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Deutsch-französischer Wettlauf im Nahen Osten
25 Kilometer vor Damaskus
Von Hans Georg
Die syrische Führung habe "sehr unkonstruktive Signale" ausgesandt, umschrieb die deutsche Bundeskanzlerin die enttäuschten Erwartungen der Berliner Nahost-Politik, nach denen das Land einen kontrollierten Regimewechsel zu absolvieren hat. Trotz mehrfacher Zurückweisung des deutschen Grenzabenteuers kündigt die Bundeskanzlerin "Ausbildungshilfen" sowie "Ausrüstung von Zoll und Polizei" für libanesische Kontrollen an der syrischen Grenze an. Chirac erwiderte, dass das Damaszener Regime "keinesfalls Vertrauen" [1] einflöße, und bezog sich auf Widerstände gegen Wirtschaftsinteressen Frankreichs. Paris verfügt im Libanon über erheblichen Einfluss, den es seiner Kolonialgeschichte verdankt [2], musste aber in den vergangenen Jahren syrische Konkurrenz hinnehmen. Dieser Verdrängungswettbewerb, bei dem es um die Kontrolle libanesischer Rohstofflieferanten, neuerer High-Tech-Unternehmen und deren Gesamtverwaltung geht [3], ist der Hintergrund zahlreicher Gewaltverbrechen. Als Urheber des kürzlichen Bombenanschlags auf den libanesischen Ministerpräsidenten Hariri verdächtigen sich Paris und Damaskus wechselseitig.
Beziehungen zu Syrien
Mit der jetzt angekündigten Übernahme des militärischen Oberkommandos über die ausländischen Besatzungstruppen besteht Paris auf seiner unveränderten Präsenz an der Grenze zu Syrien und klärt die Rangfolge der EU-Kernmächte. Demnach gebührt Frankreich die Rolle der Gesamtführung, während Berlin die Seestreitmacht vor der libanesischen Küste überlassen wird: Kleinere Truppenbeisteller stehen unter deutscher Oberaufsicht. Diese Aufgabenteilung entspricht dem Selbstverständnis der französischen Außenpolitik, aber lässt Berliner Eigeninteressen unberücksichtigt. Sie betreffen Syrien und mittelbar den Iran.
Die Beziehungen zu Syrien hätten sich "belebt", schrieb das Auswärtige Amt vor dem jüngsten Libanon-Krieg [4] und bestätigt die seit Jahren dichter werdenden Regierungskontakte. Anders als französische Wirtschaftskreise sehen sich deutsche Investoren von der syrischen Libanon-Konkurrenz nicht bedroht; statt der in Paris dominierenden Vorbehalte herrschen in Berlin Kooperationswünsche vor. Wie die deutsche Bundeskanzlerin am vergangenen Freitag bestätigte, erfreut sich das offizielle Deutschland kontinuierlicher "Kontakte" [5] zu Damaskus, die jedoch noch "nicht (...) auf jeder Ebene" funktionsfähig sind.
Zusammenarbeit der Geheimdienste
Außerordentlich erfolgreich gestaltet sich die Zusammenarbeit der Geheimdienste beider Länder. Ungeachtet fragwürdiger Zustände in syrischen Gefängnissen und einer Gerichtsbarkeit osmanischen Zuschnitts pflegen das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) und die deutsche Auslandsspionage (BND) ertragreiche Beziehungen zu verwandten Stellen in Damaskus - ihre Foltermethoden sind notorisch.[6] Dieser Art von Kontaktpflege galten auch Gruppenreisen deutscher Parlamentarier, die für Geheimdienstbelange in die syrische Hauptstadt eingeflogen wurden.
