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Kultur und Wissen
Medien, Kunst und Religion in einer neuen matten Allianz
Wie modern ist Richters neues Domfenster?
Von Peter V. Brinkemper
Entwurf für das Südquerhausfenster des Kölner Doms, 2007
Copyright: Gerhard Richter
Vorschnell behauptete Korrespondenzen im sakralen und profanen, im kirchlichen und im musealen Raum sind anscheinend nicht nur in den Sinfoniekonzerten des WDR im Dom (z.B. mit Anton Bruckners, dem „lieben Gott“ gewidmeter Neunter) gefragt. Sie werden auch der bildenden Kunst abverlangt, erweisen sich aber für den kritischen Gegenwartsästhetiker als schlaffe Konsumentenmodelle kultureller Vergreisung.
Während der Unterhaltungsriese RTL auf der Deutzer Rheinseite in den entkernten Messehallen martialisch Stellung bezieht, um mit seinen auf Dauerjugendlichkeit programmierten Sendungen zu drohen, suchen die traditionelle und die moderne Hochkultur Schutz beim Allerheiligsten. Fragt sich nur, wer da der liebe Gott ist. Gerhard Richters Entwurf für das 113 Quadratmeter große, recht eigentlich abstrakte Glasmosaik gibt sich zugleich komplex und schlicht, ganz ohne die sonst sichtbaren Muster, Figuren, Arabesken, Embleme, Köpfe, Porträts, Szenen aus der biblischen und der mittelalterlichen sowie der rheinisch-preußisch-deutschtümelnden Welt. Die 370.000 Euro, die Richter und Sponsoren aufgebracht haben, bleiben in bis zu 40 Meter Höhe gleichsam unsichtbar.
Gott bleibt unscharf
Das Design vermeidet eher eine visuelle Aussage, es basiert auf den aleatorischen (zufallsgeleiteten) Farbflächen-Kompositionen seiner Bilder in den 70er Jahren, wie sie etwa ein Werk mit dem Titel „4096 Farben“ einsetzt, das ganz zufällig gerade jetzt nebenan in der ständigen Sammlung des Museum Ludwig zu sehen ist und gleich als Modell zitiert wird, ebenso wie ein neueres, aber auf die gleiche einfallsreiche Weise produziertes Œuvre mit „4900“ Farben, einer Zufallskomposition mit nur 25 Ausgangswerten. Die überall in der heutigen PC-Welt rasant ansteigende Pixelzahl hält Richter in allen seinen Farb-Kachel-Werken einfach sehr gering: Das Bild Gottes bleibt beim „Diplom-Malermeister“ reichlich unscharf, ebenso wie damals das graue schemenhafte Bild der RAF-Terroristen. Ob das die spätkapitalistische Affinität der klassischen modernen Kunst zum Monopol der monotheistischen Religionen und ihres Bilderverbotes verdeutlichen soll?
Herbeigeredete Fingerstrahlen
Noch nicht einmal die von Festprediger Josef Sauerborn beschworene Symphonie aus Licht wird sichtbar. Eine wahrhaftige Genesis, eine biblische, kreationistische oder materialistische Ursuppe, aus den Farben der Sandstürme des Sinais und den Tsunamis des Roten Meeres, domestiziert durch den Farbkachelcode von Richter, wo käme da der Atem Gottes hin und das erste amöbische Leben her? Auch hier reißt keineswegs eine utopische Vision, keine intervenierende List der Vernunft, kein Fingerstrahl des allmächtigen und allwissenden Gottes eine Dosis Aufklärung oder gar Erleuchtung ins Dunkel des tausendjährigen Weltbaus oder des elegant noch oben strebenden, unter Preußischer Vorherrschaft vollendeten Kirchenhauses.
Scherbenhaufen ohne Transzendenz
Irgendwie sieht die Ausführung von Richters Fenster-Entwurf nicht aus wie eine Transparenz und Transzendenz schaffende Vision, sondern wie die Resteverwertung eines Scherbenhaufens von Glassplittern oder wie eine Filmloop-Fahne, die am Nachthimmel nachfunkelnde Flakfeuer und von oben aufgenommene und gerasterte Brandherde übereinander stapelt, aus den endlosen Bombenattacken der alliierten Flieger, die den Dom zur markanten Zielmarke ihrer tiefgreifenden Zerstörungs-Konvois nutzten.
