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Kultur und Wissen
Wuppertal untersuchte Nazi-Verquickungen seines Ehrenbürgers
NSDAP-Baron ein moderner Till Eulenspiegel?
Von Karl Schem
Eduard von der Heydt - Im Safe seiner Bank
Foto: Archiv Haus der Wannsee-Konferenz
Und nun die schlechte Nachricht: Wuppertals Kulturdezernentin Marlis Drevermann (SPD) hat sich mit Planung, Auswahl der Teilnehmer und Themen überfordert. Zu offensichtlich das Bemühen um ein Wunsch-Resultat. Die Experten überboten sich mit eigenwilligen Interpretationen von Akten, Zitaten und waren dabei voll im Mainstream, ähnlich wie im Fall Oettinger – Filbinger: Alles halb so schlimm: Stahlhelmbund- und NSDAP-Mitglied Heydt war kein Nazi-Täter, kein Parteiarbeiter, kein alter Kämpfer oder ideologischer Aktivist – Vorwürfe, die von seriösen Kritikern des Von der Heydt-Kulturpreises nie erhoben worden sind. Ihnen war es immer nur um eine Umbenennung des Preises gegangen. Dieses eigentliche Thema der Auseinandersetzungen durfte expressis verbis an diesem Abend nicht behandelt werden. Die Wertungen sollen die zuständigen Gremien später vornehmen. Hoffentlich nicht auf Basis dieser über weite Strecken merkwürdigen „Gutachten“
Kein Wort bei diesem Symposium davon, dass die Grenzen zwischen Mitläufer und Täter fließend sind. Oder dass furchtbare Richter wie Hans Filbinger und reiche Bankiers wie Eduard von der Heydt das NS-Regime stabilisiert haben. Stattdessen Verständnis für eine „schwache Person“, der vieles im Leben misslungen sei, die sich nur schützen wollte. Verdient er deshalb Mitleid oder sollte man ihn nicht besser gleich bewundern? Nicht nur für seine von hoher Kennerschaft zeugenden Sammlungen, seine Geld-, Grundstücks- und Kunstschenkungen. Er verdient vor allem Anerkennung als wahrer Nachfolger Till Eulenspiegels. Folgt man dem Tenor der Expertenrunde, hat der „liberal-konservative Vertreter des Großbürgertums“ mächtige Männer wie Hermann Göring mit minderwertiger Kunst und verlorenen Kleinkrediten schlitzohrig übertölpelt. Die Mitgliedschaft in Naziparteien, seine Geldgeschenke für faschistische Organisationen von Italien über die Schweiz bis nach Holland, seine verlorenen Kredite für Göring. Folgt man den Vorträgen, dann kann man das alles nur als Tarnung eines wiedergeborenen Schelmen interpretieren.
Ein armer Reicher
Die über ihre Zunft hinaus nur wenig bekannten Experten aus Köln, Bonn, Düsseldorf, Zürich und Wuppertal malten mit Weichzeichner das Bild eines „einsamen, von Existenzangst geplagten Menschen“. Der arme reiche Mann, er konnte einem (unkritischen Zuhörer) richtig Leid tun.
Von der Heydt-„Expertise“ von Dr. Michael Knieriem
Die Tonlage gab Dr. Michael Knieriem vor. Seine “Expertise“ - zu erhalten auf einer unübersichtlichen CD-Rom - wies zwar keine Fußnote aus und ließ kaum Zeit für Fragen zu. Der 55seitige Vortrag wurde vom Moderator geteilt, der damit die Planung der Regiedebütantin Drevermann gleich zu Anfang ein wenig korrigierte. Immerhin - sie hatte die Musik bestellt, wenn auch nicht bezahlt: Die Experten hatten honorarfrei gearbeitet, um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren.
