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Kultur und Wissen
Das Wort am Sonntag: „Mit Gott und den Faschisten“ Folge I
Leo XIII., Pius X. und der erste Weltkrieg
Von Karlheinz Deschner
Der arme Menschensohn hatte nichts, wohin er sein Haupt legen konnte. Und seine Jünger sollten das Evangelium ohne Geld im Gürtel verkünden. Nur einen Wanderstab hatte er ihnen gestattet, bei Markus; bei Matthäus und Lukas auch dies noch verboten.
„Wir sind Papst" –
bisheriger Höhepunkt des Papst-Hypes
Bild: Carl H. Ewald
Heute reist sein Jünger, ja „Stellvertreter”, in Papstmobil und Papst-Jumbo, von Leibwächtern, Reportern, Prominenz umringt – aber hinter sich eine Jahrtausende alte Geschichte ungezählter Gaunereien: vom kleinen Wunder- und Reliquienschwindel, den hochverehrten Vorhäuten Jesu etwa, im Dutzend und doch jeweils im Original, versteht sich, bis hin zur ungeheuersten Fälschung aller Zeiten, der sogenannten Konstantinischen Schenkung. Durch sie hatte Kaiser Konstantin angeblich den Vorrang Roms über alle Kirchen anerkannt und den Päpsten die Herrschaft über Rom und alle abendländischen Provinzen zugestanden.
Hinter sich eine kolossale Ausbeutung, die den römischen Bischof bereits im 5. Jahrhundert zum größten Gutsherren im ganzen römischen Reich gemacht und die Kirche im Mittelalter zur Besitzerin eines Drittels des gesamten europäischen Bodens.
Hinter sich die Vernichtung des Heidentums, die rauchenden Scheiterhaufen der Inquisition, die millionenfache Massakrierung der Indianer, der Schwarzen, die Judenpogrome, die direkt in Hitlers Gaskammern führen. · Hinter sich nicht zuletzt eine ununterbrochene Kette grauenvoller Kriege und Kreuzzüge, wobei Päpste oft selber mit Helm, Panzer und Schwert erschienen. „Opfer fallen hier, weder Lamm noch Stier, aber Menschenopfer unerhört": Goethe.
Die Heiligen Väter raubten, was zu rauben war: Burgen, Schlösser, Städte, ganze Herzogtümer. Sie stahlen, was zu stehlen war: schon im 4. Jahrhundert das Vermögen der Tempel, im 6. das aller für sie erreichbaren Heiden überhaupt, dann den Besitz von Millionen vertriebener und erschlagener Juden, verbrannten „Ketzern" und Hexen.
Sie nahmen auch die eigenen Schäfchen aus, durch immer höhere Steuern (allein Papst Urban VIII. erfand nicht weniger als zehn), durch Pacht, Zins, Erpressung, Ablaß, durch Reliquienschwindel und Wunderbetrug. Das italienische Volk wurde am meisten ausgeplündert, Rom selbst zur aufrührerischsten und armseligsten aller europäischen Städte gemacht: seine Einwohnerzahl sank von zwei Millionen in heidnischer Zeit auf knapp 20.000 im 14. Jahrhundert.
Christentum: die Religion der frohen Botschaft mit der Kriegsbemalung; die Liaison eines Gesangvereins mit einer Feuersbrunst.
Man hat oft bemerkt – von Goethe bis Dostojewski, von Nietzsche bis zu Henry Miller, der es mir selbst einmal schrieb – käme Jesus wieder, würde er abermals gekreuzigt. Aber nur ein Kardinal der Kurie war ehrlich genug, hinzuzufügen: „Doch diesmal nicht in Jerusalem, sondern in Rom.“ Ja, in Jerusalem opferte sich – dem Vernehmen nach – jemand für andere, in Rom opfert man andere für sich.
Doch inzwischen ist ja alles ganz anders geworden... Sehen wir einmal zu, betrachten wir die Heiligen Väter des 20. Jahrhunderts.
Um die Jahrhundertwende orientierte sich die Politik von Papst Leo XIII. vor allem an Frankreich und Rußland unter dem (1918 liquidierten) Zaren Nikolaus III. Man glaubte in Rom, die Zukunft gehöre den slawischen Völkern, unterstützte sie deshalb und erwartete als Belohnung die russisch-orthodoxe Kirche unter dem römischen Primat.
