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Die UN-Sonderberichterstatterin für unilaterale Sanktionen meldet sich zu Wort
Eine erschreckende Mehrheit der unilateralen Sanktionen verletzt das Völkerrecht
Prof. Dr. Dr. habil. Alena Douhan – interviewt von Aaron Maté in der Übersetzung von Zeit-Fragen
Momentan sind ein Drittel der Menschheit bzw. 39 Länder von den Sanktionen der US-Regierung und ihrer Verbündeten betroffen. Sanktionen sind längst ein Bestandteil des Kriegsarsenals der westlichen Staaten geworden und mitnichten eine "friedliche Alternative" zum Krieg. Sanktionen richten sich nur gegen politisch missliebige Staaten. Anders kann man sich nicht erklären, warum die Deutschland Syrien Ersatzteile verweigert, aber bis vor kurzem noch Waffen an Saudi-Arabien lieferte, obwohl das Scheichtum Krieg im Jemen führt, und erst nach der internationalen Empörung über die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi erklärte Deutschland einen zeitweiligen Waffenstopp. Sanktionen lösen Fluchtbewegungen aus, weil sie den Menschen in den jeweiligen Gebieten die Lebensgrundlage entziehen. Sanktionen führen zu vergleichbaren Verwüstungen von Gesellschaften wie Kriege und sollten wie diese bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund dokumentiert die NRhZ Auszüge aus einem Interview, das Aaron Maté mit Prof. Dr. Dr. habil. Alena Douhan, der UN-Sonderberichterstatterin für unilaterale Sanktionen, geführt hat.
Frau Professor Douhan, was ist Ihre Aufgabe als UN-Sonderberichterstatter für unilaterale Sanktionen?
Als UN-Sonderberichterstatter über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte besteht meine Aufgabe darin, die Situation bei der Anwendung einseitiger Sanktionen durch Staaten und regionale Organisationen zu untersuchen, wenn keine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat vorliegt; einseitige Massnahmen aus völkerrechtlicher Sicht zu beurteilen; die Auswirkungen einseitiger Sanktionen auf die Menschenrechte der Bevölkerung eines Landes, bestimmter Personengruppen und Einzelpersonen zu untersuchen; und die Auswirkungen auf die verschiedenen Kategorien von Menschenrechten zu analysieren. Dies geschieht durch thematische Studien, Länderbesuche, Beurteilungen spezifischer Situationen und die Kommunikation mit bestimmten Personen, die sich in ihren Rechten beeinträchtigt sehen, sowie mit NGO und der akademischen Fachwelt. Ich berichte meine Ergebnisse dem Menschenrechtsrat und der UN-Generalversammlung bei ihren Sitzungen und kommuniziere mit anderen UN-Organen und -Agenturen, regionalen Organisationen, nationalen Regierungen und dem Privatsektor über diese Belange.
Sanktionen können jedoch die Menschenrechte der Bevölkerung in den betroffenen Ländern schwerwiegend verletzen, insbesondere wenn sie sich gegen ganze Volkswirtschaften oder Wirtschaftssektoren richten. Sanktionen können auch verheerende Auswirkungen auf die Menschenrechte der betroffenen Personen haben. Alle Länder sind nach internationalem Recht verpflichtet, die Menschenrechte eines jeden Menschen zu schützen, und letztlich ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dies stärker beachtet und befolgt wird. Das ist nicht einfach, denn es gibt heute mehr Sanktionen als je zuvor, ebenso mehr Arten von Sanktionen, mehr Arten von Zielen und mehr Methoden der Durchsetzung. Ich sehe mein Mandat darin, einen Weg zu bieten, ihre humanitären Auswirkungen zu minimieren und die internationalen Beziehungen wieder an die Standards des Völkerrechts zu binden.
Selbst wenn sie versuchen, medizinische Geräte zu liefern, müssen sie ein reales humanitäres Ziel für die Lieferung nachweisen. Auch wenn es zum Beispiel um den Covid-Test geht oder um die CT-Scanner oder um Medikamente. Das führt dazu, dass kleine humanitäre NGO es vorziehen, überhaupt nicht in die Lieferung dieser humanitären Hilfe involviert zu werden, weil sie keine Anwälte haben, die sich mit dem Prozedere befassen und die dazu in der Lage wären. Und die Organisationen selbst sind nicht in der Lage, den Prozess zu bezahlen.
Wenn also zum Beispiel die Erlaubnis erteilt wird, humanitäre Hilfe nach Syrien zu liefern, bedeutet das nicht, dass die Organisation, wenn sie diese über die Grenze bringt, Treibstoff für ihr Auto kaufen darf, um notwendige Medikamente oder medizinische Ausrüstung zu liefern. Es bedeutet, dass die Organisation eine weitere Erlaubnis benötigt, um Treibstoff für ein einzelnes Auto im Zuge der Lieferung von humanitärer Hilfe zu bekommen.
Einige andere humanitäre Organisationen haben sich auch darüber beschwert, dass wegen ihrer humanitären Arbeit, die darin besteht, Medikamente, medizinische Ausrüstung und Lebensmittel nach Syrien zu liefern, im Zuge der Pandemie ihre Bankkonten eingefroren wurden – und auch die Bankkonten ihrer Mitarbeiter wurden eingefroren. Damit fallen sie sozusagen unter die Sekundärsanktionen.»
Diese Sanktionen, wie auch viele andere, verletzen die Menschenrechte ganzer Bevölkerungen in den betroffenen Ländern. Das Problem ist besonders akut im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie, da die Sanktionen diese Länder daran gehindert haben, sämtliche Medikamente, medizinische Geräte, Testmaterial und andere Materialien zu erhalten, die zur Bekämpfung der Krankheit benötigt werden. Beide Länder hatten auf unterschiedliche Weise bereits vor der Verhängung der Sanktionen mit ernsten wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Gleichzeitig haben die Sanktionen diese bereits bestehenden Situationen enorm verschärft und sie in wirtschaftliche, soziale und humanitäre Krisen verwandelt.