Aber trotz vertrauensbildender Maßnahmen auf unteren Ebenen sowie mehrfacher "Berater"-Tätigkeiten deutscher Spezialisten in syrischen Ministerien [7] kommt die Öffnung der syrischen Wirtschaft für deutsche Firmen nur schwer in Gang. Strittig ist das Ausmaß der Übernahme ganzer Wirtschaftszweige durch ausländische Interessenten, die der syrische Herrschaftsverband unter Kontrolle halten will, um den eigenen Besitzstand zu wahren. Nach Auffassung der "Heinrich-Böll-Stiftung, Regionalbüro Mittlerer Osten" handelt es sich bei diesem Besitzstand um "privat kontrollierte Monopole" syrischer Eigner mit "persönlichen Beziehungen zur Spitze der Machtpyramide".[8] Die "Öffnung" Syriens hänge davon ab, "in welchem Umfang" die syrische Eigentumskontrolle gehalten werden könne - allerdings "unter veränderten Bedingungen", umschreibt die Stiftung die Übernahmeansprüche europäischer Wirtschaftskreise.
Böll-Stiftung: "Staatsstreich"
Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Truppenstationierung im Libanon sandte die deutsche Bundeskanzlerin der syrischen Führung jetzt deutliche Signale, die Damaskus zu beschleunigten Verhandlungen auffordern. "In welchem Zustand ist Syrien heute? Was kann man erwarten, was kann man nicht erwarten?", formulierte Frau Merkel bei einer Pressekonferenz in Paris [9] und stellte der syrischen Führung die "Chance für eine vernünftige Entwicklung" in Aussicht. Gemeint sind eine beschränkte Beteiligung an westlichen Ordnungsbemühungen in der Region ("Broader Middle East") sowie lokale Eigentumsgarantien.
Sollten diese Lockungen nicht helfen, hält Berlin mehrere Optionen bereit. "Fast unausweichlich" scheint dem Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, "der Sturz des Regimes durch einen Militärcoup" [10], sollten "Reformen" und "Liberalisierung" nicht sofort beginnen. Ähnliche Überlegungen beschäftigen auch die Heinrich-Böll-Stiftung, die sich über "Szenarien" [11] beim Regimewechsel Gedanken macht. Dabei erwähnt die Stiftung, eine Vorfeldorganisation der deutschen Außenpolitik, auch die Möglichkeit eines "Staatsstreich(s) aus dem Militär oder eine 'Palastrevolution' aus dem unmittelbaren Umfeld des Regimes".
Solche Vorankündigungen mahnen Damaskus zur Vorsicht. Die Verlegung deutscher Einheiten an die syrische Grenze könnte entsprechende Versuche befördern - nach Damaskus sind es nur 25 Kilometer. Ausländische Stationierungen werden deswegen als "feindlicher Akt" angesehen [12], ließ der syrische Staatspräsident in der vergangenen Woche verlauten. In Kenntnis dieser Warnung kündigte die Bundeskanzlerin "technische Hilfe und auch Ausrüstungshilfe" an - zwecks "Ertüchtigung der libanesischen Polizei" an der syrischen Grenze. Sie fügte herausfordernd hinzu: "Das wird auch Syrien akzeptieren."[13] Die Ankündigung stellt einen diplomatischen Affront dar, dessen militärischer Hintergrund zu weiteren Spannungen im Nahen Osten führt.
[1] Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac in Paris, 25.08.2006
[2] Der Libanon war von 1920 bis 1941 französisches Mandatsgebiet.
[3] s. dazu Kriegserklärung, Der Ermittler und Der Weg nach Damaskus
[4] Beziehungen zwischen Syrien und Deutschland; Länder- und Reiseinformationen des Auswärtigen Amts
[5] Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac in Paris, 25.08.2006
[6] s. dazu Wo ist Haydar Zammar?, Zurück blieben Tote
und Größte Gefährdungen
[7] Es handelt sich um die Ministerien für Wasser und Tourismus.