Richter, „teuerster lebender Künstler", auf Ausstellung 2005
Foto: Hans Peter Schaefer
Nun schweben hoch oben im Maßwerk der Kathedrale 11.500 einzelne Glasquadrate eher traurig vor sich hin – in ähnlich zufälliger, clusterförmiger Ansammlung, wie sonst auf den brav informellen Bildern, allerdings merkwürdig unterteilt durch die vorgegebenen Strukturen von Rosette, Pfeilern und den dem Künstler am meisten entgegenkommenden größeren Quadrat-Elementen. Operiert wird angesichts eines solchen mit der Architektur im moderaten Widerstreit liegenden Mosaikteppichs mit immerhin 48 kleineren und 36 größeren Bild-Quadraten bei einem ebenfalls keineswegs breit gestreuten Repertoire von 72 Grundtönen.
Hybrides Butzen-Scheiben-Werk
Bei so viel Fläche wurde mit Hilfe eines computergesteuerten Zufalls-Verfahren und zugleich mit gegenläufigen kompositorischen Spiegelungen und Wiederholungen operiert, um ein bisschen Leben und auch ein bisschen Form in die zerbröselte Substanz zu bringen. Was dabei heraus kommt, ist weder ein richtiger Richter noch eine falsche Neogotik, sondern ein hybrides Butzen-Scheiben-Fenster-2007, echte schlechte Kompromiss-Kirchenkunst, bei der sich die Hochgotik und die Farbcodes der 70er Jahre gegenseitig abschwächen. Während die älteren Fensterfassaden in ihren authentischen oder restaurativen Fassungen suggestive oder kitschig-heimelige Botschaften in warmen Tönen verstrahlen, beeindruckt Richters „Windows“ durch eine bedienungs-unfreundliche Kälte und eine Ratlosigkeit, die kein Mysterium aufkommen lassen will, so sehr auch die Besucher von den Kirchenbänken aus die Hälse recken, als sei nun eine echte Offenbarung irgendwo zwischen neuer Religiosität und bereits etablierter Kunst-Moderne im Ewigkeitsraum des Domes zu erhaschen.
Gerhard Richter, Südquerhausfenster des Kölner Doms (Ausschnitt)
Foto: Matthias Deml, Dombauverwaltung | Copyright: Richter
Die Documenta Gottes bleibt aus. Gott versteckt sich, ebenso wie der bei der Eröffnungszeremonie ferngebliebene Kardinal Meisner, der das Werk im Gegensatz zum mehrheitlich dafür votierenden Dom-Kapitel einfach nicht mag. Zeugt dies von gutem Geschmack oder von mangelnder Fähigkeit zu offener Auseinandersetzung? (CH)
Online-Flyer Nr. 110 vom 29.08.2007
Medien, Kunst und Religion in einer neuen matten Allianz
Wie modern ist Richters neues Domfenster?
Von Peter V. Brinkemper
Entwurf für das Südquerhausfenster des Kölner Doms, 2007
Copyright: Gerhard Richter
Vorschnell behauptete Korrespondenzen im sakralen und profanen, im kirchlichen und im musealen Raum sind anscheinend nicht nur in den Sinfoniekonzerten des WDR im Dom (z.B. mit Anton Bruckners, dem „lieben Gott“ gewidmeter Neunter) gefragt. Sie werden auch der bildenden Kunst abverlangt, erweisen sich aber für den kritischen Gegenwartsästhetiker als schlaffe Konsumentenmodelle kultureller Vergreisung.
Während der Unterhaltungsriese RTL auf der Deutzer Rheinseite in den entkernten Messehallen martialisch Stellung bezieht, um mit seinen auf Dauerjugendlichkeit programmierten Sendungen zu drohen, suchen die traditionelle und die moderne Hochkultur Schutz beim Allerheiligsten. Fragt sich nur, wer da der liebe Gott ist. Gerhard Richters Entwurf für das 113 Quadratmeter große, recht eigentlich abstrakte Glasmosaik gibt sich zugleich komplex und schlicht, ganz ohne die sonst sichtbaren Muster, Figuren, Arabesken, Embleme, Köpfe, Porträts, Szenen aus der biblischen und der mittelalterlichen sowie der rheinisch-preußisch-deutschtümelnden Welt. Die 370.000 Euro, die Richter und Sponsoren aufgebracht haben, bleiben in bis zu 40 Meter Höhe gleichsam unsichtbar.
Gott bleibt unscharf
Das Design vermeidet eher eine visuelle Aussage, es basiert auf den aleatorischen (zufallsgeleiteten) Farbflächen-Kompositionen seiner Bilder in den 70er Jahren, wie sie etwa ein Werk mit dem Titel „4096 Farben“ einsetzt, das ganz zufällig gerade jetzt nebenan in der ständigen Sammlung des Museum Ludwig zu sehen ist und gleich als Modell zitiert wird, ebenso wie ein neueres, aber auf die gleiche einfallsreiche Weise produziertes Œuvre mit „4900“ Farben, einer Zufallskomposition mit nur 25 Ausgangswerten. Die überall in der heutigen PC-Welt rasant ansteigende Pixelzahl hält Richter in allen seinen Farb-Kachel-Werken einfach sehr gering: Das Bild Gottes bleibt beim „Diplom-Malermeister“ reichlich unscharf, ebenso wie damals das graue schemenhafte Bild der RAF-Terroristen. Ob das die spätkapitalistische Affinität der klassischen modernen Kunst zum Monopol der monotheistischen Religionen und ihres Bilderverbotes verdeutlichen soll?
