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Medien
Corona-Miszelle
Corona-Proteste – "wissenschaftlich" erforscht durch den Filter der Medienberichterstattung
Von Rudolph Bauer

Das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) wurde 1969 als gemeinnützige GmbH gegründet. Es entstand unter dem Eindruck zum einen der Außerparlamentarischen Opposition (APO) gegen die erste Große Koalition (1966-1969) und zweitens als Reaktion auf die antiautoritäre Studentenbewegung der "Achtundsechziger". Konzipiert war das WZB als eine Art Auffangbecken für kritische Wissenschaftler/innen. Deren Forderungen nach einer Universitätsreform sollte die Spitze genommen werden. Die Trägerschaft (und Finanzierung) lag zu 75 Prozent bei der Bundesrepublik und zu 25 Prozent beim Land Berlin. Laut Selbstdarstellung untersucht das WZB "grundlegende gesellschaftliche Fragen". Es erforscht "Entwicklungstendenzen, Anpassungsprobleme und Innovationschancen moderner Gesellschaften". Die Ergebnisse der WZB-Forschung „richten sich an eine wissenschaftliche Öffentlichkeit, darüber hinaus an Experten und interessierte Praktiker in Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft“.

Wissenschaftszentrum mit Leerstellen

Vom "gemeinen Volk" als Adressat der WZB-Forschungsergebnisse ist keine Rede. Von Demokratie ebenso wenig. Auch nicht von Fragen einer gerechten Verteilung der erwirtschafteten Güter. Von Völkerverständigung nicht. Auch nicht von Alternativen politischer und ökonomischer Selbstverwaltung.

Trotzdem: In Anbetracht der Forschungsbedeutung des WZB und seiner personellen Ausstattung mit rund 150 Wissenschaftlichen Mitarbeiter/inne/n und etwa 200 deutschen und ausländischen Soziologen, Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlern, Historikern, Statistikern und Informatikern verdient es unsere Aufmerksamkeit, was Forscher/innen des WZB – in diesem Fall Sophia Hunger, Teresa Völker und Daniel Saldivia Gonzatti – über "die Corona-Proteste in Deutschland" herausgefunden zu haben verkünden.

Der Bericht darüber ist veröffentlicht in den WZB-Mitteilungen, Heft 172 vom Juni 2021, S. 30 ff. Das Ergebnis lautet, zusammengefasst in der Überschrift des Forschungsberichts: „Der Verlust der Vielfalt. Die Corona-Proteste in Deutschland werden durch eine radikale Minderheit geprägt.“

In Kürze: „Im Laufe des Jahres 2020 nahmen bei den Corona-Protesten in Deutschland gewaltförmige und konfrontative Protestformen zu. Die Proteste wurden stark von einer Generalopposition gegenüber den staatlichen Maßnahmen, Systemkritik sowie Verschwörungsideologien geprägt. Die größte Mobilisierungskraft ging von der 'Querdenker'-Bewegung und Rechtsaußen-Gruppierungen aus. Die Proteste bildeten zunehmend weniger die öffentliche Meinung ab (sic!), sondern wurden zu einem Sprachrohr einer radikalen Minderheit.“ „Höhepunkt … war die Stürmung des Reichstagsgebäudes...“!

Nacherzählung statt Forschungsanstrengung

Ist das die ganze Wahrheit? Ist irgendetwas neu und überraschend an diesen „Forschungsergebnissen“? Liegen hier die nachprüfbaren Resultate soziologischer, psychologischer und politikwissenschaftlicher Forschungsmethoden vor: von teilnehmender Beobachtung, Befragungen und statistischer Analyse? Worauf stützt sich die WZB-Forschung?

Werden Fragestellungen der Sozialen Bewegungsforschung thematisiert? Wird das Verhältnis zwischen etablierter und oppositioneller Politik erörtert? Werden Fragen der Verhältnismäßigkeit aufgeworfen – auch der Verhältnismäßigkeit brutaler polizeilicher Ein- und Übergriffe? Kennen wir die als "Forschungsergebnisse" berichteten Narrative nicht alle schon aus den dominanten TV- und Printmedien?

Die Antwort ist dem Aufsatz in den WZB-Mitteilungen zu entnehmen. Sie lautet (zunächst etwas hochtrabend, schließlich aber kleinlaut): „Unsere Daten stammen aus dem neuen WZB-Protest-Monitoring, das im Rahmen des Spitzenforschungsclusters Monitoringsystem und Transferplattform Radikalisierung (MOTRA) unter der Leitung von Edgar Grande, Swen Hutter und Ruud Koopmans durchgeführt wird. Dafür wurden alle Protestereignisse der deutschen Corona-Proteste im Jahr 2020“ – jetzt kommts! – „in der Medienberichterstattung der 'Süddeutschen Zeitung' und der 'Welt' manuell identifiziert und ihre Merkmale erfasst.“

In Wahrheit hat das WZB demnach nicht die Protest-Bewegung selbst untersucht. Stattdessen wurde die vorurteilsbehaftete Berichterstattung über die Protest-Bewegung in zwei überregionalen Zeitungen ausgewertet. Respekt! Sehen so die "Spitzenergebnisse" einer Forschung aus, die vorgibt sozialwissenschaftlich zu sein, sich aber darauf beschränkt, "manuell" zu recherchieren und nachzuerzählen, was in zwei Leitmedien gefiltert vorerzählt worden ist?

Fazit: Die gesellschaftswissenschaftlichen WZB-Forscher/innen sind staats- und Corona-fromm, keinen Deut besser als die naturwissenschaftlichen Regierungs-Virologen. Ein deutsches gesamtwissenschaftliches Desaster.

Online-Flyer Nr. 774  vom 21.07.2021



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