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Medien
Wie entsteht der Mainstream in den Medien? Woher kommt die Propaganda?
Die Tunnelperspektive der Mainstream-Medien
Von einem Schweizer Journalisten

Swiss Propaganda Research hat am 16. Januar 2018 den Erfahrungsbericht eines Schweizer "Top-Journalisten" veröffentlicht. Der Journalist gesteht: „Ich bin selbst schuldig, Teil des Systems zu sein oder zumindest das Spiel mitzumachen.“ Der Bericht geht den Fragen nach: Wie entsteht der Mainstream in den Medien? Woher kommt die Propaganda? Der Bericht beschreibt den Tunnelperspektive der Mainstream-Medien und versucht deutlich zu machen, wie es drinnen wirklich ist. Die NRhZ bringt Auszüge aus dem Erfahrungsbericht.

Das Geständnis


Ich bin selbst schuldig, Teil des Systems zu sein oder zumindest das Spiel mitzumachen. Zwar versuche ich seit fast zwanzig Jahren mit allen erdenklichen Mitteln den Mainstream um alternative Perspektiven und unabhängige Stimmen zu bereichern. Sie mögen vereinzelt wahrgenommen werden, aber am Ende gehen sie im Mainstream-Lärm meist unter.

Der Ausstieg aus den Mainstream-Medien war für mich bisher nur eine Option für den Fall, dass ich es nicht mehr aushalten sollte. Soweit, dass ein Einzeljournalist nicht mehr publizieren kann, was er für richtig hält, wollte ich es nicht kommen lassen. Nicht in einer Demokratie.

Meine Strategie war immer, drinnen die subtile Gegenstimme zu sein, immer so weit zu gehen wie möglich. Als Redaktionsmitglied und Ressortleiter habe ich über Jahre versucht zu verstehen, wie Entscheide, in diese oder jene Richtung zu publizieren, zu Stande kamen – und wie ich sie beeinflussen konnte, ohne als zu konträr oder destruktiv zu gelten.

Natürlich habe ich riskiert, die rote Linie zu überschreiten und habe sie auch überschritten und dafür gebüsst. Ich habe den Chefredaktoren und anderen Ressortleitern gesagt, wenn ich ihre Thesen falsch fand, ich habe argumentiert, gestritten, resigniert. Für die einen galt ich als Gewissen der Redaktion, an anderen perlte alles ab und weitere versuchten mich zu untergraben. Wenn der Alltag unerträglich wurde, half meistens ein Redaktionswechsel. So arbeitete ich bereits für diverse Schweizer Tages- und Wochenzeitungen, das Fernsehen, Agenturen und weitere Medienformate. [...]

Journalismus zwischen Chaos und System

Teil eines Systems zu sein – über diese Vorstellung würden viele Journalisten lachen. Der Alltag auf den Redaktionen ist meistens so unsystematisch, so beliebig und chaotisch, dass die Vorstellung einer Systematik geradezu absurd erscheint.

Man kann der breiten Palette der Journalisten und Journalistinnen vieles vorwerfen. Aber, wenn sie merken würden, dass sie offensichtlich gesteuert würden oder einem vorgegebenen Narrativ folgen müssten, dann hätten wohl viele genügend Rückgrat und Know-how, um sich zu widersetzen.

Dass sie bereits Teil eines bestimmten Narrativs sind und gewisse Denkmuster verinnerlicht haben, dieses Bewusstsein fehlt jedoch weitgehend.

Das ist besonders auffällig in der Auslandberichterstattung. Dort herrscht die US-EU dominierte Sicht- und Erklärweise der Weltereignisse vor. Ich fragte mich über die Jahre oft, mit wem die Korrespondenten vor Ort sprechen und sich auseinandersetzen.

Nicht die westlich orientierten Eliten, aber die lokalen Intellektuellen haben gerade in den Ländern Asiens vor dem Hintergrund ihrer eigenen Großkulturen ganz andere Lesearten der globalen Entwicklung. [...]

Die Steuerung der Journalisten ist so subtil, dass viele den Vorwurf nicht ernstnehmen könnten, dass sie auf vielen Ebenen manipuliert oder zumindest eingeschränkt sind. [...]

Deutungsmuster

Die Einordnung von Ereignissen und Entwicklungen geschieht in den Massenmedien nicht mit einem verbindlichen Deutungsmuster – weil es ohne verbindliche Haltung (siehe oben) auch kein Deutungsmuster geben kann.

