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Kultur und Wissen
Bernd Drücke über gelebte Utopie im 21. Jahrhundert.
"ja! Anarchismus"
Von Jochen Knoblauch
Das Buch enthält 17 Interviews bzw. Gespräche und einen Nachruf auf Marie-Christine Mikhailo, sowie von ihr einen kleinen, anrührenden Artikel über das Altwerden mit den unterschiedlichsten AktivistInnen der libertären Szene. Und selbst, wenn von denen einige verneinen, dass es in Deutschland derzeit eine anarchistische Bewegung gibt, so lässt dieses Buch ganz entschieden die Hoffnung zu, dass eine gelebte Utopie möglich ist, dass wir keineswegs nur in unseren kleinen Verbänden vor uns hinwurschteln, sondern dass an allen Ecken und Enden der Republik umtriebige Menschen leben und eben nicht nur die Hände in den Schoß legen.
Eingeteilt ist das Buch in fünf Kapitel mit den Überschriften: Anarchismus und Kultur (Film, Musik, Literatur, Kabarett), Anarchistische Medien und Verlage (Ed. Nautilus, Karin Kramer Verlag und Wolfgang Haug über den Trotzdem Verlag und die Zeitschrift Schwarzer Faden), Gewaltfreier Anarchismus und Graswurzelrevolution (mit Gesprächen von AktivistInnen, incl. einem Interview anlässlich der 300. Ausgabe der Graswurzelrevolution mit Bernd Drücke), Anarchafeminismus und soziale Revolution (Marianne Enckell von CIRA, Monika Grosche von der FAU sowie der Ex-Stadtguerillera Ilse Schwipper) und Gelebte Utopie (u.a. mit Horst Stowasser und Uwe Kurzbein zum Thema Kommunen).
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Interview-Bände haben natürlich mitunter das Problem dass der/die LeserIn an der einen oder anderen Stelle das Gefühl bekommt, dass die Fragen nicht ausreichend beantwortet werden, und es bleiben zwangsläufig Fragen offen. Auf der anderen Seite kommt diese Form der inhaltlichen Übermittlung wesentlich authentischer und lockerer rüber, als etwa Aufsätze zu den jeweiligen Themen.
Die Gespräche und Interviews erschienen alle bereits in der Graswurzelrevolution, was allerdings selbst die LeserInnenschaft dieser Zeitung von dem Kauf des Buches nicht abhalten sollte, da die meisten Beiträge für dieses Buch nochmals überarbeitet wurden, und hier in kompakter Form wirklich zu einer Bereicherung für die Ideenlandschaft von anarchistischem Gedankengut beitragen.
Was mich persönlich freut, ist die Tatsache, dass der Herausgeber noch vor kurzem von einen "Altherren-Anarchismus" im Zusammenhang mit einem 2002 erschienen Sammelband sprach, in dem überwiegend Männer jenseits der 50iger Jahre geschrieben hatten. Das war zwar vom damaligen Herausgeber nicht so geplant war, aber... In seinem Buch jetzt sind von den insgesamt 24 InterviewpartnerInnen 15 ebenfalls über 50 Jahre alt. Dies scheint mir aber ein guter Generationenmix zu sein, und der These zu widersprechen, dass Anarchismus ein reines Jugendphänomen ist. Die Möglichkeit, in der Anarchie, bzw. in der Bewegung auch alt zu werden, empfinde ich als beruhigend. Es ist eben nie zu spät, aus dem bestehenden System auszusteigen und in ein (soweit wie möglich) herrschaftsfreies Leben einzusteigen. Hier sind die Utopien - natürlich auch mit Rückschlägen etc. - dokumentiert, und sie machen Mut. Eine wahrlich positive Werbung für ein selbst bestimmtes Leben.
Die angehängte zehnseitige Bibliographie scheint mir etwas wahllos zu sein (die Privatbibliothek des Herausgebers?), bietet aber trotz der Lücken einen guten Überblick und genügend Anregung für NeueinsteigerInnen. Und da Bernd Drücke weiterhin für die Graswurzelrevolution Interviews und Gespräche führt, können wir uns sicher in absehbarer Zeit auf einen Nachfolgeband freuen.
Bernd Drücke (Hg.); ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche. Karin Kramer Verlag Berlin 2006 / Abb. / 280 S. / 19,80 EUR
Aus Contraste Nr. 264, Monatszeitung für Selbstverwaltung, September 2006
Online-Flyer Nr. 60 vom 05.09.2006
Bernd Drücke über gelebte Utopie im 21. Jahrhundert.
