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Literatur
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge XIII
"Niemandsland"
Von Wolfgang Bittner
Trüffel, auch Tuber melanosporum, eine zur Gattung der Schlauchpilze gehörende kartoffelähnliche Frucht, deren Hauptverbreitungs-gebiete heute in Frankreich und Italien liegen. Gebraten oder gekocht, aber auch als Zutat von Pasteten, Fleischspeisen, Suppen und Soßen, sind sie eine Delikatesse. Das Kilogramm kostet 1.500 Mark und mehr. Geschätzt an den Höfen des hohen Adels, wurden die unterirdisch wachsenden Knollen früher von fachkundigen Jägern mit besonders dressierten Trüffelhunden gesammelt. Auch Schweine dienten der Suche, da der Pilz ihrem Sexualhormon ähnelnde Duftstoffe enthält. Daß noch bis Ende des vergangenen Jahrhunderts Trüffel in Thüringen, Baden und in der Gegend von Hannover gesammelt wurden, ist heute kaum mehr bekannt.
Nachdem Gerold bei einem Antiquar auf ein altes Buch der Trüffeljägerei gestoßen war, hat er sich aus dem Tierheim einen Hund geholt, den richtet er ab. Ein Stück Trüffel, für viel Geld beim Delikatessenhändler erstanden, wird im Zimmer oder im Wald versteckt. Der Hund bekommt erst zu fressen, wenn er das Stückgefunden hat. »Es klappt hervorragend«, freut sich Gerold, »in einigen Wochen werde ich anfangen und das Geschäft meines Lebens machen.« Drei Monate intensive Arbeit im Jahr, aber ein Verdienst, der sich sehen lassen kann. So stellt er sich das vor. Er geht davon aus, daß der Pilz in den heimischen Wäldern immer noch verbreitet ist und nur nicht mehr gesucht wird. Es spricht tatsächlich einiges für seine Annahme. Denn warum sollten die Trüffel, die es vorher hier gab, plötzlich verschwunden sein.
Inzwischen hat sich Gerold eine kleine Bibliothek zu diesem Thema zusammengekauft und dafür das zurückgelegte Urlaubsgeld verwendet. »Ohne mich zu fragen«, beschwert sich Helga. »Er ist einfach zur Bank gegangen und hat, was er brauchte, von unserem gemeinsamen Konto abgehoben.« An Einnahmen, so sagt Helga, verfügten sie in letzter Zeit ohnehin nur noch über ihren monatlichen Arbeitsverdienst als Laborantin. »Und alles für seinen Trüffel Spleen.« Sie halte das für geradezu kriminell, ein erneuter schwerwiegender Vertrauensbruch. »Nun hör´ doch endlich auf damit!« fährt Gerold sie an. »Die Sache ist ja wohl wichtiger, als zum Wandern nach Österreich zu fahren. Dazu hätte ich sowieso keine Lust und auch gar keine Zeit.«
Gerold berichtet: Um 1880 verdiente ein Revierförster im Hannoverschen etwa 40 Reichstaler im Monat, was 120 Mark entsprach. Ein vierpfündiges Roggenbrot kostete damals 50 Pfennige, ein Kilogramm Trüffel fünf bis zehn Reichstaler. Es soll seiner Zeit Sammler gegeben haben, die das kostbare Gewächs, obwohl oberirdisch nichts davon zu sehen ist, nur mit Hilfe ihrer Augen ebenso sicher wie Hund oder Schwein aufzuspüren verstanden. Das klingt unwahrscheinlich, wird aber verständlich, wenn man weiß, daß der Pilz in Nachbarschaft zu bestimmten Pflanzen zu finden ist und sein Myzel mit den Wurzeln besonders von Eichen und Buchen eine von den Biologen Mykorrhiza genannte Lebensgemeinschaft bildet. Man müsse sich genauestens vorbereiten, erklärt Gerold, Lebensbedingungen, Bodenarten und Pflanzenwuchs studieren, sich mit den verschiedenen Waldkräutern vertraut machen. Zum Beispiel habe er schon herausgefunden, daß kalkhaltige Böden bevorzugte Standorte seien, was wiederum eine wichtige Eingrenzung bedeute. Auch der Hund solle sich sehr anstellig zeigen.
