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Arbeit und Soziales
Interview mit einem Postgewerkschafter zum Lohndumping der Privaten
Wenn der Postmann zweimal klingelt...
Von Carl H. Ewald
Carl H. Ewald: Was sind denn die Anliegen von Ver.di bei der Deutschen Post und den privaten Briefzustellern?
Wolfgang Host: „Die Politiker denken zu kurz“
Foto: privat
Wolfgang Host: Als „Verdianer“ beschäftigen wir uns in erster Linie mit der Post selbst, weil dort 90 Prozent unserer Mitglieder im Zustellbereich sind. Und zusätzlich beschäftigen wir uns auch mit unserer privaten Konkurrenz: Es gibt Zusteller von der niederländischen Post, die in Orange fahren – der TNT. Wir haben hier in Köln Zusteller von der PIN-AG, die in Grün fahren und teilweise auch noch in Blau, und die jetzt gerade mit der West-Mail fusioniert. [1] Wir beschäftigen uns hauptsächlich, mit den Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen bei der Post, die auch immer schlechter werden, natürlich durch den Druck der Privaten. Und wir beschäftigen uns jetzt neuerdings mit den Arbeitsbedingungen der PIN-AG, denn an die niederländische Post kommen nicht heran.
Wie würden Sie denn die Arbeitsbedingungen der neuen privaten Zustellunternehmen, z.B. der PIN-AG beschreiben?
Die Arbeitsbedingungen derzeit sind mehr als miserabel – sie sind eigentlich ein Stück weit unwürdig! Als Gewerkschaft arbeiten wir daran, dort einen Einstieg ins Unternehmen zu finden und die Arbeitsbedingungen auf Vordermann zu bringen, sie einfach menschenwürdiger zu gestalten. Denn sie sind auf gut Deutsch gesagt beschissen. Dazu haben wir jetzt den ersten Schritt getan. [2]
Die noch herrschenden Arbeitsverträge, die den Zustellern dieser Unternehmen vorgelegt werden, sind sehr sehr angreifbar und kritikwürdig. Es sieht zum Beispiel bei der PIN-AG so aus, dass die Vollzeitbeschäftigten dort einen Arbeitsvertrag mit einem garantierten Bruttogehalt von 1.020 Euro bei einer 40-Stunden-Woche bekommen. Wohlgemerkt: wir sprechen hier vom Bruttogehalt.
Und dann haben sie noch die Möglichkeit, durch ein „Prämiensystem“ 410 Euro Brutto zusätzlich zu verdienen, davon werden 250 Euro als „Anwesenheitsprämie“ bezahlt. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn diese Kolleginnen und Kollegen der PIN-AG nur einen Tag ohne Krankmeldung fehlen, werden ihnen 125 Euro von der „Anwesenheitsprämie“ abgezogen. Und sollten sie denn offiziell krankgeschrieben sein, wird ihnen für jeden Tag, an dem sie krank sind, trotzdem ein Betrag von 11,50 Euro abgezogen.
Die Post-Moderne – wer blickt da noch durch?!
Collage: Carl H. Ewald
Ich könnte mal ein Beispiel geben: Jemand wird durch die Postzustellung verletzt, indem er vielleicht vom Fahrrad fällt und sich den Fuß verstaucht, und wird dann schlechtestenfalls für drei Wochen krank geschrieben – das wären 21 Tage. Dann multiplizieren wir diese mit 11,50 und somit wäre die „Anwesenheitsprämie“ von 250 Euro für diesen Monat erledigt.
Also, die Kolleginnen und Kollegen haben einen garantierten Lohn von 1.020 Euro, und ansonsten muss alles bestens laufen: Sie dürfen keine Briefe mehr zurückbringen, sie dürfen keine Beschwerden bekommen, sonst wird ihnen jeweils für jedes „Vergehen“ der Betrag X vom Lohn abgezogen.
Das Schlimme daran ist: solche Arbeitsbedingungen werden allenthalben von unseren Politikern unterstützt. Die Behörden, die Verwaltungen wandern zu den privaten Zustellern ab, wohlwissend, welche Arbeitsbedingungen dort herrschen. Und das ist für uns als Gewerkschaft Ver.di der Hauptgrund, dort zu versuchen, Bewusstsein zu schaffen.