"ja! Anarchismus"
Von Jochen Knoblauch
Das Buch enthält 17 Interviews bzw. Gespräche und einen Nachruf auf Marie-Christine Mikhailo, sowie von ihr einen kleinen, anrührenden Artikel über das Altwerden mit den unterschiedlichsten AktivistInnen der libertären Szene. Und selbst, wenn von denen einige verneinen, dass es in Deutschland derzeit eine anarchistische Bewegung gibt, so lässt dieses Buch ganz entschieden die Hoffnung zu, dass eine gelebte Utopie möglich ist, dass wir keineswegs nur in unseren kleinen Verbänden vor uns hinwurschteln, sondern dass an allen Ecken und Enden der Republik umtriebige Menschen leben und eben nicht nur die Hände in den Schoß legen.
Eingeteilt ist das Buch in fünf Kapitel mit den Überschriften: Anarchismus und Kultur (Film, Musik, Literatur, Kabarett), Anarchistische Medien und Verlage (Ed. Nautilus, Karin Kramer Verlag und Wolfgang Haug über den Trotzdem Verlag und die Zeitschrift Schwarzer Faden), Gewaltfreier Anarchismus und Graswurzelrevolution (mit Gesprächen von AktivistInnen, incl. einem Interview anlässlich der 300. Ausgabe der Graswurzelrevolution mit Bernd Drücke), Anarchafeminismus und soziale Revolution (Marianne Enckell von CIRA, Monika Grosche von der FAU sowie der Ex-Stadtguerillera Ilse Schwipper) und Gelebte Utopie (u.a. mit Horst Stowasser und Uwe Kurzbein zum Thema Kommunen).
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Interview-Bände haben natürlich mitunter das Problem dass der/die LeserIn an der einen oder anderen Stelle das Gefühl bekommt, dass die Fragen nicht ausreichend beantwortet werden, und es bleiben zwangsläufig Fragen offen. Auf der anderen Seite kommt diese Form der inhaltlichen Übermittlung wesentlich authentischer und lockerer rüber, als etwa Aufsätze zu den jeweiligen Themen.
Die Gespräche und Interviews erschienen alle bereits in der Graswurzelrevolution, was allerdings selbst die LeserInnenschaft dieser Zeitung von dem Kauf des Buches nicht abhalten sollte, da die meisten Beiträge für dieses Buch nochmals überarbeitet wurden, und hier in kompakter Form wirklich zu einer Bereicherung für die Ideenlandschaft von anarchistischem Gedankengut beitragen.
Was mich persönlich freut, ist die Tatsache, dass der Herausgeber noch vor kurzem von einen "Altherren-Anarchismus" im Zusammenhang mit einem 2002 erschienen Sammelband sprach, in dem überwiegend Männer jenseits der 50iger Jahre geschrieben hatten. Das war zwar vom damaligen Herausgeber nicht so geplant war, aber... In seinem Buch jetzt sind von den insgesamt 24 InterviewpartnerInnen 15 ebenfalls über 50 Jahre alt. Dies scheint mir aber ein guter Generationenmix zu sein, und der These zu widersprechen, dass Anarchismus ein reines Jugendphänomen ist. Die Möglichkeit, in der Anarchie, bzw. in der Bewegung auch alt zu werden, empfinde ich als beruhigend. Es ist eben nie zu spät, aus dem bestehenden System auszusteigen und in ein (soweit wie möglich) herrschaftsfreies Leben einzusteigen. Hier sind die Utopien - natürlich auch mit Rückschlägen etc. - dokumentiert, und sie machen Mut. Eine wahrlich positive Werbung für ein selbst bestimmtes Leben.
Die angehängte zehnseitige Bibliographie scheint mir etwas wahllos zu sein (die Privatbibliothek des Herausgebers?), bietet aber trotz der Lücken einen guten Überblick und genügend Anregung für NeueinsteigerInnen. Und da Bernd Drücke weiterhin für die Graswurzelrevolution Interviews und Gespräche führt, können wir uns sicher in absehbarer Zeit auf einen Nachfolgeband freuen.
Bernd Drücke (Hg.); ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche. Karin Kramer Verlag Berlin 2006 / Abb. / 280 S. / 19,80 EUR
Aus Contraste Nr. 264, Monatszeitung für Selbstverwaltung, September 2006
Online-Flyer Nr. 60 vom 05.09.2006