Helga sitzt daneben und schüttelt von Zeit zu Zeit ihren Kopf. »Wieder so eine Schnapsidee«, sagt sie, als Gerold in den Keller geht, um eine Flasche Wein zu holen. »Er entwickelt sich immer mehr zu einem kaum noch genießbaren Egozentriker und Thekenstrategen. Ganze Nächte lang hockt er in der Kneipe, wirft das Geld zum Fenster hinaus und hält seinen Saufkumpanen hochtrabende Vorträge. Du müßtest das mal erleben!«
Ich vermag ihr nicht zuzustimmen. »Er ist ganz begeistert und scheint seiner Sache sicher«, gebe ich zu bedenken.
»Vor zwei Jahren«, erwidert sie, »war es naturreiner Qualitätswein, vor einem Jahr antike Keramik, jetzt sind es Pilze. Jedes Jahr etwas Neues, immer solcher Firlefanz, und jedesmal gibt er unser letztes Geld dafür aus.« Sie überlege, fügt sie hinzu, ob sie sich nicht von Gerold trennen solle, weil es so für sie nicht mehr weitergehe, sie könne das einfach nicht mehr verkraften. Diese Exzentrik und Selbstsucht, dieses Sichauslebenwollen auf Kosten anderer Menschen, eine Unduldsamkeit und Rücksichtslosigkeit, die keine Grenzen kenne. Ein ins Auge fallendes Beispiel: Wenn sich ein normaler Mensch etwas merken wolle, mache er sich manchmal einen Knoten ins Taschentuch - Gerold dagegen mache in solchen Fällen einen Knoten in die Gardine. Sie zeigt auf die Fenster, und ich bemerke einen dicken Knoten in einem der Seitenschals.
Der Alkoholismus, eine Krankheit psychischen Ursprungs. Das wird mir immer klarer. »Wo hast du wieder den Wein versteckt?« schreit Gerold aufgebracht, mit leeren Händen aus dem Keller kommend. Er ist ganz rot im Gesicht und sieht aus, als wolle er sich jeden Augenblick auf sie stürzen. Der Trüffelhund, eine Brackenart, schießt aus seinem Korb in der Ecke hervor und fängt wie wild an zu bellen. »Schnauze!« brüllt Gerold ihn mit überschnappender Stimme an. »Marsch, auf deinen Platz!« Der Hund zieht sich mit eingezogenem Schwanz zurück.
»Was geht mich dein Wein an«, sagt Helga. »Ich habe es dir schon ein paarmal gesagt: Sauf dich ruhig tot, dann bin ich dich endlich los.«
Eine Frau wie sie finde er jeden Tag wieder, schreit Gerold, nur nicht so einen Wein. »Ein 87er Kerner Kabinett, noch dazu trockener Qualitätswein mit Prädikat, der ist unersetzbar!«
Helga steht auf und geht in die Küche, während Gerold eine Schnapsflasche hinter dem Fernseher hervorholt und uns einschenkt. »Prost«, sagt er, »auf die Trüffeljägerei.«
Er überlege, erklärt er mir mit fast denselben Worten, die ich von Helga gehört habe, ob er sich nicht von ihr trennen solle. Sie gehe ihm auf die Nerven, er könne so ein Zusammenleben nicht länger ertragen. »Sei froh, daß du sie hast«, wende ich ein, »schließlich lebst du von ihrem Geld.« Das gibt er zu. Aber ihre Nachlässigkeit in jeglicher Hinsicht sei unglaublich, dazu ihre Trampelhaftigkeit und die kleinbürgerliche primitive Art, schlampig bis dorthinaus, alles liege herum. Sie könne weder schmackhaft kochen noch einen Knopf so annähen, daß er wenigstens einige Tage halte. Eine typische Oberstudienratstochter, man brauche sich nur die Eltern anzusehen. Der Vater seit einigen Jahren pensioniert, die Mutter eine verfettete Matrone, die sich schwerhörig stelle, sobald der Mann in der Nähe sei, sonst jedoch ein überaus feines Gehör für Gespräche habe, die sie gar nichts angingen. Für ihn sei das auf die Dauer kein Verhältnis; gut, daß er Helga damals nicht geheiratet habe. Unterhalten könne man sich kaum mit ihr, wirklich geistreiche Gespräche seien unmöglich. Er leide regelrecht darunter, und dieses Gefühl verstärke sich von Monat zu Monat.
