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Literatur
Robert Fitzthum: Erfolgreiches China
China als Vorbild? Über das Land der Olympischen Winterspiele
Buchbesprechung von Rudolph Bauer
Am 4. Februar starten in Beijing die Olympischen Winterspiele 2022. Im Vorfeld dieses sportlichen Weltereignisses gibt es viele Stimmen, nicht zuletzt aus den Reihen der Politik, die es erkennbar an Fairness mangeln lassen. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Volksrepublik durch die teilnehmenden Athletinnen und Athleten in ungebührlicher Weise aufgewertet werde. Es gibt zahlreiche Stimmen, die sich dafür aussprechen, die Spiele durch das Fernbleiben der politischen Prominenz aus dem Westen zu boykottieren.
Ob das China-Bashing berechtigt ist, müsste gerechter Weise an der Wirklichkeit des Landes der Mitte gemessen werden. Aber um sich ein realistisches Bild vom Leben und Alltag der Menschen in der Volksrepublik machen zu können, wäre es an der Zeit, das in den deutschen Hauptmedien propagandistisch gezeichnete „Feindbild China“ zu korrigieren. Doch wie? In besonderer Weise scheint mir dazu das aktuelle Sachbuch „Erfolgreiches China“ von Robert Fitzthum geeignet zu sein.
Der Autor lebt seit 2013 in der Volksrepublik China, im südchinesischen Nanning. Von dort aus beobachtet und bewertet er (etwa in der österreichischen Zeitschrift „International“) die weltpolitischen und lokalen Entwicklungen. Zuvor hat er, nach einem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien, als IT-Manager und Personalchef bei verschiedenen Banken gearbeitet und Unternehmen beraten. Sein Blick auf die Volksrepublik ist daher der eines sachlichen Berichterstatters, der bestrebt ist, die chinesischen Verhältnisse genau zu erkunden und einem Lesepublikum, das über China in der Regel nur aus den westlichen Mainstream-Medien informiert ist, anschaulich verständlich zu machen.
Der Weg aus der Armut
Nach einem Vorwort, in dem die grundlegenden Verbesserungen der allgemeinen Lebensverhältnisse der chinesischen Bevölkerung vorgestellt werden, lautet der Titel des ersten Kapitels: „Der Weg aus der Armut“. Die Befreiung aus der Armut, so Fitzthum, ruhe in der VR China auf vier Säulen: auf der von Sun Yatsen begründeten Idee der „Volkswohlfahrt“; auf der politischen Entschlossenheit der Kommunistischen Partei, im Sinne von Mao Zedong konsequent zu handeln; auf einem umfassenden, von Xi Jingping inspirierten Aktions-Management sozialpolitischer Art; und nicht zuletzt darauf, dass die notwendigen finanziellen Mittel zur Umsetzung der Armutspolitik im ausreichenden Umfang zur Verfügung gestellt werden.
Wer dieses Kapitel liest, kann auf Anhieb erkennen, dass das chinesische Konzept ebenso wie das organisatorische und methodische Vorgehen zur Befreiung aus der Armut grundverschieden sind vom „Kampf gegen die Armut“, wie er außerhalb Chinas erfolglos geführt wird und auf Kosten der Armutsbevölkerung darin mündet, dass Arbeitslosigkeit, Kinder- und Altersarmut sowie Wohnungsnot und Obdachlosigkeit letzten Endes allein den Betroffenen zur Last gelegt wird; sie selber seien schuld. Fitzthums Armuts-Kapitel wird alle beeindrucken, die wissen, dass und wie die Armutsbekämpfung in der Bundesrepublik oder in anderen westlichen Ländern regelmäßig in der Sackgasse von Konzeptionslosigkeit, politischem Desinteresse und knapper finanzieller Mittel endet.