In Syrien wird der Wiederaufbau nach jahrelangem Konflikt durch Sanktionen gegen Menschen und Unternehmen behindert, die mit der Regierung bei der Wiederherstellung lebenswichtiger Infrastruktur oder bei ihren Bemühungen um die Wiederbelebung der Öl- und Gasförderung kooperieren. Dies verhindert das Funktionieren der Wirtschaft und verlangsamt den Aufbau von Wohnungen, Krankenhäusern, Stromnetzen und vielem mehr.
Die Menschen werden immer abhängiger von staatlicher Sozialhilfe und internationaler humanitärer Hilfe. Davon sind alle möglichen Menschenrechte betroffen, vom Recht auf Bildung und Zugang zu Informationen bis hin zum Recht auf Gesundheit, dem Recht auf Nahrung, dem Recht auf Leben und dem Recht auf Entwicklung. Besonders betroffen sind Menschen in extremer Armut, Frauen, Kinder, medizinisches Personal, Menschen mit Behinderungen oder lebensbedrohlichen oder chronischen Krankheiten sowie die indigene Bevölkerung.
Hier müssen mehrere Aspekte genannt werden. Erstens: Eine erschreckende Mehrheit der heutigen unilateralen Sanktionen wird unter Verletzung des Völkerrechts verhängt. Jedes Land hat das Recht zu wählen, wie es seine Beziehungen zu anderen Ländern gestaltet, oder gar keine Beziehungen zu haben. Gleichzeitig hat gemäss der UN-Charta einzig der UN-Sicherheitsrat das Recht, Sanktionen als Mechanismus zur Durchsetzung von Aspekten des Völkerrechts zu genehmigen. Einseitige Massnahmen dürfen nur unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte, des Flüchtlingsrechts und des Humanitären Völkerrechts ergriffen werden, müssen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten entsprechen und dürfen nur im Rahmen völkerrechtlich zulässiger Gegenmassnahmen angewendet werden. In den meisten Fällen ist die Rechtmässigkeit unilateraler Sanktionen völkerrechtlich höchst fraglich, und durch die Verletzung der Menschenrechte verstossen die Sanktionen eindeutig gegen das Völkerrecht.
Zweitens verletzen Sanktionen, die einseitig verhängt werden – also von einzelnen Ländern oder Gruppen wie der Europäischen Union oder Economic Community of West African States (ECOWAS) in Afrika – praktisch immer die Menschenrechte, oft viele Rechte auf einmal, obwohl sie ziemlich oft die Menschenrechtslage angeblich verbessern sollten. In der Mehrzahl der Fälle ist die gesamte Bevölkerung des Landes betroffen, inklusive ihrer grundlegenden Menschenrechte: Recht auf Gesundheit, auf Nahrung, auf Leben. Auf Grund der Ressourcenknappheit müssen die Länder alle Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte stoppen oder aussetzen, was das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele untergräbt. Die Zahlen in meinen Berichten über die Auswirkungen einseitiger Sanktionen im Zuge der Pandemie (Oktober 2020) und im vorläufigen Bewertungsbericht über meinen Länderbesuch in Venezuela sind diesbezüglich sehr deutlich. Ich denke, es ist absurd, Menschenrechte zu schützen, indem man sie verletzt. Es gibt kein tolerierbares Mass an «Kollateralschäden», wenn Länder durch internationale Konventionen und Gewohnheitsrecht verpflichtet sind, die Rechte eines jeden zu schützen und sich völkerrechtskonform zu verhalten.
Es ist auch notwendig, die Probleme zu erwähnen, die in bezug auf die Erbringung humanitärer Hilfe und die wachsende Exterritorialität und Überbefolgung von Sanktionsregimen bestehen.
Sekundärsanktionen und Extraterritorialität sind zwei verschiedene, aber eng miteinander verbundene Dinge. Sekundärsanktionen sind einseitige Sanktionen, die gegen Personen und Unternehmen verhängt werden, die beschuldigt werden, mit sanktionierten Ländern, Personen oder Organisationen Geschäfte zu machen. Insbesondere die Vereinigten Staaten verwenden sekundäre Sanktionen, um die von ihnen verhängten ursprünglichen Sanktionen durchzusetzen. Die von sekundären Sanktionen betroffenen Personen und Unternehmen können sich im sanktionierenden Land oder in anderen Ländern befinden. Tatsächlich können einige US-Sekundärsanktionen jeden, egal wo, treffen, der beschuldigt wird, mit einer sanktionierten Partei Geschäfte zu machen.
Hier kommt das Problem der Extraterritorialität ins Spiel, denn auch die Ausweitung der Gerichtsbarkeit eines Landes auf ein anderes Land durch die Durchsetzung seiner Sanktionen mittels Sekundärsanktionen ist nicht rechtmässig. Wieder einmal wird eine Strafe ohne Rücksicht auf die Verfahrensrechte einer Person verhängt, die von sekundären Sanktionen betroffen ist. In der Tat kann es nach dem Recht des Landes, in dem sich diese Person befindet, vollkommen legal sein, mit der Person, die Ziel der US-Sanktionen ist, Geschäfte zu machen.