Vielleicht war es auch nur die berühmte pietistische Wuppertaler Sparsamkeit, warum die Kulturdezernentin einen Obergutachter berufen hatte, dessen Chefin sie ist. Das aber störte die Lokalpatrioten im stickigen Saal in keiner Weise. Sie bekamen von ordentlichen Leuten alles ordentlich so zu hören, wie sie es erwartet haben dürften. Denn einem Wohltäter aus einer alteingesessenen Familie kratzt man nicht am Renommee. Und falls doch etwas dran sein sollte, lässt sich das leicht widerlegen mit den richtigen Fachleuten. Mit Dr. Knieriem hatte Frau Drevermann scheinbar einen über alle Zweifel erhabenen Gutachter berufen, einen bekannten Historiker, Chef des städtischen Historischen Zentrums. Fachmann für einen anderen großen Sohn der Stadt - ein Schelm, wer sich daran stört, dass Friedrich Engels eine Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts ist.
Wuppertals Kulturdezernentin Marlis Drevermann
Foto: Stadt Wuppertal
Die Rechnung mit dem Eleven für das 20. Jahrhundert ging auf. Dr. Knieriem ließ die braunen Flecken auf der Bankiersweste immer weißer werden. Am Ende aller Vorträge war der Mann, der 1933 in den Niederlanden (!) Parteigenosse geworden war, angeblich um die Nazipartei für Kaiser Wilhelm auszuspähen, fast rehabilitiert. Auch die anderen Referenten bewiesen für fast alle Naziverquickungen psychologisches Einfühlungsvermögen und schier grenzenloses Verständnis.
Nur nicht überall nachfragen
Ein weiterer Schachzug der Kulturdezernentin war die Bestellung eines Journalisten zum Interviewen der Referenten. Der gebürtige Wuppertaler bekannte sogleich freimütig seinen (nicht unberechtigten, nicht unsympathischen) Stolz auf diese offizielle Aufarbeitung der Geschichte eines umstrittenen Ehrenbürgers. So fiel Stefan Koldehoff als Advocatus Diaboli aus. Nur einmal brachte er einen Referenten in Verlegenheit, als es um die Honorare und Rolle von der Heydts beim Freikaufen von Juden ging. Da könnte passiert sein, was nicht sein sollte. Aber nichts Genaues weiß man nicht, denn diese Quelle wurde von den Gutachtern ebenso wenig angezapft wie das FBI, der Mossad oder die Archive in Paris, Oslo, Stockholm, Istanbul oder Mexiko – wo immer es Spuren des umtriebigen „Geldwäschers“ gab, zumindest die Tatsache seiner Finanzdienstleistungen für die deutsche Abwehr konnte nicht schöngeredet werden.
Aufatmen bei denjenigen, die das Schlimmste befürchtet hatten, nämlich eine Mitwirkung des Kunstsammlers bei Raubkunst. Vielleicht könnte…, eventuell..., man weiß nicht..., bei „Fluchtkunst“ irgendetwas nicht ganz ordentlich gewesen sein - so die Schweizerin Esther Tisa Francini. Dass ein Werk aus der unschätzbaren Bildersammlung (und Schenkung) des Barons, ein Adolf von Menzel, inzwischen an die jüdischen Erben zurückgegeben werden musste, wurde nur beiläufig behandelt. Die unrühmliche Verweigerungsrolle, die die damalige Chefin des von der Heydt-Museums und ihr Kunstvereinsvorsitzender durch Missachtung des beispielhaften Ratsbeschlusses gespielt haben, ist nur denen unvergesslich, die an der starren Wuppertaler Haltung in Sachen Kunstpreisnamen zu leiden haben.
Selbst schuld, wer Opfer ist...
... nach diesem unausgesprochenen Motto gelang es, die Sympathie für von der Heydt zu stärken, die so manche Wuppertaler für ihren Mäzen empfinden. Dass er 1926 in den Stahlhelmbund ging – da waren ja auch seine alten Kumpane aus der Offiziersklicke. Der Parteieintritt schon 1933? Musste sein, war damals üblich, wenn man auf der Seite der Gewinner sein wollte: Ein „Märzgefallener“ (nach der „Machtergreifung“ Hitlers im Frühjahr 33). Diese Retuschen kamen an. Hörbar wurde gemurrt, wenn Hajo Jahn von der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft es wagte, Fragen zu stellen.
