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Kultur und Wissen
Sprache und ihre Grenzen
Brücke in den Nebel
Von Harald Schauff
Immer wieder machen wir die Erfahrung: Vor Ort sehen die Dinge anders aus, als wir sie uns auf Basis von Erzählungen oder Texten vorgestellt haben. Man kann viel lesen, man kann sich viel erzählen lassen. Es gibt keinen Ersatz für das konkrete Erlebnis. Ob daheim, auf der Straße, in der freien Natur oder in der Ferne. Wer unterwegs ist, weiß: Der Reisebericht ersetzt die Reise nicht. Landschaftsbeschreibungen, gleich wie detailliert und sprachlich gelungen, sagen dem Leser nichts, wenn er Vergleichbares noch nie mit eigenen Augen betrachtet hat.
Dieser Unterschied macht die Grenzen der Sprache sichtbar. Sie tut nicht mehr und nicht weniger, als Etiketten auf Dinge und Vorstellungen zu kleben. Wer den Inhalt der beklebten Gefäße kennen lernen möchte, darf ein Schlückchen daraus nehmen und ihn schmecken. Ähnliches betrifft, was im Kopf des/der jeweils anderen vor sich geht. Seine/Ihre entäußerten Worte vermitteln den trügerischen Eindruck, den Kopfinhalt genauestens wieder zu geben, als könne man direkt in den Schädel des "alter ego" (lat. "anderes Ich") hinein lugen. Stets sind es jedoch die ganz eigenen Gedanken und Empfindungen, die wir in die (optisch/akustisch) empfangenen Worthülsen packen bzw. als Inhalt in die entgegen genommene Flasche füllen.
Was wirklich im Kopf des Gegenübers geschieht, bleibt auf ewig ein Rätsel. Jenes bereitet nicht nur Philosophen, Wissenschaftlern und Frauen und Männern in Bezug aufeinander Kopfzerbrechen. Auch Sportreporter werfen bei der Übertragung von Tennismatches wiederholt die Frage auf: "Was mag wohl jetzt in den Köpfen vor sich gehen?"
Gute Frage, leider nicht zu beantworten. Denn man merkt immer nur, was in dem einen, dem ganz eigenen, Kopf passiert. Die Philosophie nennt dieses Problem "Subjektivität". Sie betrifft jeden. Mich, dich und alle übrigen, die von sich "Ich" sagen. Ich bin Ich und Du bist Du, also ein anderes Ich.
Die Sprache versucht eine Brücke über diesen Graben zu schlagen. Der Versuch gelingt mehr oder minder. Ist er halbwegs erfolgreich, kann man von gegenseitigem Verständnis bzw. von "Nachvollziehen" reden.
Letztlich führt die Brücke in den Nebel, der mal dichter, mal lichter ist. Entsprechend scharf/unscharf zeichnet sich das gegenüber liegende Ufer ab. So wie ein Teil der Brücke frei schwebt, hebt auch die Sprache ab. Ab vom Konkreten, Anschaulichen. Sie ist eben "abstrakt".
Sprache hat ihre Grenzen, auf welche man rasch stößt. Allein das Ideal, Wunschbild, der Traum von Kommunikation verdeutlichen diese bereits: Telepathie, Gedankenübertragung. Könnten wir uns direkt gegenseitig in die Köpfe schauen, in das Gegenüber hinein denken und fühlen, wären Worte überflüssig. Es wäre die perfekte Kontaktaufnahme. Bislang ist es jedoch unmöglich und so dürfen wir uns weiter mit der Begrenztheit des verbalen und schriftlichen Ausdrucks herum schlagen.
Niemand kennt diese besser als diejenigen, die regelmäßig, professionell und künstlerisch damit zu tun haben: Dichter, Schriftsteller, Philosophen, Journalisten, Lehrer, Schreiberlinge und Redner jedweder Art. Von den Sprachskeptikern der philosophischen und poetischen Tradition sei zunächst Friedrich Schiller genannt. In seinem Gedicht "Liebende Schönheit" heißt es: "Traurig herrscht der Begriff/ Aus tausendfach spielenden Formen/ Bringet er dürftig und leer/ immer nur eine hervor..."
