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Lokales
„Mitverantwortung für Kriegsgräuel nicht aufgearbeitet“
BAYER-Konzern im 1. Weltkrieg
Von Philipp Mimkes

Die deutsche Chemie-Industrie produzierte im Ersten Weltkrieg Sprengstoff, Munition und Giftgas. Dank staatlich garantierter Preise konnten die Konzerne ihre Profite erheblich steigern. Bis heute verleugnen die Firmen jedoch ihre Mitverantwortung für Kriegstreiberei und Massensterben. Kritiker reichten einen Gegenantrag zur BAYER-Hauptversammlung am 29. April ein. (1) Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) fordert die BAYER AG auf, endlich die Rolle des Unternehmens im 1. und 2. Weltkrieg vollständig aufzuarbeiten und die zahlreichen Verbrechen des Konzerns anzuerkennen.
 
Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG: „100 Jahre Erster Weltkrieg, 150 Jahre BAYER: der Leverkusener Multi täte gut daran, statt zu seinem Jubiläum Goldmünzen zu prägen, seine Mitverantwortung für das Völkergemetzel 1914/18 aufzuarbeiten. In skandalöser Weise weigert sich der Konzern seit 100 Jahren, zu den Verbrechen der chemischen Kriegsführung, der Kriegstreiberei, der Zwangsarbeit usw. Stellung zu beziehen. Die Konzernprofite sprudelten, die Leichenberge türmten sich. BAYER distanziert sich nicht einmal vom damaligen Generaldirektor Carl Duisberg, der auf den Auslieferungs-listen der Alliierten stand und eine Anklage als Kriegsverbrecher fürchten musste. Immerhin wurde der Chemie-Multi für seine Kriegsverantwortung in weiten Teilen der Welt enteignet und verlor u. a. in den USA seine Markenrechte.“ Köhler-Schnura hat einen Gegenantrag eingereicht, in dem die Nicht-Entlastung des Vorstands gefordert wird, und wird in der Hauptversammlung zum Thema sprechen. (2)
 
Ohne die deutsche Chemie-Industrie wäre der 1. Weltkrieg vollkommen anders verlaufen: aufgrund der englischen Seeblockade versiegte zu Kriegsbeginn der Nachschub von Chile-Salpeter, der für die Produktion von Sprengstoff unabdingbar war. Die Reserven reichten nur für wenige Monate. Ende 1914 gaben Carl Bosch von der BASF und Carl Duisberg von BAYER der Obersten Heeresleitung das sogenannte „Salpeter-Versprechen“, welches die Bereitstellung großer Mengen Ammoniumnitrat zusicherte. Schon im Frühjahr 1915 konnte die Salpeter-Produktion aufgenommen werden. Die Industrie hatte dadurch nach eigenen Worten „den Krieg gerettet“. Im Gegenzug erhielten die Firmen lukrative Abnahmegarantien.
 
BAYER errichtete in Köln-Flittard ein eigenes Werk für die Sprengstoffproduktion, in dem pro Monat 250 Tonnen TNT hergestellt wurden. Auch die Produktion von Ersatzstoffen erlebte einen Aufschwung. Entsprechend jubelte BAYER-Generaldirektor Carl Duisberg im Juli 1915: „Sähen Sie jetzt einmal, wie es hier in Leverkusen aussieht, wie die ganze Fabrik umgekrempelt und umorganisiert ist, wie wir fast nichts mehr als Kriegslieferungen ausführen (...), so würden Sie Ihre helle Freude haben.“
 
Der Name BAYER steht besonders für die Entwicklung und Produktion von Kampfgasen. Bereits im Herbst 1914 war auf Vorschlag des Kriegsministeriums eine Kommission ins Leben gerufen worden, die Fritz Haber vom Kaiser-Wilhelm-Institut, Carl Duisberg sowie dem Chemiker Walter Nernst unterstand. Die Kommission empfahl zunächst die Nutzung von Chlorgas, wobei wissentlich gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen wurde, die den militärischen Einsatz von Giftgas seit 1907 verbietet.
 
Duisberg war bei den ersten Giftgasversuchen auf dem Truppenübungsplatz in Köln-Wahn persönlich anwesend und pries den chemischen Tod begeistert: „Die Gegner merken gar nicht, wenn Gelände damit bespritzt ist, in welcher Gefahr sie sich befinden und bleiben ruhig liegen, bis die Folgen eintreten.“ In Leverkusen wurde sogar eine Schule für den Gaskrieg eingerichtet. 
 
Unter Carl Duisbergs Leitung wurden bei BAYER immer giftigere Kampfstoffe entwickelt, zunächst Phosgen und später Senfgas. Duisberg forderte vehement deren Einsatz: „Ich kann deshalb nur noch einmal dringend empfehlen, die Gelegenheit dieses Krieges nicht vorübergehen zu lassen, ohne auch die Hexa-Granate zu prüfen.“ Insgesamt geht die Forschung von 60.000 Toten im von Deutschland begonnenen Gaskrieg aus. 
 
Schon im 1. Weltkrieg wurden bei BAYER auch Zwangsarbeiter ausgebeutet. Carl Duisberg forderte im Herbst 1916 die Regierung auf: „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“. Das Reichsamt des Inneren ließ daraufhin rund 60.000 Belgier deportieren, was international zu großen Protesten führte. Duisberg plädierte dafür, die Arbeitsmöglichkeiten und die Lebensmittel in Belgien zu rationieren, um die „Arbeitslust“ der Belgier in Deutschland zu steigern. Die Deportation gilt als Vorläufer des ungleich größeren Zwangsarbeiter-Programms im 2. Weltkrieg. 
 
Bis 1918 mischte sich die Führung von BAYER in alle kriegswichtigen Belange ein. So trat Carl Duisberg für den unbeschränkten U-Boot-Krieg, die völkerrechtswidrige Bombardierung Englands sowie die Annexion von Belgien und Nordfrankreich ein. Auch forderte er neuen „deutschen Lebensraum“ in Polen und Russland.
 
Als die Reichsregierung mit zunehmender Kriegsdauer begriff, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war und dass Friedensverhandlungen aufgenommen werden sollten, fürchtete man bei BAYER ein Ende der Kriegsprofite. Zusammen mit der militärischen Führung forderte Duisberg daher im Februar 1917 die Entlassung von Reichskanzler Theobald von Bethmann: „Wir sind ganz auf Krieg und Gewalt eingestellt, und das Beste wäre, wenn diese Sachlage auch äußerlich zum Ausdruck käme, dass der Marschall auch Kanzler wäre (...). Denn jetzt ist Politik gleich Krieg und Krieg gleich Politik.“ Wenig später wurde der Reichskanzler tatsächlich entlassen. Friedensverhandlungen fanden nicht statt. (PK)
 
 
(1) http://www.bayer.de/de/gegenantraege-2014.aspx
(2) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20151
 


Online-Flyer Nr. 452  vom 02.04.2014

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