Die Hauptgefahr von Sekundärsanktionen besteht darin, dass jede Einzelperson und jedes Unternehmen davon betroffen sein kann, was zu einer enormen Überbefolgung führt. Während meines Länderbesuchs in Venezuela berichteten der private Sektor, Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Sportvereine und Bürger Venezuelas von der Ablehnung oder dem Widerwillen ausländischer Banken, Bankkonten zu eröffnen oder zu führen, und zwar auch bei Korrespondenzbanken in den Vereinigten Staaten und Europa; von Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Visa und dem Kauf von Flugtickets; von der Notwendigkeit, über Vermittler in Drittländern zu agieren; und von der Notwendigkeit, zusätzliche Versicherungskosten zu zahlen. Ähnliche Probleme wurden wiederholt von internationalen humanitären Organisationen angeführt, die an der Bereitstellung von humanitärer Hilfe in den Zielgebieten oder -gesellschaften beteiligt sind.
Auf dem Papier haben die meisten unilateralen Sanktionsregime heute Bestimmungen, die den Fluss von humanitären Gütern und Dienstleistungen an sanktionierte Länder und Personen erlauben. Das Problem ist, dass diese sogenannten «humanitären Ausnahmen» in der Praxis nicht sehr gut funktionieren. Dafür gibt es viele Gründe. Die Regeln sind oft komplex, was dazu führt, dass Anbieter humanitärer Hilfe zurückhaltend sind, humanitäre Güter in sanktionierte Länder zu exportieren – aus Angst, versehentlich gegen die Sanktionen zu verstossen und selbst von sekundären Sanktionen betroffen zu werden. Selbst diejenigen, die bereit sind, humanitäre Güter zu exportieren, können dies unter Umständen nicht tun, weil Banken und andere Dienstleister die gleichen Befürchtungen haben, was die Finanzierungsquellen für diesen humanitären Warenverkehr und die Möglichkeit, sie in das sanktionierte Land zu transportieren, beeinträchtigt. Der mehrschichtige Charakter von Sanktionen (Sanktionen, die von mehreren Staaten oder regionalen Organisationen mit eigenen Sanktionslisten und Ausnahmemechanismen verhängt werden) macht die Situation noch zusätzlich kompliziert.
Weitere Probleme sind die Zeit, die für die Genehmigung von humanitären Exporten in sanktionierte Länder benötigt wird, und die Anforderungen, die manchmal erfüllt werden müssen, bevor eine Genehmigung erteilt wird. So müssen Exporteure von humanitären Gütern, bei denen es sich um Güter mit doppeltem Verwendungszweck (zivil und militärisch) handeln könnte, zum Beispiel bestimmte medizinische Geräte oder Substanzen, sicherstellen, dass die Güter bei ihrer Ankunft in dem sanktionierten Land nicht für militärische Zwecke verwendet werden. Dies kann in einigen Fällen unmöglich sein. Sogar die Zahnpasta gehört Berichten zufolge zu den Körperpflegeprodukten, die von solchen Regeln betroffen sind. Insgesamt sind die Komplexität und der Zeitaufwand für die Genehmigung von humanitären Exporten ein weiteres Hindernis, das die Kosten in die Höhe treibt.
Es muss auch berücksichtigt werden, dass die Bestimmungen über «humanitäre Ausnahmen», selbst wenn sie angewandt werden, traditionell sehr eng ausgelegt werden und insbesondere Ausrüstungen und Ersatzteile sowie andere Güter ausschliessen, die für den Wiederaufbau der Wirtschaft notwendig sind und dort das Recht der Menschen auf Entwicklung behindern.
Die Covid-19-Pandemie hat uns gezeigt, wie Sanktionen die Möglichkeit der sanktionierten Länder, humanitäre Hilfe zu erhalten, verhindert haben, selbst wenn die Sanktionen humanitäre Ausnahmen vorsehen, die eine solche Hilfe ermöglichen. Ärzte in einigen Ländern, die von den US-Sanktionen betroffen sind, konnten keine telemedizinischen Sitzungen über Zoom in Anspruch nehmen, da dessen Nutzung in diesen Ländern blockiert ist. Medizinische Geräte, die von einem chinesischen Geschäftsmann gespendet wurden, um Kuba bei der Bekämpfung des Corona-Virus zu helfen, konnten nicht wie geplant eintreffen, weil die mit dem Transport beauftragte US-Firma sich zurückzog, weil sie befürchtete, von sekundären Sanktionen getroffen zu werden, wenn sie Waren in ein sanktioniertes Land lieferte. Schweizer humanitäre Organisationen, die mit kubanischen medizinischen Einrichtungen zusammenarbeiten wollten, wurden von Banken ausgebremst, die sich weigerten, das dafür notwendige Geld zu überweisen. Die US-Sanktionen gegen Iran und Venezuela führten dazu, dass die Stromversorgung in beiden Ländern zusammenbrach, was den normalen Betrieb von Krankenhäusern verhinderte. Der Mangel an Treibstoff in Venezuela – eine Situation, die durch die Sanktionen noch verschärft wurde – hat die Menschen daran gehindert, in die Krankenhäuser zu fahren und hat den Einsatz von Krankenwagen verhindert.
Einseitige Sanktionen, die Angst vor Sekundärsanktionen und die zunehmende Übererfüllung führen zu einer wachsenden Zahl von Verweigerungen von Banküberweisungen, zur Verlängerung der Überweisungsfristen (von 2 auf 45 Tage), zu höheren Liefer-, Versicherungs- und Überweisungskosten sowie zu gemeldeten Preissteigerungen für alle (vor allem importierten) Waren, manchmal bis zum zwei- bis vierfachen. Humanitäre Ausnahmeregelungen stellen auch eine enorme Belastung für die humanitären Organisationen dar, die den «reinen» humanitären Zweck der Lieferungen nachweisen müssen und allen möglichen Risiken ausgesetzt sind. Dies wirkt sich zum einen negativ auf ihre Handlungsfähigkeit aus, schränkt ihre Ressourcen ein, wirkt sich zum anderen negativ auf die Bereitschaft der Geber aus, Hilfe zu leisten, und hat somit negative Folgewirkungen auf die Begünstigten in den Zielländern und in anderen Ländern.
