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Entscheidung gegen Schriftsteller Jürgen Grässlin zugunsten DaimlerChrysler
"Schertz" des Berliner Landgerichts
Von Peter Kleinert
Wie die NRhZ in ihrer Ausgabe 38 berichtete, hatte sich Grässlin am 16. April 2006 bei DaimlerChrysler zusätzlich unbeliebt gemacht, als er in der Hauptversammlung des Konzerns als Sprecher der Kritischen Aktionäre den Antrag stellte, die Vorstandsmitglieder der AG nicht zu entlasten. Einer der Gründe: Laut Grässlin hatte der Vorstand es "auch im Geschäftsjahr 2005 versäumt, die Anteile am europäischen Rüstungsriesen European Aeronautic Defence and Space Company (EADS N.V.) abzustoßen oder die Umstellung auf eine rein zivile Fertigung (Rüstungskonversion) in die Wege zu leiten." Dabei sei Daimler/EADS neben der Produktion von Kampfbombern, Militärhubschraubern und Trägersystemen für Atomwaffen über Beteiligungen auch in die Produktion von Streubomben, Streumunition bzw. Streumunitionswerfern involviert." (Siehe www.landmine.de).
Nach dem Gerichtstermin in Berlin bezeichnete Jürgen Grässlin "die unzureichende Berücksichtigung der Frage der freien Meinungsäußerung", vor allem aber die Nichtvernehmung der von ihm benannten neun Zeugen als "schwerwiegenden Fehler des Gerichts". Diese Zeugen hätten seine Vorwürfe gegen den Konzern und dessen Führungsspitze "als wahr belegen können". Auch Grässlins Rechtsanwalt Holger Rothbauer stellte fest, das Landgericht wäre "gehalten gewesen, aufgrund des schriftlichen Vortrages Zeugen zu vernehmen" und kündigte an, Rechtsmittel einzulegen und in die Berufung zu gehen. "Vor dem Kammergericht Berlin steht dann die Zeugenvernehmung an, die das Landgericht versäumt hat", sagte Grässlin. Er sehe dann aber gute Chancen, "die Wahrheit über die aktiven Verwicklungen von Mercedes-Managern und -Händlern in Graumarktgeschäfte beweisen zu können.« DaimlerChrysler streitet derlei Verwicklungen ab.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Prozessbeobachter zeigten sich vor allem über das Verhalten der angeblich von Terminen überlasteten Landgerichtskammer gegenüber DaimlerChrysler-Anwalt Christian Schertz verwundert. Einerseits hatten die Richter am 31. August ihre Verhandlungen im Halbstundentakt terminiert, andererseits hatten sie ausgerechnet auf den zu spät kommenden RA Schertz 13 Minuten über den festgelegten 11 Uhr-Termin hinaus gewartet. Nachdem dieser nach seinem Eintreffen im Gerichtssaal behauptet hatte, er habe 15 Minuten an einer Ampel warten müssen, wurde die Verhandlung durchgezogen. Ein zweiter Verhandlungstermin mit der von RA Rothbauer beantragten Zeugenvernehmung war ihnen dagegen offensichtlich zu viel der Arbeit.
Anscheinend ebenfalls Schertzens Berliner Kanzlei zuliebe, so vermuten Prozessbeobachter, hatte das Gericht Grässlins Rechtsanwalt Holger Rothbauer schon zu Prozessbeginn klar gemacht, dass ein Antrag auf Wahl eines anderen Gerichtsstands keine Aussicht auf Erfolg habe, obwohl Grässlin in Freiburg wohnt und seine angeblich falschen Aussagen über den Konzern in einem Fernsehinterview in Freiburg stattgefunden hatten. Bekanntlich haben auch DaimlerChrysler und Zetsche ihren Sitz in Stuttgart und nicht in Berlin. Trotzdem, so die Kammer, dürfe sich der Konzern nach aktueller Rechtssprechung den ihm genehmen Gerichtsstand in Deutschland - in diesem Fall also Rechtsanwalt Schertzens Kanzlei-Ort Berlin - aussuchen. Die Sendung des ARD-Kulturmagazins "titel thesen temperamente", in der Grässlin die untersagten Äußerungen traf, habe ja in ganz Deutschland empfangen werden können - so die rechtliche Begründung für den Verhandlungsort Berlin.