Papst Leo XIII. mit Christusgeste
Bild: Kongressbibliothek Vatikan
Gerade Leo XIII., der die päpstliche Souveränität erstrebte und geistige Weltherrschaft, wähnte sich diesem Ziel nah. Öffentlich zwar, wie alle Päpste neueren Datums, das Wettrüsten verdammend, erwartete er selber einen unmittelbar bevorstehenden Weltkrieg und schilderte dem österreichischen Historiker Theodor von Sickel als „die unausbleiblichen Folgen“: „Die orientalische Frage werde sofort gelöst und zugleich der Islam überwunden werden; Rußland, von der Kirche beraten und unterstützt, werde auch den Frieden in Europa diktieren...“ Bei diesen Worten erhob sich Leo XIII. und prophezeite dem vor ihm knieenden Protestanten Sickel: „Und wenn das geschieht, werdet ihr Protestanten einfach dem Beispiel der Russen folgen.“
Als das Leben des 93jährigen Papstes 1903 erlosch, suchten die beiden großen Machtgruppen Frankreich/Rußland und Deutschland/ Österreich-Ungarn mit allen diplomatischen Mitteln, einen ihrer Parteigänger auf den römischen Stuhl zu bringen. Im 7. Wahlgang glückte dies aber wie so oft einem Außenseiter, dem Patriarchen von Venedig, Giuseppe Sarto, nunmehr Pius X. – Päpste und Hochstapler wechseln die Namen.
Sartos Ernennung, scheinbar ein Kompromiß, erwies sich bald als Erfolg der Mittelmächte. Im österreichischen Venetien, an der Grenze zu den Südslawen, als deren Gegner aufgewachsen, blieb Pius X. zeitlebens antislawisch gesonnen. Dagegen schätzte er den alten, der Kurie ergebenen Kaiser Franz Joseph und legte, so sagt er selbst, „stets allergrößtes Gewicht auf die Erhaltung der besten Beziehungen zu Österreich“. Denn mit Österreich, scharf auf die Ukraine, wollte man jetzt im Osten vordringen, den Balkan katholisieren und die russisch-orthodoxe Kirche unterjochen.
Papst Pius X. – noch als Kardinal Sarto
Gleichzeitig näherte man sich dem imperialistischen Deutschland unter Wilhelm II., das ebenfalls Expansionsgelüste im Osten befriedigen wollte. Und nachdem Österreich schon die türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina besetzt hatte, forderte man seinen Einmarsch auch in Albanien – auf dem Eucharistischen Kongreß 1912 in Wien.
Im Juli 1914, nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo, erläuterte Wiens Außenminister Graf Berchthold dem deutschen Botschafter, er halte es für ausgeschlossen, daß selbst eine Regierung wie die serbische die österreichischen Forderungen schlucke. Sollte dies aber doch der Fall sein, bleibe Österreich nichts übrig, als Serbien so lange zu reizen, bis man einen Vorwand erhalte, in Serbien einzumarschieren.
Eben das war es, was Pius X. wünschte und was sich auch heute mancher wieder wünscht, diesmal von Deutschland. Noch im Juni 1914 hatte Pius X. von seinem Kardinalstaatssekretär Mery del Val mit Serbien ein Konkordat, lateinisch für „herzliche Übereinkunft", unterzeichnen lassen. Einen Monat später, am 26. Juli, telegrafierte der bayerische Geschäftsträger beim Heiligen Stuhl seiner Regierung: „Der Papst billigt ein scharfes Vorgehen Österreichs gegen Serbien... Der Kardinalstaatssekretär hofft, daß dieses Mal Österreich standhalten wird. Er fragt sich, wann es denn sollte Krieg führen können, wenn es nicht einmal entschlossen wäre, mit den Waffen eine ausländische Regierung zurückzuweisen, die die Ermordung des Erzherzogs herbeigeführt hat.“ Und auch der österreichische Gesandte bestätigte seinem Außenminister am 27. Juli, Kardinalstaatssekretär Mery del Val hoffe, die Monarchie werde, wörtlich, „bis zum Äußersten gehen“.
