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Inland
Polizeizeugen provozieren richterliche Standpauke in Dessau
Eklatante Widersprüche
Von Rolf Gössner
Ouri Jalloh
Quelle: attac
Jalloh war Anfang 2005 in betrunkenem Zustand in Polizeigewahrsam geraten. Die Polizisten fesselten ihn an Händen und Füßen, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einer schwer entflammbaren Matratze in der Arrestzelle und ließen ihn allein zurück. In der rundherum gekachelten Sicherheitszelle verbrannte er am 7. Januar 2005 bei lebendigem Leib. Trotz Rufen und Geräuschen, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar waren, trotz Alarmzeichen des Brandmelders habe der Hauptangeklagte Andreas S. nicht rechtzeitig reagiert, so die Anklage.
Richter „frustriert und erschüttert“
Am 10. Prozesstag platzt dem Vorsitzenden Richter Manfred Steinhoff der Kragen. Es ist mucksmäuschen still im Gerichtssaal, als er die Aussagen einiger Polizeizeugen wegen eklatanter Widersprüche und auffälliger Erinnerungslücken zerpflückt. Zumindest einer von ihnen, so Steinhoff, müsse bewusst falsch ausgesagt haben, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen. Ungehalten wirft er diesem vor, zu wissen, welcher der Zeugen falsch aussage. „Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt. Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt und wir leben hier in keiner Bananenrepublik – es geht für Sie um Kopf und Kragen“, poltert der Richter, der sich angesichts des bisherigen Zeugenverhaltens selbst als „sehr frustriert und erschüttert" bezeichnet. Ein demokratischer Rechtsstaat könne nicht damit leben, dass Polizeibeamte vor Gericht die Unwahrheit sagten. „Ich werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln“, droht Steinhoff, „ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen. Irgendwann fällt jemand um.“
Die richterliche Standpauke zeigt Wirkung. Als erster wird diesmal der Polizeibeamte Gerhardt M. zum zweiten Mal vernommen. Auf die Frage des Richters, ob er heute alles erzählen wolle, „egal, was passiert", antwortet der Zeuge, der sich seit dem Vorfall in psychiatrischer Behandlung befindet, mit „ja". Und tatsächlich ringt er sich durch, seine frühere Aussage wesentlich zu erweitern und zu präzisieren. Bei seiner ersten Vernehmung, so entschuldigt er sich, habe er unter Medikamenteneinfluss gestanden. Die erneute Vernehmung dreht sich um die letzte Phase des Verbrennungstods von Oury Jalloh. Aufhorchen lässt seine erstmals gemachte Aussage, dass er nach Öffnen der Gewahrsamstür durch den Angeklagten – trotz des schwarzen Qualms – zwei Schritte in die Zelle gemacht und den auf der brennenden Matratze festgeschnallten Körper von Oury Jalloh gesehen habe. Er habe, nachdem er keinen Feuerlöscher gefunden hatte, mit Wolldecken versucht, die Matratze zu löschen, was ihm aber nicht gelungen sei. Und er sagt mit großem Bedauern: „Das einzige, was geholfen hätte, die einzige Rettung wäre gewesen, Jalloh sofort loszumachen.“ Er meint damit, den auf der Matratze Festgeschnallten von seinen Hand- und Fuß-Fesseln zu befreien – aber er habe keine Schlüssel dabei gehabt und ihm deshalb nicht mehr helfen können.
Quelle: Umbruch
Zeuge fühlt sich „besser, teilweise erleichtert“
Die Schlüssel hatte nach eigenen Angaben der Hauptangeklagte Andreas S. dabei, der aber immer bestritten hat, dass man nach Öffnen der Zellentür angesichts der Qualmentwicklung in den Gewahrsamsraum hätte reingehen, geschweige denn, darin Lösch- und Rettungsversuche unternehmen können. Auf Nachfrage des Oberstaatsanwalts sagt der Zeuge, er fühle sich nach dieser Aussage „besser, teilweise erleichtert“. Er wird vereidigt, so dass seine Aussage für das Verfahren besonderes Gewicht erhält.
