macht, euch verliebt und verkracht, Ob dein Leben versiegt, oder in Trümmern liegt, Du vielleicht auch gewinnst, Geld machst zu Haufe. Verjährung, Termine sind mir doch egal, Tun mir nicht weh, waren nie meine Wahl. Ist mir alles gleich gültig, tut mir alles nicht leid, Ich bin die Zeit, ich laufe und laufe, Ich laufe und laufe… So viel Gewalt, In so vielen Dingen, Die da ruhen – verfressen, vergessen. Plötzlich erwachen zu frechen Sachen, Bevor sie verklingen. Und erstarren – kalt.“ Mit diesen Worten endet der "Kölner Klagegesang", der im Rahmen der Gedenkveranstaltung zum 8. Jahrestag des Archiveinsturzes vorgetragen wurde. An ihr hat nicht nur der neue Stadtdirektor Dr. Stephan Keller teilgenommen, sondern mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker erstmals auch ein Kölner Stadtoberhaupt.


Oberbürgermeisterin Henriette Reker (alle Fotos: arbeiterfotografie.com)


Einsturzstelle – acht Jahre nach dem Einsturz am 3.3.2009


Dorothee Schneider (K2A2): „Wir stehen hier seit acht Jahren – teilweise immer noch fassungslos darüber, dass es immer noch keine Antwort auf die Frage der Verantwortung gibt, fassungslos darüber, dass sich die Stadt immer noch nicht entschuldigt hat, fassungslos darüber: acht Jahre und noch immer keine Schuldigen.“


Einsturzstelle – acht Jahre nach dem Einsturz am 3.3.2009


Musikalische Begleitung durch „Trööt op Jück“


Zur Erinnerung an die Opfer des Einsturzes


Oberbürgermeisterin Henriette Reker: „Wir wissen sicher alle noch ganz genau, wo wir in dem Moment waren, was wir in dem Moment gemacht haben, als wir vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs und der Nachbarhäuser erfuhren. Jede Kölnerin und jeder Kölner, egal ob hier oder sonstwo auf der Welt, hielt den Atem an. Ich erinnere mich, dass ich im Auto saß und tief bestürzt war...“


Kölner Klagegesang: „Acht lange Jahre ist es nun schon her, Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer. Das Gedächtnis der Stadt in seinem Haus ist versunken, Alle Bücher und Akten im Loch waren trunken. Ein Opfer von Planung, baustatischer Wetten, Verletzt und ernüchtert müssen alles wir retten. Eine Mühsal für Jahre und viele Personen. Die Steuer der Stadt hat sie zu entlohnen.“


Kölner Klagegesang: „Acht lange Jahre ist es nun schon her, Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer. Dokumente und Schriften, die Pläne und Fotos, sie waren zu bergen aus Schutt und dem Regen, Aus Wasser vom Grund, gestürztem Beton, wo alles vermischt fiel dem Ende entgegen, Zerrissen, geschreddert, durchnässt und verbogen im großen Gesange, In die Tiefe gerissen, verstreut und zerschlissen. Wie wurd’ uns da bange! Ein Jahr und fünf Monde hat gedauert das Heben. Das Meist’ wurd’ gefunden, der Rest – auf ewig verloren gegeben.“


Kölner Klagegesang: „Ich bin der Verkehr – soll fließen schnell und schneller. Damit’s läuft wie geschmiert, geh’ ich in den Keller. Was dabei im Weg steht, was mir nicht gefällt, Wird verschoben – gerodet – gerissen – gefällt. Keine Gnade vor Altem – vor Bäumen und Häusern. Sind alle zu veräußern – kosten mich nur ein Räuspern. Soll Zeit einsparen für Menschen und Waren, Ich bin der Verkehr soll fließen schnell und schneller, Soll fließen schnell und schneller …“


Kölner Klagegesang: „Acht lange Jahre ist es nun schon her, Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer. Wer denkt an die Menschen, die vieles, wenn nicht alles verloren, Ihre Arbeit, ihre Wohnung, geliebte Stücke, die sie zur Erinn’rung erkoren. Sie müssen vergessen, wie Träume und Wünsche zum Trauma sich kehren. Eines Tages im März, der keine Zeit bot, sich der Qualen zu wehren. Ganz zu schweigen der Beiden, denen ohn’ jede Acht, war im Schlaf überkommen. Das große Ereignis, das ihnen heimtückisch, plötzlich das Leben genommen.“