Neben dem Kapitel über den chinesischen „Weg aus der Armut“ umfasst Fitzthums China-Sachbuch weitere drei Abteilungen: jeweils ein Kapitel über die Maßnahmen zur Verbesserung von Umwelt und Klima sowie eines über das Zukunfts-Konzept der Urbanisierung. Das abschließende Kapitel enthält Interview-Antworten von Professor Zhang Weiwei (Shanghai) auf die Frage:
„Wie konnte China diese Erfolge erzielen?“
Zhangs Antworten geben einen umfassenden und spannenden Einblick. Einerseits werden wichtige Merkmale der chinesischen Entwicklung benannt: der Bezug zur Lebenswirklichkeit der Bevölkerung, die theoriegeleitete Praxisorientierung, das kontinuierliche und mutige Experimentieren sowie die Offenlegen der Schwachstellen mit dem Ziel der Korrektur durch Verbesserungen. Andererseits wird der Stellenwert des besonderen Verhältnisses von kultureller Tradition, Marxismus und Kommunistischer Partei hervorgehoben – bekannt als Sozialismus chinesischer Prägung. Zhang betont nicht zuletzt auch die Kriterien der sorgfältigen Rekrutierung der Parteimitglieder und Kader, benennt aber auch eine besondere Systemschwächen in Gestalt des Bürokratismus.
Umwelt, Energie und Stadtentwicklung
Die selbstreflexive und selbstkritische Haltung der politisch Verantwortlichen und ihr systematisches Handeln kommen auf sehr überzeugende Weise in einer 40-seitigen Stellungnahme des Ministeriums für Ökologie und Umwelt zur Geltung. Die wörtliche Übernahme der Stellungnahme in das Buch ist ein Gewinn, weil damit die klaren Prämissen der chinesischen Energie- und Umweltpolitik sowie die Schritte ihrer Umsetzung anschaulich erkennbar werden – und zwar auf eine Art und Weise, die den Eindruck von politischen Wortblasen vermeidet.
Ein weiteres Interview, das Fitzthum mit dem Stellvertretenden Bürgermeister von Shenzhen geführt hat, thematisiert auf zehn Seiten den „Aufbau der Smart City Shenzhen“. Bei der Lektüre kamen dem Rezensenten Zweifel, ob der digitaltechnologische Optimismus des chinesischen Gesprächspartners nicht allzu sehr die kritischen Seiten der „Vierten Industriellen Revolution“ – ein Topos des Klaus Schwab vom Weltwirtschaftsforum - ausblendet.
Dieser Einwand ergibt sich nicht zuletzt in Anbetracht der blinden westlichen Adaption chinesischer Corona-Beschränkungen, insbesondere der Lockdown-Maßnahmen. (Wobei darauf hinzuweisen ist, dass in China keine Impfpflicht angeordnet wurde und keine mRNA-Stoffe gespritzt werden.) Am Beispiel der Quasi-Kopie des chinesischen Vorgehens in Wuhan lässt sich erkennen, dass China auch auf dem Gebiet digitaltechnologischer Neuerungen nicht unbedingt als Vorbild taugt. Es erscheint mir deshalb äußerst zwiespältig, wenn bei der Übersetzung aus dem Chinesischen – zwecks besseren Verständnisses, so der Autor – die westliche Terminologie („Smart City“, „Governance“, „Intelligent Brain“) verwendet wird.
Die Frage der Systemkonvergenz
Jedenfalls stellt sich die Frage, ob dadurch nicht irreführende Konvergenzen im Verhältnis zwischen Sozialismus und Kapitalismus aufscheinen. Für mein Verständnis werden dadurch die Besonderheiten des chinesischen sozialistischen Weges auf der einen Seite und das Übel der „nazi-liberalen Seuche“ (Franco „Bifo“ Berardi) des Reset-Kapitalismus andererseits nicht hinreichend erkennbar. Das Buchkapitel über die Urbanisierung liefert also reichlich Stoff für eine kritische Diskussion des im städtischen Kontext eingeschlagenen chinesischen Weges.
Mit Blick auf China als Austragungsort der Olympischen Winterspiele erschließt Fitzthums Sachbuch nicht nur wichtige Informationen und lebendige Fakten zum besseren Verständnis der chinesischen Politik. Es nährt bei kritischer Lektüre auch die Einsicht, dass die Entwicklung der Volksrepublik China keinesfalls frei von Widersprüchen ist.
