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Lokales
Interview mit Semra Idic - Tochter einer Roma-Familie
Abitur oder Abschiebung?
Von Peter Kleinert
Semra Idic - steht kurz vor dem Fachabitur
Frage: Ihre Eltern sind zusammen mit Ihnen 1989 aus Serbien nach Deutschland geflohen. Warum? Was waren die Gründe für die Flucht?
Semra: Ich war ja noch ein Säugling, erst 2 Monate alt. Daher kenne ich die Gründe nur aus der Erzählung. In Serbien herrschte Krieg. Unser Dorf Bujanovac liegt an der Grenze zu Albanien. Serben und Albaner haben sich gegenseitig umgebracht und wir Roma lebten in einem Ghetto mitten im Kriegsgebiet. Noch heute warnt das Auswärtige Amt vor illegalen Waffen und Gewalt.
Können Sie das Leben Ihrer Familie in Deutschland beschreiben, bevor Ihr Vater Vlasta und Ihre Mutter Resmi die Arbeitserlaubnis entzogen bekamen?
Ich will nicht beschönigen, aber: Wir hatten ein gutes, normales Leben. Einen Alltag, wie ihn die meisten hatten: Mein Vater hat beim Flughafen bei der Security gearbeitet, meine Mutter im Hotel. Wir hatten eine schöne Wohnung. Wir Mädchen gingen ganz normal zur Schule, mit guten Leistungen, mein Bruder Edijan in den Kindergarten. Wir hatten (und haben) viele Freundinnen und Freunde. Mein Vater war zudem noch Musiker, hat bei einer berühmten Fanfaren- und Bläsergruppe mitgespielt, in seinem (deutschen) Schützenverein und bei Hochzeiten.
Familie Idic - ohne den abgeschobenen Vater und die kranke 11-jährige Vesna
Fotos: Hubert Ostendorf
Mit welcher Begründung mußte Ihr Vater Deutschland verlassen, und was waren seine Erfahrungen in Bujanovac?
Seitdem Deutschland und Serbien ein Rahmenabkommen geschlossen hatten - ich weiß nicht wann genau das war - müssen Flüchtlinge aus Serbien Deutschland verlassen, weil angeblich die Lage wieder sicher ist. Mein Vater wurde einfach verhaftet und in ein Abschiebekrankenhaus gesteckt. Wir wollten ihn noch einmal sehen und ihm wenigstens Zigaretten bringen - aber das hat man uns verboten. Mein Vater war am Ende psychisch krank geworden. In Serbien wird er gar nicht angemessen behandelt. Wer kein Geld hat, kann auch nicht zum Arzt gehen und Roma schon gar nicht. Weil Papa 17 Jahre in Deutschland war, denken die Serben, er sei reich und helfen ihm gar nicht. Dabei ist er arm. Seine Behausung im Ghetto ist zerstört. Es gibt kein Wasser, keinen Strom, keine Heizung - und im Winter ist es bitter kalt dort, hat man mir gesagt. Ich war ja noch nie dort. Das Dach der Hütte besteht nur aus einer Plane, wie ich aus einem Film weiß, den der WDR darüber gedreht hat. "Da können Kinder nicht groß werden", hat Stadtdechant Monsignore Rolf Steinhäuser, der uns hilft, gesagt. Und das stimmt auch. In Serbien gibt es für uns Roma auch keine Arbeit. Wir Kinder können nicht zur Schule gehen, da wir kein Serbisch können und die kyrillische Schrift nicht beherrschen. Dabei könnte ich nächstes Jahr hier in Deutschland mein Fachabitur machen.
Sie, Ihre Geschwister und Ihre Mutter leben seit einigen Monaten im Kirchenasyl in Düsseldorf. Wie ist es gelungen, Sie auf diese Weise bis jetzt vor der drohenden Abschiebung zu bewahren?
Wir haben einen großen, sehr engagierten Unterstützerkreis, der aus über 1.000 Menschen, einzelnen Kirchengemeinden und den Spitzen der Katholischen und Evangelischen Kirche hier vor Ort besteht. Die Presse hat uns auch sehr geholfen. Aber ich weiß nicht, ob wir am Ende bleiben dürfen. Nur das zählt ja. Wir haben alle große Angst, können kaum noch schlafen, sind immer krank und weinen viel.
