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Globales
Über den 'Ausbruch' von Israels Krieg gegen den Libanon am 12. Juli 2006 
Kriegsanlaß durch Israel provoziert?
Von Andreas Vogel

Israels Krieg gegen den Libanon scheint beendet. Ausgelöst wurde er - wie auch die NRhZ im Flyer 56 berichtete - durch die Entführung israelischer Soldaten durch die Hisbollah-Miliz. Die Israelis seien auf israelischem Gebiet gekidnappt und dann in den Libanon verschleppt worden, wurde in den Medien behauptet, eine Darstellung, der der Autor der Arbeiterfotografie nachgegangen ist. Es ist sehr wohl möglich, daß es sich bei der Aktion um eine Gefangennahme der israelischen Soldaten auf libanesischem Gebiet gehandelt hat. Dieser Frage nachzugehen, heißt zu untersuchen, ob Israel den Kriegsanlaß selber provoziert hat.
Meldungen deutschsprachiger Nachrichtenagenturen vom 12. Juli 2006:

Es beginnt um 9:46 Uhr mit AFP: "Die libanesische Schiitengruppe Hisbollah hat nach eigenen Angaben zwei israelische Soldaten gefangen genommen." Ein Ort ist nicht genannt. Wir erfahren also nicht, ob der Vorgang in Israel oder im Libanon stattgefunden hat. Es ist von Gefangennahme die Rede. Allerdings wird in der Überschrift der Meldung von Entführung gesprochen: "Hisbollah gibt Entführung von zwei israelischen Soldaten bekannt".

Es folgt um 9:50 Uhr eine Meldung von Reuters: "Anhänger der libanesischen Hisbollah-Miliz haben offenbar zwei israelische Soldaten entführt." Für Reuters steht also fest: es war keine Gefangennahme, sondern eine Entführung. Vom Ort erfahren wir nichts.

Es folgt dann um 9:51 Uhr eine Meldung von AP: "Die libanesische Hisbollah-Miliz hat offenbar zwei israelische Soldaten entführt. Der Fernsehsender der Hisbollah erklärte, die Soldaten seien an der Grenze gefangen genommen worden." Wieder erfahren wir nicht, auf welcher Seite der Grenze der Vorgang stattgefunden hat. Wieder ist zum einen von Gefangennahme, zum anderen von Entführung die Rede.

Ebenfalls um 9:51 Uhr lesen wir bei DPA: "Die pro-iranische Hisbollah-Miliz hat nach eigenen Angaben im Südlibanon in der Grenzregion zu Israel zwei israelische Soldaten gefangen genommen." Damit ist klar: es ist die Rede von libanesischem Gebiet, auf dem die Gefangennahme erfolgt sein soll. Und es ist demnach keine Entführung.

Um 10:03 Uhr erfahren wir von AFP: "Nach Angaben der libanesischen Polizei wurden die Soldaten im Gebiet von Aita el Schaab an der Grenze zu Israel entführt." Damit kennen wir den Ort jetzt genauer. Nur wird nicht deutlich gesagt, auf welcher Seite der Grenze der Ort liegt. Aus der Formulierung 'an der Grenze zu Israel' läßt sich zwar erschließen, daß der Ort auf libanesischem Gebiet liegt, aber die Wortwahl 'entführt' schafft Verwirrung. Sie würde nur dann einen Sinn machen, wenn der Ort auf israelischer Seite läge. Aber ein Blick auf die Landkarte belegt eindeutig: Aita el Schaab liegt im Libanon. Einen Zweifel an der Eindeutigkeit mag noch die Schreibweise verursachen. Aber als Bezeichnung für den Ort der Gefangennahme finden wir in der Berichterstattung folgende Varianten: Aita el Schaab, Aita Schaab, Aita al-Schaab, Aita el Schab, Aita Asch Schab, Aita al-Schab, Aita al Chaab, Aitaa al-Chaab, Aïta Al-Chaab, Ayta ash-Shab und Ayta ash Shab. Aus dem Zusammenhang ist jeweils zu erschließen: Immer ist der gleiche Ort gemeint.