Der Begriff grapscht hinein in die Fülle der Eindrücke, eine einzige Form bekommt er zu fassen. Ein vages, trübes Extrakt aus einer Unmenge sich überlappender Vorstellungen. Gestalt, Farbe, Licht, Ton, Geruch usw. spielen nur eine untergeordnete Rolle. Sie sind Attribute, Beifügungen, mit denen er sich schmückt, nachdem er den Gesamteindruck seziert und sich dessen Herzstück heraus gegriffen hat.
Insbesondere die Schönheit lässt sich nicht von ihm greifen und mag er sie noch so umkränzen und umschwärmen. Mehr als alles andere kann Schönheit nur erlebt werden. Das war dem Ästhetiker Schiller klar.
Der Skeptiker und Dionysiker Nietzsche hält in seiner Schrift "Götzendämmerung" fest: "...Unsere eigentlichen Erlebnisse sind ganz und gar nicht geschwätzig... Wofür wir Worte haben, darüber sind wir auch schon hinaus. In allem Reden liegt ein Gran Verachtung. Die Sprache, scheint es, ist nur für Durchschnittliches, Mittleres, Mitteilsames erfunden."
Sprache entzaubert, vereindeutigt Vieldeutiges, vereinfacht Vielfältiges und überbewertet das Allgemeine gegenüber dem Besonderen. Sie schneidet sich ein Stück aus dem Gegenstand heraus und lässt den Rest achtlos liegen. Sie will erklären, aufklären, den Dingen auf den Wesensgrund gehen. Zu oft wühlt sie dabei soviel Schlick auf, dass sie das trübt, was klar vor Augen liegt.
Doch ist sie nun einmal unser Hauptverständigungsmittel. Ohne sie fällt die Mitteilung schwer. Als Kunstform hat sie beachtliche Werke vorzuweisen. Als Machtinstrument kann sie erschreckende Dimensionen annehmen. Siehe politische Rhetorik und Propaganda. Als Kommunikationsmedium und Bühne zur Vermittlung von Bewusstseinsinhalten sollte sie nicht überschätzt und überstrapaziert werden. So sollte Denken als Bewusstseinsprozess nicht mit Sprechen gleich gesetzt oder verwechselt werden.
Eben so wenig mit Lesen: Viel Lesen heißt noch lange nicht viel Nachdenken. Anders als Schreiben behindert übermäßiger Lesekonsum das Entwickeln eigener Gedanken, wie der Aphorismen-Schreiber Georg Christoph Lichtenberg schon fest hielt.
Nietzsche wiederum meinte, Lesen bedeute Denken, was ein anderer gedacht habe. Nicht im Sinne, dass man selbstständig nachdenkt, sondern dass man einer vorgegebenen Spur folgt. Der eigene Bewusstseinsstrom bewässert ein fremdes Flussbett. Viele bewässern es gern, damit sie kein eigenes zu graben brauchen. Denken strengt an.
So sehr sich Denken und Sprache unterscheiden, so sehr hängen sie auch wiederum miteinander zusammen. Sprache hat einen formenden Einfluss auf Gedankengänge. Dies zeigt sich am rationalen Begreifen des logisch-abstrakten Verstandes. Es blickt auf eine lange Tradition zurück, die im Abendland im antiken Griechenland ihren Anfang nahm. Das rationale Denken will das "Wesen" der Dinge erfassen, ihren Kern und fischt mit jedem Begriff und jeder Kategorie stets nur "dürftig und leer" (Schiller) die eine von Tausenden Formen heraus.
Jedoch auf diese soll es primär ankommen, sie soll das Wichtigste in allem sein, sozusagen des Pudels Kern. Sie soll sogar auf etwas Höheres zurück gehen, das über den Dingen schwebt: Platons reine Ideen, überirdische, transzendente Urbilder, von denen alle irdischen Dinge nur Abbilder sind.