Wie sind denn die Beschäftigungsverhältnisse bei den privaten Postdienstleistern?
Ich würde ganz gerne zum Einstieg erwähnen, wie die Beschäftigungsverhältnisse bei der Deutschen Post AG sind: Dort ist es so, dass in guter alter Tradition im Bereich der Briefzustellung fast ausschließlich Vollzeitarbeitsplätze angeboten werden. Nur im Moment schlagen wir uns damit herum, dass diese gute alte Tradition durch den Wettbewerbsdruck der privaten Anbieter kippt – wie uns immer wieder versichert wird –, woran wir allerdings noch unsere Zweifel haben... Auch bei der Deutschen Post AG steigen wir im Moment in Teilzeitzustellung ein.
Die Arbeitsplätze bei den privaten Zustelldiensten stellen sich in erster Linie so dar, dass zwei Drittel, knapp 65 Prozent der Angestellten, ausschließlich geringfügig beschäftigt sind. Das ist schon eine ganze Menge! Und inzwischen arbeitet beispielsweise die PIN-Group mit 8.000 Beschäftigten bundesweit. So kann man ganz einfach ausrechnen, wie viel zwei Drittel ausmachen. Der Rest sind Vollarbeitszeitplätze, die aber leider mit den entsprechenden Arbeitsbedingungen, die ich schon erläutert habe, gesegnet sind. Und so muss man hier schon von „prekären Arbeitsbedingungen“ sprechen!
Für den Kunden mag es ja schön sein, wenn ein wenig Konkurrenz den Postmarkt belebt, und man vielleicht dadurch einen Brief für einige Cent weniger verschicken kann... Aber wie wirkt sich so etwas auf lange Sicht aus?
Auch unsere Politiker, die eigentlich Verantwortung tragen und etwas weiterführend denken müssten, nehmen so etwas gerne in Anspruch. Sie denken aber auch nur an ihre eigenen leeren Kassen, so wie die SPD, die jetzt bundesweit zu den Privaten wechselt – ich nehme einmal an, um ihre leeren Parteikassen aufzufüllen. Das Gleiche gilt für die Städte, für die Verwaltungen und für die Gerichte, die alle versuchen, ihre Haushalte ein wenig zu entlasten. Nur wir sagen ganz klar, das ist viel zu kurz gedacht!
Wenn ich weiß, welche Firmen diese Zustellungen durchführen, und unter welchen Bedingungen die Leute dort beschäftigt sind, dann kann ich mir doch einfach ausrechnen, dass es auf lange Sicht für jeden Einzelnen viel mehr kosten wird, als das, was man jetzt einsparen kann. Denn überwiegend werden für die Beschäftigten keine Sozialabgaben gezahlt, das heißt, unsere Sozialversicherungssysteme, die ohnehin schon auf tönernen Füßen stehen, werden noch weiter geschwächt. Es werden auch kaum Steuern gezahlt, weil die Leute dort ohnehin nicht über dem Steuer-Grundfreibetrag verdienen – das heißt, auch daher kommen keine Einnahmen.
Das ist einfach zu kurz gedacht. Gerade von den Politikern, von denen man erwarten sollte, dass sie für vernünftige Arbeitsverhältnisse eintreten... aber nein, das Gegenteil geschieht, jeder fragt sich nur noch: Wo kann ich sparen?
[1] Meist sind es Zeitungsverlage, die hinter den privaten Postunternehmen stecken, so im Rheinland die Firma Westmail, die von Neven DuMont, WZ und Rheinischer Post ins Leben gerufen wurde. Hinter der PIN-AG verbirgt sich der Axel Springer Verlag und die mächtige WAZ-Gruppe, mit dem ehemaligen Kanzleramtschef Bodo Hombach von der SPD als Geschäftsführer.
[2] Seit Anfang Februar führt Ver.di Tarifverhandlungen mit der PIN-AG
Online-Flyer Nr. 81 vom 07.02.2007
Interview mit einem Postgewerkschafter zum Lohndumping der Privaten
Wenn der Postmann zweimal klingelt...