Das Caesar-Gesetz, das eigentlich 2019 in Kraft getreten ist und ab 2020 umgesetzt wurde, hat mit seinen Sanktionen in Wirklichkeit ein ganz breites Tor geöffnet. Der beste Rat, den ich Ländern und Hilfsorganisationen geben kann, ist, die US-Behörden und auch mein Büro über Probleme zu informieren, auf die sie bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe für Syrien treffen, und über alles, was sie über die menschenrechtlichen Auswirkungen der Sanktionen gegen Personen erfahren, die mit Syrien Handel treiben wollen – wie ihre Rechte beeinträchtigt werden. Schweigen aus Angst vor Sekundärsanktionen hilft nicht, die Situation zu verbessern, sondern verschlimmert sie noch.
Ein soeben vom U.S. Government Accountability Office veröffentlichter Bericht hat offengelegt, dass die US-Behörden die humanitären Auswirkungen der Sanktionen gegen Venezuela nicht systematisch überprüfen, und ich gehe davon aus, dass dies auch für die US-Sanktionen gegen Syrien gilt. Es ist wichtig, dass diese Informationen als erster Schritt zur Lösung der Menschenrechtsprobleme, die sich aus den Sanktionen des Caesar-Gesetzes und anderen ergeben, bekannt werden.
Höchstwahrscheinlich ist das Problem nicht so bekannt, weil es der Öffentlichkeit nicht ausreichend bekannt ist und weil es nicht sehr gut erforscht wurde. In der Regel wird es als sehr politisch motiviert beurteilt – also «schwarz-weiss» als etwas Gutes gegen etwas Schlechtes ausgespielt. Ich vertrete jedoch die Auffassung, dass der einzige Weg, die Menschenrechte zu garantieren, die Einhaltung der Gesetze ist. Deshalb werden wir hier über internationale Verpflichtungen der Staaten, Rechtsstaatlichkeit, humanitäre Folgenabschätzung und humanitäre Absicherung sprechen.
Die Vielzahl von Begrifflichkeiten, der fehlende Konsens zwischen den Ländern, der unklare begriffliche Rahmen und die Charakteristika einseitiger Sanktionen und einseitiger Zwangsmassnahmen, die fehlende Einigung über Ziele, die zunehmende Beteiligung privater Akteure und die daraus resultierende Übererfüllung, die fehlende Prüfung der humanitären Auswirkungen und politische Bedenken beeinflussen die Situation und ihre Begutachtung durch die Staatsführung und die Öffentlichkeit. Dies geschieht auf Grund der Unkenntnis über das Problem und der unzureichenden humanitären und rechtlichen Beurteilung sowie der fehlenden Diskussion mit den Opfern und denjenigen, die vor Ort tätig sind.
Deshalb versuche ich jetzt, die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem zu lenken; die Rechtmässigkeit der getroffenen Massnahmen aus völkerrechtlicher Sicht zu beurteilen; die Vorsorge und die Beurteilung der humanitären Auswirkungen von einseitigen Sanktionen einzuleiten; Einzelfälle zu behandeln und Wissenschaftler und humanitäre Nichtregierungsorganisationen als Dialogpartner einzuladen.
Ich will die Gelegenheit auch nutzen, um Staaten, Wissenschaftler, NGO und andere beteiligte Partner zur Erstellung eines Berichts über den Begriff, die Arten, Elemente und Ziele einseitiger Sanktionen für den UN-Menschenrechtsrat und die UN-Generalversammlung einzuladen, um das Bewusstsein zu schärfen, die Rechtsstaatlichkeit zu ermitteln, die Menschenrechte zu schützen und mit dem Dialog zu beginnen.
Frau Professor Douhan, vielen Dank für das Interview.
Alena Douhan (Belarus) wurde im März 2020 vom UN-Menschenrechtsrat zur Sonderberichterstatterin über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen auf die Verwirklichung der Menschenrechte ernannt.
Frau Douhan verfügt über umfangreiche Erfahrung in den Bereichen Völkerrecht und Menschenrechte als Professorin für Völkerrecht an der Belarussischen Staatlichen Universität (Minsk), Gastprofessorin am Institut für Friedens- und Kriegsvölkerrecht (Bochum, Deutschland) und Direktorin des Friedensforschungszentrums (Minsk). Sie promovierte 2005 an der Belarussischen Staatlichen Universität und habilitierte 2015 zum Dr. habil. in Völkerrecht und Europarecht (Belarus). Frau Douhans akademische und Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Völkerrecht, Sanktions- und Menschenrechtsrecht, internationales Sicherheitsrecht, dem Recht internationaler Organisationen, der internationalen Streitbeilegung und dem internationalen Umweltrecht. (Bild ohchr.org)
Englischsprachige Erstveröffentlichung am 14.01.2021 in thegrayzone.com, Erstveröffentlichung der deutschen Übersetzung in Zeit-Fragen, Ausgabe 4/5 vom 23. Februar 2021
Die NRhZ dankt Zeit-Fragen und Frau Prof. Douhan für die Erlaubnis zur Übernahme des Interviews.