Seitdem wird alles Besondere, Individuelle dem Allgemeinen, alles Konkrete dem Abstrakten untergeordnet. Der Vorteil: Die Welt lässt sich erkennen und gestalten. Siehe Wissenschaft, Technik und Kultur. Der Nachteil: Übertriebene und grob vereinfachende Verallgemeinerungen breiten sich aus: Klischees, Stereotypen, Ressentiments und Ideologien.
Hieraus wird ersichtlich: Abstrahierung und Verallgemeinerung vernachlässigen immer den besonderen, konkreten Einzelfall als solchen. Genau der macht jedoch die Wirklichkeit aus. Jenseits von Begriffen, Zahlen und Vorstellungen. Insgesamt landen wir also bei dreierlei Paar Schuhen, die so gut zusammen wie auseinander laufen können: Sprache bzw. Symbolik (auch Zahlen), Bewusstseinsinhalte und Realität.
Auch Sprache selbst ist nicht gleich Sprache: Die gesprochene Sprache mag konkreter und besser zur Verständigung geeignet sein als die geschriebene. Sie hat viele kleine Helferlein wie Mimik, Gestik und Betonung. Dadurch wirkt sie anschaulicher. Doch sollte auch sie nicht über Dinge reden, von denen ihr eine genaue Vorstellung = Ahnung fehlt. Wer viel und klug redet, ist noch lange nicht klug. Eher erregt er den Verdacht, mit seiner Geschwätzigkeit fehlende Einsichten wettmachen zu wollen.
Der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein meinte, worüber man nicht reden könne, darüber solle man schweigen. Er zielte damit vornehmlich auf die philosophische Tradition, welche glaubte mit messerscharf definierten Begriffen alles ganz genau auf den Punkt bringen zu können. Wie vielen zungenfertigen Zeitgenossen täte seine Empfehlung gut.
Auch sie sollten sich bewusst machen: Sprache ist immer abstrakt. Konkret kann man nicht einmal Pickel damit ausdrücken.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe September 2019, erschienen.
Online-Flyer Nr. 719 vom 18.09.2019
Sprache und ihre Grenzen
Brücke in den Nebel
Von Harald Schauff
Immer wieder machen wir die Erfahrung: Vor Ort sehen die Dinge anders aus, als wir sie uns auf Basis von Erzählungen oder Texten vorgestellt haben. Man kann viel lesen, man kann sich viel erzählen lassen. Es gibt keinen Ersatz für das konkrete Erlebnis. Ob daheim, auf der Straße, in der freien Natur oder in der Ferne. Wer unterwegs ist, weiß: Der Reisebericht ersetzt die Reise nicht. Landschaftsbeschreibungen, gleich wie detailliert und sprachlich gelungen, sagen dem Leser nichts, wenn er Vergleichbares noch nie mit eigenen Augen betrachtet hat.
Dieser Unterschied macht die Grenzen der Sprache sichtbar. Sie tut nicht mehr und nicht weniger, als Etiketten auf Dinge und Vorstellungen zu kleben. Wer den Inhalt der beklebten Gefäße kennen lernen möchte, darf ein Schlückchen daraus nehmen und ihn schmecken. Ähnliches betrifft, was im Kopf des/der jeweils anderen vor sich geht. Seine/Ihre entäußerten Worte vermitteln den trügerischen Eindruck, den Kopfinhalt genauestens wieder zu geben, als könne man direkt in den Schädel des "alter ego" (lat. "anderes Ich") hinein lugen. Stets sind es jedoch die ganz eigenen Gedanken und Empfindungen, die wir in die (optisch/akustisch) empfangenen Worthülsen packen bzw. als Inhalt in die entgegen genommene Flasche füllen.
Was wirklich im Kopf des Gegenübers geschieht, bleibt auf ewig ein Rätsel. Jenes bereitet nicht nur Philosophen, Wissenschaftlern und Frauen und Männern in Bezug aufeinander Kopfzerbrechen. Auch Sportreporter werfen bei der Übertragung von Tennismatches wiederholt die Frage auf: "Was mag wohl jetzt in den Köpfen vor sich gehen?"
