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Der Beginn der Arbeitslosenversicherung in Deutschland
Aus der Angst geboren
Von Albrecht Kieser
Zusammen mit ihrem Kaiser Wilhelm hatten sie den 1. Weltkrieg vom Zaun gebrochen, gut daran verdient und doch verloren. Und jetzt hatten sie auch noch die Revolution am Hals. Im November 1918 bildeten sich überall Arbeiter- und Soldatenräte, die vielerorts, z.B. in Hamburg, in Essen, Halle, Leipzig oder in Düsseldorf, sogar die Polizei entwaffneten und die alte kaiserliche Verwaltung absetzten.
Die Unternehmer mussten deshalb schnell handeln, wollten sie nicht wirklich hinweggefegt werden. Aber wie? Die Staatsmacht funktionierte nicht mehr, ein Generalstreik zeigte die Kraft der Revolution, durch die Hauptstadt Berlin fluteten Demonstranten, eroberten Post, Telegrafenamt, Polizeipräsidium und Rathaus. Der Kaiser floh ins Ausland, die Armee gehorchte ihrer Obersten Heeresleitung nicht mehr, anstatt auf die Demonstranten zu schießen, verbrüderten sich die Soldaten mit ihnen.
An der Spitze der Revolution aber gab es einen Mann, auf den Industrielle und Armeeführung sich stützen konnten. Friedrich Ebert, der von Reichskanzler Max von Baden im November 1918 die Regierungsgeschäfte übernahm. Der Führer der SPD hatte sich schon 1914 für Höheres empfohlen, als er die Zustimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten durchgesetzt hatte. Seit Mitte 1917 verhandelten Militär und Kaiser mit ihm, wie die heraufziehenden revolutionären Stimmungen im Griff zu halten seien. Doch dazu waren Zugeständnisse nötig. Deshalb erklärten sich die Unternehmerverbände bereit, die gewerkschaftliche Forderung nach dem 8-Stundentag zu erfüllen, jede Beschränkung der Koalitionsfreiheit aufzuheben und künftig Tarifverträge abzuschließen. Im Gegenzug vereinbarte Friedrich Ebert mit General Wilhelm Groener, dem Vertreter der Obersten Heeresleitung, ein gemeinsames, wenn nötig militärisches Vorgehen gegen die Revolution.
SPD-Mann Friedrich Ebert 1918 - Stütze der Unternehmer
Foto: NRhZ-Archiv
Vor diesem Hintergrund wurde am 13. November 1918, heute vor 88 Jahren, eine staatlich finanzierte Erwerbslosenfürsorge eingerichtet. Die "Verordnung über Erwerbslosenhilfe" war für viele seit Monaten aus dem Krieg zurückkehrende Soldaten überlebenswichtig. Denn zwar sollten sie nach dem Krieg an ihre alten Arbeitsplätze zurückkehren können. Aber das war angesichts der desolaten ökonomischen Situation nur selten möglich. Und so drohte aus dem Heer von Soldaten, die nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 zurückkehrten, ein für revolutionäre Ideen anfälliges Heer von Arbeitslosen zu werden.
Deshalb sollte jeder, der erwerbsfähig, aber ohne Beschäftigung und sonstiges Einkommen war, ein Anrecht auf staatliche Hilfe haben und nicht mehr von den oft willkürlich vergebenen Hilfsgeldern der kommunalen Armenfürsorge abhängig sein. Um die Unterstützung zu erhalten, mussten sich die Erwerbslosen an die kommunalen Fürsorgeausschüsse wenden, in denen neben Gewerkschaftsvertretern auch die Arbeitgeber saßen.
SPD-Mann Franz Müntefering - heute wie vor 88 Jahren
Foto: wikipedia
Dieses Verfahren widersprach der gewerkschaftlichen Forderung, die Auszahlung der Gelder allein zu regeln. So hatten es die Gewerkschaften seit Ende des 19. Jahrhunderts mit ihren eigenen Arbeitslosenkassen praktiziert. Zwar sollte der Staat diese Kassen unterstützen, doch die Gewerkschaften wollten sie weiterhin ohne staatliche Einmischung und vor allem ohne Unternehmensvertreter verwalten.