Über Methoden und Erfolge bei "anwaltsindustrieller Markterschließung" durch eben diese Berliner Anwaltskanzlei Schertz Bergmann hatte sich kürzlich Professor Hans See, Gründer und Vorsitzender der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control e.V. in der zweiten geschwärzten Auflage des Buches "Der Bankier" von Werner Rügemer geäußert (Siehe NRhZ 58). Wie im Fall Grässlin/DaimlerChrysler hatte sich nämlich auch in der Auseinandersetzung zwischen dem Kölner Autor Rügemer und dem Kölner Bankhaus Oppenheim das Berliner Landgericht für die Verhandlung über die von der Oppenheim-Bank gegen Rügemer beantragte einstweilige Verfügung für zuständig erklärt und eine Schwärzung von Texten in dem "Ungebetenen Nachruf auf Alfred Freiherr von
Oppenheim" beschlossen. Anwalt des Kölner Bankhauses ist - wen wunderts? - das Anwaltsbüro Schertz Bergmann.
Daß die NRhZ, die über derlei auffällige Erscheinungen bei der Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit durch die Berliner Justiz kontinuierlich berichtete, dafür inzwischen auf Betreiben des Anwaltsbüros Schertz Bergmann vom Berliner Landgericht ebenfalls eine einstweilige Verfügung erhielt und nun mit Klage bedroht wird, sei hier nur am Rande erwähnt. Zu erwarten ist allerdings auch in unserem Fall, dass das Berliner Landgericht als erste Instanz wieder für die Klientel von Schertz Bergmann - diesmal ist das Schertz Bergmann selbst - und gegen Presse- und Meinungsfreiheit entscheiden wird. Für den ersten Gang des Verfahrens hat die Kanzlei Schertz Bergmann schon mal eine Rechnung in der "Angelegenheit" Schertz
Bergmann gegen Kleinert geschrieben. Über 997,37 Euro. Schnell verdientes Geld? Mal seh'n, wie's danach weiter geht.
Mehr zu DaimlerChrysler im Interview mit Jürgen Grässlin "Staatsanwaltschaft müsste tätig werden".
Online-Flyer Nr. 60 vom 05.09.2006
Entscheidung gegen Schriftsteller Jürgen Grässlin zugunsten DaimlerChrysler
"Schertz" des Berliner Landgerichts
Von Peter Kleinert
Wie die NRhZ in ihrer Ausgabe 38 berichtete, hatte sich Grässlin am 16. April 2006 bei DaimlerChrysler zusätzlich unbeliebt gemacht, als er in der Hauptversammlung des Konzerns als Sprecher der Kritischen Aktionäre den Antrag stellte, die Vorstandsmitglieder der AG nicht zu entlasten. Einer der Gründe: Laut Grässlin hatte der Vorstand es "auch im Geschäftsjahr 2005 versäumt, die Anteile am europäischen Rüstungsriesen European Aeronautic Defence and Space Company (EADS N.V.) abzustoßen oder die Umstellung auf eine rein zivile Fertigung (Rüstungskonversion) in die Wege zu leiten." Dabei sei Daimler/EADS neben der Produktion von Kampfbombern, Militärhubschraubern und Trägersystemen für Atomwaffen über Beteiligungen auch in die Produktion von Streubomben, Streumunition bzw. Streumunitionswerfern involviert." (Siehe www.landmine.de).
Nach dem Gerichtstermin in Berlin bezeichnete Jürgen Grässlin "die unzureichende Berücksichtigung der Frage der freien Meinungsäußerung", vor allem aber die Nichtvernehmung der von ihm benannten neun Zeugen als "schwerwiegenden Fehler des Gerichts". Diese Zeugen hätten seine Vorwürfe gegen den Konzern und dessen Führungsspitze "als wahr belegen können". Auch Grässlins Rechtsanwalt Holger Rothbauer stellte fest, das Landgericht wäre "gehalten gewesen, aufgrund des schriftlichen Vortrages Zeugen zu vernehmen" und kündigte an, Rechtsmittel einzulegen und in die Berufung zu gehen. "Vor dem Kammergericht Berlin steht dann die Zeugenvernehmung an, die das Landgericht versäumt hat", sagte Grässlin. Er sehe dann aber gute Chancen, "die Wahrheit über die aktiven Verwicklungen von Mercedes-Managern und -Händlern in Graumarktgeschäfte beweisen zu können.« DaimlerChrysler streitet derlei Verwicklungen ab.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Prozessbeobachter zeigten sich vor allem über das Verhalten der angeblich von Terminen überlasteten Landgerichtskammer gegenüber DaimlerChrysler-Anwalt Christian Schertz verwundert. Einerseits hatten die Richter am 31. August ihre Verhandlungen im Halbstundentakt terminiert, andererseits hatten sie ausgerechnet auf den zu spät kommenden RA Schertz 13 Minuten über den festgelegten 11 Uhr-Termin hinaus gewartet. Nachdem dieser nach seinem Eintreffen im Gerichtssaal behauptet hatte, er habe 15 Minuten an einer Ampel warten müssen, wurde die Verhandlung durchgezogen. Ein zweiter Verhandlungstermin mit der von RA Rothbauer beantragten Zeugenvernehmung war ihnen dagegen offensichtlich zu viel der Arbeit.