Gute Frage, leider nicht zu beantworten. Denn man merkt immer nur, was in dem einen, dem ganz eigenen, Kopf passiert. Die Philosophie nennt dieses Problem "Subjektivität". Sie betrifft jeden. Mich, dich und alle übrigen, die von sich "Ich" sagen. Ich bin Ich und Du bist Du, also ein anderes Ich.
Die Sprache versucht eine Brücke über diesen Graben zu schlagen. Der Versuch gelingt mehr oder minder. Ist er halbwegs erfolgreich, kann man von gegenseitigem Verständnis bzw. von "Nachvollziehen" reden.
Letztlich führt die Brücke in den Nebel, der mal dichter, mal lichter ist. Entsprechend scharf/unscharf zeichnet sich das gegenüber liegende Ufer ab. So wie ein Teil der Brücke frei schwebt, hebt auch die Sprache ab. Ab vom Konkreten, Anschaulichen. Sie ist eben "abstrakt".
Sprache hat ihre Grenzen, auf welche man rasch stößt. Allein das Ideal, Wunschbild, der Traum von Kommunikation verdeutlichen diese bereits: Telepathie, Gedankenübertragung. Könnten wir uns direkt gegenseitig in die Köpfe schauen, in das Gegenüber hinein denken und fühlen, wären Worte überflüssig. Es wäre die perfekte Kontaktaufnahme. Bislang ist es jedoch unmöglich und so dürfen wir uns weiter mit der Begrenztheit des verbalen und schriftlichen Ausdrucks herum schlagen.
Niemand kennt diese besser als diejenigen, die regelmäßig, professionell und künstlerisch damit zu tun haben: Dichter, Schriftsteller, Philosophen, Journalisten, Lehrer, Schreiberlinge und Redner jedweder Art. Von den Sprachskeptikern der philosophischen und poetischen Tradition sei zunächst Friedrich Schiller genannt. In seinem Gedicht "Liebende Schönheit" heißt es: "Traurig herrscht der Begriff/ Aus tausendfach spielenden Formen/ Bringet er dürftig und leer/ immer nur eine hervor..."
Der Begriff grapscht hinein in die Fülle der Eindrücke, eine einzige Form bekommt er zu fassen. Ein vages, trübes Extrakt aus einer Unmenge sich überlappender Vorstellungen. Gestalt, Farbe, Licht, Ton, Geruch usw. spielen nur eine untergeordnete Rolle. Sie sind Attribute, Beifügungen, mit denen er sich schmückt, nachdem er den Gesamteindruck seziert und sich dessen Herzstück heraus gegriffen hat.
Insbesondere die Schönheit lässt sich nicht von ihm greifen und mag er sie noch so umkränzen und umschwärmen. Mehr als alles andere kann Schönheit nur erlebt werden. Das war dem Ästhetiker Schiller klar.
Der Skeptiker und Dionysiker Nietzsche hält in seiner Schrift "Götzendämmerung" fest: "...Unsere eigentlichen Erlebnisse sind ganz und gar nicht geschwätzig... Wofür wir Worte haben, darüber sind wir auch schon hinaus. In allem Reden liegt ein Gran Verachtung. Die Sprache, scheint es, ist nur für Durchschnittliches, Mittleres, Mitteilsames erfunden."
Sprache entzaubert, vereindeutigt Vieldeutiges, vereinfacht Vielfältiges und überbewertet das Allgemeine gegenüber dem Besonderen. Sie schneidet sich ein Stück aus dem Gegenstand heraus und lässt den Rest achtlos liegen. Sie will erklären, aufklären, den Dingen auf den Wesensgrund gehen. Zu oft wühlt sie dabei soviel Schlick auf, dass sie das trübt, was klar vor Augen liegt.