Schließlich waren die Unternehmerverbände bis dahin gegen jede soziale Fürsorge für Erwerbslose Sturm gelaufen, weil sie befürchteten, ihre Beschäftigten sonst nicht mehr nach Belieben heuern und feuern und gegeneinander ausspielen zu können. Nur aus Angst vor der Revolution stimmten sie der Einführung der Erwerbslosenfürsorge zu, bestanden aber darauf, in den kommunalen Vergabeausschüssen mitzuwirken, um dort für eine restriktive Auszahlung der Hilfsgelder sorgen zu können.
Das gelang ihnen auch: Ab 1923 erhielt nur noch Leistungen, wer eine mindestens 13-wöchige ununterbrochene Beschäftigung vor seiner Arbeitslosigkeit nachweisen konnte. Selbstständige und Freie Berufe wurden ganz aus der Erwerbslosenfürsorge ausgegliedert. Entscheidende Verschlechterung aber war: Erwerbslose wurden zu so genannter gemeinnütziger Arbeit gezwungen, wollten sie ihre Unterstützung nicht verlieren.
Ernsthaften Widerstand gegen diese Verschlechterungen gab es nicht mehr. Die SPD-geführte Regierung hatte die revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte schon im Januar 1919 zusammenschießen lassen. Und die Gewerkschaften waren zu politisch angepassten Sozialpartnern der Unternehmer geworden. So wie die Revolution die Erwerbslosenunterstützung hervorgebracht hatte, so legte die Übermacht der Rechten deren solidarische Zielsetzung schon fünf Jahre später wieder zu den Akten.
Gesendet in der WDR-Redaktion Zeitworte, Redaktion Elisabeth Müller
Online-Flyer Nr. 69 vom 07.11.2006
Der Beginn der Arbeitslosenversicherung in Deutschland
Aus der Angst geboren
Von Albrecht Kieser
Zusammen mit ihrem Kaiser Wilhelm hatten sie den 1. Weltkrieg vom Zaun gebrochen, gut daran verdient und doch verloren. Und jetzt hatten sie auch noch die Revolution am Hals. Im November 1918 bildeten sich überall Arbeiter- und Soldatenräte, die vielerorts, z.B. in Hamburg, in Essen, Halle, Leipzig oder in Düsseldorf, sogar die Polizei entwaffneten und die alte kaiserliche Verwaltung absetzten.
Die Unternehmer mussten deshalb schnell handeln, wollten sie nicht wirklich hinweggefegt werden. Aber wie? Die Staatsmacht funktionierte nicht mehr, ein Generalstreik zeigte die Kraft der Revolution, durch die Hauptstadt Berlin fluteten Demonstranten, eroberten Post, Telegrafenamt, Polizeipräsidium und Rathaus. Der Kaiser floh ins Ausland, die Armee gehorchte ihrer Obersten Heeresleitung nicht mehr, anstatt auf die Demonstranten zu schießen, verbrüderten sich die Soldaten mit ihnen.
An der Spitze der Revolution aber gab es einen Mann, auf den Industrielle und Armeeführung sich stützen konnten. Friedrich Ebert, der von Reichskanzler Max von Baden im November 1918 die Regierungsgeschäfte übernahm. Der Führer der SPD hatte sich schon 1914 für Höheres empfohlen, als er die Zustimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten durchgesetzt hatte. Seit Mitte 1917 verhandelten Militär und Kaiser mit ihm, wie die heraufziehenden revolutionären Stimmungen im Griff zu halten seien. Doch dazu waren Zugeständnisse nötig. Deshalb erklärten sich die Unternehmerverbände bereit, die gewerkschaftliche Forderung nach dem 8-Stundentag zu erfüllen, jede Beschränkung der Koalitionsfreiheit aufzuheben und künftig Tarifverträge abzuschließen. Im Gegenzug vereinbarte Friedrich Ebert mit General Wilhelm Groener, dem Vertreter der Obersten Heeresleitung, ein gemeinsames, wenn nötig militärisches Vorgehen gegen die Revolution.