Hajo Jahn – fordert die Umbenennung des Kulturpreises
Foto: Manfred Brusten
Jahn hatte im Februar 2006 die Debatte um den Kulturpreis angestossen, der nach dem NS-belasteten Kunstmäzen benannt ist. Seitdem gilt der Berliner als Nestbeschmutzer. Dabei hat er den Baron persönlich nie verurteilt, „denn was einer im Leben macht, muss er vor sich selbst verantworten.“ Ihm und seiner Gesellschaft geht es allein um die Umbenennung des auch mit seinen Steuern finanzierten Kulturpreises. Ein Michael Kohlhaas sei er nicht. Wenn ein neuer Name erreicht sei, habe er Wichtigeres zu tun, etwa als Großvater von fünf Enkelkindern. Man müsse jedoch für Glaubwürdigkeit gegenüber den neuen Generationen sorgen, nicht nur schöne Reden halten gegen neues Nazitum und Extremismus.
Der neue Eulenspiegel war auch Chinese
Als Beweis für von er Heydts Weltläufigkeit, die zugleich seinem Schutzbedürfnis entsprungen sei, wurde ein einziges neues Ermittlungsergebnis präsentiert: Der weltgewandte, sprachversierte und „zugleich doch so schüchterne“ Baron hatte es geschafft, neben der Schweizer auch die chinesische Staatsangehörigkeit zu erhalten – indirekt vom berüchtigten nationalistischen General Jiang Jieshi (Tschiang Kai-Check). Der neue Till Eulenspiegel bekam das Dokument wegen seiner Kenntnisse chinesischer Kunst. Seine Ostasiatica-Sammlung legte den Grundstock zum Weltruf des Zürcher Rietberg-Museums.
Trotz der relativ einseitigen Bewertungen: Die Absicht einer „wissenschaftlichen Aufarbeitung“ ist löblich. Kontraproduktiv wirkte sich die Regie der Kulturdezernentin aus. Ausgewiesene Sachverständige mit anderer Auslegung hätten das Vorhaben glaubhafter gemacht. Solche Wissenschaftler waren offensichtlich unerwünscht.
Dass das eine oder andere Verhalten des „Bankiers der Nazis“ (BamS) auch anders zu bewerten ist, hätte leicht ein Blick in die ebenfalls mit öffentlichen Mitteln ermöglichte Veröffentlichung des Wuppertaler Historikers Detlef Bell gezeigt. Die wichtigsten Rechercheergebnisse aus der Magisterarbeit dieses Wissenschaftlers wurden ignoriert oder verdreht. Dennoch können sie nicht unterschlagen werden, wie selbst das Wuppertaler Monopolzeitung WZ einräumt, die mit einem Gastkommentar eines weitläufigen Nachfahren des „gebildeten, kultivierten Kosmopoliten“ Eduard von der Heydt einen Persilschein erster Klasse abdruckte, der von Parteizugehörigkeit, Geldhilfe für deutsche Spione, Hausdurchsuchungen, Vernichtung von Beweismaterial, Untersuchungshaft etc. nichts wissen will. Dagegen wurde der Vereinsvorsitzende der Lasker-Schüler-Gesellschaft wider besseren Wissens in der Zeitung als „schärfsten Kritiker“ des Ehrenbürgers bezeichnet und hämisch vermerkt, Jahn habe auch nicht mehr in der Hand als die Korrespondenz des Barons mit dem Hitler-Stellvertreter.
Dieser Brief sei alles andere als devot, hatte einer der Referenten auf Fragen Jahns zum Wohlgefallen der Saalmehrheit belehrt. Die Grußformel „Heil Hitler“ hätten schließlich alle gegenüber dem zweithöchsten Mann im Staate anwenden müssen. Wer so argumentiert, arbeitet unkorrekt. Der Brief wurde am 23. April 1941 in der sicheren Schweiz geschrieben:
„Sehr verehrter Herr Reichsmarschall, Euere Exzellenz wollen meinen gehorsamsten Dank für Euerer Exzellenz freundliche Zeilen vom 8.ds. entgegennehmen“. Das 4seitige Schreiben endet mit dem Satz: „Ich bleibe stets mit besonderer Vorliebe zu Euerer Exzellenz zur Verfügung und hoffe, dass es mir vor allem gelingen wird, zum Ausbau der berühmten Sammlung Euerer Exzellenz beizutragen.... Mit herzlichen Grüßen und Heil Hitler verbleibe ich, sehr verehrter Herr Reichsmarschall, als Euerer Exzellenz ganz gehorsamster Eduard von der Heydt.“
Alles nur pure Ironie...