Nichtsdestotrotz herrschen aufgrund der Quellenlage bestimmte Denkstrassen vor, von denen der einzelne zwar abweichen kann, aber nur ab und zu, nie systematisch. Bei internationalen Konflikten wie in der Ukraine oder Syrien dominiert die Sicht der USA. Bei Terroranschlägen dasselbe.

Woher Propaganda kommt

Es besteht keinerlei Bereitschaft/Anlass, die bestehenden Feindbilder zu hinterfragen. Aufgrund der Verarbeitung der Informationsflut, vor allem aus dem Ausland (Agenturen), bleibt keine Zeit für Grundsätzliches. Für Auslandressortleiter ist das Briefing und Updating der Korrespondenten teilweise sehr aufwändig. Ein langjähriger US-Korrespondent z.B. brauchte stundenlanges Zureden, damit er das Büro verließ, um in der Realität zu recherchieren.

Während der Ukrainekrise waren zwar Interviews und Artikel aus russischer Sicht erlaubt, sie gingen aber in der Konsensmeinung unter. Und sowieso glaubt man die Sicht der anderen Seite immer schon zu kennen, da muss man nicht noch tiefer gehen. Der Propaganda wird nur die "böse" Seite bezichtigt.

Zur Gleichschaltung bei den Quellen und Perspektiven tragen auch die neuen internationalen Netzwerke bei. So druckte das größte Schweizer Medienhaus unter anderem Auslandberichte der Welt/Welt am Sonntag ab, heute werden vornehmlich Berichte aus der Süddeutschen in der Schweiz zweitverwertet. Geliefert wurde z.B. eine Reportage darüber, wie die Putin-Jugend in Camps nationalistisch gedrillt wird – das bedient alle Klischees von Russlands Propaganda-Krieg. [...]

Endzeitstimmung

Der Arbeitsdruck und die Angst vor Jobverlust auf den Redaktionen sind überragend. Es handelt sich um eine Branche, in der die meisten davon ausgehen, dass sie nur noch schrumpft und weniger befriedigender zum Arbeiten wird. Die Vorgabe, mehr zu sparen, ist bei den führenden Schweizer Medienhäusern seit zwei Jahrzehnten omnipräsent. Manche Redaktionen sind bereits sehr ausgedünnt. Zehn- bis zwölfstündige Arbeitstage gelten als normal. [...] Wer die Überzeugung hat, mit Journalismus etwas bewirken zu können, ist sehr jung, oder wird ausgelacht von der Mehrheit.

Vordergründig herrscht in den Mainstream-Medien kompletter Meinungspluralismus – abgesehen von Einzelfällen tun sich Journalisten kaum mit festen Überzeugungen hervor: Man ist für alles offen, suspekt ist, wer eine Haltung hat und konsequent aus dieser Haltung berichtet. Die Journalisten mit einer konsequenten Weltanschauung sind rar. So wie man persönlich bei niemandem anecken will, zeigt man auch journalistisch keine Kanten, womit man polarisieren könnte.

Hinter den Kulissen verstehen die Verlage ihre öffentlichen Medien immer noch als "vierte Gewalt" im Staat. Aber sie wissen wohl selbst, dass sie diese Schritt um Schritt entmachten – mit ihren Sparstrategien, dem Abbau der Vielfalt etwa durch vereinheitlichte Mantelredaktionen und ihrer Orientierungslosigkeit.

Es ist nicht so, dass es vor 20 bis 30 Jahren auf den Redaktionsstuben keine Selbstzensur, Gleichschaltung, vorauseilenden Gehorsam und Tunnelblick gegeben hätte. Doch die Rahmenbedingungen in den heutigen „Redaktionsfabriken“ der Mainstream-Medien fördern geradezu den ideologielosen, opportunistischen, Klick-orientierten Journalismus, dem die wichtigen Fragen entgleiten.

Es ist leider ein Journalismus, der durch die Röhre guckt. Eine geförderte, aber dennoch freiwillige Beschränkung der Perspektive bedroht die Unabhängigkeit der vierten Gewalt mehr denn je.


Der Artikel mit dem kompletten Erfahrungsbericht des Schweizer Journalisten ist bei Swiss Propaganda Research zu lesen.

Online-Flyer Nr. 644  vom 24.01.2018



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