Dieser Polizeibeamte ist nicht der einzige, der nach dem Vorfall psychische Probleme bekam, sich in psychologische Behandlung begeben musste und seine Aussage geändert hat. Auch die Hauptbelastungszeugin der Anklage, die Polizeibeamtin Beate H., stand offenbar unter gewaltigem Druck: Sie, die einstige „rechte Hand“ des Hauptangeklagten, war die Einzige, die unmittelbar nach dem Todesfall ihren Vorgesetzten schwer belastete. Andreas S. habe die Gegensprechanlage wegen der starken Geräusche aus der Gewahrsamszelle leise gestellt, den Brandalarm zweimal weggedrückt und sich erst auf ihre Intervention bequemt, die Zelle aufzusuchen.
Polizeibeamtin unter Druck gesetzt?
Während ihrer gerichtlichen Vernehmung ist sie von dieser belastenden Aussage deutlich abgerückt: Jetzt soll plötzlich alles zügig verlaufen sein. Was ist passiert? Wurde Beate H. unter Druck gesetzt oder fühlte sich zumindest so? Schließlich war sie nach ihrer ersten Aussage von der Revierleitung aus angeblicher Fürsorgepflicht gegen ihren Willen versetzt worden – eine Zwangsversetzung, die sie nach eigener Aussage als Bestrafung empfand. Es könnte also sein, dass diese Zeugin dem internen Druck nicht standhielt und dass sie deshalb vor Gericht ihre erste Aussage, unter mehrfachen Tränenausbrüchen, revidiert hat. Nun ist ein Strafermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet worden: wegen Falschaussage.
Inzwischen sind interne „Hausmitteilungen“ des Polizeireviers Dessau aufgetaucht, in denen die Revierleitung unmittelbar nach dem Vorfall den Geschehensablauf vorschnell und einseitig darstellte – basierend allein auf der Version des Hauptbeschuldigten, ohne die Darstellung der Hauptbelastungszeugin auch nur zu erwähnen. Es liegt der Verdacht nahe, dass damit von Anfang an eine Version festgeschrieben wurde, die von allen Beteiligten und Zeugen als verbindlich angesehen werden sollte.
Protest gegen verschärfte Kontrollen von "Nicht-Deutsch-Aussehenden"
Quelle: Die Karawane
Anwälte: „Massive Manipulation“
Die Anwälte der Nebenklage, die unter anderem die Mutter des Opfers vertreten, sprechen vom Versuch einer „massiven Manipulation“ von Zeugen: Während des laufenden Prozesses hat im Polizeirevier ein Zeugeninformationstreffen stattgefunden, in dem es um Verhaltensregeln und etwaige Falschaussagen von Seiten einzelner Polizeibeamter ging. Anwesend waren Polizisten, die bereits vor Gericht ausgesagt hatten, und solche, denen die Vernehmung noch bevor stand. Es ist mehr als anrüchig, Polizeibeamte, die ja insoweit generell geschult sind, ausgerechnet anlässlich eines solchen Prozesses und während der laufenden Vernehmungen speziell hierauf vorzubereiten – weshalb wohl auch etliche der Zeugen gerade bei diesem Thema vor Gericht regelrecht mauern.
Richter Steinhoff hörte man schon laut und vernehmlich stöhnen: „Dieses Verfahren strotzt nur so vor Schlamperei und Versäumnissen“. Nachdem es zu Beginn des Prozesses so aussah, als ob dieser in kurzer Zeit und relativ oberflächlich über die Gerichtsbühne laufen würde, sehen wir uns mittlerweile eines Besseren belehrt: Gericht und Staatsanwaltschaft geben sich offensichtliche Mühe, diesen Verbrennungstod im Polizeigewahrsam aufzuklären – wobei die AnwältInnen der Nebenklage mit ihren Interventionen und beharrlichen Nachfragen eine zentrale Rolle spielen: Regina Götz, Ulrich von Klinggräff und Felix Isensee, die Mutter, Vater und Bruder des Opfers vertreten, verbuchten bereits einen wichtigen Erfolg: Nun wird auch ein Todesfall in dem Verfahren verhandelt, der sich 2002 in derselben Zelle des Dessauer Polizeireviers ereignet hatte.
Immer wieder Tote in Polizeigewahrsam
Nach bisher 24 Verhandlungstagen sollen noch eine ganze Reihe Zeugen befragt werden; weitere Verhandlungstage sind zunächst bis zum 15. November terminiert, aber ein Ende des Strafverfahrens ist offenbar noch lange nicht in Sicht. Der Prozess hat deshalb besondere Bedeutung, weil es immer wieder vorkommt, dass Obdachlose, Drogenabhängige, Flüchtlinge und Ausländer in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder sogar ums Leben kommen; zu oft werden solche Fälle nicht aufgeklärt. Nach einer Studie der Universität Halle starben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen im Polizeigewahrsam; dabei hätte jeder zweite Tod verhindert werden können.