[8] Heinrich-Böll-Stiftung: Politischer Jahresbericht Mittlerer Osten;
Beirut 2005/2006
[9] Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac in Paris, 25.08.2006
[10] Syria: It's all over, but it could be messy;
International Herald Tribune 05.10.2005
[11] Heinrich-Böll-Stiftung: Politischer Jahresbericht Mittlerer Osten;
Beirut 2005/2006
[12] Libanon stationiert Truppen entlang der Grenze zu Syrien;
Der Standard 24.08.2006
[13] Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac in Paris, 25.08.2006
www.german-foreign-policy.com
Online-Flyer Nr. 59 vom 29.08.2006
Deutsch-französischer Wettlauf im Nahen Osten
25 Kilometer vor Damaskus
Von Hans Georg
Die syrische Führung habe "sehr unkonstruktive Signale" ausgesandt, umschrieb die deutsche Bundeskanzlerin die enttäuschten Erwartungen der Berliner Nahost-Politik, nach denen das Land einen kontrollierten Regimewechsel zu absolvieren hat. Trotz mehrfacher Zurückweisung des deutschen Grenzabenteuers kündigt die Bundeskanzlerin "Ausbildungshilfen" sowie "Ausrüstung von Zoll und Polizei" für libanesische Kontrollen an der syrischen Grenze an. Chirac erwiderte, dass das Damaszener Regime "keinesfalls Vertrauen" [1] einflöße, und bezog sich auf Widerstände gegen Wirtschaftsinteressen Frankreichs. Paris verfügt im Libanon über erheblichen Einfluss, den es seiner Kolonialgeschichte verdankt [2], musste aber in den vergangenen Jahren syrische Konkurrenz hinnehmen. Dieser Verdrängungswettbewerb, bei dem es um die Kontrolle libanesischer Rohstofflieferanten, neuerer High-Tech-Unternehmen und deren Gesamtverwaltung geht [3], ist der Hintergrund zahlreicher Gewaltverbrechen. Als Urheber des kürzlichen Bombenanschlags auf den libanesischen Ministerpräsidenten Hariri verdächtigen sich Paris und Damaskus wechselseitig.
Beziehungen zu Syrien
Mit der jetzt angekündigten Übernahme des militärischen Oberkommandos über die ausländischen Besatzungstruppen besteht Paris auf seiner unveränderten Präsenz an der Grenze zu Syrien und klärt die Rangfolge der EU-Kernmächte. Demnach gebührt Frankreich die Rolle der Gesamtführung, während Berlin die Seestreitmacht vor der libanesischen Küste überlassen wird: Kleinere Truppenbeisteller stehen unter deutscher Oberaufsicht. Diese Aufgabenteilung entspricht dem Selbstverständnis der französischen Außenpolitik, aber lässt Berliner Eigeninteressen unberücksichtigt. Sie betreffen Syrien und mittelbar den Iran.
Die Beziehungen zu Syrien hätten sich "belebt", schrieb das Auswärtige Amt vor dem jüngsten Libanon-Krieg [4] und bestätigt die seit Jahren dichter werdenden Regierungskontakte. Anders als französische Wirtschaftskreise sehen sich deutsche Investoren von der syrischen Libanon-Konkurrenz nicht bedroht; statt der in Paris dominierenden Vorbehalte herrschen in Berlin Kooperationswünsche vor. Wie die deutsche Bundeskanzlerin am vergangenen Freitag bestätigte, erfreut sich das offizielle Deutschland kontinuierlicher "Kontakte" [5] zu Damaskus, die jedoch noch "nicht (...) auf jeder Ebene" funktionsfähig sind.
Zusammenarbeit der Geheimdienste
Außerordentlich erfolgreich gestaltet sich die Zusammenarbeit der Geheimdienste beider Länder. Ungeachtet fragwürdiger Zustände in syrischen Gefängnissen und einer Gerichtsbarkeit osmanischen Zuschnitts pflegen das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) und die deutsche Auslandsspionage (BND) ertragreiche Beziehungen zu verwandten Stellen in Damaskus - ihre Foltermethoden sind notorisch.[6] Dieser Art von Kontaktpflege galten auch Gruppenreisen deutscher Parlamentarier, die für Geheimdienstbelange in die syrische Hauptstadt eingeflogen wurden.
