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Arbeit und Soziales
Die kurzen Beine der Statistiker und ihre Medien
Immer nur die halbe Wahrheit
Von Hans-Dieter Hey
Schönrechner Müntefering
3.976 Mio. Erwerbslose für den April 2007 meldet Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit am 2. Mai und damit 17,2 % oder 823.817 Erwerbslose weniger als im April 2006. Tags zuvor hatte sich schon Arbeitsminister Müntefering (SPD) die Zahlen schön gerechnet. Denn was in der höfischen Berichterstattung verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass auch noch im April 2007 immerhin 6,291 Mio. Erwerbslose registriert waren, die entweder Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II bekamen. Unbekannt ist auch weitgehend, dass 104.000 Menschen nicht in der Statistik erscheinen, aber so wenig verdienen, dass sie als "Aufstocker" zusätzlich Arbeitslosengeld II erhalten, weil sie sonst ihre Familien nicht ernähren könnten.
Verkünder Münte – eines Tages schöne Staatsrente
Quelle: Bundestag
Ins statistische Nirwana verbannt sind auch die "offiziellen" ca. 262.000 Ein-Euro-Jobber. Inoffiziell sind es weitaus mehr, einige Fachleute gehen von mindestens 500.000 aus. In vielen Berufen werden sie - meist von Kleinbetrieben - rechtswidrig eingesetzt. Knapp die Hälfte des Rückgangs der Erwerbslosigkeit ist allein auf die Ein-Euro-Jobber zurück zu führen. Es muss davon ausgegangen werden, dass drei Viertel aller Ein-Euro-Jobs nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Durch sie wird enormer Druck auf die Normalarbeitsverhältnisse ausgeübt.
Extra-Gewinne für Arbeitgeber
Walter Radermacher, Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes spricht von „...einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, das abgelöst wird von ganz unterschiedlichen Formen der Erwerbsarbeit, viele davon im Bereich der marginalen Tätigkeiten, also durch geringe Arbeitszeiten oder geringe Einkommen geprägte Tätigkeiten". Die Normalarbeitsverhältnisse sind im vergangenen Jahr um 152.000 gesunken. Gerade auch im Osten Deutschlands arbeiten viele aus purer Not für einen 400-Euro-Job im Monat bis zu 40 Stunden die Woche im rechtsfreien Raum an der Sozialversicherung vorbei und verschaffen ihren "sozialschmarotzenden" Arbeitgebern private Extra-Gewinne. Keine Statistik erfasst das. Auf der anderen Seite sind ca. 14 % aller Beschäftigten in Deutschland unterbeschäftigt. 40 % von ihnen verdienen weniger als 400 Euro im Monat.
Getürkte Zahlen durch 1 Euro-Jobs – nicht nur in BILD
Statistisch ausgeblendet und deshalb öffentlich nicht existent sind auch die ca. 1,4 Mio. Erwerbslosen, die aus vielerlei Gründen keine staatlichen Zuwendungen bekommen, aber arbeitslos sind. Und trotz des milden Winters zum Jahreswechsel ist der saisonale Rückgang der Erwerbslosen von März auf April von 141.231 Menschen geringer als in den Vorjahren. Dramatisch ist auch die Entwicklung bei älteren Erwerbslosen. Nur noch 31 % der 55- 59jährigen und 16,4 % der 60- bis 64-jährigen haben überhaupt Arbeit. Nicht nur Ältere Erwerbstätige sind die Benachteiligten.
Taschenspielertricks beim Zählen
Auch ungezählte Jüngere bis zu 25 Jahre sind betroffen. Sie wurden durch das "Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz" wieder unter Mutters Schürze gezwungen, erhalten kein Arbeitslosengeld II und werden deshalb nicht mehr mitgezählt. Bis Ende des Jahres 2006 stieg die Jungendarbeitslosigkeit auf skandalöse 16 %. In Nordrhein-Westfalen werden 25 % der Kinder zur Armut gerechnet. Sie können sich nicht einmal das Mittagessen für 2,50 Euro in der Gesamtschule leisten. Doch auch diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie - wie jetzt herausgekommen ist - zum Teil schon sechs Jahre alt sind. Die aktuelle Realität dürfte noch bitterer sein.
