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Geburtstagsglückwunsch zum 50sten an Intendant Fritz Pleitgen:
Zensierte Filme ins WDR-Programm
Von Peter Kleinert
Es solle gefeiert, aber nicht gejubelt werden, haben Sie, sehr geehrter Herr Pleitgen, laut ddp, als Devise für den 50sten Geburtstag des WDR ausgegeben, der von der Neujahrsnacht an bis tief in den Januar hinein "mit Programmhöhepunkten aus den vergangenen 50 Jahren" begangen wird. Sollte Ihr Sender tatsächlich, wie sie als Intendant versprechen "ein guter, verlässlicher, aber auch attraktiver Partner für die Menschen in Nordrhein-Westfalen" werden, müsste er spätestens aus diesem schönen Anlass einige der Sendungen ins Programm stellen, die in den vergangenen 28 Jahren der hausinternen Zensur zugunsten des Springer-Verlags, der BAYER AG, des Thyssen-Konzerns, des Kölner Polizeipräsidenten, der "Politik" und anderer zum Opfer gefallen sind. Ich mach´ Ihnen nur ein paar ausgewählte Vorschläge - aufgrund meiner eigenen Erfahrungen:
Fritz Pleitgen: "WDR Trumpfkarte für NRW"
Foto: WDR
"Informationen aus dem Hinterland"
1977: Günter Wallraff und der Filmemacher Jörg Gfrörer treffen sich mit WDR-Fernsehdirektor Werner Höfer und besprechen mit ihm einen Dokumentarfilm, den sie als WDR-Produktion parallel zu Wallraffs geplanten Recherchen bei BILD machen wollen. Höfer ist begeistert, schlägt sogar vor, dass der Film unter dem Tarntitel "Informationen aus dem Hinterland" produziert werden soll, damit der Springer-Konzern nicht vor der Ausstrahlung des Films darauf aufmerksam wird. Als der Film sendefertig ist und Wallraff an seinem BILD-Buch "Der Aufmacher" arbeitet, ist Höfer als Fernsehdirektor von Heinz Werner Hübner abgelöst worden. Der verbietet die Sendung des 78-Minüters, weil man im Springer-Verlag davon erfahren habe und "sehr ungehalten" sei.
Anlässlich seines Todes im August 2005 bezeichneten Sie Herrn Hübner als "Inbegriff des klassischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks": «Die Art und Weise, wie er Programm machte, kann uns nach wie vor als Vorbild dienen. Er ließ sich weder durch schmeichlerische Worte korrumpieren, noch durch heftige Interventionen einschüchtern.» Dass Sie dieses Lob nach dem Motto "de mortuis nil nisi bene" sprachen, haben "freie" Filmemacher und WDR-Redakteure, wie Sie selbst nach 43 Jahren WDR-Dienst wissen, bis 2005 immer wieder zu spüren bekommen. Sie wollen weitere Beweise? Aber gern.
Werner Höfer - vom BILD-Film begeistert
Foto: WDR
"Ist die Rundfunkfreiheit bedroht"
1978: Ludwig Brundiers, Redakteur der fernsehkritischen WDR-Sendereihe "Glashaus" wird gekündigt, weil er Hübner im Südwestfunk öffentlich auf dessen ebenso öffentliche Kritik und seine Zensurmaßnahmen gegen "Glashaus" geantwortet hat. Unter Verantwortung des WDR-Redakteurs Ludwig Metzger mache ich zusammen mit dem Regisseur Johannes Flütsch den Film "Ist die Rundfunkfreiheit bedroht?", in dem der inzwischen nach Schweden ins Exil gegangene Filmemacher Peter Nestler, der NDR-Redakteur und Filmemacher Klaus Wildenhahn, der DGB-Vorstand, die Kölner Initiative "Rettet die Rundfunkfreiheit im WDR!" und Fernsehzuschauer die immer stärker auch für diese deutlich werdenden Zensureingriffe ins Programm anklagen. WDR-Intendant Friedrich-Wilhelm Freiherr von Sell antwortet in einer DGB-Veranstaltung vor unserer Kamera auf diese Vorwürfe. Ergebnis: Hübner, Chefredakteur Theo M. Loch und sein Stellvertreter Claus Hinrich Casdorff inspizieren unseren Film drei Tage vor dem Sendetermin im Schneideraum und fordern Abteilungsleiter Michael Gramberg auf: "Sorgen Sie dafür, dass ein anderer Film ins Programm kommt." Über die Printmedien machten wir diesen Skandal öffentlich und dürfen danach ein paar Monate nicht mehr für den WDR arbeiten bis unser Gewerkschaftsanwalt mit Klage droht.