Online-Flyer Nr. 763 vom 10.03.2021
Die UN-Sonderberichterstatterin für unilaterale Sanktionen meldet sich zu Wort
Eine erschreckende Mehrheit der unilateralen Sanktionen verletzt das Völkerrecht
Prof. Dr. Dr. habil. Alena Douhan – interviewt von Aaron Maté in der Übersetzung von Zeit-Fragen
Momentan sind ein Drittel der Menschheit bzw. 39 Länder von den Sanktionen der US-Regierung und ihrer Verbündeten betroffen. Sanktionen sind längst ein Bestandteil des Kriegsarsenals der westlichen Staaten geworden und mitnichten eine "friedliche Alternative" zum Krieg. Sanktionen richten sich nur gegen politisch missliebige Staaten. Anders kann man sich nicht erklären, warum die Deutschland Syrien Ersatzteile verweigert, aber bis vor kurzem noch Waffen an Saudi-Arabien lieferte, obwohl das Scheichtum Krieg im Jemen führt, und erst nach der internationalen Empörung über die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi erklärte Deutschland einen zeitweiligen Waffenstopp. Sanktionen lösen Fluchtbewegungen aus, weil sie den Menschen in den jeweiligen Gebieten die Lebensgrundlage entziehen. Sanktionen führen zu vergleichbaren Verwüstungen von Gesellschaften wie Kriege und sollten wie diese bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund dokumentiert die NRhZ Auszüge aus einem Interview, das Aaron Maté mit Prof. Dr. Dr. habil. Alena Douhan, der UN-Sonderberichterstatterin für unilaterale Sanktionen, geführt hat.
Frau Professor Douhan, was ist Ihre Aufgabe als UN-Sonderberichterstatter für unilaterale Sanktionen?
Als UN-Sonderberichterstatter über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte besteht meine Aufgabe darin, die Situation bei der Anwendung einseitiger Sanktionen durch Staaten und regionale Organisationen zu untersuchen, wenn keine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat vorliegt; einseitige Massnahmen aus völkerrechtlicher Sicht zu beurteilen; die Auswirkungen einseitiger Sanktionen auf die Menschenrechte der Bevölkerung eines Landes, bestimmter Personengruppen und Einzelpersonen zu untersuchen; und die Auswirkungen auf die verschiedenen Kategorien von Menschenrechten zu analysieren. Dies geschieht durch thematische Studien, Länderbesuche, Beurteilungen spezifischer Situationen und die Kommunikation mit bestimmten Personen, die sich in ihren Rechten beeinträchtigt sehen, sowie mit NGO und der akademischen Fachwelt. Ich berichte meine Ergebnisse dem Menschenrechtsrat und der UN-Generalversammlung bei ihren Sitzungen und kommuniziere mit anderen UN-Organen und -Agenturen, regionalen Organisationen, nationalen Regierungen und dem Privatsektor über diese Belange.
- Rechtsstaatlichkeit und humanitäre Belange müssen Vorrang haben
- Heute mehr Sanktionen als je zuvor
Sanktionen können jedoch die Menschenrechte der Bevölkerung in den betroffenen Ländern schwerwiegend verletzen, insbesondere wenn sie sich gegen ganze Volkswirtschaften oder Wirtschaftssektoren richten. Sanktionen können auch verheerende Auswirkungen auf die Menschenrechte der betroffenen Personen haben. Alle Länder sind nach internationalem Recht verpflichtet, die Menschenrechte eines jeden Menschen zu schützen, und letztlich ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dies stärker beachtet und befolgt wird. Das ist nicht einfach, denn es gibt heute mehr Sanktionen als je zuvor, ebenso mehr Arten von Sanktionen, mehr Arten von Zielen und mehr Methoden der Durchsetzung. Ich sehe mein Mandat darin, einen Weg zu bieten, ihre humanitären Auswirkungen zu minimieren und die internationalen Beziehungen wieder an die Standards des Völkerrechts zu binden.
- Wie Sanktionen humanitäre Hilfe behindern
Selbst wenn sie versuchen, medizinische Geräte zu liefern, müssen sie ein reales humanitäres Ziel für die Lieferung nachweisen. Auch wenn es zum Beispiel um den Covid-Test geht oder um die CT-Scanner oder um Medikamente. Das führt dazu, dass kleine humanitäre NGO es vorziehen, überhaupt nicht in die Lieferung dieser humanitären Hilfe involviert zu werden, weil sie keine Anwälte haben, die sich mit dem Prozedere befassen und die dazu in der Lage wären. Und die Organisationen selbst sind nicht in der Lage, den Prozess zu bezahlen.
Wenn also zum Beispiel die Erlaubnis erteilt wird, humanitäre Hilfe nach Syrien zu liefern, bedeutet das nicht, dass die Organisation, wenn sie diese über die Grenze bringt, Treibstoff für ihr Auto kaufen darf, um notwendige Medikamente oder medizinische Ausrüstung zu liefern. Es bedeutet, dass die Organisation eine weitere Erlaubnis benötigt, um Treibstoff für ein einzelnes Auto im Zuge der Lieferung von humanitärer Hilfe zu bekommen.
Einige andere humanitäre Organisationen haben sich auch darüber beschwert, dass wegen ihrer humanitären Arbeit, die darin besteht, Medikamente, medizinische Ausrüstung und Lebensmittel nach Syrien zu liefern, im Zuge der Pandemie ihre Bankkonten eingefroren wurden – und auch die Bankkonten ihrer Mitarbeiter wurden eingefroren. Damit fallen sie sozusagen unter die Sekundärsanktionen.»
- Sanktionen haben die Situationen in vielen betroffenen Ländern enorm verschärft und zu wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Krisen geführt
Diese Sanktionen, wie auch viele andere, verletzen die Menschenrechte ganzer Bevölkerungen in den betroffenen Ländern. Das Problem ist besonders akut im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie, da die Sanktionen diese Länder daran gehindert haben, sämtliche Medikamente, medizinische Geräte, Testmaterial und andere Materialien zu erhalten, die zur Bekämpfung der Krankheit benötigt werden. Beide Länder hatten auf unterschiedliche Weise bereits vor der Verhängung der Sanktionen mit ernsten wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Gleichzeitig haben die Sanktionen diese bereits bestehenden Situationen enorm verschärft und sie in wirtschaftliche, soziale und humanitäre Krisen verwandelt.