»So eine Beziehung hat immer ihre zwei Seiten«, sage ich.
»Ja, ja«, erwidert er. »Aber aus einer Flasche läßt sich keine Quelle machen. Was meinst du, was gestern wieder bei uns los war: Sie hat nämlich ausnahmsweise einmal gekocht. Das Gemüse versalzen und verpfeffert, die Kartoffeln zerfallen, der Braten angebrannt. Und die Küche sah hinterher aus, als habe eine Bombe eingeschlagen. Ich war heute den ganzen Vormittag damit beschäftigt, alles wieder sauber zu bekommen und in Ordnung zu bringen.«
Helga kommt mit zwei leeren Weinflaschen aus der Küche, sie zeigt auf die Etiketts. »Kerner Kabinett«, liest sie vor, »trockener Qualitätswein mit Prädikat. Die lagen draußen im Mülleimer.« Sie knallt die Flaschen auf den Tisch und geht wieder hinaus, die Tür hinter sich zuschlagend, daß der Putz von der Decke rieselt.
»Diesen Herbst muß ich noch überstehen«, sagt Gerold und holt tief Atem. »Wenn ich tatsächlich Trüffel finde, was ich als sicher annehme, höre ich zum Winter auf zu trinken. Das schwöre ich dir bei unserer Freundschaft.«
Unsere Freundschaft. Ich weiß nicht, ob ich mein Verhältnis zu Gerold, wie es sich in den letzten Monaten entwickelt hat, noch als Freundschaft bezeichnen kann. Manchmal kommt er angetrunken bei mir zur Tür herein, holt sich ohne viel Worte eine Flasche Bier aus dem Keller, setzt sich einen Moment hin, sagt ein paar belanglose Sätze, und geht mit der noch halbvollen Flasche wieder hinaus. Auch mein Bestand an Büchern, vor allem der antiquarisch erworbenen, hat merklich abgenommen. Und seine Schulden bei mir belaufen sich auf mehrere hundert Mark. Versuche ich ihn darauf anzusprechen oder überhaupt ein grundsätzliches Gespräch mit ihm über seine Lebensweise zu führen, reagiert er gereizt und unverschämt. Als sei man ein Statist und er der Regisseur. Ruth ist der Meinung, daß wir den Kontakt abbrechen sollten, aber ich kann mich nicht dazu entschließen.
