SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Lokales
Kardinal Meisners Feldgottesdienst im Kölner Dom
In die Herzmitte gezielt
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Kardinal Meisner: Soldaten 'Herzspezialisten'
Foto: NRhZ-Archiv
Es ist wahrhaft eine „Gemeinschaft der Gläubigen“ so recht nach dem Herzen des Kardinals. Kölns OB Schramma gehört ebenso dazu wie der „Verteidigungs“-Minister Franz Josef Jung und der Generalinspekteur der Bundeswehr. Beflissene Presse darf photographieren, alle anderen haben draußen zu bleiben, insbesondere die etwa 50 Protestierenden, die sich auf dem Domvorplatz aufgestellt haben, von deren Reden und Gesängen im Dom allerdings kein Ton mehr zu hören ist. Um so ohrenbetäubender der liturgiefeste Quetschbariton direkt hinter uns, der an Rowan Atkinsons alias Mr. Beans Parodie lauten, falschen Kirchengesangs erinnert.
Die Kanzel als Bütt
In der Bütt: Meisner und Benedikt in dem vom WDR zensierten Kölner Stunksitzungs-Sketsch 2006
Foto: A. & W. Bartscher / dea-NewsInfo.Net
Hier gibts den unzensierten Clip der Stunker "Ratzi und Meisi" in der NRhZ
Doch die eigentliche Gratwanderung zwischen erhabenem Anspruch und unfreiwilliger Satire liefert, wie stets, der Hausherr persönlich ab. Wenn Kardinal Meisner das Wort ergreift, das er als das „Wort Gottes“ ausgibt, kann man sich regelmäßig auf blumige Sentenzen freuen, kann schiefe Vergleiche und halsbrecherische Gedankenkreisel bewundern. Diesem Großmeister der akrobatischen Kunst, die Welt nur mittels der Kraft des Glaubens von den Füßen auf den Kopf zu stellen, gelingt es regelmäßig, sein Publikum auf eine Geistreise zurück ins Mittelalter mitzunehmen, okkultistische Anklänge eingeschlossen. So verdanken wir dem Spiritisten Meisner die almanachreife Erkenntnis: „Alle guten und alle bösen Geister kommen in die Welt durch die Tür des menschlichen Herzens.“ Für den medizinischen Laien eine echte Novität: Von „Herzkammern“ hat man schon gehört, nicht jedoch von der „Herz-Tür“. Doch dürfen wir uns mit solchen kardiologischen Zweifelsfragen künftig vertrauensvoll an unsere Soldaten wenden. Denn die ernannte Kardinal Meisner dank göttlicher Ermächtigung gleich kollektiv zu „Herzspezialisten“.
Militär als moralische Heilanstalt
Es ist schon erstaunlich, welche „Qualifizierungsoffensive“ der Prediger des gottgefälligen Waffengewerbes den uniformierten Befehlsgebern und -empfängern Jahr um Jahr in seinen Predigten zuteil werden läßt. Waren sie letzthin noch „Brückenbauer“ in den Ländern, die sie, wie zum Beispiel Afghanistan, okkupieren, so sollen sie nun gleich das menschliche Herz verarzten. Wenn sie nicht gerade mit Totenschädeln Fußball spielen. Ob Meisner, zumindest was die Treffsicherheit angeht, dabei auch an die Scharfschützenausbildung der Bundeswehr, insbesondere der „mobilen Einsatzkräfte“, gedacht hat, mag offen bleiben. Wie immer man es auch verstehen will - und für die praktische militärische Anwendung seiner göttlich inspirierten Leitlinien läßt der Kardinal stets einen weiten Spielraum - im „Herzen des Menschen“ liegt ihm zufolge das natürliche „Einsatzfeld für den Frieden in der Welt“ - und damit nach Meisnerscher Logik für’s Militär. Denn das ist für ihn seit jeher jenseits jeglichen historischen oder aktuellen Zweifels mit der Herstellung von „Frieden“ identisch, wie er ihn jedenfalls in durchaus kirchenkatholischer Tradition versteht. Ein Frieden jenseits der Kirche oder auch nur in tolerierendem Zusammenleben mit anderen Glaubens- geschweige denn Unglaubenssystemen ist für den eifrigen Künder katholischen Absolutheitsanspruchs letztlich undenkbar. Konsequenterweise verbietet er ja auch, wie letzthin wieder, sogar die Harmlosigkeit sogenannter ökumenischer Gottesdienste.