In Syrien wird der Wiederaufbau nach jahrelangem Konflikt durch Sanktionen gegen Menschen und Unternehmen behindert, die mit der Regierung bei der Wiederherstellung lebenswichtiger Infrastruktur oder bei ihren Bemühungen um die Wiederbelebung der Öl- und Gasförderung kooperieren. Dies verhindert das Funktionieren der Wirtschaft und verlangsamt den Aufbau von Wohnungen, Krankenhäusern, Stromnetzen und vielem mehr.
- Venezuela: Unterernährung und Sterblichkeit nehmen zu
Die Menschen werden immer abhängiger von staatlicher Sozialhilfe und internationaler humanitärer Hilfe. Davon sind alle möglichen Menschenrechte betroffen, vom Recht auf Bildung und Zugang zu Informationen bis hin zum Recht auf Gesundheit, dem Recht auf Nahrung, dem Recht auf Leben und dem Recht auf Entwicklung. Besonders betroffen sind Menschen in extremer Armut, Frauen, Kinder, medizinisches Personal, Menschen mit Behinderungen oder lebensbedrohlichen oder chronischen Krankheiten sowie die indigene Bevölkerung.
- Unilaterale Sanktionen verstossen gegen Völkerrecht und Menschenrechte
Hier müssen mehrere Aspekte genannt werden. Erstens: Eine erschreckende Mehrheit der heutigen unilateralen Sanktionen wird unter Verletzung des Völkerrechts verhängt. Jedes Land hat das Recht zu wählen, wie es seine Beziehungen zu anderen Ländern gestaltet, oder gar keine Beziehungen zu haben. Gleichzeitig hat gemäss der UN-Charta einzig der UN-Sicherheitsrat das Recht, Sanktionen als Mechanismus zur Durchsetzung von Aspekten des Völkerrechts zu genehmigen. Einseitige Massnahmen dürfen nur unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte, des Flüchtlingsrechts und des Humanitären Völkerrechts ergriffen werden, müssen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten entsprechen und dürfen nur im Rahmen völkerrechtlich zulässiger Gegenmassnahmen angewendet werden. In den meisten Fällen ist die Rechtmässigkeit unilateraler Sanktionen völkerrechtlich höchst fraglich, und durch die Verletzung der Menschenrechte verstossen die Sanktionen eindeutig gegen das Völkerrecht.
Zweitens verletzen Sanktionen, die einseitig verhängt werden – also von einzelnen Ländern oder Gruppen wie der Europäischen Union oder Economic Community of West African States (ECOWAS) in Afrika – praktisch immer die Menschenrechte, oft viele Rechte auf einmal, obwohl sie ziemlich oft die Menschenrechtslage angeblich verbessern sollten. In der Mehrzahl der Fälle ist die gesamte Bevölkerung des Landes betroffen, inklusive ihrer grundlegenden Menschenrechte: Recht auf Gesundheit, auf Nahrung, auf Leben. Auf Grund der Ressourcenknappheit müssen die Länder alle Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte stoppen oder aussetzen, was das Erreichen der nachhaltigen Entwicklungsziele untergräbt. Die Zahlen in meinen Berichten über die Auswirkungen einseitiger Sanktionen im Zuge der Pandemie (Oktober 2020) und im vorläufigen Bewertungsbericht über meinen Länderbesuch in Venezuela sind diesbezüglich sehr deutlich. Ich denke, es ist absurd, Menschenrechte zu schützen, indem man sie verletzt. Es gibt kein tolerierbares Mass an «Kollateralschäden», wenn Länder durch internationale Konventionen und Gewohnheitsrecht verpflichtet sind, die Rechte eines jeden zu schützen und sich völkerrechtskonform zu verhalten.
- Ausserhalb jedes Rechtssystems schuldig gesprochen
Es ist auch notwendig, die Probleme zu erwähnen, die in bezug auf die Erbringung humanitärer Hilfe und die wachsende Exterritorialität und Überbefolgung von Sanktionsregimen bestehen.
- Auswirkungen von Sekundärsanktionen und Extraterritorialität
Sekundärsanktionen und Extraterritorialität sind zwei verschiedene, aber eng miteinander verbundene Dinge. Sekundärsanktionen sind einseitige Sanktionen, die gegen Personen und Unternehmen verhängt werden, die beschuldigt werden, mit sanktionierten Ländern, Personen oder Organisationen Geschäfte zu machen. Insbesondere die Vereinigten Staaten verwenden sekundäre Sanktionen, um die von ihnen verhängten ursprünglichen Sanktionen durchzusetzen. Die von sekundären Sanktionen betroffenen Personen und Unternehmen können sich im sanktionierenden Land oder in anderen Ländern befinden. Tatsächlich können einige US-Sekundärsanktionen jeden, egal wo, treffen, der beschuldigt wird, mit einer sanktionierten Partei Geschäfte zu machen.
Hier kommt das Problem der Extraterritorialität ins Spiel, denn auch die Ausweitung der Gerichtsbarkeit eines Landes auf ein anderes Land durch die Durchsetzung seiner Sanktionen mittels Sekundärsanktionen ist nicht rechtmässig. Wieder einmal wird eine Strafe ohne Rücksicht auf die Verfahrensrechte einer Person verhängt, die von sekundären Sanktionen betroffen ist. In der Tat kann es nach dem Recht des Landes, in dem sich diese Person befindet, vollkommen legal sein, mit der Person, die Ziel der US-Sanktionen ist, Geschäfte zu machen.
