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Kultur und Wissen
Hommage an den Malerpoeten Fritz Grasshoff
"Zuerst war ich ein Kieselstein..."
Von Kurt Kleiber
Die Auftrittslegende des Kölner Trios Balven&Götze&Giesing verläuft jenseits des etablierten Kölner Literatur- und Lesebetriebs: Literaturcafes, Buchläden, Antiquariate, Weinhandlungen oder, im GULLIVER, dem Kölner Überlebenstreffpunkt für Obdachlose
Auch die "Musikalisch-literarische HALUNKENREVUE - Zuerst war ich ein Kieselstein" in der Mülheimer Bücherstube, setzte die literarischen Aktivitäten des Trios fort. Die Zuhörer saßen dicht gedrängt und zum Greifen nahe, der letzte Stuhl war besetzt, ein Zurücklehnen war kaum möglich.
Vorgestellt und gewürdigt wurde die freche und deftige Dichtung des Malerpoeten Fritz Grasshoff, von dem auch einige Bilder in den Beständen des Wallraf-Richartz-Museums schlummern. Mit Gesang, Rezitation, Erzählungen und Kurzlesungen ging des Kölner Trio auf das Leben und Werk des humorvoll-skurrilen und kritischen Dichters ein.
Zeitlebens dem Quedlinburger Dialekt treu
Grasshoff wurde 1913 in Quedlinburg geboren. Sein Vater war Seemann, der wieder "an Land gegangen war" und sich dort erfolglos als Kohlenhändler, Samen- und Schweinezüchter versucht hatte. Grasshoffs Jugend verlief zunächst zwischen Koksbergen und Bumslokalen. Sein Milieu war reichlich mit schrägen Typen, Bettelmusikanten, Zug- und Galgenvögeln und "galanten Damen" ausgestattet. Auf diesem Hintergrund war Deutsch seine erste Fremdsprache, später auf dem Gymnasium kamen Latein und Griechisch hinzu. In Smoland erwarb er sich die schwedischen Sprachkenntnisse zur Übersetzung der Lieder und Episteln Carl Michael Bellmans, doch blieb Grasshoff zeitlebens dem Rotwelsch der Hausierer und Halunken und seinem Quedlinburger Dialekt treu. Aus dieser linguistischen Mischpoke entwickelte sich seine komplexe und erdige Sprachkraft, hier fand er seine absonderlichen Motive, die schrägen Figuren, seinen schwarzen Humor und den kauzigen Blick für die Wichtigkeit der Dinge, die nicht selten im Kleinen und Alltäglichen zu finden sind.
Ab 1938 musste Grasshoff zum Militär, das einen entschiedenen Pazifisten aus ihm machte.
Grasshoff: "Ich...sollte den Kopf herhalten, um die Idee des x, die Fabrik des y, den Großgrundbesitz des z zu verteidigen, nur weil wir die gleiche Sprache sprechen würden. Dabei sprachen wir in Wirklichkeit gar nicht die gleiche Sprache!"
Fritz Grasshoff, 1995 in Hudson, Kanada
Foto: Wolfgang Ries
"Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise."
Grasshoff war eine Doppelbegabung. 1945, noch in Kriegsgefangenschaft, veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband. 1947 erschien seine berühmte, pralle HALUNKENPOSTILLE, eine Lyrik für den Hausgebrauch, die eine Gesamtauflage von über 300 000 Exemplaren erreichte. Zeitsynchron hatte er als bildender Künstler unter anderem Ausstellungen in renommierten Museen in Hannover, Duisburg, Hamburg oder Lübeck. Insgesamt umfasst sein poetisches Werk circa 20 Bücher. Leben konnte er weder vom Dichten noch vom Malen. Die "feine Kunst", so Grasshoff, war "der Kuchen". "Brot und Butter" brachte das Texten von Schlagern. Zu seinen Interpreten gehörten Hans Albers, Lale Anderson, Freddy Quinn, Ralf Bendix und Wolfgang Neuss. Sein berühmtester Text, eine Art Überlebensgarantie, war der Song: "Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise."
Der unruhige, querköpfige Grasshoff, der lieber hart zwischen den Stühlen saß als in den weichen Sesseln der Kunstagenturen, wanderte mit 70 Jahren nach Kanada aus, wo er noch 13 Jahre dichten und malen konnte. Am Goethe-Institut in Montreal und in der Stuart Hall in Quebec hatte er, in Deutschland unbemerkt, seine letzten Ausstellungen. In Kanada entdeckte er allerdings ein neues HALUNKENPARADIES. Dass, was ihn zur Auswanderung aus Deutschland veranlasst hatte, war auch an den Ufern des Ottawa - Rivers vorhanden: Umweltzerstörung, soziale Ungerechtigkeit und reichlich Ellenbogenkapitalismus mit dem gierigen Griff nach Land, Wald und Bodenschätzen. 1997 starb Grasshoff im frankokanadischem Hudson.