Grenzgebiet Israel/Libanon - Karte
Grenzgebiet Israel/Libanon - roter Pfeil: "IDF soldiers captured here" (Soldaten der Israel Defense Forces wurden hier gefangen genommen)
Quelle der Grafik: whatreallyhappened.com


Um 11:18 Uhr erfahren wir von AP: "An der Grenze zwischen Israel und dem Libanon sind am Mittwoch zwei israelische Soldaten von der Hisbollah-Miliz entführt worden." Der Ort bleibt wie in der ersten AP-Meldung unklar. Weiter heißt es in der Meldung: "In einer Erklärung der Hisbollah, die der Nachrichtenagentur AP in Beirut per Fax zuging, hieß es, die beiden Soldaten seien um 09.05 Uhr Ortszeit gefangen genommen worden und 'in eine sichere Region' gebracht worden." Hier ist von Gefangennahme die Rede. Es stellt sich die Frage, wie AP zu der Behauptung kommen kann, es habe sich um eine Entführung gehandelt.

Um 14:59 Uhr wird dann auch bei AFP relativiert: "Laut libanesischer Polizei wurden die Soldaten im Gebiet von Aita el Schaab an der Grenze zu Israel entführt, nach israelischen Angaben nahe Sarit in Israel."

Und auch Reuters steuert gegen. Um 16:15 Uhr heißt es: "Libanesischen Sicherheitskreisen zufolge verschleppte die Hisbollah die beiden Soldaten am Morgen im israelischen Grenzgebiet gegenüber dem südlibanesischen Ort Aita al-Schaab." Hier ist aus 'im Gebiet von Aita al-Schaab' - wie es bei AFP hieß - jetzt 'gegenüber dem südlibanesischen Ort Aita al-Schaab' geworden. Die beiden Meldungen (DPA von 10:53 Uhr und Reuters von 16:15 Uhr) passen nicht zusammen. Beide versuchen, einen Ort in Israel ins Spiel zu bringen. Gemäß AFP stammt die Ortsangabe 'Sarit' - also ein Ort auf israelischer Seite - aus israelischen Quellen. Gemäß Reuters soll die Information, der Ort liege auf israelischer Seite, aber - entgegen allen anderen bisherigen Meldungen mit Quellenangabe - aus libanesischen Quellen stammen. Das ist unglaubhaft. Das klingt nach einem Trick, mit dem nachträglich verschleiert werden soll, was zu deutlich geworden war. Mindestens eine der beiden Meldungen muß falsch sein.

Zum Vergleich nicht-deutschsprachige Agenturmeldungen:

Eine englisch-sprachige DPA-Meldung vom 12.7.2006 gibt das Gebiet der Gefangennahme wie folgt an: "the two soldiers were captured in Aita al Chaab, close to the border with Israel" (die beiden Soldaten wurden in Aita al Chaab gefangen genommen, nahe der Grenze zu Israel).

Eine französisch-sprachige AFP-Meldung vom 12.7.2006 formuliert klarer: "Selon la police libanaise, les deux soldats israéliens ont été capturés en territoire libanais, dans la région d'Aïta Al-Chaab, proche de la frontière avec Israël, où une unité israélienne avait pénétré en milieu de matinée." (Nach Angaben der libanesischen Polizei wurden die zwei israelischen Soldaten auf libanesischem Territorium gefangen genommen, im Gebiet von Aïta Al-Chaab, nahe der Grenze zu Israel, wohin eine israelische Einheit am frühen Morgen eingedrungen war.)

Das entspricht der Darstellung des französischen Netzwerks Voltaire: "Israel hat vorsätzlich ein Kommando in das libanesische Hinterland bei Aïta Al-Chaab geschickt. Dort wurde es von der Hisbollah angegriffen. Israel hat (danach) vorgetäuscht, dass es überfallen wurde, und griff Libanon an" (wiedergegeben gemäß Jürgen Cain Külbel in 'Neues Deutschland' vom 26.7.2006). Und Voltaire berichtet zudem (weiter gemäß ND), auf Antrag von Oberst Sima Vaknin-Gil, Chef der israelischen Militärzensur, habe die westliche Presse akzeptiert, eine 'abgestumpfte Version der Ereignisse' anzunehmen. "Auf Befehl der Militärzensur verzichteten Presseagenturen und Medien der in Israel akkreditierten Journalisten darauf, ihre Leser über den Ort der Gefangennahme zu informieren." Der für Voltaire arbeitenden Schweizer Journalistin Silvia Cattori sei in Israel die Akkreditierung entzogen worden, weil sie sich der Vorgabe verweigerte.