Am nächsten Tag erklärte Österreich Serbien den Krieg, gedrängt vor allem auch von Berlin. Später verbreiteten Mery del Val und andere Kurienkreise, dem am 20. August 1914 verstorbenen Pius X. sei über dem Ausbruch des Krieges das Herz gebrochen. Vielleicht, darf man vermuten, aus Freude. Und 1954 sprach ihn Pius XII., der berühmte Faschistenkomplize, heilig. Wenn man ihre Heiligenlegenden liest, schreibt der große französische Aufklärer Helvetius, noch kulant untertreibend, findet man die Namen von tausend heilig gesprochenen Verbrechern. (CH)
Online-Flyer Nr. 115 vom 03.10.2007
Das Wort am Sonntag: „Mit Gott und den Faschisten“ Folge I
Leo XIII., Pius X. und der erste Weltkrieg
Von Karlheinz Deschner
Der arme Menschensohn hatte nichts, wohin er sein Haupt legen konnte. Und seine Jünger sollten das Evangelium ohne Geld im Gürtel verkünden. Nur einen Wanderstab hatte er ihnen gestattet, bei Markus; bei Matthäus und Lukas auch dies noch verboten.
„Wir sind Papst" –
bisheriger Höhepunkt des Papst-Hypes
Bild: Carl H. Ewald
Hinter sich eine kolossale Ausbeutung, die den römischen Bischof bereits im 5. Jahrhundert zum größten Gutsherren im ganzen römischen Reich gemacht und die Kirche im Mittelalter zur Besitzerin eines Drittels des gesamten europäischen Bodens.
Hinter sich die Vernichtung des Heidentums, die rauchenden Scheiterhaufen der Inquisition, die millionenfache Massakrierung der Indianer, der Schwarzen, die Judenpogrome, die direkt in Hitlers Gaskammern führen. · Hinter sich nicht zuletzt eine ununterbrochene Kette grauenvoller Kriege und Kreuzzüge, wobei Päpste oft selber mit Helm, Panzer und Schwert erschienen. „Opfer fallen hier, weder Lamm noch Stier, aber Menschenopfer unerhört": Goethe.
Die Heiligen Väter raubten, was zu rauben war: Burgen, Schlösser, Städte, ganze Herzogtümer. Sie stahlen, was zu stehlen war: schon im 4. Jahrhundert das Vermögen der Tempel, im 6. das aller für sie erreichbaren Heiden überhaupt, dann den Besitz von Millionen vertriebener und erschlagener Juden, verbrannten „Ketzern" und Hexen.
Sie nahmen auch die eigenen Schäfchen aus, durch immer höhere Steuern (allein Papst Urban VIII. erfand nicht weniger als zehn), durch Pacht, Zins, Erpressung, Ablaß, durch Reliquienschwindel und Wunderbetrug. Das italienische Volk wurde am meisten ausgeplündert, Rom selbst zur aufrührerischsten und armseligsten aller europäischen Städte gemacht: seine Einwohnerzahl sank von zwei Millionen in heidnischer Zeit auf knapp 20.000 im 14. Jahrhundert.
Christentum: die Religion der frohen Botschaft mit der Kriegsbemalung; die Liaison eines Gesangvereins mit einer Feuersbrunst.
Man hat oft bemerkt – von Goethe bis Dostojewski, von Nietzsche bis zu Henry Miller, der es mir selbst einmal schrieb – käme Jesus wieder, würde er abermals gekreuzigt. Aber nur ein Kardinal der Kurie war ehrlich genug, hinzuzufügen: „Doch diesmal nicht in Jerusalem, sondern in Rom.“ Ja, in Jerusalem opferte sich – dem Vernehmen nach – jemand für andere, in Rom opfert man andere für sich.
Doch inzwischen ist ja alles ganz anders geworden... Sehen wir einmal zu, betrachten wir die Heiligen Väter des 20. Jahrhunderts.
Um die Jahrhundertwende orientierte sich die Politik von Papst Leo XIII. vor allem an Frankreich und Rußland unter dem (1918 liquidierten) Zaren Nikolaus III. Man glaubte in Rom, die Zukunft gehöre den slawischen Völkern, unterstützte sie deshalb und erwartete als Belohnung die russisch-orthodoxe Kirche unter dem römischen Primat.