Von Carl H. Ewald
Carl H. Ewald: Was sind denn die Anliegen von Ver.di bei der Deutschen Post und den privaten Briefzustellern?
Wolfgang Host: „Die Politiker denken zu kurz“
Foto: privat
Wolfgang Host: Als „Verdianer“ beschäftigen wir uns in erster Linie mit der Post selbst, weil dort 90 Prozent unserer Mitglieder im Zustellbereich sind. Und zusätzlich beschäftigen wir uns auch mit unserer privaten Konkurrenz: Es gibt Zusteller von der niederländischen Post, die in Orange fahren – der TNT. Wir haben hier in Köln Zusteller von der PIN-AG, die in Grün fahren und teilweise auch noch in Blau, und die jetzt gerade mit der West-Mail fusioniert. [1] Wir beschäftigen uns hauptsächlich, mit den Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen bei der Post, die auch immer schlechter werden, natürlich durch den Druck der Privaten. Und wir beschäftigen uns jetzt neuerdings mit den Arbeitsbedingungen der PIN-AG, denn an die niederländische Post kommen nicht heran.
Wie würden Sie denn die Arbeitsbedingungen der neuen privaten Zustellunternehmen, z.B. der PIN-AG beschreiben?
Die Arbeitsbedingungen derzeit sind mehr als miserabel – sie sind eigentlich ein Stück weit unwürdig! Als Gewerkschaft arbeiten wir daran, dort einen Einstieg ins Unternehmen zu finden und die Arbeitsbedingungen auf Vordermann zu bringen, sie einfach menschenwürdiger zu gestalten. Denn sie sind auf gut Deutsch gesagt beschissen. Dazu haben wir jetzt den ersten Schritt getan. [2]
Die noch herrschenden Arbeitsverträge, die den Zustellern dieser Unternehmen vorgelegt werden, sind sehr sehr angreifbar und kritikwürdig. Es sieht zum Beispiel bei der PIN-AG so aus, dass die Vollzeitbeschäftigten dort einen Arbeitsvertrag mit einem garantierten Bruttogehalt von 1.020 Euro bei einer 40-Stunden-Woche bekommen. Wohlgemerkt: wir sprechen hier vom Bruttogehalt.
Und dann haben sie noch die Möglichkeit, durch ein „Prämiensystem“ 410 Euro Brutto zusätzlich zu verdienen, davon werden 250 Euro als „Anwesenheitsprämie“ bezahlt. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn diese Kolleginnen und Kollegen der PIN-AG nur einen Tag ohne Krankmeldung fehlen, werden ihnen 125 Euro von der „Anwesenheitsprämie“ abgezogen. Und sollten sie denn offiziell krankgeschrieben sein, wird ihnen für jeden Tag, an dem sie krank sind, trotzdem ein Betrag von 11,50 Euro abgezogen.
Die Post-Moderne – wer blickt da noch durch?!
Collage: Carl H. Ewald
Ich könnte mal ein Beispiel geben: Jemand wird durch die Postzustellung verletzt, indem er vielleicht vom Fahrrad fällt und sich den Fuß verstaucht, und wird dann schlechtestenfalls für drei Wochen krank geschrieben – das wären 21 Tage. Dann multiplizieren wir diese mit 11,50 und somit wäre die „Anwesenheitsprämie“ von 250 Euro für diesen Monat erledigt.
Also, die Kolleginnen und Kollegen haben einen garantierten Lohn von 1.020 Euro, und ansonsten muss alles bestens laufen: Sie dürfen keine Briefe mehr zurückbringen, sie dürfen keine Beschwerden bekommen, sonst wird ihnen jeweils für jedes „Vergehen“ der Betrag X vom Lohn abgezogen.
Das Schlimme daran ist: solche Arbeitsbedingungen werden allenthalben von unseren Politikern unterstützt. Die Behörden, die Verwaltungen wandern zu den privaten Zustellern ab, wohlwissend, welche Arbeitsbedingungen dort herrschen. Und das ist für uns als Gewerkschaft Ver.di der Hauptgrund, dort zu versuchen, Bewusstsein zu schaffen.