Erwerbslosen-Demo – arm durch Arbeit
Foto: Hans-Dieter Hey
Nicht nur die deutsche Statistikkeule hat zugeschlagen. Auch auf europäischer Ebene wird "bereinigt". Europaweit soll die Erwerbstätigenquote nach EU-Regeln auf 70 % gesteigert werden. Mit dieser Zahl werden aller Erwerbstätigen zwischen 15 und 64 Jahren erfasst, um die Wachstumsentwicklung zu verfolgen. In Deutschland blieb dieses Ziel seit Jahren mit ca. 65 % hinter den Erwartungen - unbemerkt, weil in den Medien nicht veröffentlicht. Durch den Taschenspielertrick, Erwerbstätige mitzuzählen, die auch nur eine Stunde in der Woche arbeiten, wurde die Statistik schnell mal um 2,2 Mio. Arbeitsplätze angereichert. Dazu sagt das Statistische Bundesamt nach "Neues Deutschland" vom 2. Mai: "Nicht richtig erfasst wurden die so genannten atypischen oder marginalen Beschäftigungen, die der tradierten Vorstellung des Normalarbeitsverhältnisses nicht mehr entsprechen". Mit den statistischen Tricks ist auch Arbeitsagentur-Chef Weise nicht einverstanden. Spiegel online erklärte er am 2. Mai, dass es weiterhin viel zu viele Arbeitslose gäbe und viele gar nicht mehr in der Statistik erschienen. Für eine Überbewertung der Statistik gäbe es daher keinen Grund. Im Forschungsbericht Nr. 2/2007 bemängelt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, dass es nach der Einführung von Hartz-IV von den Arbeitsagenturen und Kommunen regelmäßig unvollständige Zahlen erhält. Beispielsweise ermittelte eine Studie für das 4. Quartal 2005 rund 290.000 Ein-Euro-Jobber, tatsächlich gab es aber 381.000.
Reallohnverlust von 5,1 Prozent
Während die negativen Arbeitsmarktdaten in aller Regel als abhängig von saisonalen Einflüssen oder vom miesen Wetter veröffentlicht werden, kommen die positiven Arbeitsmarktdaten immer als großer Erfolg der „Deutschen Wirtschaft“ und ihrem Aufschwung daher. Verantwortlich für die kurzfristige Konjunkturentwicklung ist wieder der Außenhandel. Der Exportüberschuss betrug 2006 rund 162 Mrd. Euro. Erinnern wir uns: In den Wachstumszeiten von 1997-2000 und 1988-1998 lagen die Wachstumsraten über drei Prozent. Für den Arbeitsmarkt hatte dies außer kurzfristigen Impulsen keine andauernde Wirkung. Große Euphorie über unser Wirtschaftswachstum von etwas über zwei Prozent mit Auswirkungen auf existenzsichernde und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze ist ganz sicher nicht angebracht.
Für viele die einzige Lösung: Dampf machen
Foto: Hans-Dieter Hey
Der derzeitige Aufschwung bleibt nämlich nur zu einem geringen Teil bei den Beschäftigten, die ihn erwirtschaftet haben. Die gestiegene Produktivität von ca. 1,9 Prozent verblieb genauso in den Taschen der Kapitaleigner wie die gestiegenen Lebenshaltungskosten von etwa zwei Prozent. Dagegen stiegen die Unternehmensgewinne 2006 um über 30 Mrd.
Euro. Die Brutto-Löhne in Deutschland sanken dagegen in den letzten zehn Jahren im Vergleich zum europäischen Ausland um 15 bis 30 Prozent. Der Reallohnverlust im gleichen Zeitraum lag bei 5,1 Prozent. Auch in 2006 sanken die nominalen Durchschnitts-Nettolöhne zum Vorjahr von 1458 auf 1453 Euro. Es gibt keinen Grund zur Zuversicht, dass dieses
Missverhältnis sich ändert. EU-Kommissar Vladimir Spidla gegenüber der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: "Wenn es so ist, dass jemand arbeitet und trotzdem zum Sozialamt gehen muss, weil der Lohn zum Leben nicht reicht, dann steht dies im krassen Widerspruch
zum europäischen Sozialmodell".