Von Schafen und Böcken, Brüdern und Genossen
Sein legendäres Predigtzitat von 1997: „In betenden Händen ist die Waffe vor Mißbrauch sicher“ ist weithin als Rechtfertigung des wahrhaft verheerenden Bündnisses von Kreuz und Schwert verstanden und von gewissen Kritikastern geradezu als Verhöhnung der Millionen Opfer gottgesegneter Kriegs- und Kreuzzüge gegeißelt worden. Doch solch vorlaute Meckerer fallen wohl auch unter die gottvergessene Kategorie von Irregeleiteten, die für sich die Wahl getroffen haben, nicht etwa „Brüder in Christus“ sein zu wollen, sondern „Genossen im Antichrist“. Denn in diese klar getrennten Töpchen mit der Aufschrift „Gut“ und „Böse“ teilt sich laut Meisners anthropologischen Forschungsresultaten in seiner diesjährigen Soldatenpredigt die Menschheit auf: Entweder „Brüder in Christus“ oder „Genossen im Antichrist“.
Die schlimmste Teufelei in dieser Welt ist, das hämmert Meisner den gläubigen Köpfen unaufhörlich ein und unterstrich es dieses Jahr vor den Soldaten und Offizieren mit dem Verweis auf den „Genossen im Antichrist“ nochmals beschwörend, jeder Gedanke daran, die Verhältnisse auf Erden, zum Beispiel die bestehende Verteilung von Reichtum und Macht, in irgendeiner Weise ändern zu wollen. Mithin ist jedwede Art von „Sozialismus“ in Meisners Theologie der Gipfelpunkt des Satanismus.
Nur in einem möchte Meisner die Welt wohl verändern: Sie soll gefälligst kollektiv katholisch werden. „Gott“ solle herrschen statt irgendwelcher „Götter“, so der kardinale Einsatzbefehl anno 2007 an die auserlesene Phalanx der Gottesstreiter aus der bekannten Militärsekte NATO. Frieden auf Erden kann es nach der Lex Meisner, die in eleganterer Formulierung auch eine Lex Ratzinger ist, zum guten Ende nur unter katholischer, kirchlicher Dominanz geben. Eine Demokratie jedenfalls, die dem uneinsichtigen Menschen mit frevlerisch angemaßter „Toleranz“ gestattet, Glauben oder Unglauben als „Privatsache“ zu behandeln, ist Meisners Sache nicht und auch nicht die Sache, für die „unsere Soldaten“ gebetsgestärkt kämpfen sollen. Denn auch dies machte Meisner in seiner Predigt deutlich:
„Sind denn unsere europäischen Gesellschaften durch Säkularisierung stabiler geworden? Ganz im Gegenteil. In dem Maße, in dem man Gott zur Privatsache machte, haben unsere Gesellschaften in Europa an wirklicher Lebensqualität, an kulturellem Niveau und an geistiger Substanz verloren.“
Was aber wäre denn die Alternative zu "Gott als Privatsache"? Staatlich verordnete, für jeden bei Leib- und Lebensstrafen im Falle der Abweichung verbindliche Zwangsreligion, wie schon gehabt?
Weltvernichtung durch Aufklärung
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Vielleicht. Denn, Meisner zufolge, entstehen alle Probleme der heutigen Welt einschließlich der ökologischen aus der Entfernung von „Gott“, mithin von der katholischen Kirche: „Als man den Himmel ‚den Engeln und den Spatzen’ überließ, da fielen Welt und Menschen buchstäblich unter die Räuber.“ Natürlich tauchen in diesem kardinalen Geschichtszerrbild fromme Räubereien wie etwa Kreuzzüge, Conquista und Kolonialismus nicht auf. Und auch Begriffe wie „Kapitalismus“ oder „multinationale Konzerne“ hören wir von Meisner nicht im Zusammenhang mit seinen diffusen „Räubern“.