Wie sind denn die Beschäftigungsverhältnisse bei den privaten Postdienstleistern?
Ich würde ganz gerne zum Einstieg erwähnen, wie die Beschäftigungsverhältnisse bei der Deutschen Post AG sind: Dort ist es so, dass in guter alter Tradition im Bereich der Briefzustellung fast ausschließlich Vollzeitarbeitsplätze angeboten werden. Nur im Moment schlagen wir uns damit herum, dass diese gute alte Tradition durch den Wettbewerbsdruck der privaten Anbieter kippt – wie uns immer wieder versichert wird –, woran wir allerdings noch unsere Zweifel haben... Auch bei der Deutschen Post AG steigen wir im Moment in Teilzeitzustellung ein.
Die Arbeitsplätze bei den privaten Zustelldiensten stellen sich in erster Linie so dar, dass zwei Drittel, knapp 65 Prozent der Angestellten, ausschließlich geringfügig beschäftigt sind. Das ist schon eine ganze Menge! Und inzwischen arbeitet beispielsweise die PIN-Group mit 8.000 Beschäftigten bundesweit. So kann man ganz einfach ausrechnen, wie viel zwei Drittel ausmachen. Der Rest sind Vollarbeitszeitplätze, die aber leider mit den entsprechenden Arbeitsbedingungen, die ich schon erläutert habe, gesegnet sind. Und so muss man hier schon von „prekären Arbeitsbedingungen“ sprechen!
Für den Kunden mag es ja schön sein, wenn ein wenig Konkurrenz den Postmarkt belebt, und man vielleicht dadurch einen Brief für einige Cent weniger verschicken kann... Aber wie wirkt sich so etwas auf lange Sicht aus?
Auch unsere Politiker, die eigentlich Verantwortung tragen und etwas weiterführend denken müssten, nehmen so etwas gerne in Anspruch. Sie denken aber auch nur an ihre eigenen leeren Kassen, so wie die SPD, die jetzt bundesweit zu den Privaten wechselt – ich nehme einmal an, um ihre leeren Parteikassen aufzufüllen. Das Gleiche gilt für die Städte, für die Verwaltungen und für die Gerichte, die alle versuchen, ihre Haushalte ein wenig zu entlasten. Nur wir sagen ganz klar, das ist viel zu kurz gedacht!
Wenn ich weiß, welche Firmen diese Zustellungen durchführen, und unter welchen Bedingungen die Leute dort beschäftigt sind, dann kann ich mir doch einfach ausrechnen, dass es auf lange Sicht für jeden Einzelnen viel mehr kosten wird, als das, was man jetzt einsparen kann. Denn überwiegend werden für die Beschäftigten keine Sozialabgaben gezahlt, das heißt, unsere Sozialversicherungssysteme, die ohnehin schon auf tönernen Füßen stehen, werden noch weiter geschwächt. Es werden auch kaum Steuern gezahlt, weil die Leute dort ohnehin nicht über dem Steuer-Grundfreibetrag verdienen – das heißt, auch daher kommen keine Einnahmen.
Das ist einfach zu kurz gedacht. Gerade von den Politikern, von denen man erwarten sollte, dass sie für vernünftige Arbeitsverhältnisse eintreten... aber nein, das Gegenteil geschieht, jeder fragt sich nur noch: Wo kann ich sparen?
[1] Meist sind es Zeitungsverlage, die hinter den privaten Postunternehmen stecken, so im Rheinland die Firma Westmail, die von Neven DuMont, WZ und Rheinischer Post ins Leben gerufen wurde. Hinter der PIN-AG verbirgt sich der Axel Springer Verlag und die mächtige WAZ-Gruppe, mit dem ehemaligen Kanzleramtschef Bodo Hombach von der SPD als Geschäftsführer.
[2] Seit Anfang Februar führt Ver.di Tarifverhandlungen mit der PIN-AG
Online-Flyer Nr. 81 vom 07.02.2007