Online-Flyer Nr. 111 vom 05.09.2007
Polizeizeugen provozieren richterliche Standpauke in Dessau
Eklatante Widersprüche
Von Rolf Gössner
Ouri Jalloh
Quelle: attac
Richter „frustriert und erschüttert“
Am 10. Prozesstag platzt dem Vorsitzenden Richter Manfred Steinhoff der Kragen. Es ist mucksmäuschen still im Gerichtssaal, als er die Aussagen einiger Polizeizeugen wegen eklatanter Widersprüche und auffälliger Erinnerungslücken zerpflückt. Zumindest einer von ihnen, so Steinhoff, müsse bewusst falsch ausgesagt haben, um den Hauptangeklagten Andreas S. zu schützen. Ungehalten wirft er diesem vor, zu wissen, welcher der Zeugen falsch aussage. „Nennen Sie uns den, der hier die Unwahrheit sagt. Sie sind Beamter des Landes Sachsen-Anhalt und wir leben hier in keiner Bananenrepublik – es geht für Sie um Kopf und Kragen“, poltert der Richter, der sich angesichts des bisherigen Zeugenverhaltens selbst als „sehr frustriert und erschüttert" bezeichnet. Ein demokratischer Rechtsstaat könne nicht damit leben, dass Polizeibeamte vor Gericht die Unwahrheit sagten. „Ich werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln“, droht Steinhoff, „ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen. Irgendwann fällt jemand um.“
Die richterliche Standpauke zeigt Wirkung. Als erster wird diesmal der Polizeibeamte Gerhardt M. zum zweiten Mal vernommen. Auf die Frage des Richters, ob er heute alles erzählen wolle, „egal, was passiert", antwortet der Zeuge, der sich seit dem Vorfall in psychiatrischer Behandlung befindet, mit „ja". Und tatsächlich ringt er sich durch, seine frühere Aussage wesentlich zu erweitern und zu präzisieren. Bei seiner ersten Vernehmung, so entschuldigt er sich, habe er unter Medikamenteneinfluss gestanden. Die erneute Vernehmung dreht sich um die letzte Phase des Verbrennungstods von Oury Jalloh. Aufhorchen lässt seine erstmals gemachte Aussage, dass er nach Öffnen der Gewahrsamstür durch den Angeklagten – trotz des schwarzen Qualms – zwei Schritte in die Zelle gemacht und den auf der brennenden Matratze festgeschnallten Körper von Oury Jalloh gesehen habe. Er habe, nachdem er keinen Feuerlöscher gefunden hatte, mit Wolldecken versucht, die Matratze zu löschen, was ihm aber nicht gelungen sei. Und er sagt mit großem Bedauern: „Das einzige, was geholfen hätte, die einzige Rettung wäre gewesen, Jalloh sofort loszumachen.“ Er meint damit, den auf der Matratze Festgeschnallten von seinen Hand- und Fuß-Fesseln zu befreien – aber er habe keine Schlüssel dabei gehabt und ihm deshalb nicht mehr helfen können.
Quelle: Umbruch
Zeuge fühlt sich „besser, teilweise erleichtert“
Die Schlüssel hatte nach eigenen Angaben der Hauptangeklagte Andreas S. dabei, der aber immer bestritten hat, dass man nach Öffnen der Zellentür angesichts der Qualmentwicklung in den Gewahrsamsraum hätte reingehen, geschweige denn, darin Lösch- und Rettungsversuche unternehmen können. Auf Nachfrage des Oberstaatsanwalts sagt der Zeuge, er fühle sich nach dieser Aussage „besser, teilweise erleichtert“. Er wird vereidigt, so dass seine Aussage für das Verfahren besonderes Gewicht erhält.
Dieser Polizeibeamte ist nicht der einzige, der nach dem Vorfall psychische Probleme bekam, sich in psychologische Behandlung begeben musste und seine Aussage geändert hat. Auch die Hauptbelastungszeugin der Anklage, die Polizeibeamtin Beate H., stand offenbar unter gewaltigem Druck: Sie, die einstige „rechte Hand“ des Hauptangeklagten, war die Einzige, die unmittelbar nach dem Todesfall ihren Vorgesetzten schwer belastete. Andreas S. habe die Gegensprechanlage wegen der starken Geräusche aus der Gewahrsamszelle leise gestellt, den Brandalarm zweimal weggedrückt und sich erst auf ihre Intervention bequemt, die Zelle aufzusuchen.