Davon abgesehen aber enthüllt dieses Zitat eine der manischen Fixierungen des wortgewaltigen Predigers. Hier hat der Kardinal nämlich mal wieder zu einem vernichtenden Schlag gegen einen der von ihm häufig exorzierten „Hauptteufel“ in seinem Klischee-Universum ausgeholt: Heinrich Heine, der eben den Himmel „den Engeln und den Spatzen“ überlassen und die Menschen zur Vernunft anleiten wollte, bevor er selbst wieder religiös regredierte. Andere Oberteufel sind z.B. Descartes mit seinem Vernunftsaxiom „Ich denke, also bin ich“ und natürlich Karl Marx („Religion ist das Opium des Volkes“) und erst recht Lenin („Religion ist Opium für’s Volk“). Letzteren zitierte Meisner ohne Namensnennung denn auch mit deutlichem Abscheu. Lenin war, so müssen wir mutmaßen, nicht nur ein übler Bolschewist, sondern auch ein Handlanger der Drogenmafia. Dem Bösen unermüdlich auf der Spur, ist Meisner nämlich aufgefallen, „dass der Mensch in dem Moment zur Droge griff, als man ihm den Glauben an den Himmel als ‚Opium für das Volk’ diffamiert hat.“
Das alte Kreuz von Kreuz und Schwert
20 Minuten Meisnersche Soldatenpredigt - da kann man den Dom nur mit dem Gefühl verlassen, einen geistigen Kreuzesweg absolviert zu haben. Die nicht nur punktuell absurde Weltsicht des Domherrn als kauzige Donquichotterien eines weltabgewandten religiösen „Fundis“ zu verharmlosen, wäre freilich zu kurz gegriffen. Denn bedenklich ist schon, daß diese sonderbare Einschwörung auf christlichen Kriegsdienst anläßlich eines katholischen „Weltfriedenstages“ nicht einfach im religiösen Sektierereckchen stattfindet, sondern unter Beteiligung höchster Militär- und Polit-Prominenz zu einem richtungweisenden ideologischen Haupt-Staatsakt der BRD aufgewachsen ist.
Trennung von Staat und Kirche? Wer’s glaubt, wird selig. Hier läßt sich die herrschende und zunehmend offensiv-imperiale Militär- und Interventionspolitik vom zweitwichtigsten Stellvertreter „Gottes“ nach Joseph Ratzinger mit göttlichem Segen nobilitieren. Ihre höchst irdischen Einsatzziele, wie vor allem Rohstoffsicherung durch Präventivkriege, entrücken dank solch transzendenter Auftragsbestätigung in eine „gott“geweihte Sphäre, in der sie den Niederungen demokratischer Kritik anscheinend auch in der Wahrnehmung der politisch Verantwortlichen ultimativ entzogen sind. Thron und Altar - Kreuz und Schwert: Es ist das alte Kreuz, und gerade darum wird unser Kardinal, der verspätete Zeitgenosse des christlichen Mittelalters, sein Wohlgefallen daran haben.
Online-Flyer Nr. 78 vom 17.01.2007
Kardinal Meisners Feldgottesdienst im Kölner Dom
In die Herzmitte gezielt
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Kardinal Meisner: Soldaten 'Herzspezialisten'
Foto: NRhZ-Archiv
Es ist wahrhaft eine „Gemeinschaft der Gläubigen“ so recht nach dem Herzen des Kardinals. Kölns OB Schramma gehört ebenso dazu wie der „Verteidigungs“-Minister Franz Josef Jung und der Generalinspekteur der Bundeswehr. Beflissene Presse darf photographieren, alle anderen haben draußen zu bleiben, insbesondere die etwa 50 Protestierenden, die sich auf dem Domvorplatz aufgestellt haben, von deren Reden und Gesängen im Dom allerdings kein Ton mehr zu hören ist. Um so ohrenbetäubender der liturgiefeste Quetschbariton direkt hinter uns, der an Rowan Atkinsons alias Mr. Beans Parodie lauten, falschen Kirchengesangs erinnert.
Die Kanzel als Bütt
In der Bütt: Meisner und Benedikt in dem vom WDR zensierten Kölner Stunksitzungs-Sketsch 2006
Foto: A. & W. Bartscher / dea-NewsInfo.Net
Hier gibts den unzensierten Clip der Stunker "Ratzi und Meisi" in der NRhZ
Doch die eigentliche Gratwanderung zwischen erhabenem Anspruch und unfreiwilliger Satire liefert, wie stets, der Hausherr persönlich ab. Wenn Kardinal Meisner das Wort ergreift, das er als das „Wort Gottes“ ausgibt, kann man sich regelmäßig auf blumige Sentenzen freuen, kann schiefe Vergleiche und halsbrecherische Gedankenkreisel bewundern. Diesem Großmeister der akrobatischen Kunst, die Welt nur mittels der Kraft des Glaubens von den Füßen auf den Kopf zu stellen, gelingt es regelmäßig, sein Publikum auf eine Geistreise zurück ins Mittelalter mitzunehmen, okkultistische Anklänge eingeschlossen. So verdanken wir dem Spiritisten Meisner die almanachreife Erkenntnis: „Alle guten und alle bösen Geister kommen in die Welt durch die Tür des menschlichen Herzens.“ Für den medizinischen Laien eine echte Novität: Von „Herzkammern“ hat man schon gehört, nicht jedoch von der „Herz-Tür“. Doch dürfen wir uns mit solchen kardiologischen Zweifelsfragen künftig vertrauensvoll an unsere Soldaten wenden. Denn die ernannte Kardinal Meisner dank göttlicher Ermächtigung gleich kollektiv zu „Herzspezialisten“.
