NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

Fenster schließen

Medien
Programmbeschwerde an WDR-Intendantin Piel und WDR-Rundfunkrat
Wegen industriefreundlicher Sendung
Von Peter Kleinert

Eine Richtigstellung der ihrer Ansicht nach einseitigen, manipulativen und industriefreundlichen WDR-Sendung über Handystrahlung in „Quarks und Co.“ vom 19. Juni 2007 hatte die Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie kurz danach vom WDR gefordert. Nachdem WDR-Programmbereichsleiter Helfried Spitra dies als „Angriff auf unseren Moderator Ranga Yogeshwar“ abgelehnt hatte, erhielten nun Intendantin Monika Piel und der WDR-Rundfunkrat eine offizielle Programmbeschwerde nach § 10 des WDR-Gesetzes.


Monika Piel WDR
Monika Piel – muss sich mit Programmbeschwerde befassen
Quelle: WDR.de

„Menschen gefährdet“
In dem Schreiben an die Intendantin heißt es zur Begründung, die „Quarks“-Sendung von Yogeshwar „bot eine ebenso einseitige wie manipulative Auswahl von angebotenen Standards industriefreundlicher Aufklärung. Sie trug nicht zum Schutz der Verbraucher bei, sondern führte sie in die Irre und förderte ihre Gefährdung und Schädigung“. Maßstab dieses Urteils, so schreiben die vier unterzeichnenden Wissenschaftler der Kompetenzinitiative, „sind sieben Jahrzehnte der Forschung… Doch den wichtigsten Maßstab der Kritik bieten die ethischen Normen, die sich das Medienwesen mit dem Pressekodex selbst vorgegeben hat…. Wenn wir nun von der Möglichkeit einer Programmbeschwerde nach § 10 des WDR-Gesetzes Gebrauch machen, so tun wir es nicht nur wegen unzureichender und tendenziöser Information der Öffentlichkeit. Wir tun es auch, weil diese Art von Information nach dem uns verfügbaren Forschungsstand Menschen gefährdet und dem gesellschaftlichen Auftrag, den unabhängige Medien zu erfüllen haben, widerspricht“.

Wie die NRhZ in ihrer Ausgabe 104 berichtete, werfen etwa 20 Wissenschaftler und Ärzte Yogeshwar vor allem vor, dass er in seiner Sendung, zwar zugegeben habe, dass „mehr als die Hälfte der Bevölkerung überzeugt (ist), dass Mobilfunk gesundheitsschädlich ist“. Die sich selbst gestellte Frage: „Aber macht Mobilfunk wirklich krank?“ habe er mit „Nein, keineswegs“ beantwortet. Der Grund dafür sei ihnen bekannt. Sponsor des Moderators im öffentlich-rechtlichen Sender WDR sei die Deutsche Telecom-Stiftung, Forschungszentrum Jülich. Deshalb, so die Kompetenzinitiative, musste für die Zuschauer „das Fazit der Sendung lauten: 1. Es ist alles ganz unbedenklich! 2. Telefoniert nach Herzenslust mobil! 3. Wer es anders zu wissen glaubt, ist ein Panikmacher oder auch nichtsnutzer Bürger, dessen unbegründete Wehleidigkeit dem ökonomischen und kulturellen Fortschritt im Wege steht!“

„Leichtfertig und tendenziös“

In ihrer wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Begründung der Beschwerde an den WDR-Rundfunkrat gestehen die Unterzeichner zu, dass die Forschungslage zu den Wirkungen elektromagnetischer Felder (EMF) und der Mikrowellenstrahlung durch die schnurlose Kommunikationstechnologie kompliziert und kontrovers sei: „Wo die einen Entwarnung geben, sehen andere eine Flut chronischer Erkrankungen und genetischer Schädigungen, aber auch an Schädigungen von Tieren und Pflanzen auf uns zukommen, deren vollen Umfang wir erst in Jahrzehnten kennen werden.“ Entwarnungen stammten aber überwiegend aus industriefinanzierter Forschung, Warnungen überwiegend aus unabhängigen Forschungsprojekten. „Quarks & Co“ sei nicht nur leichtfertig, sondern tendenziös mit dem verfügbaren Stand des Wissens umgegangen, habe deshalb „nicht aufgeklärt, sondern Risiken verschleiert“ und sei dadurch „leichtfertig mit Menschen und der Volksgesundheit umgegangen. Besonders zynisch war sie für Menschen, die zwangsweise mit nahen Antennen versorgt wurden, die einer grenzwertberuhigten Mobilfunkpolitik rechtens erscheinen, von zahlreichen industrieunabhängigen Forschern aber als gesundheits- und zukunftspolitisches Verbrechen bewertet werden“.


Ranga Yogeshwar – natürlich mit dem Grimme-Preis
ausgezeichnet | Quelle: www.wdr.de

Neben der von Yogeshwars Programmbereichsleiter Spita zurückgewiesenen Beschwerde vom Juli legen die Wissenschaftler dem Rundfunkrat zusätzlich eine selbst erarbeitete Stellungnahme zum Thema Elektrosensibilität bei, von der Yogeshwar in der 27sten Minute seiner Sendung im Gegensatz zur dort ausführlich zitierten Forschung frech behauptet hatte: „Elektrosensible gibt es nicht“.