Die Hauptgefahr von Sekundärsanktionen besteht darin, dass jede Einzelperson und jedes Unternehmen davon betroffen sein kann, was zu einer enormen Überbefolgung führt. Während meines Länderbesuchs in Venezuela berichteten der private Sektor, Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Sportvereine und Bürger Venezuelas von der Ablehnung oder dem Widerwillen ausländischer Banken, Bankkonten zu eröffnen oder zu führen, und zwar auch bei Korrespondenzbanken in den Vereinigten Staaten und Europa; von Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Visa und dem Kauf von Flugtickets; von der Notwendigkeit, über Vermittler in Drittländern zu agieren; und von der Notwendigkeit, zusätzliche Versicherungskosten zu zahlen. Ähnliche Probleme wurden wiederholt von internationalen humanitären Organisationen angeführt, die an der Bereitstellung von humanitärer Hilfe in den Zielgebieten oder -gesellschaften beteiligt sind.
- Sogenannte humanitäre Ausnahmen halten in der Praxis nicht stand
Auf dem Papier haben die meisten unilateralen Sanktionsregime heute Bestimmungen, die den Fluss von humanitären Gütern und Dienstleistungen an sanktionierte Länder und Personen erlauben. Das Problem ist, dass diese sogenannten «humanitären Ausnahmen» in der Praxis nicht sehr gut funktionieren. Dafür gibt es viele Gründe. Die Regeln sind oft komplex, was dazu führt, dass Anbieter humanitärer Hilfe zurückhaltend sind, humanitäre Güter in sanktionierte Länder zu exportieren – aus Angst, versehentlich gegen die Sanktionen zu verstossen und selbst von sekundären Sanktionen betroffen zu werden. Selbst diejenigen, die bereit sind, humanitäre Güter zu exportieren, können dies unter Umständen nicht tun, weil Banken und andere Dienstleister die gleichen Befürchtungen haben, was die Finanzierungsquellen für diesen humanitären Warenverkehr und die Möglichkeit, sie in das sanktionierte Land zu transportieren, beeinträchtigt. Der mehrschichtige Charakter von Sanktionen (Sanktionen, die von mehreren Staaten oder regionalen Organisationen mit eigenen Sanktionslisten und Ausnahmemechanismen verhängt werden) macht die Situation noch zusätzlich kompliziert.
Weitere Probleme sind die Zeit, die für die Genehmigung von humanitären Exporten in sanktionierte Länder benötigt wird, und die Anforderungen, die manchmal erfüllt werden müssen, bevor eine Genehmigung erteilt wird. So müssen Exporteure von humanitären Gütern, bei denen es sich um Güter mit doppeltem Verwendungszweck (zivil und militärisch) handeln könnte, zum Beispiel bestimmte medizinische Geräte oder Substanzen, sicherstellen, dass die Güter bei ihrer Ankunft in dem sanktionierten Land nicht für militärische Zwecke verwendet werden. Dies kann in einigen Fällen unmöglich sein. Sogar die Zahnpasta gehört Berichten zufolge zu den Körperpflegeprodukten, die von solchen Regeln betroffen sind. Insgesamt sind die Komplexität und der Zeitaufwand für die Genehmigung von humanitären Exporten ein weiteres Hindernis, das die Kosten in die Höhe treibt.
Es muss auch berücksichtigt werden, dass die Bestimmungen über «humanitäre Ausnahmen», selbst wenn sie angewandt werden, traditionell sehr eng ausgelegt werden und insbesondere Ausrüstungen und Ersatzteile sowie andere Güter ausschliessen, die für den Wiederaufbau der Wirtschaft notwendig sind und dort das Recht der Menschen auf Entwicklung behindern.
- Wie Sanktionen humanitäre Hilfe verhindern
Die Covid-19-Pandemie hat uns gezeigt, wie Sanktionen die Möglichkeit der sanktionierten Länder, humanitäre Hilfe zu erhalten, verhindert haben, selbst wenn die Sanktionen humanitäre Ausnahmen vorsehen, die eine solche Hilfe ermöglichen. Ärzte in einigen Ländern, die von den US-Sanktionen betroffen sind, konnten keine telemedizinischen Sitzungen über Zoom in Anspruch nehmen, da dessen Nutzung in diesen Ländern blockiert ist. Medizinische Geräte, die von einem chinesischen Geschäftsmann gespendet wurden, um Kuba bei der Bekämpfung des Corona-Virus zu helfen, konnten nicht wie geplant eintreffen, weil die mit dem Transport beauftragte US-Firma sich zurückzog, weil sie befürchtete, von sekundären Sanktionen getroffen zu werden, wenn sie Waren in ein sanktioniertes Land lieferte. Schweizer humanitäre Organisationen, die mit kubanischen medizinischen Einrichtungen zusammenarbeiten wollten, wurden von Banken ausgebremst, die sich weigerten, das dafür notwendige Geld zu überweisen. Die US-Sanktionen gegen Iran und Venezuela führten dazu, dass die Stromversorgung in beiden Ländern zusammenbrach, was den normalen Betrieb von Krankenhäusern verhinderte. Der Mangel an Treibstoff in Venezuela – eine Situation, die durch die Sanktionen noch verschärft wurde – hat die Menschen daran gehindert, in die Krankenhäuser zu fahren und hat den Einsatz von Krankenwagen verhindert.
Einseitige Sanktionen, die Angst vor Sekundärsanktionen und die zunehmende Übererfüllung führen zu einer wachsenden Zahl von Verweigerungen von Banküberweisungen, zur Verlängerung der Überweisungsfristen (von 2 auf 45 Tage), zu höheren Liefer-, Versicherungs- und Überweisungskosten sowie zu gemeldeten Preissteigerungen für alle (vor allem importierten) Waren, manchmal bis zum zwei- bis vierfachen. Humanitäre Ausnahmeregelungen stellen auch eine enorme Belastung für die humanitären Organisationen dar, die den «reinen» humanitären Zweck der Lieferungen nachweisen müssen und allen möglichen Risiken ausgesetzt sind. Dies wirkt sich zum einen negativ auf ihre Handlungsfähigkeit aus, schränkt ihre Ressourcen ein, wirkt sich zum anderen negativ auf die Bereitschaft der Geber aus, Hilfe zu leisten, und hat somit negative Folgewirkungen auf die Begünstigten in den Zielländern und in anderen Ländern.