Dieses Buch erschien erstmals 1992 im Forum Verlag Leipzig, im September 2000 neu aufgelegt im Allitera Verlag, München
Der Autor
Wolfgang Bittner, geboren 1941 in Gleiwitz, lebt als Schriftsteller in Köln. Er studierte Jura, Soziologie und Philosophie und promovierte 1972 zum Dr. jur. Bis 1974 ging er verschiedenen Tätigkeiten nach, u. a. als Fürsorgeangestellter, Verwaltungsbeamter und Rechtsanwalt. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko und Kanada. Er hat mehr als 50 Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder geschrieben, darunter die Romane »Marmelsteins Verwandlung«, »Die Fährte des Grauen Bären«, »Die Lachsfischer vom Yukon« und »Narrengold« sowie das Sachbuch »Beruf: Schriftsteller«. www.wolfgangbittner.de
Online-Flyer Nr. 61 vom 12.09.2006
Der Fortsetzungsroman in der NRhZ - Folge XIII
"Niemandsland"
Von Wolfgang Bittner
Trüffel, auch Tuber melanosporum, eine zur Gattung der Schlauchpilze gehörende kartoffelähnliche Frucht, deren Hauptverbreitungs-gebiete heute in Frankreich und Italien liegen. Gebraten oder gekocht, aber auch als Zutat von Pasteten, Fleischspeisen, Suppen und Soßen, sind sie eine Delikatesse. Das Kilogramm kostet 1.500 Mark und mehr. Geschätzt an den Höfen des hohen Adels, wurden die unterirdisch wachsenden Knollen früher von fachkundigen Jägern mit besonders dressierten Trüffelhunden gesammelt. Auch Schweine dienten der Suche, da der Pilz ihrem Sexualhormon ähnelnde Duftstoffe enthält. Daß noch bis Ende des vergangenen Jahrhunderts Trüffel in Thüringen, Baden und in der Gegend von Hannover gesammelt wurden, ist heute kaum mehr bekannt.
Nachdem Gerold bei einem Antiquar auf ein altes Buch der Trüffeljägerei gestoßen war, hat er sich aus dem Tierheim einen Hund geholt, den richtet er ab. Ein Stück Trüffel, für viel Geld beim Delikatessenhändler erstanden, wird im Zimmer oder im Wald versteckt. Der Hund bekommt erst zu fressen, wenn er das Stückgefunden hat. »Es klappt hervorragend«, freut sich Gerold, »in einigen Wochen werde ich anfangen und das Geschäft meines Lebens machen.« Drei Monate intensive Arbeit im Jahr, aber ein Verdienst, der sich sehen lassen kann. So stellt er sich das vor. Er geht davon aus, daß der Pilz in den heimischen Wäldern immer noch verbreitet ist und nur nicht mehr gesucht wird. Es spricht tatsächlich einiges für seine Annahme. Denn warum sollten die Trüffel, die es vorher hier gab, plötzlich verschwunden sein.
Inzwischen hat sich Gerold eine kleine Bibliothek zu diesem Thema zusammengekauft und dafür das zurückgelegte Urlaubsgeld verwendet. »Ohne mich zu fragen«, beschwert sich Helga. »Er ist einfach zur Bank gegangen und hat, was er brauchte, von unserem gemeinsamen Konto abgehoben.« An Einnahmen, so sagt Helga, verfügten sie in letzter Zeit ohnehin nur noch über ihren monatlichen Arbeitsverdienst als Laborantin. »Und alles für seinen Trüffel Spleen.« Sie halte das für geradezu kriminell, ein erneuter schwerwiegender Vertrauensbruch. »Nun hör´ doch endlich auf damit!« fährt Gerold sie an. »Die Sache ist ja wohl wichtiger, als zum Wandern nach Österreich zu fahren. Dazu hätte ich sowieso keine Lust und auch gar keine Zeit.«
Gerold berichtet: Um 1880 verdiente ein Revierförster im Hannoverschen etwa 40 Reichstaler im Monat, was 120 Mark entsprach. Ein vierpfündiges Roggenbrot kostete damals 50 Pfennige, ein Kilogramm Trüffel fünf bis zehn Reichstaler. Es soll seiner Zeit Sammler gegeben haben, die das kostbare Gewächs, obwohl oberirdisch nichts davon zu sehen ist, nur mit Hilfe ihrer Augen ebenso sicher wie Hund oder Schwein aufzuspüren verstanden. Das klingt unwahrscheinlich, wird aber verständlich, wenn man weiß, daß der Pilz in Nachbarschaft zu bestimmten Pflanzen zu finden ist und sein Myzel mit den Wurzeln besonders von Eichen und Buchen eine von den Biologen Mykorrhiza genannte Lebensgemeinschaft bildet. Man müsse sich genauestens vorbereiten, erklärt Gerold, Lebensbedingungen, Bodenarten und Pflanzenwuchs studieren, sich mit den verschiedenen Waldkräutern vertraut machen. Zum Beispiel habe er schon herausgefunden, daß kalkhaltige Böden bevorzugte Standorte seien, was wiederum eine wichtige Eingrenzung bedeute. Auch der Hund solle sich sehr anstellig zeigen.