Militär als moralische Heilanstalt
Es ist schon erstaunlich, welche „Qualifizierungsoffensive“ der Prediger des gottgefälligen Waffengewerbes den uniformierten Befehlsgebern und -empfängern Jahr um Jahr in seinen Predigten zuteil werden läßt. Waren sie letzthin noch „Brückenbauer“ in den Ländern, die sie, wie zum Beispiel Afghanistan, okkupieren, so sollen sie nun gleich das menschliche Herz verarzten. Wenn sie nicht gerade mit Totenschädeln Fußball spielen. Ob Meisner, zumindest was die Treffsicherheit angeht, dabei auch an die Scharfschützenausbildung der Bundeswehr, insbesondere der „mobilen Einsatzkräfte“, gedacht hat, mag offen bleiben. Wie immer man es auch verstehen will - und für die praktische militärische Anwendung seiner göttlich inspirierten Leitlinien läßt der Kardinal stets einen weiten Spielraum - im „Herzen des Menschen“ liegt ihm zufolge das natürliche „Einsatzfeld für den Frieden in der Welt“ - und damit nach Meisnerscher Logik für’s Militär. Denn das ist für ihn seit jeher jenseits jeglichen historischen oder aktuellen Zweifels mit der Herstellung von „Frieden“ identisch, wie er ihn jedenfalls in durchaus kirchenkatholischer Tradition versteht. Ein Frieden jenseits der Kirche oder auch nur in tolerierendem Zusammenleben mit anderen Glaubens- geschweige denn Unglaubenssystemen ist für den eifrigen Künder katholischen Absolutheitsanspruchs letztlich undenkbar. Konsequenterweise verbietet er ja auch, wie letzthin wieder, sogar die Harmlosigkeit sogenannter ökumenischer Gottesdienste.
Von Schafen und Böcken, Brüdern und Genossen
Sein legendäres Predigtzitat von 1997: „In betenden Händen ist die Waffe vor Mißbrauch sicher“ ist weithin als Rechtfertigung des wahrhaft verheerenden Bündnisses von Kreuz und Schwert verstanden und von gewissen Kritikastern geradezu als Verhöhnung der Millionen Opfer gottgesegneter Kriegs- und Kreuzzüge gegeißelt worden. Doch solch vorlaute Meckerer fallen wohl auch unter die gottvergessene Kategorie von Irregeleiteten, die für sich die Wahl getroffen haben, nicht etwa „Brüder in Christus“ sein zu wollen, sondern „Genossen im Antichrist“. Denn in diese klar getrennten Töpchen mit der Aufschrift „Gut“ und „Böse“ teilt sich laut Meisners anthropologischen Forschungsresultaten in seiner diesjährigen Soldatenpredigt die Menschheit auf: Entweder „Brüder in Christus“ oder „Genossen im Antichrist“.
Die schlimmste Teufelei in dieser Welt ist, das hämmert Meisner den gläubigen Köpfen unaufhörlich ein und unterstrich es dieses Jahr vor den Soldaten und Offizieren mit dem Verweis auf den „Genossen im Antichrist“ nochmals beschwörend, jeder Gedanke daran, die Verhältnisse auf Erden, zum Beispiel die bestehende Verteilung von Reichtum und Macht, in irgendeiner Weise ändern zu wollen. Mithin ist jedwede Art von „Sozialismus“ in Meisners Theologie der Gipfelpunkt des Satanismus.
Nur in einem möchte Meisner die Welt wohl verändern: Sie soll gefälligst kollektiv katholisch werden. „Gott“ solle herrschen statt irgendwelcher „Götter“, so der kardinale Einsatzbefehl anno 2007 an die auserlesene Phalanx der Gottesstreiter aus der bekannten Militärsekte NATO. Frieden auf Erden kann es nach der Lex Meisner, die in eleganterer Formulierung auch eine Lex Ratzinger ist, zum guten Ende nur unter katholischer, kirchlicher Dominanz geben. Eine Demokratie jedenfalls, die dem uneinsichtigen Menschen mit frevlerisch angemaßter „Toleranz“ gestattet, Glauben oder Unglauben als „Privatsache“ zu behandeln, ist Meisners Sache nicht und auch nicht die Sache, für die „unsere Soldaten“ gebetsgestärkt kämpfen sollen. Denn auch dies machte Meisner in seiner Predigt deutlich:
„Sind denn unsere europäischen Gesellschaften durch Säkularisierung stabiler geworden? Ganz im Gegenteil. In dem Maße, in dem man Gott zur Privatsache machte, haben unsere Gesellschaften in Europa an wirklicher Lebensqualität, an kulturellem Niveau und an geistiger Substanz verloren.“
Was aber wäre denn die Alternative zu "Gott als Privatsache"? Staatlich verordnete, für jeden bei Leib- und Lebensstrafen im Falle der Abweichung verbindliche Zwangsreligion, wie schon gehabt?