Anscheinend ebenfalls Schertzens Berliner Kanzlei zuliebe, so vermuten Prozessbeobachter, hatte das Gericht Grässlins Rechtsanwalt Holger Rothbauer schon zu Prozessbeginn klar gemacht, dass ein Antrag auf Wahl eines anderen Gerichtsstands keine Aussicht auf Erfolg habe, obwohl Grässlin in Freiburg wohnt und seine angeblich falschen Aussagen über den Konzern in einem Fernsehinterview in Freiburg stattgefunden hatten. Bekanntlich haben auch DaimlerChrysler und Zetsche ihren Sitz in Stuttgart und nicht in Berlin. Trotzdem, so die Kammer, dürfe sich der Konzern nach aktueller Rechtssprechung den ihm genehmen Gerichtsstand in Deutschland - in diesem Fall also Rechtsanwalt Schertzens Kanzlei-Ort Berlin - aussuchen. Die Sendung des ARD-Kulturmagazins "titel thesen temperamente", in der Grässlin die untersagten Äußerungen traf, habe ja in ganz Deutschland empfangen werden können - so die rechtliche Begründung für den Verhandlungsort Berlin.
Über Methoden und Erfolge bei "anwaltsindustrieller Markterschließung" durch eben diese Berliner Anwaltskanzlei Schertz Bergmann hatte sich kürzlich Professor Hans See, Gründer und Vorsitzender der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Business Crime Control e.V. in der zweiten geschwärzten Auflage des Buches "Der Bankier" von Werner Rügemer geäußert (Siehe NRhZ 58). Wie im Fall Grässlin/DaimlerChrysler hatte sich nämlich auch in der Auseinandersetzung zwischen dem Kölner Autor Rügemer und dem Kölner Bankhaus Oppenheim das Berliner Landgericht für die Verhandlung über die von der Oppenheim-Bank gegen Rügemer beantragte einstweilige Verfügung für zuständig erklärt und eine Schwärzung von Texten in dem "Ungebetenen Nachruf auf Alfred Freiherr von
Oppenheim" beschlossen. Anwalt des Kölner Bankhauses ist - wen wunderts? - das Anwaltsbüro Schertz Bergmann.
Daß die NRhZ, die über derlei auffällige Erscheinungen bei der Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit durch die Berliner Justiz kontinuierlich berichtete, dafür inzwischen auf Betreiben des Anwaltsbüros Schertz Bergmann vom Berliner Landgericht ebenfalls eine einstweilige Verfügung erhielt und nun mit Klage bedroht wird, sei hier nur am Rande erwähnt. Zu erwarten ist allerdings auch in unserem Fall, dass das Berliner Landgericht als erste Instanz wieder für die Klientel von Schertz Bergmann - diesmal ist das Schertz Bergmann selbst - und gegen Presse- und Meinungsfreiheit entscheiden wird. Für den ersten Gang des Verfahrens hat die Kanzlei Schertz Bergmann schon mal eine Rechnung in der "Angelegenheit" Schertz
Bergmann gegen Kleinert geschrieben. Über 997,37 Euro. Schnell verdientes Geld? Mal seh'n, wie's danach weiter geht.
Mehr zu DaimlerChrysler im Interview mit Jürgen Grässlin "Staatsanwaltschaft müsste tätig werden".
Online-Flyer Nr. 60 vom 05.09.2006