... wollten die Experten auf dem Podium wissen. Bilder, die Göring bekam oder bekommen sollte, wurden als minderwertig kleingeredet oder so dargestellt, als sei es die normalste Sache der Welt, wenn ein Bankier mit Schweizer Pass 1941 in eben jenem Brief schreibt, dass er sich „denke“, ein Bild aus dem Besitz seiner Tanten, allesamt „Gutsbesitzerinnen“ könne „vielleicht gegen ein Gut in Polen abgegeben“ werden. Nur zur Erinnerung: Polen war damals besetzt. Wer so einen Vorschlag macht, macht keine Eulenspiegelei. Also es ist reine Augenwischerei, einen solchen Mann so freizusprechen, damit ein Kulturpreis weiter nach ihm benannt bleibt. Schon mit dem Titel der Veranstaltung hatte Marlis Drevermann ihre wahren Absichten dargelegt: „Deutung nach Augenschein oder Tatsachenanalyse? Der Kunstsammler Dr. Eduard von der Heydt als Person der Zeitgeschichte“.
Völlig ignoriert wurde von den Drevermann-Experten, dass ihre renommierteren Schweizer Kollegen, die Professoren Jakob Tanner und Klaus Urner, von einem Justizskandal“ geschrieben bzw. erklärt hatten, dass der Baron im Gerichtsverfahren wegen seiner Geldgeschäfte mit der deutschen Abwehr sehr wahrscheinlich verurteilt worden wäre, wenn dieser Brief an Göring, aber auch andere Beweismittel aus den erst später geöffneten Archiven den Richtern vorgelegen hätten.
Verschwiegen wurde vor den etwa 250 Besuchern in der Camouflage-Veranstaltung weiterhin,
> dass die USA ein eigene Gesetz erlassen haben, um eine Sammlung und Geldanlagen dem als „Feind“ eingeschätzten Bankier nicht zurückzugeben,
> dass ein norwegisches Gericht 1953 in Oslo erklärt hat, von der Heydt habe „objektiv die Kriegsführung Deutschlands unterstützt“
> dass er Bildergeschäfte mit dem als ersten Kriegsverbrecher in Nürnberg hingerichteten Außenminister Joachim von Ribbentrop getätigt hat.
„Verhöhnung der Opfer“
nannte der Schriftsteller Ralph Giordano einmal die Tatsache, dass ein Unterstützer des Regimes alle zwei Jahre indirekt durch die Preisvergabe in seinem Namen geehrt wird. Vielleicht war es ja der Kulturdezernentin an diesem 3. Mai in der Stadthalle nicht eingefallen, darauf hinzuweisen, dass just am selben Tag in Wuppertal der „Israel-Tag“ gefeiert wurde: Seit 30 Jahren besteht die erste Partnerschaft zwischen einer israelischen und einer deutschen Großstadt, zwischen Beer Sheeva und Wuppertal, und israelische Mitglieder der Lasker-Schüler-Gesellschaft haben nun die offizielle Haltung der Partnerstadt zu ihrem Mäzen bitter vermerkt: "Deutung nach Augenschein oder Tatsachenanalyse?" besage, die Kritiker hätten bisher nur oberflächlich hingesehen, jetzt kämen die "wirklichen Tatsachen" von Frau Drevermann auf den Tisch. Und der Untertitel "Der Kunstsammler Dr. Eduard Freiherr von der Heydt als Person der Zeitgeschichte" ordne ihn damit den harmlosen zeittypischen Mitläufern zu.
Ralph Giordano hatte einst in diesem Zusammenhang erklärt: „Der Konsens, dass der Holocaust als ein singuläres Verbrechen nicht allein einer fanatischen Clique um Hitler und Co. anzulasten ist, sondern nur mit Hilfe Hunderttausender Deutscher - darunter vieler Vertreter der bürgerlichen Eliten wie den Bankier Eduard von der Heydt - ins Werk gesetzt werden konnte, geht, so steht zu befürchten, zunehmend verloren.“ Der Satz ist so aktuell wie damals.