Polizeibeamtin unter Druck gesetzt?
Während ihrer gerichtlichen Vernehmung ist sie von dieser belastenden Aussage deutlich abgerückt: Jetzt soll plötzlich alles zügig verlaufen sein. Was ist passiert? Wurde Beate H. unter Druck gesetzt oder fühlte sich zumindest so? Schließlich war sie nach ihrer ersten Aussage von der Revierleitung aus angeblicher Fürsorgepflicht gegen ihren Willen versetzt worden – eine Zwangsversetzung, die sie nach eigener Aussage als Bestrafung empfand. Es könnte also sein, dass diese Zeugin dem internen Druck nicht standhielt und dass sie deshalb vor Gericht ihre erste Aussage, unter mehrfachen Tränenausbrüchen, revidiert hat. Nun ist ein Strafermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet worden: wegen Falschaussage.
Inzwischen sind interne „Hausmitteilungen“ des Polizeireviers Dessau aufgetaucht, in denen die Revierleitung unmittelbar nach dem Vorfall den Geschehensablauf vorschnell und einseitig darstellte – basierend allein auf der Version des Hauptbeschuldigten, ohne die Darstellung der Hauptbelastungszeugin auch nur zu erwähnen. Es liegt der Verdacht nahe, dass damit von Anfang an eine Version festgeschrieben wurde, die von allen Beteiligten und Zeugen als verbindlich angesehen werden sollte.
Protest gegen verschärfte Kontrollen von "Nicht-Deutsch-Aussehenden"
Quelle: Die Karawane
Anwälte: „Massive Manipulation“
Die Anwälte der Nebenklage, die unter anderem die Mutter des Opfers vertreten, sprechen vom Versuch einer „massiven Manipulation“ von Zeugen: Während des laufenden Prozesses hat im Polizeirevier ein Zeugeninformationstreffen stattgefunden, in dem es um Verhaltensregeln und etwaige Falschaussagen von Seiten einzelner Polizeibeamter ging. Anwesend waren Polizisten, die bereits vor Gericht ausgesagt hatten, und solche, denen die Vernehmung noch bevor stand. Es ist mehr als anrüchig, Polizeibeamte, die ja insoweit generell geschult sind, ausgerechnet anlässlich eines solchen Prozesses und während der laufenden Vernehmungen speziell hierauf vorzubereiten – weshalb wohl auch etliche der Zeugen gerade bei diesem Thema vor Gericht regelrecht mauern.
Richter Steinhoff hörte man schon laut und vernehmlich stöhnen: „Dieses Verfahren strotzt nur so vor Schlamperei und Versäumnissen“. Nachdem es zu Beginn des Prozesses so aussah, als ob dieser in kurzer Zeit und relativ oberflächlich über die Gerichtsbühne laufen würde, sehen wir uns mittlerweile eines Besseren belehrt: Gericht und Staatsanwaltschaft geben sich offensichtliche Mühe, diesen Verbrennungstod im Polizeigewahrsam aufzuklären – wobei die AnwältInnen der Nebenklage mit ihren Interventionen und beharrlichen Nachfragen eine zentrale Rolle spielen: Regina Götz, Ulrich von Klinggräff und Felix Isensee, die Mutter, Vater und Bruder des Opfers vertreten, verbuchten bereits einen wichtigen Erfolg: Nun wird auch ein Todesfall in dem Verfahren verhandelt, der sich 2002 in derselben Zelle des Dessauer Polizeireviers ereignet hatte.
Immer wieder Tote in Polizeigewahrsam
Nach bisher 24 Verhandlungstagen sollen noch eine ganze Reihe Zeugen befragt werden; weitere Verhandlungstage sind zunächst bis zum 15. November terminiert, aber ein Ende des Strafverfahrens ist offenbar noch lange nicht in Sicht. Der Prozess hat deshalb besondere Bedeutung, weil es immer wieder vorkommt, dass Obdachlose, Drogenabhängige, Flüchtlinge und Ausländer in Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder sogar ums Leben kommen; zu oft werden solche Fälle nicht aufgeklärt. Nach einer Studie der Universität Halle starben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen im Polizeigewahrsam; dabei hätte jeder zweite Tod verhindert werden können.
Online-Flyer Nr. 111 vom 05.09.2007