Doch ist sie nun einmal unser Hauptverständigungsmittel. Ohne sie fällt die Mitteilung schwer. Als Kunstform hat sie beachtliche Werke vorzuweisen. Als Machtinstrument kann sie erschreckende Dimensionen annehmen. Siehe politische Rhetorik und Propaganda. Als Kommunikationsmedium und Bühne zur Vermittlung von Bewusstseinsinhalten sollte sie nicht überschätzt und überstrapaziert werden. So sollte Denken als Bewusstseinsprozess nicht mit Sprechen gleich gesetzt oder verwechselt werden.
Eben so wenig mit Lesen: Viel Lesen heißt noch lange nicht viel Nachdenken. Anders als Schreiben behindert übermäßiger Lesekonsum das Entwickeln eigener Gedanken, wie der Aphorismen-Schreiber Georg Christoph Lichtenberg schon fest hielt.
Nietzsche wiederum meinte, Lesen bedeute Denken, was ein anderer gedacht habe. Nicht im Sinne, dass man selbstständig nachdenkt, sondern dass man einer vorgegebenen Spur folgt. Der eigene Bewusstseinsstrom bewässert ein fremdes Flussbett. Viele bewässern es gern, damit sie kein eigenes zu graben brauchen. Denken strengt an.
So sehr sich Denken und Sprache unterscheiden, so sehr hängen sie auch wiederum miteinander zusammen. Sprache hat einen formenden Einfluss auf Gedankengänge. Dies zeigt sich am rationalen Begreifen des logisch-abstrakten Verstandes. Es blickt auf eine lange Tradition zurück, die im Abendland im antiken Griechenland ihren Anfang nahm. Das rationale Denken will das "Wesen" der Dinge erfassen, ihren Kern und fischt mit jedem Begriff und jeder Kategorie stets nur "dürftig und leer" (Schiller) die eine von Tausenden Formen heraus.
Jedoch auf diese soll es primär ankommen, sie soll das Wichtigste in allem sein, sozusagen des Pudels Kern. Sie soll sogar auf etwas Höheres zurück gehen, das über den Dingen schwebt: Platons reine Ideen, überirdische, transzendente Urbilder, von denen alle irdischen Dinge nur Abbilder sind.
Seitdem wird alles Besondere, Individuelle dem Allgemeinen, alles Konkrete dem Abstrakten untergeordnet. Der Vorteil: Die Welt lässt sich erkennen und gestalten. Siehe Wissenschaft, Technik und Kultur. Der Nachteil: Übertriebene und grob vereinfachende Verallgemeinerungen breiten sich aus: Klischees, Stereotypen, Ressentiments und Ideologien.
Hieraus wird ersichtlich: Abstrahierung und Verallgemeinerung vernachlässigen immer den besonderen, konkreten Einzelfall als solchen. Genau der macht jedoch die Wirklichkeit aus. Jenseits von Begriffen, Zahlen und Vorstellungen. Insgesamt landen wir also bei dreierlei Paar Schuhen, die so gut zusammen wie auseinander laufen können: Sprache bzw. Symbolik (auch Zahlen), Bewusstseinsinhalte und Realität.
Auch Sprache selbst ist nicht gleich Sprache: Die gesprochene Sprache mag konkreter und besser zur Verständigung geeignet sein als die geschriebene. Sie hat viele kleine Helferlein wie Mimik, Gestik und Betonung. Dadurch wirkt sie anschaulicher. Doch sollte auch sie nicht über Dinge reden, von denen ihr eine genaue Vorstellung = Ahnung fehlt. Wer viel und klug redet, ist noch lange nicht klug. Eher erregt er den Verdacht, mit seiner Geschwätzigkeit fehlende Einsichten wettmachen zu wollen.
Der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein meinte, worüber man nicht reden könne, darüber solle man schweigen. Er zielte damit vornehmlich auf die philosophische Tradition, welche glaubte mit messerscharf definierten Begriffen alles ganz genau auf den Punkt bringen zu können. Wie vielen zungenfertigen Zeitgenossen täte seine Empfehlung gut.
Auch sie sollten sich bewusst machen: Sprache ist immer abstrakt. Konkret kann man nicht einmal Pickel damit ausdrücken.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe September 2019, erschienen.
Online-Flyer Nr. 719 vom 18.09.2019