Helga sitzt daneben und schüttelt von Zeit zu Zeit ihren Kopf. »Wieder so eine Schnapsidee«, sagt sie, als Gerold in den Keller geht, um eine Flasche Wein zu holen. »Er entwickelt sich immer mehr zu einem kaum noch genießbaren Egozentriker und Thekenstrategen. Ganze Nächte lang hockt er in der Kneipe, wirft das Geld zum Fenster hinaus und hält seinen Saufkumpanen hochtrabende Vorträge. Du müßtest das mal erleben!«
Ich vermag ihr nicht zuzustimmen. »Er ist ganz begeistert und scheint seiner Sache sicher«, gebe ich zu bedenken.
»Vor zwei Jahren«, erwidert sie, »war es naturreiner Qualitätswein, vor einem Jahr antike Keramik, jetzt sind es Pilze. Jedes Jahr etwas Neues, immer solcher Firlefanz, und jedesmal gibt er unser letztes Geld dafür aus.« Sie überlege, fügt sie hinzu, ob sie sich nicht von Gerold trennen solle, weil es so für sie nicht mehr weitergehe, sie könne das einfach nicht mehr verkraften. Diese Exzentrik und Selbstsucht, dieses Sichauslebenwollen auf Kosten anderer Menschen, eine Unduldsamkeit und Rücksichtslosigkeit, die keine Grenzen kenne. Ein ins Auge fallendes Beispiel: Wenn sich ein normaler Mensch etwas merken wolle, mache er sich manchmal einen Knoten ins Taschentuch - Gerold dagegen mache in solchen Fällen einen Knoten in die Gardine. Sie zeigt auf die Fenster, und ich bemerke einen dicken Knoten in einem der Seitenschals.
Der Alkoholismus, eine Krankheit psychischen Ursprungs. Das wird mir immer klarer. »Wo hast du wieder den Wein versteckt?« schreit Gerold aufgebracht, mit leeren Händen aus dem Keller kommend. Er ist ganz rot im Gesicht und sieht aus, als wolle er sich jeden Augenblick auf sie stürzen. Der Trüffelhund, eine Brackenart, schießt aus seinem Korb in der Ecke hervor und fängt wie wild an zu bellen. »Schnauze!« brüllt Gerold ihn mit überschnappender Stimme an. »Marsch, auf deinen Platz!« Der Hund zieht sich mit eingezogenem Schwanz zurück.
»Was geht mich dein Wein an«, sagt Helga. »Ich habe es dir schon ein paarmal gesagt: Sauf dich ruhig tot, dann bin ich dich endlich los.«
Eine Frau wie sie finde er jeden Tag wieder, schreit Gerold, nur nicht so einen Wein. »Ein 87er Kerner Kabinett, noch dazu trockener Qualitätswein mit Prädikat, der ist unersetzbar!«
Helga steht auf und geht in die Küche, während Gerold eine Schnapsflasche hinter dem Fernseher hervorholt und uns einschenkt. »Prost«, sagt er, »auf die Trüffeljägerei.«
Er überlege, erklärt er mir mit fast denselben Worten, die ich von Helga gehört habe, ob er sich nicht von ihr trennen solle. Sie gehe ihm auf die Nerven, er könne so ein Zusammenleben nicht länger ertragen. »Sei froh, daß du sie hast«, wende ich ein, »schließlich lebst du von ihrem Geld.« Das gibt er zu. Aber ihre Nachlässigkeit in jeglicher Hinsicht sei unglaublich, dazu ihre Trampelhaftigkeit und die kleinbürgerliche primitive Art, schlampig bis dorthinaus, alles liege herum. Sie könne weder schmackhaft kochen noch einen Knopf so annähen, daß er wenigstens einige Tage halte. Eine typische Oberstudienratstochter, man brauche sich nur die Eltern anzusehen. Der Vater seit einigen Jahren pensioniert, die Mutter eine verfettete Matrone, die sich schwerhörig stelle, sobald der Mann in der Nähe sei, sonst jedoch ein überaus feines Gehör für Gespräche habe, die sie gar nichts angingen. Für ihn sei das auf die Dauer kein Verhältnis; gut, daß er Helga damals nicht geheiratet habe. Unterhalten könne man sich kaum mit ihr, wirklich geistreiche Gespräche seien unmöglich. Er leide regelrecht darunter, und dieses Gefühl verstärke sich von Monat zu Monat.