Günter Wallraff in "Ganz unten"
Foto: KAOS-Archiv
"Ist die Rundfunkfreiheit bedroht"
"Der würgende Tod" - BAYER forscht für den Umweltschutz
1982: In einer MONITOR-Sendung habe ich zusammen mit meinen KollegInnen von KAOS Film- und Video-Team beweisen können, dass die US-Armee in einem Wald bei Fischbach in der Pfalz tausende Tonnen V-Kampfstoffe gelagert hat - genug, um die ganze Menschheit zu vergiften. 1983 bringen unsere Recherchen den Beweis, dass das Pentagon die Patente für diese V-Kampfstoffe von der BAYER AG erhalten hat. MONITOR-Chef Gerd Ruge findet unseren Beitrag "ganz hervorragend", wird aber zwei Tage vor dem Sendetermin "von der Intendanz auf Druck von BAYER" gezwungen, den Film aus dem Programm zu kippen. Veröffentlichen können wir ihn in einer längeren Filmfassung trotzdem: auf der Duisburger Filmwoche und der DokFilm-Woche in Leipzig. Von BAYER keine Reaktion. Nur für MONITOR dürfen wir erst wieder arbeiten, als Klaus Bednarz die Redaktion übernommen hat.
WDR-Intendant von Sell im verbotenen Film
Foto: KAOS-Archiv
"Günter Wallraff - Ganz unten"
1986: Am 1. Mai soll, wie die Rundfunkzeitschriften angekündigt haben, unser Film "Günter Wallraff - Ganz unten" im Ersten Programm der ARD gesendet werden. Doch in der Woche davor haben sich die ARD-Programmdirektoren zusammengesetzt, um nach einer Intervention der damaligen Thyssen AG darüber "zu beraten", bei der Wallraff als Türke gearbeitet und recherchiert hat. Ergebnis: Der Film wird - mit einem anschließenden kräftigen Medienecho - abgesetzt. Von den Dritten Programmen sendet ihn nur Radio Bremen. Der WDR nicht, obwohl Wallraff seit Jahren in Köln lebt und arbeitet. Wir bringen den ins Kino, können ihn im gleichen Jahr weltweit zwischen Japan, Europa und Amerika im Fernsehen veröffentlichen, Deutschland-weit hingegen erst 1988 - nach Gründung des unabhängigen Fernsehfensters KANAL 4.
Auf KANAL 4 können FilmemacherInnen aus Nordrhein-Westfalen zehn Jahre lang die Filme senden, die der WDR - auch unter Ihrer Intendanz - nicht im Programm haben will. So lange, bis unser damaliger Ministerpräsident Clement 1998 mit seiner Landesrundfunkanstalt dafür sorgt, dass dieses lästige Fernsehfenster auf Druck von RTL und Sat1 wieder geschlossen wird.
Wenn Sie, sehr geehrter Herr Pleitgen, wie Sie ddp angekündigt haben, sogar "mit selbstironischen TV-Trailern" für den WDR-Geburtstag werben wollen - zum Beispiel mit einem "jungen Alfred Biolek bei einer Stepptanz-Einlage in «Bios Bahnhof» oder einem beim «Bericht aus Bonn» heftig schimpfenden Friedrich Nowottny" -, könnten Sie doch vielleicht auch einmal darüber nachdenken, ob Sie nicht die oben genannten Filme mit ins Jubiläumsprogramm nehmen wollen. Und wenn Ihnen das zu wenig sein sollte: Schauen Sie einfach mal auf die Internetseite www.kaos-archiv.de. Da gibt´s weitere Beispiele bis 2002, als wir im Kölner Ludwig-Museum endlich ein Filmprojekt über die "Sozialistische Selbsthilfe Mülheim" vorstellen konnten, das der WDR nicht mochte. Oder fragen Sie mal bei der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm www.agdok.de unter der Mail-Adresse agdok@agdokumentarfilm.de an. Deren Vorsitzender Thomas Frickel wird Ihnen auf Wunsch garantiert ein ganzes Monatsprogramm zensierter Filme zusammenstellen. So könnte Ihr Geburtstagswunsch «Der WDR ist eine Trumpfkarte für das Land Nordrhein-Westfalen» im Jahr 2006 doch noch erfüllt werden.
Mit den besten Wünschen, Peter Kleinert.