Oberbürgermeisterin Henriette Reker: „Unsere historische Stadt, deren Museen die Menschheitsgeschichte seit Christi Geburt wiedergeben, drohte ihr Gedächtnis zu verlieren. Das ist bei einer Stadt - ebenso wie bei einem Menschen - ein ganz wesentlicher Teil ihrer Identität. Und diese Identität schien weg gebrochen zu sein - und das nicht durch eine Naturkatastrophe sondern im Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau.“


Oberbürgermeisterin Henriette Reker: „In Bezug auf den von vielen befürchteten Gedächtnisverlust können wir alle wieder optimistischer in die Zukunft blicken. Die Bauarbeiten für den Archivneubau am Eifelwall sind angelaufen. In zwei Wochen wird der Grundstein dort gelegt. Und auch der Wiederaufbau der Bestände, die von unschätzbarem Wert sind, macht viele Fortschritte.“


Gedenken an den Einsturz des Stadtarchivs


Oberbürgermeisterin Henriette Reker: „Mit dem Einsatz der ganzen Stadtgesellschaft können wir mittlerweile konstatieren: der weit überwiegende Teil des Kölner Stadtgedächtnisses wird - wenn die Arbeiten des Wiederaufbaus abgeschlossen sind - wieder nutzbar sein. Das historische Archiv der Stadt Köln als unser Bürgerarchiv wird im Jahre 2020 wieder an EINEM Ort vereint sein...“


Gedenken an den Einsturz des Stadtarchivs


Oberbürgermeisterin Henriette Reker: „Aber die Frage nach dem Warum, wie konnte das passieren, treibt uns alle bis heute um. Die Stadt Köln hat mittlerweile einen dreistelligen Millionenbetrag investiert, damit die Unglücksursache wirklich festgestellt werden kann. Ich bin froh, dass die Initiativen 'Köln kann auch anders' (seit 2009) und 'ArchivKomplex' (seit 2011) die Aufarbeitung der Katastrophe begleiten.“


Gedenken an den Einsturz des Stadtarchivs


Kölner Klagegesang: „Acht lange Jahre ist es nun schon her, Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer. Noch immer ist im Wasser nach Gründen zu suchen, Die Taucher behutsam was auffällt verbuchen. Der Schaden, schon heute auf mehr als eine Milliarde geschätzt, Wer soll das bezahlen? Da werden noch lange die Messer gewetzt. Die Schuld vor Gericht noch in Jahren zu klären. Hab’n wir am Ende noch Erlass zu gewähren?“


Frank Deja (K2A2) im Gespräch mit Stadtdirektor Dr. Stephan Keller: „Wie weit sind wir mit der Ursachenerhebung? Da ist der Fortschritt nicht ganz so, wie die Beteiligten sich das im letzten Jahr vorstellen konnten... Wir sind weiter vorangeschritten. Es verdichten sich die Hinweise, dass die Fehlstelle... die Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs gewesen ist.“


Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes


Stadtdirektor Dr. Stephan Keller: „Wir sind ein ganzes Stück weiter in der Erkundung dieser Fehlstelle. Es wird aber noch einige Monate dauern. Wir gehen davon aus, dass wir sie im Laufe des Jahres so weit freigelegt haben und so weit gesichert haben, dass ein eindeutiger Ursachennachweis geführt werden kann... Wir werden dann in die Haftungsfrage einsteigen... Der Strafprozess ist davon unabhängig zu betrachten… Die strafrechtliche Verantwortung muss geklärt werden. Und da darf es keinen Kuhhandel geben.“


Gedenken an den Einsturz des Stadtarchivs


"EINSTURZSTELLE" – Schild von Mischa Kuball


Künstler Mischa Kuball über das Werk "EINSTURZSTELLE": „So ist das Schild nichts anderes als eine Momentaufnahme für die Dringlichkeit einer Beweisaufnahme, einer möglichen Klage auf der Suche nach Schuldigen...“