Unter welchen Bedingungen leben Sie heute? Müssen Sie weiter befürchten, wie Ihr Vater abgeschoben zu werden? Oder trifft die Meldung der Rheinischen Post vom 14.8. zu, daß Sie ein unbefristetes Aufenthaltsrecht bekommen werden, nachdem Ministerpräsident Rütgers Ihren Bruder Ediyan zufällig bei dessen Einschulung kennen gelernt hat.
Wir leben ständig in provisorischen Verhältnissen. Innerhalb kürzester Zeit sind wir nun schon vier Mal umgezogen, weil die Kirchengemeinden uns immer nur für begrenzte Zeit aufnehmen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nicht undankbar sein.
Ob der Einsatz von Ministerpräsident Dr. Rüttgers am Ende helfen wird, bleibt abzuwarten. Derzeit liegt die Sache beim Innenminister. Wir hoffen, dass er das Ausländeramt in Düsseldorf anweist, seinen gesetzlichen Ermessensspielraum auszuschöpfen und uns endlich ein Bleiberecht zu gewähren. Leider kann es aber auch sein, dass der Innenminister den Fall einfach nur an das Ausländeramt zurück gibt und unser "Fall" dann vom Verwaltungsgericht entschieden wird - Sie wissen ja, vor Gericht ist man wie auf hoher See, wie man so sagt, nämlich allein in Gottes Hand.
Am 22.9. werden wir mit den Unterstützern eine Demo machen. Die beginnt um 16 Uhr am Apollotheater. Wir werden am Ende dem Innenminister einen Offenen Brief übergeben und ihn darin bitten, sich für unser Bleiberecht einzusetzen. Das hat ihm ja auch der Ministerpräsident empfohlen, und daran wollen wir den Innenminister erinnern.
Online-Flyer Nr. 62 vom 19.09.2006
Interview mit Semra Idic - Tochter einer Roma-Familie
Abitur oder Abschiebung?
Von Peter Kleinert
Semra Idic - steht kurz vor dem Fachabitur
Frage: Ihre Eltern sind zusammen mit Ihnen 1989 aus Serbien nach Deutschland geflohen. Warum? Was waren die Gründe für die Flucht?
Semra: Ich war ja noch ein Säugling, erst 2 Monate alt. Daher kenne ich die Gründe nur aus der Erzählung. In Serbien herrschte Krieg. Unser Dorf Bujanovac liegt an der Grenze zu Albanien. Serben und Albaner haben sich gegenseitig umgebracht und wir Roma lebten in einem Ghetto mitten im Kriegsgebiet. Noch heute warnt das Auswärtige Amt vor illegalen Waffen und Gewalt.
Können Sie das Leben Ihrer Familie in Deutschland beschreiben, bevor Ihr Vater Vlasta und Ihre Mutter Resmi die Arbeitserlaubnis entzogen bekamen?
Ich will nicht beschönigen, aber: Wir hatten ein gutes, normales Leben. Einen Alltag, wie ihn die meisten hatten: Mein Vater hat beim Flughafen bei der Security gearbeitet, meine Mutter im Hotel. Wir hatten eine schöne Wohnung. Wir Mädchen gingen ganz normal zur Schule, mit guten Leistungen, mein Bruder Edijan in den Kindergarten. Wir hatten (und haben) viele Freundinnen und Freunde. Mein Vater war zudem noch Musiker, hat bei einer berühmten Fanfaren- und Bläsergruppe mitgespielt, in seinem (deutschen) Schützenverein und bei Hochzeiten.
Familie Idic - ohne den abgeschobenen Vater und die kranke 11-jährige Vesna
Fotos: Hubert Ostendorf
Mit welcher Begründung mußte Ihr Vater Deutschland verlassen, und was waren seine Erfahrungen in Bujanovac?