Online-Flyer Nr. 24 vom 27.12.2005
Geburtstagsglückwunsch zum 50sten an Intendant Fritz Pleitgen:
Zensierte Filme ins WDR-Programm
Von Peter Kleinert
Es solle gefeiert, aber nicht gejubelt werden, haben Sie, sehr geehrter Herr Pleitgen, laut ddp, als Devise für den 50sten Geburtstag des WDR ausgegeben, der von der Neujahrsnacht an bis tief in den Januar hinein "mit Programmhöhepunkten aus den vergangenen 50 Jahren" begangen wird. Sollte Ihr Sender tatsächlich, wie sie als Intendant versprechen "ein guter, verlässlicher, aber auch attraktiver Partner für die Menschen in Nordrhein-Westfalen" werden, müsste er spätestens aus diesem schönen Anlass einige der Sendungen ins Programm stellen, die in den vergangenen 28 Jahren der hausinternen Zensur zugunsten des Springer-Verlags, der BAYER AG, des Thyssen-Konzerns, des Kölner Polizeipräsidenten, der "Politik" und anderer zum Opfer gefallen sind. Ich mach´ Ihnen nur ein paar ausgewählte Vorschläge - aufgrund meiner eigenen Erfahrungen:
Fritz Pleitgen: "WDR Trumpfkarte für NRW"
Foto: WDR
"Informationen aus dem Hinterland"
1977: Günter Wallraff und der Filmemacher Jörg Gfrörer treffen sich mit WDR-Fernsehdirektor Werner Höfer und besprechen mit ihm einen Dokumentarfilm, den sie als WDR-Produktion parallel zu Wallraffs geplanten Recherchen bei BILD machen wollen. Höfer ist begeistert, schlägt sogar vor, dass der Film unter dem Tarntitel "Informationen aus dem Hinterland" produziert werden soll, damit der Springer-Konzern nicht vor der Ausstrahlung des Films darauf aufmerksam wird. Als der Film sendefertig ist und Wallraff an seinem BILD-Buch "Der Aufmacher" arbeitet, ist Höfer als Fernsehdirektor von Heinz Werner Hübner abgelöst worden. Der verbietet die Sendung des 78-Minüters, weil man im Springer-Verlag davon erfahren habe und "sehr ungehalten" sei.
Anlässlich seines Todes im August 2005 bezeichneten Sie Herrn Hübner als "Inbegriff des klassischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks": «Die Art und Weise, wie er Programm machte, kann uns nach wie vor als Vorbild dienen. Er ließ sich weder durch schmeichlerische Worte korrumpieren, noch durch heftige Interventionen einschüchtern.» Dass Sie dieses Lob nach dem Motto "de mortuis nil nisi bene" sprachen, haben "freie" Filmemacher und WDR-Redakteure, wie Sie selbst nach 43 Jahren WDR-Dienst wissen, bis 2005 immer wieder zu spüren bekommen. Sie wollen weitere Beweise? Aber gern.
Werner Höfer - vom BILD-Film begeistert
Foto: WDR
"Ist die Rundfunkfreiheit bedroht"
1978: Ludwig Brundiers, Redakteur der fernsehkritischen WDR-Sendereihe "Glashaus" wird gekündigt, weil er Hübner im Südwestfunk öffentlich auf dessen ebenso öffentliche Kritik und seine Zensurmaßnahmen gegen "Glashaus" geantwortet hat. Unter Verantwortung des WDR-Redakteurs Ludwig Metzger mache ich zusammen mit dem Regisseur Johannes Flütsch den Film "Ist die Rundfunkfreiheit bedroht?", in dem der inzwischen nach Schweden ins Exil gegangene Filmemacher Peter Nestler, der NDR-Redakteur und Filmemacher Klaus Wildenhahn, der DGB-Vorstand, die Kölner Initiative "Rettet die Rundfunkfreiheit im WDR!" und Fernsehzuschauer die immer stärker auch für diese deutlich werdenden Zensureingriffe ins Programm anklagen. WDR-Intendant Friedrich-Wilhelm Freiherr von Sell antwortet in einer DGB-Veranstaltung vor unserer Kamera auf diese Vorwürfe. Ergebnis: Hübner, Chefredakteur Theo M. Loch und sein Stellvertreter Claus Hinrich Casdorff inspizieren unseren Film drei Tage vor dem Sendetermin im Schneideraum und fordern Abteilungsleiter Michael Gramberg auf: "Sorgen Sie dafür, dass ein anderer Film ins Programm kommt." Über die Printmedien machten wir diesen Skandal öffentlich und dürfen danach ein paar Monate nicht mehr für den WDR arbeiten bis unser Gewerkschaftsanwalt mit Klage droht.