Kunstgerecht war die Lesung von Petra Balven. Sie stellte in Deutschland unveröffentlichte Kurzprosa aus Grasshoffs Spätwerk TIERE IN HOSEN vor, ebenso aus dem GERUPFTEN KUNSTVOGEL einige Gedanken über den Kunstbetrieb: "Manch Maler malt auf der Palette bessere Bilder als auf der Leinwand... Die Kunst ist eine Insel, der des Robinson vergleichbar, fernab von allen Routen und nur per Schiffbruch erreichbar."
Kunstgerecht: Mathias Götze, Petra Balven, Georg Giesing
Foto: Ralf Balven
Nichts an Aktualität verloren
Der Spezialist für bissige und verruchte Songs, Mathias Götze, interpretierte einfühlsam, leidenschaftlich und gekonnt mit Akkordeon und Gitarre Grasshoffs schräge Lieder, so auch eine eigene Vertonung über Die Nächte der Kaiserin Messalina. Georg Giesing stellte pointenreiche Balladen vor, die trotz ihres nostalgischen Gewandes nichts an Aktualität verloren haben. Er erinnerte auch mit einem posthum erschienenen Gedicht des Dichters an die globale Dimension der Halunkenwelt.
Gefüllter Fisch
Wenn im Winter
das Eis ein Auto trägt
karren sie die bunten
Fischerbuden auf den Fluss
hocken sie darin
bei Rockmusik und Whisky
vor den schwarzen Wasserlöchern
ziehen aus der Tiefe sie
den gefüllten Fisch
ihren Sterbefisch
wie er oberhalb des Flusses
angerichtet wird
nach Rezepten
der Wissenschaft
in den hellerleuchteten Fabriken
Die "Hommage a Fritz Grasshoff" war eine gelungene Inszenierung, einfühlsam und gekonnt interpretiert, abwechslungsreich, humorvoll, manchmal frivol und immer nachdenklich. Ein lustvoller, literarischer Abend in einem stimmungsvollen Ambiente, zwischen Büchern und Wein, auf engstem Raum, mit direktem Kontakt zwischen Akteuren und Publikum. Die Besonderheit der Veranstaltung war die gelungenen Mischung aus Musik-, Lese- und Rezitationsvortrag, die beim Publikum Neugier auf mehr Grasshoff aufkommen ließ. Es war feine Kunst für die kleine Bühne!
Weitere Informationen über Fritz Grasshoff
www.muschelhaufen.de/grasshoff.html
Online-Flyer Nr. 20 vom 30.11.2005
Hommage an den Malerpoeten Fritz Grasshoff
"Zuerst war ich ein Kieselstein..."
Von Kurt Kleiber
Die Auftrittslegende des Kölner Trios Balven&Götze&Giesing verläuft jenseits des etablierten Kölner Literatur- und Lesebetriebs: Literaturcafes, Buchläden, Antiquariate, Weinhandlungen oder, im GULLIVER, dem Kölner Überlebenstreffpunkt für Obdachlose
Auch die "Musikalisch-literarische HALUNKENREVUE - Zuerst war ich ein Kieselstein" in der Mülheimer Bücherstube, setzte die literarischen Aktivitäten des Trios fort. Die Zuhörer saßen dicht gedrängt und zum Greifen nahe, der letzte Stuhl war besetzt, ein Zurücklehnen war kaum möglich.
Vorgestellt und gewürdigt wurde die freche und deftige Dichtung des Malerpoeten Fritz Grasshoff, von dem auch einige Bilder in den Beständen des Wallraf-Richartz-Museums schlummern. Mit Gesang, Rezitation, Erzählungen und Kurzlesungen ging des Kölner Trio auf das Leben und Werk des humorvoll-skurrilen und kritischen Dichters ein.
Zeitlebens dem Quedlinburger Dialekt treu
Grasshoff wurde 1913 in Quedlinburg geboren. Sein Vater war Seemann, der wieder "an Land gegangen war" und sich dort erfolglos als Kohlenhändler, Samen- und Schweinezüchter versucht hatte. Grasshoffs Jugend verlief zunächst zwischen Koksbergen und Bumslokalen. Sein Milieu war reichlich mit schrägen Typen, Bettelmusikanten, Zug- und Galgenvögeln und "galanten Damen" ausgestattet. Auf diesem Hintergrund war Deutsch seine erste Fremdsprache, später auf dem Gymnasium kamen Latein und Griechisch hinzu. In Smoland erwarb er sich die schwedischen Sprachkenntnisse zur Übersetzung der Lieder und Episteln Carl Michael Bellmans, doch blieb Grasshoff zeitlebens dem Rotwelsch der Hausierer und Halunken und seinem Quedlinburger Dialekt treu. Aus dieser linguistischen Mischpoke entwickelte sich seine komplexe und erdige Sprachkraft, hier fand er seine absonderlichen Motive, die schrägen Figuren, seinen schwarzen Humor und den kauzigen Blick für die Wichtigkeit der Dinge, die nicht selten im Kleinen und Alltäglichen zu finden sind.