Robert Fitzthum: Erfolgreiches China. Die Fakten zur Befreiung aus der Armut, zur grünen Umgestaltung und zu menschengerechten Städten der Zukunft
Berlin: Goldegg Verlag, 2021, 292 Seiten, 24 Euro
Siehe auch:
Sonderansprache des chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf der virtuellen Sitzung des Weltwirtschaftsforums 2022, 17.01.2022
Wer spricht hier? (2)
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 785 vom 26.01.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27882
Online-Flyer Nr. 785 vom 26.01.2022
Robert Fitzthum: Erfolgreiches China
China als Vorbild? Über das Land der Olympischen Winterspiele
Buchbesprechung von Rudolph Bauer
Am 4. Februar starten in Beijing die Olympischen Winterspiele 2022. Im Vorfeld dieses sportlichen Weltereignisses gibt es viele Stimmen, nicht zuletzt aus den Reihen der Politik, die es erkennbar an Fairness mangeln lassen. Es wird der Eindruck erweckt, dass die Volksrepublik durch die teilnehmenden Athletinnen und Athleten in ungebührlicher Weise aufgewertet werde. Es gibt zahlreiche Stimmen, die sich dafür aussprechen, die Spiele durch das Fernbleiben der politischen Prominenz aus dem Westen zu boykottieren.
Ob das China-Bashing berechtigt ist, müsste gerechter Weise an der Wirklichkeit des Landes der Mitte gemessen werden. Aber um sich ein realistisches Bild vom Leben und Alltag der Menschen in der Volksrepublik machen zu können, wäre es an der Zeit, das in den deutschen Hauptmedien propagandistisch gezeichnete „Feindbild China“ zu korrigieren. Doch wie? In besonderer Weise scheint mir dazu das aktuelle Sachbuch „Erfolgreiches China“ von Robert Fitzthum geeignet zu sein.
Der Autor lebt seit 2013 in der Volksrepublik China, im südchinesischen Nanning. Von dort aus beobachtet und bewertet er (etwa in der österreichischen Zeitschrift „International“) die weltpolitischen und lokalen Entwicklungen. Zuvor hat er, nach einem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien, als IT-Manager und Personalchef bei verschiedenen Banken gearbeitet und Unternehmen beraten. Sein Blick auf die Volksrepublik ist daher der eines sachlichen Berichterstatters, der bestrebt ist, die chinesischen Verhältnisse genau zu erkunden und einem Lesepublikum, das über China in der Regel nur aus den westlichen Mainstream-Medien informiert ist, anschaulich verständlich zu machen.
Der Weg aus der Armut
Nach einem Vorwort, in dem die grundlegenden Verbesserungen der allgemeinen Lebensverhältnisse der chinesischen Bevölkerung vorgestellt werden, lautet der Titel des ersten Kapitels: „Der Weg aus der Armut“. Die Befreiung aus der Armut, so Fitzthum, ruhe in der VR China auf vier Säulen: auf der von Sun Yatsen begründeten Idee der „Volkswohlfahrt“; auf der politischen Entschlossenheit der Kommunistischen Partei, im Sinne von Mao Zedong konsequent zu handeln; auf einem umfassenden, von Xi Jingping inspirierten Aktions-Management sozialpolitischer Art; und nicht zuletzt darauf, dass die notwendigen finanziellen Mittel zur Umsetzung der Armutspolitik im ausreichenden Umfang zur Verfügung gestellt werden.
Wer dieses Kapitel liest, kann auf Anhieb erkennen, dass das chinesische Konzept ebenso wie das organisatorische und methodische Vorgehen zur Befreiung aus der Armut grundverschieden sind vom „Kampf gegen die Armut“, wie er außerhalb Chinas erfolglos geführt wird und auf Kosten der Armutsbevölkerung darin mündet, dass Arbeitslosigkeit, Kinder- und Altersarmut sowie Wohnungsnot und Obdachlosigkeit letzten Endes allein den Betroffenen zur Last gelegt wird; sie selber seien schuld. Fitzthums Armuts-Kapitel wird alle beeindrucken, die wissen, dass und wie die Armutsbekämpfung in der Bundesrepublik oder in anderen westlichen Ländern regelmäßig in der Sackgasse von Konzeptionslosigkeit, politischem Desinteresse und knapper finanzieller Mittel endet.