SPD-Mann Friedrich Ebert 1918 - Stütze der Unternehmer
Foto: NRhZ-Archiv
Vor diesem Hintergrund wurde am 13. November 1918, heute vor 88 Jahren, eine staatlich finanzierte Erwerbslosenfürsorge eingerichtet. Die "Verordnung über Erwerbslosenhilfe" war für viele seit Monaten aus dem Krieg zurückkehrende Soldaten überlebenswichtig. Denn zwar sollten sie nach dem Krieg an ihre alten Arbeitsplätze zurückkehren können. Aber das war angesichts der desolaten ökonomischen Situation nur selten möglich. Und so drohte aus dem Heer von Soldaten, die nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 zurückkehrten, ein für revolutionäre Ideen anfälliges Heer von Arbeitslosen zu werden.
Deshalb sollte jeder, der erwerbsfähig, aber ohne Beschäftigung und sonstiges Einkommen war, ein Anrecht auf staatliche Hilfe haben und nicht mehr von den oft willkürlich vergebenen Hilfsgeldern der kommunalen Armenfürsorge abhängig sein. Um die Unterstützung zu erhalten, mussten sich die Erwerbslosen an die kommunalen Fürsorgeausschüsse wenden, in denen neben Gewerkschaftsvertretern auch die Arbeitgeber saßen.
SPD-Mann Franz Müntefering - heute wie vor 88 Jahren
Foto: wikipedia
Dieses Verfahren widersprach der gewerkschaftlichen Forderung, die Auszahlung der Gelder allein zu regeln. So hatten es die Gewerkschaften seit Ende des 19. Jahrhunderts mit ihren eigenen Arbeitslosenkassen praktiziert. Zwar sollte der Staat diese Kassen unterstützen, doch die Gewerkschaften wollten sie weiterhin ohne staatliche Einmischung und vor allem ohne Unternehmensvertreter verwalten.
Schließlich waren die Unternehmerverbände bis dahin gegen jede soziale Fürsorge für Erwerbslose Sturm gelaufen, weil sie befürchteten, ihre Beschäftigten sonst nicht mehr nach Belieben heuern und feuern und gegeneinander ausspielen zu können. Nur aus Angst vor der Revolution stimmten sie der Einführung der Erwerbslosenfürsorge zu, bestanden aber darauf, in den kommunalen Vergabeausschüssen mitzuwirken, um dort für eine restriktive Auszahlung der Hilfsgelder sorgen zu können.
Das gelang ihnen auch: Ab 1923 erhielt nur noch Leistungen, wer eine mindestens 13-wöchige ununterbrochene Beschäftigung vor seiner Arbeitslosigkeit nachweisen konnte. Selbstständige und Freie Berufe wurden ganz aus der Erwerbslosenfürsorge ausgegliedert. Entscheidende Verschlechterung aber war: Erwerbslose wurden zu so genannter gemeinnütziger Arbeit gezwungen, wollten sie ihre Unterstützung nicht verlieren.
Ernsthaften Widerstand gegen diese Verschlechterungen gab es nicht mehr. Die SPD-geführte Regierung hatte die revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte schon im Januar 1919 zusammenschießen lassen. Und die Gewerkschaften waren zu politisch angepassten Sozialpartnern der Unternehmer geworden. So wie die Revolution die Erwerbslosenunterstützung hervorgebracht hatte, so legte die Übermacht der Rechten deren solidarische Zielsetzung schon fünf Jahre später wieder zu den Akten.
Gesendet in der WDR-Redaktion Zeitworte, Redaktion Elisabeth Müller
Online-Flyer Nr. 69 vom 07.11.2006