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Fotogalerien
Gemälde und Zeichnungen von 1932-1960 im Museum Ludwig, Köln
Balthus: Die Erotik der aufgehobenen Zeit
Von Peter V. Brinkemper
Eine unverstandene Stilmixtur
Mit etwa 70 Gemälden und Zeichnungen aus dem Zeitraum von 1932 bis 1960 präsentiert das Museum Ludwig in Kooperation mit Dr. Sabine Rewald, der Balthus-Expertin des Metropolitan Museum of Art in New York, aus internationalen und privaten Sammlungen einen aussagekräftigen Querschnitt, ergänzt durch den instruktiv von der Kuratorin betreuten Katalog, der bei Schirmer/Mosel erschienen ist. Darin wird anhand von vielen kulturgeschichtlichen Verweisen die eigen- und einzigartige Stilmixtur des Künstlers erläutert, der zu Lebzeiten immer wieder unverstanden blieb: etwa die Annäherungen an die Renaissance mit ihren Piéta- und Engels-Motiven und der erst schrittweise durchkonstruierten Raumperspektive. Dazu gehören auch vor-surreale Paradoxien wie in Lewis Carrols „Alice im Wunderland“ und als Gegenbewegung zum typischen Surrealismus (mit seiner Zerrüttung von Figuren, Raum und Zeit), die Affinität zu einer Art neuen Sachlichkeit, wie sie in Deutschland von Dix, Grosz und Schad malerisch ausgearbeitet wurde.
Balthus – Juan und Dolores Miro, 1937-38
Alle Bilder: Museum Ludwig, Köln
Dabei durchkreuzt und überbietet Balthus’ klassisch-ballettöses Poseninventar vor dem Hintergrund der auch bei anderen zeitgenössischen Künstlern üblichen sparsamen Raumgestaltung gerade die reportageförmige Nüchternheit, Detailfreude und Gegenwartsverbundenheit der angeführten deutschen Künstler. Dix, Grosz und Schad ging es um die malerische Erfassung der Aktualität, Balthus dagegen um die oft haptisch-sinnliche Übersteigerung des visuell erfassbaren Raumes in einer geradezu überzeitlichen Weise.
Der Skandal der Pubertät: Intimität oder Zurschaustellung?
Die Figuren der pubertierenden Mädchen, die immer wieder zu Skandalen führten, seien angeblich angesiedelt zwischen „dem Alltäglichen und dem Beunruhigenden, zwischen Unschuld und eklatanter Schamlosigkeit, zwischen Intimität und öffentlicher Zurschaustellung“, wie R.S. Short in „Erotically Lounging“ aus der Times 1983 im Katalog zitiert wird. Beim genaueren Hinsehen ergibt sich: Die eigentliche Spannung der Motive liegt aber ganz im Gegenteil in der Balance mehrerer Faktoren, der zum Teil strengen räumlichen Anordnung, der asketisch-distanzierten Beobachtung und der erst erwachenden oder noch vor sich hinträumenden Begierde.
Therese träumend, 1938
Das Verlangen ist auf Balthus’ Bildern sehr oft noch ganz bei sich selbst und nicht primär auf der Seite eines Beobachters. Es dämmert in der Tat, wie der Titel der Ausstellung es pointiert, im Medium einer „Aufgehobenen Zeit“, einer durchaus wilden, keineswegs harmlosen Latenz. Die Sehnsucht befindet sich im Raum einer imaginären, zum Teil realistisch codierten malerischen Intimität, und eben nicht, wie in dem obigen Zitat behauptet, in purer „Schamlosigkeit“ und „öffentlicher Zurschaustellung“.