Die „Wahrheit“ von Kölner Stadt-Anzeiger und Welt
Insgesamt haben inzwischen dramatische 4,9 Mio. Menschen in Deutschland Armutseinkommen. Nur noch 44 % aller Beschäftigten haben überhaupt noch eine Vollzeitstelle, um Ihre Existenz zu sichern. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die ausländische Presse vom "Armenhaus Deutschland" spricht, wie die Zeitschrift " Sonntags-Blick - online" aus der Schweiz. Um die Armutsfalle nach unten zu stoppen, fordern die Gewerkschaften einen gesetzlichen Mindestlohn. Doch sofort geben beispielsweise "Die Welt" und der "Kölner Stadt-Anzeiger" am 9. Mai als vermeintlich unangreifbare Wahrheit die Meinung wirtschaftsgesteuerter so genannter Fachleute aus dem IFO-Institut oder dem IWH-Institut weiter, die angeblich herausgefunden haben wollen, dass eine Mindestlohneinführung 621.000 Arbeitsplätze kosten würde. So funktioniert die Angstkeule weiterhin.
Der Optimist sieht immer den vollen Teil des Glases. Auf den Arbeitsmarkt bezogen heißt es allerdings, dass dieser volle Teil immer kleiner wird. Was sagen schon einige hunderttausend neue - meist prekäre - Arbeitsplätze oder Ein-Euro-Jobs, wenn in den vergangenen Jahren 1,6 Mio. Normalarbeitsplätze vernichtet wurden? Wenn zum Beispiel die Automobilindustrie davon ausgeht, dass dort in den nächsten Jahren 25 % der Arbeitsplätze abgeschafft werden? Wenn Betriebsausgliederungen nicht nur bei der Telekom zwangsläufig nach allen Erfahrungen Arbeitsplätze kosten werden? Wenn Zukunftsforscher davon ausgehen, dass es in nicht allzu ferner Zeit nur noch ca. 30 % Normalarbeitsplätze geben wird, der Rest sich aber prekär und darüber hinaus auch noch weltweit als Arbeitsnomaden verdingen muss oder gar keine Chancen mehr hat? Dann ist Arbeitsminister Müntefering fein raus, weil er eines Tages eine schöne Staatsrente beziehen wird. Und seine Propagandisten in den üblichen Medien dürfen weiter Karriere machen.
Online-Flyer Nr. 96 vom 23.05.2007
Die kurzen Beine der Statistiker und ihre Medien
Immer nur die halbe Wahrheit
Von Hans-Dieter Hey
Schönrechner Müntefering
3.976 Mio. Erwerbslose für den April 2007 meldet Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit am 2. Mai und damit 17,2 % oder 823.817 Erwerbslose weniger als im April 2006. Tags zuvor hatte sich schon Arbeitsminister Müntefering (SPD) die Zahlen schön gerechnet. Denn was in der höfischen Berichterstattung verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass auch noch im April 2007 immerhin 6,291 Mio. Erwerbslose registriert waren, die entweder Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II bekamen. Unbekannt ist auch weitgehend, dass 104.000 Menschen nicht in der Statistik erscheinen, aber so wenig verdienen, dass sie als "Aufstocker" zusätzlich Arbeitslosengeld II erhalten, weil sie sonst ihre Familien nicht ernähren könnten.
Verkünder Münte – eines Tages schöne Staatsrente
Quelle: Bundestag
Ins statistische Nirwana verbannt sind auch die "offiziellen" ca. 262.000 Ein-Euro-Jobber. Inoffiziell sind es weitaus mehr, einige Fachleute gehen von mindestens 500.000 aus. In vielen Berufen werden sie - meist von Kleinbetrieben - rechtswidrig eingesetzt. Knapp die Hälfte des Rückgangs der Erwerbslosigkeit ist allein auf die Ein-Euro-Jobber zurück zu führen. Es muss davon ausgegangen werden, dass drei Viertel aller Ein-Euro-Jobs nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Durch sie wird enormer Druck auf die Normalarbeitsverhältnisse ausgeübt.
Extra-Gewinne für Arbeitgeber
Walter Radermacher, Vizepräsident des Statistischen Bundesamtes spricht von „...einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, das abgelöst wird von ganz unterschiedlichen Formen der Erwerbsarbeit, viele davon im Bereich der marginalen Tätigkeiten, also durch geringe Arbeitszeiten oder geringe Einkommen geprägte Tätigkeiten". Die Normalarbeitsverhältnisse sind im vergangenen Jahr um 152.000 gesunken. Gerade auch im Osten Deutschlands arbeiten viele aus purer Not für einen 400-Euro-Job im Monat bis zu 40 Stunden die Woche im rechtsfreien Raum an der Sozialversicherung vorbei und verschaffen ihren "sozialschmarotzenden" Arbeitgebern private Extra-Gewinne. Keine Statistik erfasst das. Auf der anderen Seite sind ca. 14 % aller Beschäftigten in Deutschland unterbeschäftigt. 40 % von ihnen verdienen weniger als 400 Euro im Monat.