Online-Flyer Nr. 94 vom 09.05.2007
Wuppertal untersuchte Nazi-Verquickungen seines Ehrenbürgers
NSDAP-Baron ein moderner Till Eulenspiegel?
Von Karl Schem
Eduard von der Heydt - Im Safe seiner Bank
Foto: Archiv Haus der Wannsee-Konferenz
Und nun die schlechte Nachricht: Wuppertals Kulturdezernentin Marlis Drevermann (SPD) hat sich mit Planung, Auswahl der Teilnehmer und Themen überfordert. Zu offensichtlich das Bemühen um ein Wunsch-Resultat. Die Experten überboten sich mit eigenwilligen Interpretationen von Akten, Zitaten und waren dabei voll im Mainstream, ähnlich wie im Fall Oettinger – Filbinger: Alles halb so schlimm: Stahlhelmbund- und NSDAP-Mitglied Heydt war kein Nazi-Täter, kein Parteiarbeiter, kein alter Kämpfer oder ideologischer Aktivist – Vorwürfe, die von seriösen Kritikern des Von der Heydt-Kulturpreises nie erhoben worden sind. Ihnen war es immer nur um eine Umbenennung des Preises gegangen. Dieses eigentliche Thema der Auseinandersetzungen durfte expressis verbis an diesem Abend nicht behandelt werden. Die Wertungen sollen die zuständigen Gremien später vornehmen. Hoffentlich nicht auf Basis dieser über weite Strecken merkwürdigen „Gutachten“
Kein Wort bei diesem Symposium davon, dass die Grenzen zwischen Mitläufer und Täter fließend sind. Oder dass furchtbare Richter wie Hans Filbinger und reiche Bankiers wie Eduard von der Heydt das NS-Regime stabilisiert haben. Stattdessen Verständnis für eine „schwache Person“, der vieles im Leben misslungen sei, die sich nur schützen wollte. Verdient er deshalb Mitleid oder sollte man ihn nicht besser gleich bewundern? Nicht nur für seine von hoher Kennerschaft zeugenden Sammlungen, seine Geld-, Grundstücks- und Kunstschenkungen. Er verdient vor allem Anerkennung als wahrer Nachfolger Till Eulenspiegels. Folgt man dem Tenor der Expertenrunde, hat der „liberal-konservative Vertreter des Großbürgertums“ mächtige Männer wie Hermann Göring mit minderwertiger Kunst und verlorenen Kleinkrediten schlitzohrig übertölpelt. Die Mitgliedschaft in Naziparteien, seine Geldgeschenke für faschistische Organisationen von Italien über die Schweiz bis nach Holland, seine verlorenen Kredite für Göring. Folgt man den Vorträgen, dann kann man das alles nur als Tarnung eines wiedergeborenen Schelmen interpretieren.
Ein armer Reicher
Die über ihre Zunft hinaus nur wenig bekannten Experten aus Köln, Bonn, Düsseldorf, Zürich und Wuppertal malten mit Weichzeichner das Bild eines „einsamen, von Existenzangst geplagten Menschen“. Der arme reiche Mann, er konnte einem (unkritischen Zuhörer) richtig Leid tun.
Von der Heydt-„Expertise“ von Dr. Michael Knieriem
Die Tonlage gab Dr. Michael Knieriem vor. Seine “Expertise“ - zu erhalten auf einer unübersichtlichen CD-Rom - wies zwar keine Fußnote aus und ließ kaum Zeit für Fragen zu. Der 55seitige Vortrag wurde vom Moderator geteilt, der damit die Planung der Regiedebütantin Drevermann gleich zu Anfang ein wenig korrigierte. Immerhin - sie hatte die Musik bestellt, wenn auch nicht bezahlt: Die Experten hatten honorarfrei gearbeitet, um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren.
Vielleicht war es auch nur die berühmte pietistische Wuppertaler Sparsamkeit, warum die Kulturdezernentin einen Obergutachter berufen hatte, dessen Chefin sie ist. Das aber störte die Lokalpatrioten im stickigen Saal in keiner Weise. Sie bekamen von ordentlichen Leuten alles ordentlich so zu hören, wie sie es erwartet haben dürften. Denn einem Wohltäter aus einer alteingesessenen Familie kratzt man nicht am Renommee. Und falls doch etwas dran sein sollte, lässt sich das leicht widerlegen mit den richtigen Fachleuten. Mit Dr. Knieriem hatte Frau Drevermann scheinbar einen über alle Zweifel erhabenen Gutachter berufen, einen bekannten Historiker, Chef des städtischen Historischen Zentrums. Fachmann für einen anderen großen Sohn der Stadt - ein Schelm, wer sich daran stört, dass Friedrich Engels eine Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts ist.