Seitdem Deutschland und Serbien ein Rahmenabkommen geschlossen hatten - ich weiß nicht wann genau das war - müssen Flüchtlinge aus Serbien Deutschland verlassen, weil angeblich die Lage wieder sicher ist. Mein Vater wurde einfach verhaftet und in ein Abschiebekrankenhaus gesteckt. Wir wollten ihn noch einmal sehen und ihm wenigstens Zigaretten bringen - aber das hat man uns verboten. Mein Vater war am Ende psychisch krank geworden. In Serbien wird er gar nicht angemessen behandelt. Wer kein Geld hat, kann auch nicht zum Arzt gehen und Roma schon gar nicht. Weil Papa 17 Jahre in Deutschland war, denken die Serben, er sei reich und helfen ihm gar nicht. Dabei ist er arm. Seine Behausung im Ghetto ist zerstört. Es gibt kein Wasser, keinen Strom, keine Heizung - und im Winter ist es bitter kalt dort, hat man mir gesagt. Ich war ja noch nie dort. Das Dach der Hütte besteht nur aus einer Plane, wie ich aus einem Film weiß, den der WDR darüber gedreht hat. "Da können Kinder nicht groß werden", hat Stadtdechant Monsignore Rolf Steinhäuser, der uns hilft, gesagt. Und das stimmt auch. In Serbien gibt es für uns Roma auch keine Arbeit. Wir Kinder können nicht zur Schule gehen, da wir kein Serbisch können und die kyrillische Schrift nicht beherrschen. Dabei könnte ich nächstes Jahr hier in Deutschland mein Fachabitur machen.
Sie, Ihre Geschwister und Ihre Mutter leben seit einigen Monaten im Kirchenasyl in Düsseldorf. Wie ist es gelungen, Sie auf diese Weise bis jetzt vor der drohenden Abschiebung zu bewahren?
Wir haben einen großen, sehr engagierten Unterstützerkreis, der aus über 1.000 Menschen, einzelnen Kirchengemeinden und den Spitzen der Katholischen und Evangelischen Kirche hier vor Ort besteht. Die Presse hat uns auch sehr geholfen. Aber ich weiß nicht, ob wir am Ende bleiben dürfen. Nur das zählt ja. Wir haben alle große Angst, können kaum noch schlafen, sind immer krank und weinen viel.
Unter welchen Bedingungen leben Sie heute? Müssen Sie weiter befürchten, wie Ihr Vater abgeschoben zu werden? Oder trifft die Meldung der Rheinischen Post vom 14.8. zu, daß Sie ein unbefristetes Aufenthaltsrecht bekommen werden, nachdem Ministerpräsident Rütgers Ihren Bruder Ediyan zufällig bei dessen Einschulung kennen gelernt hat.
Wir leben ständig in provisorischen Verhältnissen. Innerhalb kürzester Zeit sind wir nun schon vier Mal umgezogen, weil die Kirchengemeinden uns immer nur für begrenzte Zeit aufnehmen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nicht undankbar sein.
Ob der Einsatz von Ministerpräsident Dr. Rüttgers am Ende helfen wird, bleibt abzuwarten. Derzeit liegt die Sache beim Innenminister. Wir hoffen, dass er das Ausländeramt in Düsseldorf anweist, seinen gesetzlichen Ermessensspielraum auszuschöpfen und uns endlich ein Bleiberecht zu gewähren. Leider kann es aber auch sein, dass der Innenminister den Fall einfach nur an das Ausländeramt zurück gibt und unser "Fall" dann vom Verwaltungsgericht entschieden wird - Sie wissen ja, vor Gericht ist man wie auf hoher See, wie man so sagt, nämlich allein in Gottes Hand.
Am 22.9. werden wir mit den Unterstützern eine Demo machen. Die beginnt um 16 Uhr am Apollotheater. Wir werden am Ende dem Innenminister einen Offenen Brief übergeben und ihn darin bitten, sich für unser Bleiberecht einzusetzen. Das hat ihm ja auch der Ministerpräsident empfohlen, und daran wollen wir den Innenminister erinnern.
Online-Flyer Nr. 62 vom 19.09.2006