Papst Leo XIII. mit Christusgeste
Bild: Kongressbibliothek Vatikan
Gerade Leo XIII., der die päpstliche Souveränität erstrebte und geistige Weltherrschaft, wähnte sich diesem Ziel nah. Öffentlich zwar, wie alle Päpste neueren Datums, das Wettrüsten verdammend, erwartete er selber einen unmittelbar bevorstehenden Weltkrieg und schilderte dem österreichischen Historiker Theodor von Sickel als „die unausbleiblichen Folgen“: „Die orientalische Frage werde sofort gelöst und zugleich der Islam überwunden werden; Rußland, von der Kirche beraten und unterstützt, werde auch den Frieden in Europa diktieren...“ Bei diesen Worten erhob sich Leo XIII. und prophezeite dem vor ihm knieenden Protestanten Sickel: „Und wenn das geschieht, werdet ihr Protestanten einfach dem Beispiel der Russen folgen.“
Als das Leben des 93jährigen Papstes 1903 erlosch, suchten die beiden großen Machtgruppen Frankreich/Rußland und Deutschland/ Österreich-Ungarn mit allen diplomatischen Mitteln, einen ihrer Parteigänger auf den römischen Stuhl zu bringen. Im 7. Wahlgang glückte dies aber wie so oft einem Außenseiter, dem Patriarchen von Venedig, Giuseppe Sarto, nunmehr Pius X. – Päpste und Hochstapler wechseln die Namen.
Sartos Ernennung, scheinbar ein Kompromiß, erwies sich bald als Erfolg der Mittelmächte. Im österreichischen Venetien, an der Grenze zu den Südslawen, als deren Gegner aufgewachsen, blieb Pius X. zeitlebens antislawisch gesonnen. Dagegen schätzte er den alten, der Kurie ergebenen Kaiser Franz Joseph und legte, so sagt er selbst, „stets allergrößtes Gewicht auf die Erhaltung der besten Beziehungen zu Österreich“. Denn mit Österreich, scharf auf die Ukraine, wollte man jetzt im Osten vordringen, den Balkan katholisieren und die russisch-orthodoxe Kirche unterjochen.
Papst Pius X. – noch als Kardinal Sarto
Gleichzeitig näherte man sich dem imperialistischen Deutschland unter Wilhelm II., das ebenfalls Expansionsgelüste im Osten befriedigen wollte. Und nachdem Österreich schon die türkischen Provinzen Bosnien und Herzegowina besetzt hatte, forderte man seinen Einmarsch auch in Albanien – auf dem Eucharistischen Kongreß 1912 in Wien.
Im Juli 1914, nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo, erläuterte Wiens Außenminister Graf Berchthold dem deutschen Botschafter, er halte es für ausgeschlossen, daß selbst eine Regierung wie die serbische die österreichischen Forderungen schlucke. Sollte dies aber doch der Fall sein, bleibe Österreich nichts übrig, als Serbien so lange zu reizen, bis man einen Vorwand erhalte, in Serbien einzumarschieren.
Eben das war es, was Pius X. wünschte und was sich auch heute mancher wieder wünscht, diesmal von Deutschland. Noch im Juni 1914 hatte Pius X. von seinem Kardinalstaatssekretär Mery del Val mit Serbien ein Konkordat, lateinisch für „herzliche Übereinkunft", unterzeichnen lassen. Einen Monat später, am 26. Juli, telegrafierte der bayerische Geschäftsträger beim Heiligen Stuhl seiner Regierung: „Der Papst billigt ein scharfes Vorgehen Österreichs gegen Serbien... Der Kardinalstaatssekretär hofft, daß dieses Mal Österreich standhalten wird. Er fragt sich, wann es denn sollte Krieg führen können, wenn es nicht einmal entschlossen wäre, mit den Waffen eine ausländische Regierung zurückzuweisen, die die Ermordung des Erzherzogs herbeigeführt hat.“ Und auch der österreichische Gesandte bestätigte seinem Außenminister am 27. Juli, Kardinalstaatssekretär Mery del Val hoffe, die Monarchie werde, wörtlich, „bis zum Äußersten gehen“.
Am nächsten Tag erklärte Österreich Serbien den Krieg, gedrängt vor allem auch von Berlin. Später verbreiteten Mery del Val und andere Kurienkreise, dem am 20. August 1914 verstorbenen Pius X. sei über dem Ausbruch des Krieges das Herz gebrochen. Vielleicht, darf man vermuten, aus Freude. Und 1954 sprach ihn Pius XII., der berühmte Faschistenkomplize, heilig. Wenn man ihre Heiligenlegenden liest, schreibt der große französische Aufklärer Helvetius, noch kulant untertreibend, findet man die Namen von tausend heilig gesprochenen Verbrechern. (CH)
Online-Flyer Nr. 115 vom 03.10.2007