Neben dem Kapitel über den chinesischen „Weg aus der Armut“ umfasst Fitzthums China-Sachbuch weitere drei Abteilungen: jeweils ein Kapitel über die Maßnahmen zur Verbesserung von Umwelt und Klima sowie eines über das Zukunfts-Konzept der Urbanisierung. Das abschließende Kapitel enthält Interview-Antworten von Professor Zhang Weiwei (Shanghai) auf die Frage:
„Wie konnte China diese Erfolge erzielen?“
Zhangs Antworten geben einen umfassenden und spannenden Einblick. Einerseits werden wichtige Merkmale der chinesischen Entwicklung benannt: der Bezug zur Lebenswirklichkeit der Bevölkerung, die theoriegeleitete Praxisorientierung, das kontinuierliche und mutige Experimentieren sowie die Offenlegen der Schwachstellen mit dem Ziel der Korrektur durch Verbesserungen. Andererseits wird der Stellenwert des besonderen Verhältnisses von kultureller Tradition, Marxismus und Kommunistischer Partei hervorgehoben – bekannt als Sozialismus chinesischer Prägung. Zhang betont nicht zuletzt auch die Kriterien der sorgfältigen Rekrutierung der Parteimitglieder und Kader, benennt aber auch eine besondere Systemschwächen in Gestalt des Bürokratismus.
Umwelt, Energie und Stadtentwicklung
Die selbstreflexive und selbstkritische Haltung der politisch Verantwortlichen und ihr systematisches Handeln kommen auf sehr überzeugende Weise in einer 40-seitigen Stellungnahme des Ministeriums für Ökologie und Umwelt zur Geltung. Die wörtliche Übernahme der Stellungnahme in das Buch ist ein Gewinn, weil damit die klaren Prämissen der chinesischen Energie- und Umweltpolitik sowie die Schritte ihrer Umsetzung anschaulich erkennbar werden – und zwar auf eine Art und Weise, die den Eindruck von politischen Wortblasen vermeidet.
Ein weiteres Interview, das Fitzthum mit dem Stellvertretenden Bürgermeister von Shenzhen geführt hat, thematisiert auf zehn Seiten den „Aufbau der Smart City Shenzhen“. Bei der Lektüre kamen dem Rezensenten Zweifel, ob der digitaltechnologische Optimismus des chinesischen Gesprächspartners nicht allzu sehr die kritischen Seiten der „Vierten Industriellen Revolution“ – ein Topos des Klaus Schwab vom Weltwirtschaftsforum - ausblendet.
Dieser Einwand ergibt sich nicht zuletzt in Anbetracht der blinden westlichen Adaption chinesischer Corona-Beschränkungen, insbesondere der Lockdown-Maßnahmen. (Wobei darauf hinzuweisen ist, dass in China keine Impfpflicht angeordnet wurde und keine mRNA-Stoffe gespritzt werden.) Am Beispiel der Quasi-Kopie des chinesischen Vorgehens in Wuhan lässt sich erkennen, dass China auch auf dem Gebiet digitaltechnologischer Neuerungen nicht unbedingt als Vorbild taugt. Es erscheint mir deshalb äußerst zwiespältig, wenn bei der Übersetzung aus dem Chinesischen – zwecks besseren Verständnisses, so der Autor – die westliche Terminologie („Smart City“, „Governance“, „Intelligent Brain“) verwendet wird.
Die Frage der Systemkonvergenz
Jedenfalls stellt sich die Frage, ob dadurch nicht irreführende Konvergenzen im Verhältnis zwischen Sozialismus und Kapitalismus aufscheinen. Für mein Verständnis werden dadurch die Besonderheiten des chinesischen sozialistischen Weges auf der einen Seite und das Übel der „nazi-liberalen Seuche“ (Franco „Bifo“ Berardi) des Reset-Kapitalismus andererseits nicht hinreichend erkennbar. Das Buchkapitel über die Urbanisierung liefert also reichlich Stoff für eine kritische Diskussion des im städtischen Kontext eingeschlagenen chinesischen Weges.
Mit Blick auf China als Austragungsort der Olympischen Winterspiele erschließt Fitzthums Sachbuch nicht nur wichtige Informationen und lebendige Fakten zum besseren Verständnis der chinesischen Politik. Es nährt bei kritischer Lektüre auch die Einsicht, dass die Entwicklung der Volksrepublik China keinesfalls frei von Widersprüchen ist.
Robert Fitzthum: Erfolgreiches China. Die Fakten zur Befreiung aus der Armut, zur grünen Umgestaltung und zu menschengerechten Städten der Zukunft
Berlin: Goldegg Verlag, 2021, 292 Seiten, 24 Euro
Siehe auch:
Sonderansprache des chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf der virtuellen Sitzung des Weltwirtschaftsforums 2022, 17.01.2022
Wer spricht hier? (2)
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 785 vom 26.01.2022
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27882
Online-Flyer Nr. 785 vom 26.01.2022