Weltvernichtung durch Aufklärung
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Vielleicht. Denn, Meisner zufolge, entstehen alle Probleme der heutigen Welt einschließlich der ökologischen aus der Entfernung von „Gott“, mithin von der katholischen Kirche: „Als man den Himmel ‚den Engeln und den Spatzen’ überließ, da fielen Welt und Menschen buchstäblich unter die Räuber.“ Natürlich tauchen in diesem kardinalen Geschichtszerrbild fromme Räubereien wie etwa Kreuzzüge, Conquista und Kolonialismus nicht auf. Und auch Begriffe wie „Kapitalismus“ oder „multinationale Konzerne“ hören wir von Meisner nicht im Zusammenhang mit seinen diffusen „Räubern“.
Davon abgesehen aber enthüllt dieses Zitat eine der manischen Fixierungen des wortgewaltigen Predigers. Hier hat der Kardinal nämlich mal wieder zu einem vernichtenden Schlag gegen einen der von ihm häufig exorzierten „Hauptteufel“ in seinem Klischee-Universum ausgeholt: Heinrich Heine, der eben den Himmel „den Engeln und den Spatzen“ überlassen und die Menschen zur Vernunft anleiten wollte, bevor er selbst wieder religiös regredierte. Andere Oberteufel sind z.B. Descartes mit seinem Vernunftsaxiom „Ich denke, also bin ich“ und natürlich Karl Marx („Religion ist das Opium des Volkes“) und erst recht Lenin („Religion ist Opium für’s Volk“). Letzteren zitierte Meisner ohne Namensnennung denn auch mit deutlichem Abscheu. Lenin war, so müssen wir mutmaßen, nicht nur ein übler Bolschewist, sondern auch ein Handlanger der Drogenmafia. Dem Bösen unermüdlich auf der Spur, ist Meisner nämlich aufgefallen, „dass der Mensch in dem Moment zur Droge griff, als man ihm den Glauben an den Himmel als ‚Opium für das Volk’ diffamiert hat.“
Das alte Kreuz von Kreuz und Schwert
20 Minuten Meisnersche Soldatenpredigt - da kann man den Dom nur mit dem Gefühl verlassen, einen geistigen Kreuzesweg absolviert zu haben. Die nicht nur punktuell absurde Weltsicht des Domherrn als kauzige Donquichotterien eines weltabgewandten religiösen „Fundis“ zu verharmlosen, wäre freilich zu kurz gegriffen. Denn bedenklich ist schon, daß diese sonderbare Einschwörung auf christlichen Kriegsdienst anläßlich eines katholischen „Weltfriedenstages“ nicht einfach im religiösen Sektierereckchen stattfindet, sondern unter Beteiligung höchster Militär- und Polit-Prominenz zu einem richtungweisenden ideologischen Haupt-Staatsakt der BRD aufgewachsen ist.
Trennung von Staat und Kirche? Wer’s glaubt, wird selig. Hier läßt sich die herrschende und zunehmend offensiv-imperiale Militär- und Interventionspolitik vom zweitwichtigsten Stellvertreter „Gottes“ nach Joseph Ratzinger mit göttlichem Segen nobilitieren. Ihre höchst irdischen Einsatzziele, wie vor allem Rohstoffsicherung durch Präventivkriege, entrücken dank solch transzendenter Auftragsbestätigung in eine „gott“geweihte Sphäre, in der sie den Niederungen demokratischer Kritik anscheinend auch in der Wahrnehmung der politisch Verantwortlichen ultimativ entzogen sind. Thron und Altar - Kreuz und Schwert: Es ist das alte Kreuz, und gerade darum wird unser Kardinal, der verspätete Zeitgenosse des christlichen Mittelalters, sein Wohlgefallen daran haben.
Online-Flyer Nr. 78 vom 17.01.2007