Getürkte Zahlen durch 1 Euro-Jobs – nicht nur in BILD
Statistisch ausgeblendet und deshalb öffentlich nicht existent sind auch die ca. 1,4 Mio. Erwerbslosen, die aus vielerlei Gründen keine staatlichen Zuwendungen bekommen, aber arbeitslos sind. Und trotz des milden Winters zum Jahreswechsel ist der saisonale Rückgang der Erwerbslosen von März auf April von 141.231 Menschen geringer als in den Vorjahren. Dramatisch ist auch die Entwicklung bei älteren Erwerbslosen. Nur noch 31 % der 55- 59jährigen und 16,4 % der 60- bis 64-jährigen haben überhaupt Arbeit. Nicht nur Ältere Erwerbstätige sind die Benachteiligten.
Taschenspielertricks beim Zählen
Auch ungezählte Jüngere bis zu 25 Jahre sind betroffen. Sie wurden durch das "Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz" wieder unter Mutters Schürze gezwungen, erhalten kein Arbeitslosengeld II und werden deshalb nicht mehr mitgezählt. Bis Ende des Jahres 2006 stieg die Jungendarbeitslosigkeit auf skandalöse 16 %. In Nordrhein-Westfalen werden 25 % der Kinder zur Armut gerechnet. Sie können sich nicht einmal das Mittagessen für 2,50 Euro in der Gesamtschule leisten. Doch auch diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie - wie jetzt herausgekommen ist - zum Teil schon sechs Jahre alt sind. Die aktuelle Realität dürfte noch bitterer sein.
Erwerbslosen-Demo – arm durch Arbeit
Foto: Hans-Dieter Hey
Nicht nur die deutsche Statistikkeule hat zugeschlagen. Auch auf europäischer Ebene wird "bereinigt". Europaweit soll die Erwerbstätigenquote nach EU-Regeln auf 70 % gesteigert werden. Mit dieser Zahl werden aller Erwerbstätigen zwischen 15 und 64 Jahren erfasst, um die Wachstumsentwicklung zu verfolgen. In Deutschland blieb dieses Ziel seit Jahren mit ca. 65 % hinter den Erwartungen - unbemerkt, weil in den Medien nicht veröffentlicht. Durch den Taschenspielertrick, Erwerbstätige mitzuzählen, die auch nur eine Stunde in der Woche arbeiten, wurde die Statistik schnell mal um 2,2 Mio. Arbeitsplätze angereichert. Dazu sagt das Statistische Bundesamt nach "Neues Deutschland" vom 2. Mai: "Nicht richtig erfasst wurden die so genannten atypischen oder marginalen Beschäftigungen, die der tradierten Vorstellung des Normalarbeitsverhältnisses nicht mehr entsprechen". Mit den statistischen Tricks ist auch Arbeitsagentur-Chef Weise nicht einverstanden. Spiegel online erklärte er am 2. Mai, dass es weiterhin viel zu viele Arbeitslose gäbe und viele gar nicht mehr in der Statistik erschienen. Für eine Überbewertung der Statistik gäbe es daher keinen Grund. Im Forschungsbericht Nr. 2/2007 bemängelt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, dass es nach der Einführung von Hartz-IV von den Arbeitsagenturen und Kommunen regelmäßig unvollständige Zahlen erhält. Beispielsweise ermittelte eine Studie für das 4. Quartal 2005 rund 290.000 Ein-Euro-Jobber, tatsächlich gab es aber 381.000.