„Yogeshwar die falsche Besetzung“

Rangar Yogeshwar sei also „bei diesem Thema die falsche Besetzung“ gewesen. Seine guten Beziehungen zur Mobilfunkindustrie könne man via Internet recherchieren. Auch im Chat nach der bekannten ZDF-Sendung „Mona Lisa“ am 15. Juli habe der bekannte Baubiologe Dr. Ing. Martin Virnich auf eine Hörerfrage geantwortet: Man verstehe die kritisierte Sendung „Quarks & Co“ nur, wenn man wisse, „wie stark der angeblich neutrale Moderator mit der Mobilfunkindustrie verflochten ist“.

Unter Bezug auf das WDR-Gesetz § 5 wird sich dessen Rundfunkrat demnächst also mit den folgenden Vorwürfen befassen müssen:
Während das WDR-Gesetz von seinen Redakteuren und Autoren in verlangt, die „Vielfalt“ der „wissenschaftlichen Richtungen“ zur Geltung zu bringen und bei „kontroversen Themen“ „nicht einseitig“ zu berichten, sondern „umfassend zu informieren“, sei die Yogeshwar-Sendung „in geradezu exemplarischer Weise einseitig und tendenziös“ gewesen.



„Elektrosensible gibt es nicht!" – so Rangar Yogeshwar.
Warum also kein Handy fürs Baby? 
Foto: Hilde Vogtländer/pixelio.de

Während das WDR-Gesetz vorschreibt, dass in den Sendungen des WDR „die Würde des Menschen zu achten und zu schützen“ ist, dazu beizutragen ist, „die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit“ zu fördern, sei diese Sendung bei dem gegebenen Stand des Wissens „keiner dieser Bestimmungen gerecht geworden“. Sie habe vielmehr „ungezählte Menschen pauschal zu eingebildeten Kranken gestempelt und zu ihrer Gefährdung wie faktischen Entrechtung wirksam beigetragen“.

Während das WDR-Gesetz vom Moderator einer Sendung die unabhängige und sorgfältig geprüfte Übermittlung von „Wahrheit“ verlange, stelle diese Sendung „nach einhelliger Beobachtung zahlreicher Mitglieder unserer Initiative…die guten Beziehungen des Moderators zur Mobilfunkindustrie unter Beweis, nicht sein Bemühen um Unabhängigkeit und eine unvoreingenommene Wahrheit“.

Verstoßen habe die Sendung auch gegen § 6a des WDR-Gesetzes. Dieser verlangt unter Berufung auf den Rundfunkstaatsvertrag (§ 7) nämlich sogar von expliziter und kenntlich gemachter Werbung, diese dürfe nicht „irreführen, den Interessen der Verbraucher nicht schaden und nicht Verhaltensweisen fördern, die die Gesundheit der Verbraucher sowie den Schutz der Umwelt gefährden“ Die Sendung aber habe „wirksam für die öffentliche Akzeptanz einer ganzen Palette von Produkten gesorgt, die sich nach Auffassung zahlreicher Forscher in vielfältiger Hinsicht schädigend auf Mensch und Umwelt auswirken“.

„Dem WDR einen schlechten Dienst erwiesen“

Fazit der Beschwerde: „Es ist nicht unser Ziel, einen bewährten Moderator pauschal zu kritisieren… Wer so bekannt gute Beziehungen zu Vertretern eines Gegenstandsbereich unterhält, den er öffentlich darstellt, sollte sich entweder in der Moderation vertreten lassen oder eine besonders strenge Neutralität verordnen - wovon Herr Yogeshwar weit entfernt war. Nicht wir haben mit unserer Kritik seine Ehre beschädigt, wie uns Herr Spitra vorwirft. Der Moderator hat es mit einer Selbstinszenierung getan, die der geforderten professionellen Unabhängigkeit nicht gerecht wurde. Er hat damit auch dem Ansehen des WDR und der Medien einen schlechten Dienst erwiesen.

Unsere Kritik richtet sich aber auch nicht in grundsätzlicher Weise gegen den WDR. Denn ungeachtet aller schönen ethischen Prinzipien sind Entgleisungen dieser Art in unseren Medien seit langem an der Tagesordnung. Auch kritische Journalisten wenden sich mit wachsender Deutlichkeit gegen den Einfluss von Wirtschaft und Industrie auf die Berichterstattung der Medien, weil er die ethische und demokratische Medienkultur untergräbt und Leser wie Zuschauer sich schwer dagegen wehren können.“ 


Professor Dr. Karl Richter
Foto:
www.puls-schlag.org

Unterzeichnet ist die Beschwerde von Prof. Dr. med. K. Hecht, Dr. med. M. Kern, Prof. Dr. K. Richter und Dr. med. H. Scheiner im Auftrag der Kompetenzinitiative, deren der Beschwerde beigefügte Untersuchung „Elektrosensibilität – Zwischen industriegefälliger ‚Aufklärung’ und dem tatsächlichen Stand des Wissens“ man unter www.kompetenzinitiative.de findet. Hier auch mehr Informationen zu deren „Projekt Medienkultur“. (PK)


Online-Flyer Nr. 111  vom 05.09.2007



Startseite           nach oben