Ein weiterer Fall, wie ein Krieg mit einer Lüge beginnt

Es hat also ganz den Anschein, als sei die Geschichte von den gekidnappten israelischen Soldaten eine Lüge, mit der der Auslöser für den lange zuvor geplanten Krieg gegen den Libanon fabriziert werden sollte - nach dem Motto: Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen. Aber selbst wenn es sich um eine Verschleppung von israelischem auf libanesisches Gebiet gehandelt haben sollte, ist dies keine Legitimation für einen Krieg, schon gar nicht für einen Krieg, der die zivile Infrastruktur eines ganzen Staates in Schutt und Asche legte. Der Kriegsanlaß war vorgeschoben - der Krieg begann mit einer Lüge - so oder so.

Krieg nach den Plänen des 'American Enterprise Institute'

Was ablief, war von langer Hand geplant. Phase 1 war der Irak. Phase 2 der Libanon. Syrien und Iran sollen folgen. So sieht es die Studie 'A Clean Break - A New Strategy for Securing the Realm' [Ein sauberer Bruch - Eine neue Strategie zur Sicherung des Reichs] von 1996 vor-veröffentlicht von der 'Study Group on a New Israeli Strategy Toward 2000' des 'Institute for Advanced Strategic and Political Studies' mit Richard Perle vom 'American Enterprise Institute' als Leiter der Studiengruppe.

Rainer Rupp führte dazu in der Tageszeitung 'junge Welt' vom 15.7.2006 aus: "Mit dieser Strategie sollte endgültig mit der friedenspolitischen 'Roadmap' von Oslo gebrochen werden, um Israel die Möglichkeit zu geben, ein für alle mal sein 'realm' (sein Reich) weit über die eigenen Grenzen hinweg zu sichern. Die neokonservativen Verfasser von 'Clean Break', ausnahmslos US-Amerikaner jüdischer Herkunft, wie z.B. Richard Perle und der spätere dritte Mann im Pentagon, Douglas Feith, mit engsten Beziehungen zur rechtsextremen Likud-Partei in Israel, gehörten zu den Chefarchitekten des US-Angriffskriegs gegen Irak. Den Regimewechsel in Irak hatte bereits 'Clean Break' als 'äußerst wichtiges strategisches Ziel für Israel' benannt, weil es sich in Phase zwei Libanon, Syrien und Iran effektiv zuwenden könnte. Zuerst müsse Syrien aus Libanon vertrieben werden, anschließend könne Israel mit US-amerikanischem Wohlwollen rechnen, wenn es 'die strategische Initiative ergreift', 'entlang seiner nördlichen Grenzen Hisbollah angreift und anschließend Syrien und Iran als die eigentlich Verantwortlichen'. Phase eins, der Regimewechsel im Irak, ist vollzogen, syrische Truppen sind aus dem Libanon abgezogen, und jetzt entfaltet sich offensichtlich Phase zwei, die den ganzen Mittleren Osten mit Krieg zu überziehen droht. Der Blaupause folgend hat das Weiße Haus bereits [am12.7.2006] Iran und Syrien als Hauptschuldige für den Angriff der Hisbollah verurteilt."

Krieg gegen die zivile Infrastruktur gemäß Warden-Doktrin

Dabei folgte Israel der US-amerikanischen Warden-Doktrin von 1998, die "ganz bewußt auf die Zerstörung der Lebensgrundlagen eines Staates abzielt und insbesondere auch die Zivilbevölkerung selbst zum expliziten Ziel deklariert." (Nach Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr) Israels Kriegsführung richtete sich demgemäß gegen Zivilisten. Zerstört wurde alles, was zum weiteren menschlichen Überleben notwendig war.

Andreas Vogel gehört zur Gruppe arbeiterfotografie.com

Online-Flyer Nr. 58  vom 22.08.2006



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