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Lokales
Professoren und Journalisten protestieren bei Generalbundesanwältin Harms
Kritische Forschung Terrorismus?
Von Peter Kleinert

„Der Generalbundesanwalt ermittelt seit 2001 gegen Mitglieder der linksterroristischen Vereinigung „militante gruppe (mg)", die sich bisher zu zehn Brandanschlägen in Berlin und Umgebung bekannt hat...“, verkündet das Bundeskriminalamt auf seiner Internetseite. Der Bitte des BKA um „Hinweise“ ist nun das Rheinische JournalistInnenbüro in Köln mit einer Selbstbezichtigung in einem Brief an Generalbundesanwältin Monika Harms nachgekommen:
An den
Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof
Brauerstr. 30
76135 Karlsruhe
17. August 2007
Betr.: Selbstbezichtigung nach §129a StGB

An die Herren und Damen des Morgengrauens!

 
In einem seit 2006 von der Bundesanwaltschaft geführten Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 2 Nr. 2 StGB wurde neben drei anderen Personen am 31.7.2007 der Soziologe Dr. Andrej H. festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, Mitglied der „militanten gruppe“ zu sein, die seit 2001 mehrere Brandanschläge verübt hat. Andrej H. wird vorgeworfen, sich mit einem der drei anderen Beschuldigten getroffen zu haben, wobei über Inhalte und Anlass des Treffens nichts bekannt ist.

Weiterhin wird er in der Anklageschrift beschuldigt, „als promovierter Politologe [sei] er zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der „militante(n) Gruppe (mg)“ zu verfassen, zum anderen [stünden] ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung von Bekennerschreiben erforderlichen Recherchen durchzuführen.“ Eine weitere Beschuldigung lautet: „Als Promotionsstipendiat verfügt er, ebenso … über die intellektuellen und sachlichen Voraussetzungen, die für das Verfassen der vergleichsweise anspruchsvollen Texte der militanten Gruppe erforderlich sind.“
 
Mit dieser Selbstbezichtigung möchten wir unserer BürgerInnenpflicht nachkommen und einen Anfangsverdacht bezüglich unserer eigenen Personen melden.

Wir betrachten aufgrund der unten stehenden Punkte einen Anfangsverdacht als gegeben, Mitglied einer terroristischen Vereinigung nach §129a StGB sein zu können.


Dienststelle der Generalbundesanwältin in Karlsruhe
Quelle: GBA


Begründung:

* Als JournalistInnen erfüllen wir die intellektuellen und sachlichen Voraussetzungen, die für das Verfassen eines vergleichsweise anspruchsvollen system- und herrschaftskritischen Bekennerschreibens erforderlich sind.

* Uns stehen Bibliotheken (z.B. in unserm Büro, im WDR und anderswo) zur Verfügung, die wir unauffällig nutzen können, um die zur Erstellung eines Bekennerschreibens erforderlichen Recherchen durchzuführen.

* Wir haben uns irgendwann mit Menschen getroffen, bei denen wir nicht ausschließen können, dass sie Straftaten begehen könnten (Hausbesetzung, Farbbeutelwurf, Fahren ohne Führerschein).

* Von uns verfasste Artikel, wissenschaftliche Abhandlungen und Bücher enthalten Schlagwörter und Phrasen, die in Texten der 'militanten gruppe' ebenfalls verwendet werden. (vgl. Bibliographie in unserem Buch: „Widerworte – Journalismus im Kollektiv“. Berlin/Hamburg/Göttingen 2003).

* Wir beschäftigen uns privat und beruflich mit Themen wie ungerechter Weltwirtschaftsordnung, Prekarisierung, Stadt- und Regionalentwicklung...

* Wir sind in Köln, Aachen, Koblenz und Vielenburg am Harz aufgewachsen und verfügen daher über gute Ortskenntnisse, die für die Verübung eines Anschlages erforderlich wären.

* Wir haben an Demonstrationen und anderen Aktionen gegen den G8-Gipfel teilgenommen, die nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet haben.