»So eine Beziehung hat immer ihre zwei Seiten«, sage ich.
»Ja, ja«, erwidert er. »Aber aus einer Flasche läßt sich keine Quelle machen. Was meinst du, was gestern wieder bei uns los war: Sie hat nämlich ausnahmsweise einmal gekocht. Das Gemüse versalzen und verpfeffert, die Kartoffeln zerfallen, der Braten angebrannt. Und die Küche sah hinterher aus, als habe eine Bombe eingeschlagen. Ich war heute den ganzen Vormittag damit beschäftigt, alles wieder sauber zu bekommen und in Ordnung zu bringen.«
Helga kommt mit zwei leeren Weinflaschen aus der Küche, sie zeigt auf die Etiketts. »Kerner Kabinett«, liest sie vor, »trockener Qualitätswein mit Prädikat. Die lagen draußen im Mülleimer.« Sie knallt die Flaschen auf den Tisch und geht wieder hinaus, die Tür hinter sich zuschlagend, daß der Putz von der Decke rieselt.
»Diesen Herbst muß ich noch überstehen«, sagt Gerold und holt tief Atem. »Wenn ich tatsächlich Trüffel finde, was ich als sicher annehme, höre ich zum Winter auf zu trinken. Das schwöre ich dir bei unserer Freundschaft.«
Unsere Freundschaft. Ich weiß nicht, ob ich mein Verhältnis zu Gerold, wie es sich in den letzten Monaten entwickelt hat, noch als Freundschaft bezeichnen kann. Manchmal kommt er angetrunken bei mir zur Tür herein, holt sich ohne viel Worte eine Flasche Bier aus dem Keller, setzt sich einen Moment hin, sagt ein paar belanglose Sätze, und geht mit der noch halbvollen Flasche wieder hinaus. Auch mein Bestand an Büchern, vor allem der antiquarisch erworbenen, hat merklich abgenommen. Und seine Schulden bei mir belaufen sich auf mehrere hundert Mark. Versuche ich ihn darauf anzusprechen oder überhaupt ein grundsätzliches Gespräch mit ihm über seine Lebensweise zu führen, reagiert er gereizt und unverschämt. Als sei man ein Statist und er der Regisseur. Ruth ist der Meinung, daß wir den Kontakt abbrechen sollten, aber ich kann mich nicht dazu entschließen.
Dieses Buch erschien erstmals 1992 im Forum Verlag Leipzig, im September 2000 neu aufgelegt im Allitera Verlag, München
Der Autor
Wolfgang Bittner, geboren 1941 in Gleiwitz, lebt als Schriftsteller in Köln. Er studierte Jura, Soziologie und Philosophie und promovierte 1972 zum Dr. jur. Bis 1974 ging er verschiedenen Tätigkeiten nach, u. a. als Fürsorgeangestellter, Verwaltungsbeamter und Rechtsanwalt. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko und Kanada. Er hat mehr als 50 Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder geschrieben, darunter die Romane »Marmelsteins Verwandlung«, »Die Fährte des Grauen Bären«, »Die Lachsfischer vom Yukon« und »Narrengold« sowie das Sachbuch »Beruf: Schriftsteller«. www.wolfgangbittner.de
Online-Flyer Nr. 61 vom 12.09.2006