Wuppertals Kulturdezernentin Marlis Drevermann
Foto: Stadt Wuppertal
Die Rechnung mit dem Eleven für das 20. Jahrhundert ging auf. Dr. Knieriem ließ die braunen Flecken auf der Bankiersweste immer weißer werden. Am Ende aller Vorträge war der Mann, der 1933 in den Niederlanden (!) Parteigenosse geworden war, angeblich um die Nazipartei für Kaiser Wilhelm auszuspähen, fast rehabilitiert. Auch die anderen Referenten bewiesen für fast alle Naziverquickungen psychologisches Einfühlungsvermögen und schier grenzenloses Verständnis.
Nur nicht überall nachfragen
Ein weiterer Schachzug der Kulturdezernentin war die Bestellung eines Journalisten zum Interviewen der Referenten. Der gebürtige Wuppertaler bekannte sogleich freimütig seinen (nicht unberechtigten, nicht unsympathischen) Stolz auf diese offizielle Aufarbeitung der Geschichte eines umstrittenen Ehrenbürgers. So fiel Stefan Koldehoff als Advocatus Diaboli aus. Nur einmal brachte er einen Referenten in Verlegenheit, als es um die Honorare und Rolle von der Heydts beim Freikaufen von Juden ging. Da könnte passiert sein, was nicht sein sollte. Aber nichts Genaues weiß man nicht, denn diese Quelle wurde von den Gutachtern ebenso wenig angezapft wie das FBI, der Mossad oder die Archive in Paris, Oslo, Stockholm, Istanbul oder Mexiko – wo immer es Spuren des umtriebigen „Geldwäschers“ gab, zumindest die Tatsache seiner Finanzdienstleistungen für die deutsche Abwehr konnte nicht schöngeredet werden.
Aufatmen bei denjenigen, die das Schlimmste befürchtet hatten, nämlich eine Mitwirkung des Kunstsammlers bei Raubkunst. Vielleicht könnte…, eventuell..., man weiß nicht..., bei „Fluchtkunst“ irgendetwas nicht ganz ordentlich gewesen sein - so die Schweizerin Esther Tisa Francini. Dass ein Werk aus der unschätzbaren Bildersammlung (und Schenkung) des Barons, ein Adolf von Menzel, inzwischen an die jüdischen Erben zurückgegeben werden musste, wurde nur beiläufig behandelt. Die unrühmliche Verweigerungsrolle, die die damalige Chefin des von der Heydt-Museums und ihr Kunstvereinsvorsitzender durch Missachtung des beispielhaften Ratsbeschlusses gespielt haben, ist nur denen unvergesslich, die an der starren Wuppertaler Haltung in Sachen Kunstpreisnamen zu leiden haben.
Selbst schuld, wer Opfer ist...
... nach diesem unausgesprochenen Motto gelang es, die Sympathie für von der Heydt zu stärken, die so manche Wuppertaler für ihren Mäzen empfinden. Dass er 1926 in den Stahlhelmbund ging – da waren ja auch seine alten Kumpane aus der Offiziersklicke. Der Parteieintritt schon 1933? Musste sein, war damals üblich, wenn man auf der Seite der Gewinner sein wollte: Ein „Märzgefallener“ (nach der „Machtergreifung“ Hitlers im Frühjahr 33). Diese Retuschen kamen an. Hörbar wurde gemurrt, wenn Hajo Jahn von der Else Lasker-Schüler-Gesellschaft es wagte, Fragen zu stellen.