Reallohnverlust von 5,1 Prozent
Während die negativen Arbeitsmarktdaten in aller Regel als abhängig von saisonalen Einflüssen oder vom miesen Wetter veröffentlicht werden, kommen die positiven Arbeitsmarktdaten immer als großer Erfolg der „Deutschen Wirtschaft“ und ihrem Aufschwung daher. Verantwortlich für die kurzfristige Konjunkturentwicklung ist wieder der Außenhandel. Der Exportüberschuss betrug 2006 rund 162 Mrd. Euro. Erinnern wir uns: In den Wachstumszeiten von 1997-2000 und 1988-1998 lagen die Wachstumsraten über drei Prozent. Für den Arbeitsmarkt hatte dies außer kurzfristigen Impulsen keine andauernde Wirkung. Große Euphorie über unser Wirtschaftswachstum von etwas über zwei Prozent mit Auswirkungen auf existenzsichernde und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze ist ganz sicher nicht angebracht.
Für viele die einzige Lösung: Dampf machen
Foto: Hans-Dieter Hey
Der derzeitige Aufschwung bleibt nämlich nur zu einem geringen Teil bei den Beschäftigten, die ihn erwirtschaftet haben. Die gestiegene Produktivität von ca. 1,9 Prozent verblieb genauso in den Taschen der Kapitaleigner wie die gestiegenen Lebenshaltungskosten von etwa zwei Prozent. Dagegen stiegen die Unternehmensgewinne 2006 um über 30 Mrd.
Euro. Die Brutto-Löhne in Deutschland sanken dagegen in den letzten zehn Jahren im Vergleich zum europäischen Ausland um 15 bis 30 Prozent. Der Reallohnverlust im gleichen Zeitraum lag bei 5,1 Prozent. Auch in 2006 sanken die nominalen Durchschnitts-Nettolöhne zum Vorjahr von 1458 auf 1453 Euro. Es gibt keinen Grund zur Zuversicht, dass dieses
Missverhältnis sich ändert. EU-Kommissar Vladimir Spidla gegenüber der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: "Wenn es so ist, dass jemand arbeitet und trotzdem zum Sozialamt gehen muss, weil der Lohn zum Leben nicht reicht, dann steht dies im krassen Widerspruch
zum europäischen Sozialmodell".
Die „Wahrheit“ von Kölner Stadt-Anzeiger und Welt
Insgesamt haben inzwischen dramatische 4,9 Mio. Menschen in Deutschland Armutseinkommen. Nur noch 44 % aller Beschäftigten haben überhaupt noch eine Vollzeitstelle, um Ihre Existenz zu sichern. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die ausländische Presse vom "Armenhaus Deutschland" spricht, wie die Zeitschrift " Sonntags-Blick - online" aus der Schweiz. Um die Armutsfalle nach unten zu stoppen, fordern die Gewerkschaften einen gesetzlichen Mindestlohn. Doch sofort geben beispielsweise "Die Welt" und der "Kölner Stadt-Anzeiger" am 9. Mai als vermeintlich unangreifbare Wahrheit die Meinung wirtschaftsgesteuerter so genannter Fachleute aus dem IFO-Institut oder dem IWH-Institut weiter, die angeblich herausgefunden haben wollen, dass eine Mindestlohneinführung 621.000 Arbeitsplätze kosten würde. So funktioniert die Angstkeule weiterhin.
Der Optimist sieht immer den vollen Teil des Glases. Auf den Arbeitsmarkt bezogen heißt es allerdings, dass dieser volle Teil immer kleiner wird. Was sagen schon einige hunderttausend neue - meist prekäre - Arbeitsplätze oder Ein-Euro-Jobs, wenn in den vergangenen Jahren 1,6 Mio. Normalarbeitsplätze vernichtet wurden? Wenn zum Beispiel die Automobilindustrie davon ausgeht, dass dort in den nächsten Jahren 25 % der Arbeitsplätze abgeschafft werden? Wenn Betriebsausgliederungen nicht nur bei der Telekom zwangsläufig nach allen Erfahrungen Arbeitsplätze kosten werden? Wenn Zukunftsforscher davon ausgehen, dass es in nicht allzu ferner Zeit nur noch ca. 30 % Normalarbeitsplätze geben wird, der Rest sich aber prekär und darüber hinaus auch noch weltweit als Arbeitsnomaden verdingen muss oder gar keine Chancen mehr hat? Dann ist Arbeitsminister Müntefering fein raus, weil er eines Tages eine schöne Staatsrente beziehen wird. Und seine Propagandisten in den üblichen Medien dürfen weiter Karriere machen.
Online-Flyer Nr. 96 vom 23.05.2007