Ab 1938 musste Grasshoff zum Militär, das einen entschiedenen Pazifisten aus ihm machte.
Grasshoff: "Ich...sollte den Kopf herhalten, um die Idee des x, die Fabrik des y, den Großgrundbesitz des z zu verteidigen, nur weil wir die gleiche Sprache sprechen würden. Dabei sprachen wir in Wirklichkeit gar nicht die gleiche Sprache!"
Fritz Grasshoff, 1995 in Hudson, Kanada
Foto: Wolfgang Ries
"Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise."
Grasshoff war eine Doppelbegabung. 1945, noch in Kriegsgefangenschaft, veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband. 1947 erschien seine berühmte, pralle HALUNKENPOSTILLE, eine Lyrik für den Hausgebrauch, die eine Gesamtauflage von über 300 000 Exemplaren erreichte. Zeitsynchron hatte er als bildender Künstler unter anderem Ausstellungen in renommierten Museen in Hannover, Duisburg, Hamburg oder Lübeck. Insgesamt umfasst sein poetisches Werk circa 20 Bücher. Leben konnte er weder vom Dichten noch vom Malen. Die "feine Kunst", so Grasshoff, war "der Kuchen". "Brot und Butter" brachte das Texten von Schlagern. Zu seinen Interpreten gehörten Hans Albers, Lale Anderson, Freddy Quinn, Ralf Bendix und Wolfgang Neuss. Sein berühmtester Text, eine Art Überlebensgarantie, war der Song: "Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise."
Der unruhige, querköpfige Grasshoff, der lieber hart zwischen den Stühlen saß als in den weichen Sesseln der Kunstagenturen, wanderte mit 70 Jahren nach Kanada aus, wo er noch 13 Jahre dichten und malen konnte. Am Goethe-Institut in Montreal und in der Stuart Hall in Quebec hatte er, in Deutschland unbemerkt, seine letzten Ausstellungen. In Kanada entdeckte er allerdings ein neues HALUNKENPARADIES. Dass, was ihn zur Auswanderung aus Deutschland veranlasst hatte, war auch an den Ufern des Ottawa - Rivers vorhanden: Umweltzerstörung, soziale Ungerechtigkeit und reichlich Ellenbogenkapitalismus mit dem gierigen Griff nach Land, Wald und Bodenschätzen. 1997 starb Grasshoff im frankokanadischem Hudson.
Kunstgerecht war die Lesung von Petra Balven. Sie stellte in Deutschland unveröffentlichte Kurzprosa aus Grasshoffs Spätwerk TIERE IN HOSEN vor, ebenso aus dem GERUPFTEN KUNSTVOGEL einige Gedanken über den Kunstbetrieb: "Manch Maler malt auf der Palette bessere Bilder als auf der Leinwand... Die Kunst ist eine Insel, der des Robinson vergleichbar, fernab von allen Routen und nur per Schiffbruch erreichbar."
Kunstgerecht: Mathias Götze, Petra Balven, Georg Giesing
Foto: Ralf Balven
Nichts an Aktualität verloren
Der Spezialist für bissige und verruchte Songs, Mathias Götze, interpretierte einfühlsam, leidenschaftlich und gekonnt mit Akkordeon und Gitarre Grasshoffs schräge Lieder, so auch eine eigene Vertonung über Die Nächte der Kaiserin Messalina. Georg Giesing stellte pointenreiche Balladen vor, die trotz ihres nostalgischen Gewandes nichts an Aktualität verloren haben. Er erinnerte auch mit einem posthum erschienenen Gedicht des Dichters an die globale Dimension der Halunkenwelt.
Gefüllter Fisch
Wenn im Winter
das Eis ein Auto trägt
karren sie die bunten
Fischerbuden auf den Fluss
hocken sie darin
bei Rockmusik und Whisky
vor den schwarzen Wasserlöchern
ziehen aus der Tiefe sie
den gefüllten Fisch
ihren Sterbefisch
wie er oberhalb des Flusses
angerichtet wird
nach Rezepten
der Wissenschaft
in den hellerleuchteten Fabriken
Die "Hommage a Fritz Grasshoff" war eine gelungene Inszenierung, einfühlsam und gekonnt interpretiert, abwechslungsreich, humorvoll, manchmal frivol und immer nachdenklich. Ein lustvoller, literarischer Abend in einem stimmungsvollen Ambiente, zwischen Büchern und Wein, auf engstem Raum, mit direktem Kontakt zwischen Akteuren und Publikum. Die Besonderheit der Veranstaltung war die gelungenen Mischung aus Musik-, Lese- und Rezitationsvortrag, die beim Publikum Neugier auf mehr Grasshoff aufkommen ließ. Es war feine Kunst für die kleine Bühne!
Weitere Informationen über Fritz Grasshoff
www.muschelhaufen.de/grasshoff.html
Online-Flyer Nr. 20 vom 30.11.2005