Hajo Jahn – fordert die Umbenennung des Kulturpreises
Foto: Manfred Brusten
Jahn hatte im Februar 2006 die Debatte um den Kulturpreis angestossen, der nach dem NS-belasteten Kunstmäzen benannt ist. Seitdem gilt der Berliner als Nestbeschmutzer. Dabei hat er den Baron persönlich nie verurteilt, „denn was einer im Leben macht, muss er vor sich selbst verantworten.“ Ihm und seiner Gesellschaft geht es allein um die Umbenennung des auch mit seinen Steuern finanzierten Kulturpreises. Ein Michael Kohlhaas sei er nicht. Wenn ein neuer Name erreicht sei, habe er Wichtigeres zu tun, etwa als Großvater von fünf Enkelkindern. Man müsse jedoch für Glaubwürdigkeit gegenüber den neuen Generationen sorgen, nicht nur schöne Reden halten gegen neues Nazitum und Extremismus.
Der neue Eulenspiegel war auch Chinese
Als Beweis für von er Heydts Weltläufigkeit, die zugleich seinem Schutzbedürfnis entsprungen sei, wurde ein einziges neues Ermittlungsergebnis präsentiert: Der weltgewandte, sprachversierte und „zugleich doch so schüchterne“ Baron hatte es geschafft, neben der Schweizer auch die chinesische Staatsangehörigkeit zu erhalten – indirekt vom berüchtigten nationalistischen General Jiang Jieshi (Tschiang Kai-Check). Der neue Till Eulenspiegel bekam das Dokument wegen seiner Kenntnisse chinesischer Kunst. Seine Ostasiatica-Sammlung legte den Grundstock zum Weltruf des Zürcher Rietberg-Museums.
Trotz der relativ einseitigen Bewertungen: Die Absicht einer „wissenschaftlichen Aufarbeitung“ ist löblich. Kontraproduktiv wirkte sich die Regie der Kulturdezernentin aus. Ausgewiesene Sachverständige mit anderer Auslegung hätten das Vorhaben glaubhafter gemacht. Solche Wissenschaftler waren offensichtlich unerwünscht.
Dass das eine oder andere Verhalten des „Bankiers der Nazis“ (BamS) auch anders zu bewerten ist, hätte leicht ein Blick in die ebenfalls mit öffentlichen Mitteln ermöglichte Veröffentlichung des Wuppertaler Historikers Detlef Bell gezeigt. Die wichtigsten Rechercheergebnisse aus der Magisterarbeit dieses Wissenschaftlers wurden ignoriert oder verdreht. Dennoch können sie nicht unterschlagen werden, wie selbst das Wuppertaler Monopolzeitung WZ einräumt, die mit einem Gastkommentar eines weitläufigen Nachfahren des „gebildeten, kultivierten Kosmopoliten“ Eduard von der Heydt einen Persilschein erster Klasse abdruckte, der von Parteizugehörigkeit, Geldhilfe für deutsche Spione, Hausdurchsuchungen, Vernichtung von Beweismaterial, Untersuchungshaft etc. nichts wissen will. Dagegen wurde der Vereinsvorsitzende der Lasker-Schüler-Gesellschaft wider besseren Wissens in der Zeitung als „schärfsten Kritiker“ des Ehrenbürgers bezeichnet und hämisch vermerkt, Jahn habe auch nicht mehr in der Hand als die Korrespondenz des Barons mit dem Hitler-Stellvertreter.
Dieser Brief sei alles andere als devot, hatte einer der Referenten auf Fragen Jahns zum Wohlgefallen der Saalmehrheit belehrt. Die Grußformel „Heil Hitler“ hätten schließlich alle gegenüber dem zweithöchsten Mann im Staate anwenden müssen. Wer so argumentiert, arbeitet unkorrekt. Der Brief wurde am 23. April 1941 in der sicheren Schweiz geschrieben:
„Sehr verehrter Herr Reichsmarschall, Euere Exzellenz wollen meinen gehorsamsten Dank für Euerer Exzellenz freundliche Zeilen vom 8.ds. entgegennehmen“. Das 4seitige Schreiben endet mit dem Satz: „Ich bleibe stets mit besonderer Vorliebe zu Euerer Exzellenz zur Verfügung und hoffe, dass es mir vor allem gelingen wird, zum Ausbau der berühmten Sammlung Euerer Exzellenz beizutragen.... Mit herzlichen Grüßen und Heil Hitler verbleibe ich, sehr verehrter Herr Reichsmarschall, als Euerer Exzellenz ganz gehorsamster Eduard von der Heydt.“
Alles nur pure Ironie...