„Trööt op Jück“


Kölner Klagegesang mit Rapper Becks: „Ich bin die Zeit, ich laufe und laufe. Was ihr auch so macht, euch verliebt und verkracht, Ob dein Leben versiegt, oder in Trümmern liegt, Du vielleicht auch gewinnst, Geld machst zu Haufe. Verjährung, Termine sind mir doch egal, Tun mir nicht weh, waren nie meine Wahl. Ist mir alles gleich gültig, tut mir alles nicht leid, Ich bin die Zeit, ich laufe und laufe, Ich laufe und laufe…“


Kölner Klagegesang zum 3. März 2017 von Reinhard Matz

Chor der Kölner und Kölnerinnen:

Acht lange Jahre ist es nun schon her,
Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer.
Das Gedächtnis der Stadt in seinem Haus ist versunken,
Alle Bücher und Akten im Loch waren trunken.
Ein Opfer von Planung, baustatischer Wetten,
Verletzt und ernüchtert müssen alles wir retten.
Eine Mühsal für Jahre und viele Personen
Die Steuer der Stadt hat sie zu entlohnen.

1. Solorap: Das Wasser

Ich bin das Wasser – ich fließe und fließe
Spül’ alles hinweg – als ob ich’s erschieße.
Könnt ihr mich nicht leiden – werd’ ich es Euch zeigen
Stürze Archive – weit in die Tiefe – ihr werdet’s erleiden.
Wenn Eure Wand mir hält nicht stand
Lass ich sie krachen – außer Rand und Band.
Mach auch den Schaden – noch ordentlich krasser,
Ich bin das Wasser – ich fließe und fließe, das Wasser,
Das Wasser …

Chor der Kölner und Kölnerinnen:

Acht lange Jahre ist es nun schon her,
Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer.
Gab es der Warnung vor dem Einsturz nicht zur Genüge?
Gab’s nicht massive Bewegung zuvor im Gefüge?
Hab’n Archivare über Risse keine Berichte erstattet?
Ist nicht Wasser geflossen sechsmal mehr als gestattet?
Und musste der Kirchturm Sankt Johann Baptist sich nicht neigen über die Maßen?
Nein, man wollt‘ es nicht wissen, man war von den guten Geistern verlassen!

2. Solorap: Die Politik

Ich bin die Politik – will machen große Sachen,
Es wär’ doch zum Lachen, in Köln nichts zu machen.
Will drehen am Rad – mit Rat und Tat
Zum Guten und Besten dieser großen Stadt.
Ich bin die Politik – muss große Sachen machen
Mit weißen Westen blitzsaubere Sachen
Zum Lobe und Besten der Metropole im Westen!
Ich bin die Politik – muss machen – muss machen,
Zum Lachen, zum Lachen …

Chor der Kölner und Kölnerinnen:

Acht lange Jahre ist es nun schon her,
Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer.
Dokumente und Schriften, die Pläne und Fotos, sie waren zu bergen aus Schutt und dem Regen,
Aus Wasser vom Grund, gestürztem Beton, wo alles vermischt fiel dem Ende entgegen,
Zerrissen, geschreddert, durchnässt und verbogen im großen Gesange,
In die Tiefe gerissen, verstreut und zerschlissen. Wie wurd’ uns da bange!
Ein Jahr und fünf Monde hat gedauert das Heben.
Das Meist’ wurd’ gefunden, der Rest – auf ewig verloren gegeben.

3. Solorap: Der Verkehr

Ich bin der Verkehr – soll fließen schnell und schneller.
Damit’s läuft wie geschmiert, geh’ ich in den Keller.
Was dabei im Weg steht, was mir nicht gefällt,
Wird verschoben – gerodet – gerissen – gefällt.
Keine Gnade vor Altem – vor Bäumen und Häusern
Sind alle zu veräußern – kosten mich nur ein Räuspern.
Soll Zeit einsparen für Menschen und Waren,
Ich bin der Verkehr soll fließen schnell und schneller,
Soll fließen schnell und schneller …

Chor der Kölner und Kölnerinnen:

Acht lange Jahre ist es nun schon her,
Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer.
Wer denkt an die Menschen, die vieles, wenn nicht alles verloren,
Ihre Arbeit, ihre Wohnung, geliebte Stücke, die sie zur Erinn’rung erkoren.
Sie müssen vergessen, wie Träume und Wünsche zum Trauma sich kehren
Eines Tages im März, der keine Zeit bot, sich der Qualen zu wehren.
Ganz zu schweigen der Beiden, denen ohn’ jede Acht, war im Schlaf überkommen
Das große Ereignis, das ihnen heimtückisch, plötzlich das Leben genommen.