Aber trotz vertrauensbildender Maßnahmen auf unteren Ebenen sowie mehrfacher "Berater"-Tätigkeiten deutscher Spezialisten in syrischen Ministerien [7] kommt die Öffnung der syrischen Wirtschaft für deutsche Firmen nur schwer in Gang. Strittig ist das Ausmaß der Übernahme ganzer Wirtschaftszweige durch ausländische Interessenten, die der syrische Herrschaftsverband unter Kontrolle halten will, um den eigenen Besitzstand zu wahren. Nach Auffassung der "Heinrich-Böll-Stiftung, Regionalbüro Mittlerer Osten" handelt es sich bei diesem Besitzstand um "privat kontrollierte Monopole" syrischer Eigner mit "persönlichen Beziehungen zur Spitze der Machtpyramide".[8] Die "Öffnung" Syriens hänge davon ab, "in welchem Umfang" die syrische Eigentumskontrolle gehalten werden könne - allerdings "unter veränderten Bedingungen", umschreibt die Stiftung die Übernahmeansprüche europäischer Wirtschaftskreise.
Böll-Stiftung: "Staatsstreich"
Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Truppenstationierung im Libanon sandte die deutsche Bundeskanzlerin der syrischen Führung jetzt deutliche Signale, die Damaskus zu beschleunigten Verhandlungen auffordern. "In welchem Zustand ist Syrien heute? Was kann man erwarten, was kann man nicht erwarten?", formulierte Frau Merkel bei einer Pressekonferenz in Paris [9] und stellte der syrischen Führung die "Chance für eine vernünftige Entwicklung" in Aussicht. Gemeint sind eine beschränkte Beteiligung an westlichen Ordnungsbemühungen in der Region ("Broader Middle East") sowie lokale Eigentumsgarantien.
Sollten diese Lockungen nicht helfen, hält Berlin mehrere Optionen bereit. "Fast unausweichlich" scheint dem Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, "der Sturz des Regimes durch einen Militärcoup" [10], sollten "Reformen" und "Liberalisierung" nicht sofort beginnen. Ähnliche Überlegungen beschäftigen auch die Heinrich-Böll-Stiftung, die sich über "Szenarien" [11] beim Regimewechsel Gedanken macht. Dabei erwähnt die Stiftung, eine Vorfeldorganisation der deutschen Außenpolitik, auch die Möglichkeit eines "Staatsstreich(s) aus dem Militär oder eine 'Palastrevolution' aus dem unmittelbaren Umfeld des Regimes".
Solche Vorankündigungen mahnen Damaskus zur Vorsicht. Die Verlegung deutscher Einheiten an die syrische Grenze könnte entsprechende Versuche befördern - nach Damaskus sind es nur 25 Kilometer. Ausländische Stationierungen werden deswegen als "feindlicher Akt" angesehen [12], ließ der syrische Staatspräsident in der vergangenen Woche verlauten. In Kenntnis dieser Warnung kündigte die Bundeskanzlerin "technische Hilfe und auch Ausrüstungshilfe" an - zwecks "Ertüchtigung der libanesischen Polizei" an der syrischen Grenze. Sie fügte herausfordernd hinzu: "Das wird auch Syrien akzeptieren."[13] Die Ankündigung stellt einen diplomatischen Affront dar, dessen militärischer Hintergrund zu weiteren Spannungen im Nahen Osten führt.
[1] Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac in Paris, 25.08.2006
[2] Der Libanon war von 1920 bis 1941 französisches Mandatsgebiet.
[3] s. dazu Kriegserklärung, Der Ermittler und Der Weg nach Damaskus
[4] Beziehungen zwischen Syrien und Deutschland; Länder- und Reiseinformationen des Auswärtigen Amts
[5] Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac in Paris, 25.08.2006
[6] s. dazu Wo ist Haydar Zammar?, Zurück blieben Tote
und Größte Gefährdungen
[7] Es handelt sich um die Ministerien für Wasser und Tourismus.
[8] Heinrich-Böll-Stiftung: Politischer Jahresbericht Mittlerer Osten;
Beirut 2005/2006
[9] Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac in Paris, 25.08.2006
[10] Syria: It's all over, but it could be messy;
International Herald Tribune 05.10.2005
[11] Heinrich-Böll-Stiftung: Politischer Jahresbericht Mittlerer Osten;
Beirut 2005/2006
[12] Libanon stationiert Truppen entlang der Grenze zu Syrien;
Der Standard 24.08.2006
[13] Pressekonferenz
Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Chirac in Paris, 25.08.2006
www.german-foreign-policy.com
Online-Flyer Nr. 59 vom 29.08.2006