... wollten die Experten auf dem Podium wissen. Bilder, die Göring bekam oder bekommen sollte, wurden als minderwertig kleingeredet oder so dargestellt, als sei es die normalste Sache der Welt, wenn ein Bankier mit Schweizer Pass 1941 in eben jenem Brief schreibt, dass er sich „denke“, ein Bild aus dem Besitz seiner Tanten, allesamt „Gutsbesitzerinnen“ könne „vielleicht gegen ein Gut in Polen abgegeben“ werden. Nur zur Erinnerung: Polen war damals besetzt. Wer so einen Vorschlag macht, macht keine Eulenspiegelei. Also es ist reine Augenwischerei, einen solchen Mann so freizusprechen, damit ein Kulturpreis weiter nach ihm benannt bleibt. Schon mit dem Titel der Veranstaltung hatte Marlis Drevermann ihre wahren Absichten dargelegt: „Deutung nach Augenschein oder Tatsachenanalyse? Der Kunstsammler Dr. Eduard von der Heydt als Person der Zeitgeschichte“.
Völlig ignoriert wurde von den Drevermann-Experten, dass ihre renommierteren Schweizer Kollegen, die Professoren Jakob Tanner und Klaus Urner, von einem Justizskandal“ geschrieben bzw. erklärt hatten, dass der Baron im Gerichtsverfahren wegen seiner Geldgeschäfte mit der deutschen Abwehr sehr wahrscheinlich verurteilt worden wäre, wenn dieser Brief an Göring, aber auch andere Beweismittel aus den erst später geöffneten Archiven den Richtern vorgelegen hätten.
Verschwiegen wurde vor den etwa 250 Besuchern in der Camouflage-Veranstaltung weiterhin,
> dass die USA ein eigene Gesetz erlassen haben, um eine Sammlung und Geldanlagen dem als „Feind“ eingeschätzten Bankier nicht zurückzugeben,
> dass ein norwegisches Gericht 1953 in Oslo erklärt hat, von der Heydt habe „objektiv die Kriegsführung Deutschlands unterstützt“
> dass er Bildergeschäfte mit dem als ersten Kriegsverbrecher in Nürnberg hingerichteten Außenminister Joachim von Ribbentrop getätigt hat.
„Verhöhnung der Opfer“
nannte der Schriftsteller Ralph Giordano einmal die Tatsache, dass ein Unterstützer des Regimes alle zwei Jahre indirekt durch die Preisvergabe in seinem Namen geehrt wird. Vielleicht war es ja der Kulturdezernentin an diesem 3. Mai in der Stadthalle nicht eingefallen, darauf hinzuweisen, dass just am selben Tag in Wuppertal der „Israel-Tag“ gefeiert wurde: Seit 30 Jahren besteht die erste Partnerschaft zwischen einer israelischen und einer deutschen Großstadt, zwischen Beer Sheeva und Wuppertal, und israelische Mitglieder der Lasker-Schüler-Gesellschaft haben nun die offizielle Haltung der Partnerstadt zu ihrem Mäzen bitter vermerkt: "Deutung nach Augenschein oder Tatsachenanalyse?" besage, die Kritiker hätten bisher nur oberflächlich hingesehen, jetzt kämen die "wirklichen Tatsachen" von Frau Drevermann auf den Tisch. Und der Untertitel "Der Kunstsammler Dr. Eduard Freiherr von der Heydt als Person der Zeitgeschichte" ordne ihn damit den harmlosen zeittypischen Mitläufern zu.
Ralph Giordano hatte einst in diesem Zusammenhang erklärt: „Der Konsens, dass der Holocaust als ein singuläres Verbrechen nicht allein einer fanatischen Clique um Hitler und Co. anzulasten ist, sondern nur mit Hilfe Hunderttausender Deutscher - darunter vieler Vertreter der bürgerlichen Eliten wie den Bankier Eduard von der Heydt - ins Werk gesetzt werden konnte, geht, so steht zu befürchten, zunehmend verloren.“ Der Satz ist so aktuell wie damals.
Online-Flyer Nr. 94 vom 09.05.2007