La Patience, 1943
Der angebliche Skandal der Balthusschen Malerei besteht in der Konstruktion einer fast bilderlosen, unbeobachteten, kreatürlich lauernden Intimität, die in der heutigen Zeit der allgegenwärtigen visuellen Kontrolle und Abrichtung fast unvorstellbar wäre. Die Bilder zeigen die „Verwirrungen“, „Erkundungen“ und „Träume“ der jugendlichen menschlichen Seele jenseits von Gut und Böse, Scham und Exhibitionismus, in einer ambivalenten Zurückgezogenheit, in der das Begehren schlummert und sich nicht anpreist – wie heutzutage in den Medien – und in dieser Anpreisung zur plakativen Lüge und zum austauschbaren Verkauf wird. Das wäre allemal die Differenz von unschuldigem und schuldigem Blick, die Fähigkeit selbst noch einmal die Zeit anhalten zu können und seine Kindheit und den Übergang zur Jugend zwang- und gewaltlos zu erleben und ebenso wieder vergegenwärtigen zu können, ohne sie an ein vorschnelles Erwachsensein und seine Zensur, die uns oft übergestülpt werden, zu verraten. (CH)
Die Ausstellung ist noch bis zum 4. November 2007 zu sehen
Therese, 1938
La Fenetre, 1933
Im Gebirge, 1938
Online-Flyer Nr. 110 vom 29.08.2007
Gemälde und Zeichnungen von 1932-1960 im Museum Ludwig, Köln
Balthus: Die Erotik der aufgehobenen Zeit
Von Peter V. Brinkemper
Eine unverstandene Stilmixtur
Mit etwa 70 Gemälden und Zeichnungen aus dem Zeitraum von 1932 bis 1960 präsentiert das Museum Ludwig in Kooperation mit Dr. Sabine Rewald, der Balthus-Expertin des Metropolitan Museum of Art in New York, aus internationalen und privaten Sammlungen einen aussagekräftigen Querschnitt, ergänzt durch den instruktiv von der Kuratorin betreuten Katalog, der bei Schirmer/Mosel erschienen ist. Darin wird anhand von vielen kulturgeschichtlichen Verweisen die eigen- und einzigartige Stilmixtur des Künstlers erläutert, der zu Lebzeiten immer wieder unverstanden blieb: etwa die Annäherungen an die Renaissance mit ihren Piéta- und Engels-Motiven und der erst schrittweise durchkonstruierten Raumperspektive. Dazu gehören auch vor-surreale Paradoxien wie in Lewis Carrols „Alice im Wunderland“ und als Gegenbewegung zum typischen Surrealismus (mit seiner Zerrüttung von Figuren, Raum und Zeit), die Affinität zu einer Art neuen Sachlichkeit, wie sie in Deutschland von Dix, Grosz und Schad malerisch ausgearbeitet wurde.
Balthus – Juan und Dolores Miro, 1937-38
Alle Bilder: Museum Ludwig, Köln
Dabei durchkreuzt und überbietet Balthus’ klassisch-ballettöses Poseninventar vor dem Hintergrund der auch bei anderen zeitgenössischen Künstlern üblichen sparsamen Raumgestaltung gerade die reportageförmige Nüchternheit, Detailfreude und Gegenwartsverbundenheit der angeführten deutschen Künstler. Dix, Grosz und Schad ging es um die malerische Erfassung der Aktualität, Balthus dagegen um die oft haptisch-sinnliche Übersteigerung des visuell erfassbaren Raumes in einer geradezu überzeitlichen Weise.
Der Skandal der Pubertät: Intimität oder Zurschaustellung?
Die Figuren der pubertierenden Mädchen, die immer wieder zu Skandalen führten, seien angeblich angesiedelt zwischen „dem Alltäglichen und dem Beunruhigenden, zwischen Unschuld und eklatanter Schamlosigkeit, zwischen Intimität und öffentlicher Zurschaustellung“, wie R.S. Short in „Erotically Lounging“ aus der Times 1983 im Katalog zitiert wird. Beim genaueren Hinsehen ergibt sich: Die eigentliche Spannung der Motive liegt aber ganz im Gegenteil in der Balance mehrerer Faktoren, der zum Teil strengen räumlichen Anordnung, der asketisch-distanzierten Beobachtung und der erst erwachenden oder noch vor sich hinträumenden Begierde.
Therese träumend, 1938
Das Verlangen ist auf Balthus’ Bildern sehr oft noch ganz bei sich selbst und nicht primär auf der Seite eines Beobachters. Es dämmert in der Tat, wie der Titel der Ausstellung es pointiert, im Medium einer „Aufgehobenen Zeit“, einer durchaus wilden, keineswegs harmlosen Latenz. Die Sehnsucht befindet sich im Raum einer imaginären, zum Teil realistisch codierten malerischen Intimität, und eben nicht, wie in dem obigen Zitat behauptet, in purer „Schamlosigkeit“ und „öffentlicher Zurschaustellung“.
La Patience, 1943
Der angebliche Skandal der Balthusschen Malerei besteht in der Konstruktion einer fast bilderlosen, unbeobachteten, kreatürlich lauernden Intimität, die in der heutigen Zeit der allgegenwärtigen visuellen Kontrolle und Abrichtung fast unvorstellbar wäre. Die Bilder zeigen die „Verwirrungen“, „Erkundungen“ und „Träume“ der jugendlichen menschlichen Seele jenseits von Gut und Böse, Scham und Exhibitionismus, in einer ambivalenten Zurückgezogenheit, in der das Begehren schlummert und sich nicht anpreist – wie heutzutage in den Medien – und in dieser Anpreisung zur plakativen Lüge und zum austauschbaren Verkauf wird. Das wäre allemal die Differenz von unschuldigem und schuldigem Blick, die Fähigkeit selbst noch einmal die Zeit anhalten zu können und seine Kindheit und den Übergang zur Jugend zwang- und gewaltlos zu erleben und ebenso wieder vergegenwärtigen zu können, ohne sie an ein vorschnelles Erwachsensein und seine Zensur, die uns oft übergestülpt werden, zu verraten. (CH)
Die Ausstellung ist noch bis zum 4. November 2007 zu sehen
Therese, 1938
La Fenetre, 1933
Im Gebirge, 1938
Online-Flyer Nr. 110 vom 29.08.2007