- Das Caesar-Gesetz hat ein ganz breites Tor geöffnet
Das Caesar-Gesetz, das eigentlich 2019 in Kraft getreten ist und ab 2020 umgesetzt wurde, hat mit seinen Sanktionen in Wirklichkeit ein ganz breites Tor geöffnet. Der beste Rat, den ich Ländern und Hilfsorganisationen geben kann, ist, die US-Behörden und auch mein Büro über Probleme zu informieren, auf die sie bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe für Syrien treffen, und über alles, was sie über die menschenrechtlichen Auswirkungen der Sanktionen gegen Personen erfahren, die mit Syrien Handel treiben wollen – wie ihre Rechte beeinträchtigt werden. Schweigen aus Angst vor Sekundärsanktionen hilft nicht, die Situation zu verbessern, sondern verschlimmert sie noch.
Ein soeben vom U.S. Government Accountability Office veröffentlichter Bericht hat offengelegt, dass die US-Behörden die humanitären Auswirkungen der Sanktionen gegen Venezuela nicht systematisch überprüfen, und ich gehe davon aus, dass dies auch für die US-Sanktionen gegen Syrien gilt. Es ist wichtig, dass diese Informationen als erster Schritt zur Lösung der Menschenrechtsprobleme, die sich aus den Sanktionen des Caesar-Gesetzes und anderen ergeben, bekannt werden.
- Das Problem der Sanktionen ist zu wenig bekannt
Höchstwahrscheinlich ist das Problem nicht so bekannt, weil es der Öffentlichkeit nicht ausreichend bekannt ist und weil es nicht sehr gut erforscht wurde. In der Regel wird es als sehr politisch motiviert beurteilt – also «schwarz-weiss» als etwas Gutes gegen etwas Schlechtes ausgespielt. Ich vertrete jedoch die Auffassung, dass der einzige Weg, die Menschenrechte zu garantieren, die Einhaltung der Gesetze ist. Deshalb werden wir hier über internationale Verpflichtungen der Staaten, Rechtsstaatlichkeit, humanitäre Folgenabschätzung und humanitäre Absicherung sprechen.
Die Vielzahl von Begrifflichkeiten, der fehlende Konsens zwischen den Ländern, der unklare begriffliche Rahmen und die Charakteristika einseitiger Sanktionen und einseitiger Zwangsmassnahmen, die fehlende Einigung über Ziele, die zunehmende Beteiligung privater Akteure und die daraus resultierende Übererfüllung, die fehlende Prüfung der humanitären Auswirkungen und politische Bedenken beeinflussen die Situation und ihre Begutachtung durch die Staatsführung und die Öffentlichkeit. Dies geschieht auf Grund der Unkenntnis über das Problem und der unzureichenden humanitären und rechtlichen Beurteilung sowie der fehlenden Diskussion mit den Opfern und denjenigen, die vor Ort tätig sind.
Deshalb versuche ich jetzt, die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem zu lenken; die Rechtmässigkeit der getroffenen Massnahmen aus völkerrechtlicher Sicht zu beurteilen; die Vorsorge und die Beurteilung der humanitären Auswirkungen von einseitigen Sanktionen einzuleiten; Einzelfälle zu behandeln und Wissenschaftler und humanitäre Nichtregierungsorganisationen als Dialogpartner einzuladen.
Ich will die Gelegenheit auch nutzen, um Staaten, Wissenschaftler, NGO und andere beteiligte Partner zur Erstellung eines Berichts über den Begriff, die Arten, Elemente und Ziele einseitiger Sanktionen für den UN-Menschenrechtsrat und die UN-Generalversammlung einzuladen, um das Bewusstsein zu schärfen, die Rechtsstaatlichkeit zu ermitteln, die Menschenrechte zu schützen und mit dem Dialog zu beginnen.
Frau Professor Douhan, vielen Dank für das Interview.
Alena Douhan (Belarus) wurde im März 2020 vom UN-Menschenrechtsrat zur Sonderberichterstatterin über die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmassnahmen auf die Verwirklichung der Menschenrechte ernannt.
Frau Douhan verfügt über umfangreiche Erfahrung in den Bereichen Völkerrecht und Menschenrechte als Professorin für Völkerrecht an der Belarussischen Staatlichen Universität (Minsk), Gastprofessorin am Institut für Friedens- und Kriegsvölkerrecht (Bochum, Deutschland) und Direktorin des Friedensforschungszentrums (Minsk). Sie promovierte 2005 an der Belarussischen Staatlichen Universität und habilitierte 2015 zum Dr. habil. in Völkerrecht und Europarecht (Belarus). Frau Douhans akademische und Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Völkerrecht, Sanktions- und Menschenrechtsrecht, internationales Sicherheitsrecht, dem Recht internationaler Organisationen, der internationalen Streitbeilegung und dem internationalen Umweltrecht. (Bild ohchr.org)
Englischsprachige Erstveröffentlichung am 14.01.2021 in thegrayzone.com, Erstveröffentlichung der deutschen Übersetzung in Zeit-Fragen, Ausgabe 4/5 vom 23. Februar 2021
Die NRhZ dankt Zeit-Fragen und Frau Prof. Douhan für die Erlaubnis zur Übernahme des Interviews.
Online-Flyer Nr. 763 vom 10.03.2021