Günter Wallraff in "Ganz unten"
Foto: KAOS-Archiv
"Ist die Rundfunkfreiheit bedroht"
"Der würgende Tod" - BAYER forscht für den Umweltschutz
1982: In einer MONITOR-Sendung habe ich zusammen mit meinen KollegInnen von KAOS Film- und Video-Team beweisen können, dass die US-Armee in einem Wald bei Fischbach in der Pfalz tausende Tonnen V-Kampfstoffe gelagert hat - genug, um die ganze Menschheit zu vergiften. 1983 bringen unsere Recherchen den Beweis, dass das Pentagon die Patente für diese V-Kampfstoffe von der BAYER AG erhalten hat. MONITOR-Chef Gerd Ruge findet unseren Beitrag "ganz hervorragend", wird aber zwei Tage vor dem Sendetermin "von der Intendanz auf Druck von BAYER" gezwungen, den Film aus dem Programm zu kippen. Veröffentlichen können wir ihn in einer längeren Filmfassung trotzdem: auf der Duisburger Filmwoche und der DokFilm-Woche in Leipzig. Von BAYER keine Reaktion. Nur für MONITOR dürfen wir erst wieder arbeiten, als Klaus Bednarz die Redaktion übernommen hat.
WDR-Intendant von Sell im verbotenen Film
Foto: KAOS-Archiv
"Günter Wallraff - Ganz unten"
1986: Am 1. Mai soll, wie die Rundfunkzeitschriften angekündigt haben, unser Film "Günter Wallraff - Ganz unten" im Ersten Programm der ARD gesendet werden. Doch in der Woche davor haben sich die ARD-Programmdirektoren zusammengesetzt, um nach einer Intervention der damaligen Thyssen AG darüber "zu beraten", bei der Wallraff als Türke gearbeitet und recherchiert hat. Ergebnis: Der Film wird - mit einem anschließenden kräftigen Medienecho - abgesetzt. Von den Dritten Programmen sendet ihn nur Radio Bremen. Der WDR nicht, obwohl Wallraff seit Jahren in Köln lebt und arbeitet. Wir bringen den ins Kino, können ihn im gleichen Jahr weltweit zwischen Japan, Europa und Amerika im Fernsehen veröffentlichen, Deutschland-weit hingegen erst 1988 - nach Gründung des unabhängigen Fernsehfensters KANAL 4.
Auf KANAL 4 können FilmemacherInnen aus Nordrhein-Westfalen zehn Jahre lang die Filme senden, die der WDR - auch unter Ihrer Intendanz - nicht im Programm haben will. So lange, bis unser damaliger Ministerpräsident Clement 1998 mit seiner Landesrundfunkanstalt dafür sorgt, dass dieses lästige Fernsehfenster auf Druck von RTL und Sat1 wieder geschlossen wird.
Wenn Sie, sehr geehrter Herr Pleitgen, wie Sie ddp angekündigt haben, sogar "mit selbstironischen TV-Trailern" für den WDR-Geburtstag werben wollen - zum Beispiel mit einem "jungen Alfred Biolek bei einer Stepptanz-Einlage in «Bios Bahnhof» oder einem beim «Bericht aus Bonn» heftig schimpfenden Friedrich Nowottny" -, könnten Sie doch vielleicht auch einmal darüber nachdenken, ob Sie nicht die oben genannten Filme mit ins Jubiläumsprogramm nehmen wollen. Und wenn Ihnen das zu wenig sein sollte: Schauen Sie einfach mal auf die Internetseite www.kaos-archiv.de. Da gibt´s weitere Beispiele bis 2002, als wir im Kölner Ludwig-Museum endlich ein Filmprojekt über die "Sozialistische Selbsthilfe Mülheim" vorstellen konnten, das der WDR nicht mochte. Oder fragen Sie mal bei der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm www.agdok.de unter der Mail-Adresse agdok@agdokumentarfilm.de an. Deren Vorsitzender Thomas Frickel wird Ihnen auf Wunsch garantiert ein ganzes Monatsprogramm zensierter Filme zusammenstellen. So könnte Ihr Geburtstagswunsch «Der WDR ist eine Trumpfkarte für das Land Nordrhein-Westfalen» im Jahr 2006 doch noch erfüllt werden.
Mit den besten Wünschen, Peter Kleinert.
Online-Flyer Nr. 24 vom 27.12.2005