Herbeigeredete Fingerstrahlen
Noch nicht einmal die von Festprediger Josef Sauerborn beschworene Symphonie aus Licht wird sichtbar. Eine wahrhaftige Genesis, eine biblische, kreationistische oder materialistische Ursuppe, aus den Farben der Sandstürme des Sinais und den Tsunamis des Roten Meeres, domestiziert durch den Farbkachelcode von Richter, wo käme da der Atem Gottes hin und das erste amöbische Leben her? Auch hier reißt keineswegs eine utopische Vision, keine intervenierende List der Vernunft, kein Fingerstrahl des allmächtigen und allwissenden Gottes eine Dosis Aufklärung oder gar Erleuchtung ins Dunkel des tausendjährigen Weltbaus oder des elegant noch oben strebenden, unter Preußischer Vorherrschaft vollendeten Kirchenhauses.
Scherbenhaufen ohne Transzendenz
Irgendwie sieht die Ausführung von Richters Fenster-Entwurf nicht aus wie eine Transparenz und Transzendenz schaffende Vision, sondern wie die Resteverwertung eines Scherbenhaufens von Glassplittern oder wie eine Filmloop-Fahne, die am Nachthimmel nachfunkelnde Flakfeuer und von oben aufgenommene und gerasterte Brandherde übereinander stapelt, aus den endlosen Bombenattacken der alliierten Flieger, die den Dom zur markanten Zielmarke ihrer tiefgreifenden Zerstörungs-Konvois nutzten.
Richter, „teuerster lebender Künstler", auf Ausstellung 2005
Foto: Hans Peter Schaefer
Nun schweben hoch oben im Maßwerk der Kathedrale 11.500 einzelne Glasquadrate eher traurig vor sich hin – in ähnlich zufälliger, clusterförmiger Ansammlung, wie sonst auf den brav informellen Bildern, allerdings merkwürdig unterteilt durch die vorgegebenen Strukturen von Rosette, Pfeilern und den dem Künstler am meisten entgegenkommenden größeren Quadrat-Elementen. Operiert wird angesichts eines solchen mit der Architektur im moderaten Widerstreit liegenden Mosaikteppichs mit immerhin 48 kleineren und 36 größeren Bild-Quadraten bei einem ebenfalls keineswegs breit gestreuten Repertoire von 72 Grundtönen.
Hybrides Butzen-Scheiben-Werk
Bei so viel Fläche wurde mit Hilfe eines computergesteuerten Zufalls-Verfahren und zugleich mit gegenläufigen kompositorischen Spiegelungen und Wiederholungen operiert, um ein bisschen Leben und auch ein bisschen Form in die zerbröselte Substanz zu bringen. Was dabei heraus kommt, ist weder ein richtiger Richter noch eine falsche Neogotik, sondern ein hybrides Butzen-Scheiben-Fenster-2007, echte schlechte Kompromiss-Kirchenkunst, bei der sich die Hochgotik und die Farbcodes der 70er Jahre gegenseitig abschwächen. Während die älteren Fensterfassaden in ihren authentischen oder restaurativen Fassungen suggestive oder kitschig-heimelige Botschaften in warmen Tönen verstrahlen, beeindruckt Richters „Windows“ durch eine bedienungs-unfreundliche Kälte und eine Ratlosigkeit, die kein Mysterium aufkommen lassen will, so sehr auch die Besucher von den Kirchenbänken aus die Hälse recken, als sei nun eine echte Offenbarung irgendwo zwischen neuer Religiosität und bereits etablierter Kunst-Moderne im Ewigkeitsraum des Domes zu erhaschen.
Gerhard Richter, Südquerhausfenster des Kölner Doms (Ausschnitt)
Foto: Matthias Deml, Dombauverwaltung | Copyright: Richter
Die Documenta Gottes bleibt aus. Gott versteckt sich, ebenso wie der bei der Eröffnungszeremonie ferngebliebene Kardinal Meisner, der das Werk im Gegensatz zum mehrheitlich dafür votierenden Dom-Kapitel einfach nicht mag. Zeugt dies von gutem Geschmack oder von mangelnder Fähigkeit zu offener Auseinandersetzung? (CH)
Online-Flyer Nr. 110 vom 29.08.2007