4. Solorap: Die Verwaltung

Ich bin die Verwaltung der großen Stadt                                                           
Soll tun was der Rat mir so aufgetragen hat.                                                                   
Aber Hallo! das alles nicht ohne Pläsier,
Nicht ohn’ eigene Gesetze nicht ohn’ eigene Gebühr.
Hier pack ich´s an, da bin ich raus,
Dies lass´ ich ran, das source ich aus –
Bin doch kein Esel, bin Herr im eigenen Haus.
Denn Verwaltung ist bestellt, Ratsmitglieder gehen raus,
Ratsherren geh’n – Verwaltung bleibt besteh’n,
Verwaltung bleibt besteh’n …

Chor der Kölner und Kölnerinnen:

Acht lange Jahre ist es nun schon her,
Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer.
Nun sitzen sie da, viel’ dutzende Menschen, zu flicken, zu glätten
Die verwühlten Blätter, die Schnipsel zu finden in getrennten Betten,
Mit Strichcode verseh’n jede Kleinigkeit als Hilfe zum Fügen
Der unzähligen Zettel, nur ohne den Hinweis, ob’s wahr ist, ob Lügen.
Die Arbeit wird dauern Jahrzehnte lang, keine Möglichkeit
Das volle Gedächtnis zu erlangen – noch in unserer Zeit.

5. Solorap: Die Baufirma / Arge

Ich bin die Arge, Gemeinschaft zum Bau der U-Bahn vom Dom
Durch die Altstadt, die Südstadt, direkt Richtung Rom.
Geld muss ich machen – Profite, Rendite – all solche Sachen,
Damit die Wirtschaft es richtig lässt krachen.
Probleme gibt’s immer, schlimm und noch schlimmer,
Wird alles verschoben, verrechnet, verlogen.
Am Ende hab’ ich keine Ahnung und keinen Schimmer.
Die Kasse muss stimmen, muss Berge erklimmen,
Die Kasse muss stimmen, Kasse muss stimmen …
 
Chor der Kölner und Kölnerinnen:

Acht lange Jahre ist es nun schon her,
Die Gleise im Tunnel bleiben kalt, tot und leer.
Noch immer ist im Wasser nach Gründen zu suchen,
Die Taucher behutsam was auffällt verbuchen.
Der Schaden, schon heute auf mehr als eine Milliarde geschätzt,
Wer soll das bezahlen? Da werden noch lange die Messer gewetzt.
Die Schuld vor Gericht noch in Jahren zu klären.
Hab’n wir am Ende noch Erlass zu gewähren?

6. Solorap: Die Zeit

Ich bin die Zeit, ich laufe und laufe.
Was ihr auch so macht, euch verliebt und verkracht,
Ob dein Leben versiegt, oder in Trümmern liegt,
Du vielleicht auch gewinnst, Geld machst zu Haufe.
Verjährung, Termine sind mir doch egal,
Tun mir nicht weh, waren nie meine Wahl.
Ist mir alles gleich gültig, tut mir alles nicht leid,
Ich bin die Zeit, ich laufe und laufe,
Ich laufe und laufe…

Alle:

So viel Gewalt,
In so vielen Dingen,
Die da ruhen – verfressen, vergessen.
Plötzlich erwachen zu frechen Sachen,
Bevor sie verklingen
Und erstarren – kalt.

Chorleitung: Andreas Herzau
Rapper: Becks       
Projekt: ArchivKomplex
Organisation: Alligator. Art and Science e.V.

Quelle: http://www.archivkomplex.de/index.php/projekte/klagegesang


Video von der Aufführung des Kölner Klagegesangs am 3. März 2017:



Online-Flyer Nr. 605  vom 22.03.2017



Startseite           nach oben