Birgit Morgenrath (Geburtsdatum: 7.7.1954, Geburtsort: Aachen)
Albrecht Kieser (Geburtsdatum: 26.4.1949, Geburtsort: Braunschweig)
Gerhard Klas (Geburtsdatum: 23.5.1967, Geburtsort: Trier)
Karl Rössel (Geburtsdatum: 30.3.1953, Geburtsort: Köln)

„Konspirative Gespräche“ ohne Handy

Der 36jährige Berliner Stadtsoziologe Dr. Andrej Holm wurde am 31. Juli nach Durchsuchung seiner Wohnung und seines Arbeitsplatzes festgenommen, mit einem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen und dort dem Haftrichter vorgeführt. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft in Berlin. Wenige Stunden vorher wurden in Brandenburg Florian L., Oliver R. und Axel H. festgenommen. Ihnen wird versuchte Brandstiftung bei vier Fahrzeugen der Bundeswehr vorgeworfen. Andrej Holm so einen der drei im ersten Halbjahr 2007 zweimal unter angeblich konspirativen Umständen getroffen haben. Der Vorwurf lautet bei allen , “Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB”. (Foto: Monika Harms, GBAin, Quelle: GBA)

Einigen der Gefangenen wird vorgeworfen, sich “konspirativ” verhalten zu haben: Sie hätten Gespräche geführt, ohne ihr mobile phone dabei zu haben; sie hätten sich am Telefon verabredet, ohne Uhrzeit und Treffpunkt zu nennen. Kriminalisiert wird also der Versuch, seine Privatsphäre zu schützen – so wird als weiterer „Beweis” für die Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung” ein konspiratives Verhalten unterstellt.
 
Jede politische Arbeit potentiell kriminell  

Einige Dutzend Professoren verschiedener Universitäten u.a. in Deutschland, den USA, Australien, Holland und Großbritannien haben inzwischen als Erstunterzeichner eine Protesterklärung an den Generalbundesanwalt geschickt. Darin heißt es im Hinblick auf die „Beweisführung“: „Mit diesen Konstrukten wird jede wissenschaftliche Tätigkeit und politische Arbeit als potentiell kriminell dargestellt – insbesondere wenn es sich um politisch engagierte Kollegen handelt, die auch in gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingreifen – damit wird kritische Forschung, und gerade die, die mit politischem Engagement verbunden ist, zur ideologischen Rädelsführerschaft und ,Terrorismus'.

Wir fordern die Bundesanwaltschaft auf, umgehend das § 129a-Verfahren gegen alle Beteiligten einzustellen und Andrej Holm sowie die anderen Inhaftierten sofort aus der Haft zu entlassen. Wir verwahren uns aufs Schärfste gegen den unglaublichen Vorwurf, die wissenschaftliche Tätigkeit und das politische Engagement von Andrej Holm sei als intellektuelle Mittäterschaft in einer angeblichen „terroristischen Vereinigung” zu bewerten. Aus der wissenschaftlichen und politischen Arbeit von Andrej Holm lässt sich kein Haftbefehl herleiten – vielmehr wird hier von der Bundesanwaltschaft mit dem § 129a die Freiheit von Forschung und Lehre ebenso bedroht wie gesellschaftspolitisches Engagement."

Mit Selbstbezichtigungen bombardieren!  

Die Unterzeichner der Selbstbezichtigung des Rheinischen JournalistInnenbüros fordern in einem Rundschreiben ihre Adressaten auf:

„Bitte verbreitet die Infos und die Selbstbezichtigungserklärungen, schickt sie weiter an FreundInnen und Bekannte, stellt sie in Internetverteiler und/oder publiziert sie wo immer möglich. Proteste wirken nur, wenn sie von vielen getragen werden. Dass sie – vor dem Hintergrund stetig verschärfter Repressionsinstrumente des Staates – notwendig und dringlich sind, steht außer Zweifel. Auch sind wir doch alle – und darauf können wir durchaus ein wenig stolz sein – in den Augen der Herren und Damen des Morgengrauens TerroristInnen. Tun wir also, was unserem Ruf entspricht, und bombardieren wir die Bundesanwaltschaft mit Protestbriefen und Selbstbezichtigungen.“ (PK)


Weitere Informationen unter www.einstellung.so36.net und 
www.assoziation-a.de


Online-Flyer Nr. 109  vom 22.08.2007



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