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Krieg und Frieden
Wolfram Wette über die letzte Bastion der NS-Justiz
Tabu „Kriegsverrat"
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Filbingers Enkel – oder: Wie die Alten sungen ...
„Wer Kriegsverrat beging, hat oft in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kameraden geschadet, ja, sie oft in Lebensgefahr gebracht, in der sie dann auch umgekommen sind, dies zum Beispiel dann, wenn der Verräter zu den feindlichen Linien überwechselte und, um sich dort lieb Kind zu machen, die Stellungen der eigenen Kameraden verriet, von der (sic!) er geflüchtet war. Der Feind konnte sich darauf einrichten und den Standort der Truppe unter Beschuss nehmen, wobei viele ihr Leben verloren haben.“
Nein, dieses Zitat stammt nicht aus dem Jahre 1942, und es ist auch nicht einem Terrorurteil des Reichskriegsgerichts entnommen. Diesen Anklang an die Rhetorik nationalsozialistischer Rechtspflege („ ... sich beim Feind lieb Kind machen...") intonierte vielmehr am 10. Mai diesen Jahres, 2007, der CSU-Rechts-Politiker Norbert Geis. Wenigstens in diesem Augenblick wurde der Deutsche Bundestag auch mental ganz eins mit seinem Verhandlungsort, dem „Reichstag".[1]
Wolfram Wette
Quelle: br-online.de
Der Freiburger Professor für Neueste Geschichte, Wolfram Wette, neben dem heute 83jährigen Manfred Messerschmidt die Koryphäe einer kritischen Militärgeschichtsschreibung, zitierte diese Denkergebnisse des immer noch allzu einflussreichen CSU-Rechts-Auslegers Geis am Freitag vorletzter Woche anläßlich eines Vortrags im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Dort nämlich ist zur Zeit eine Wanderausstellung über die Opfer der NS-Militärjustiz zu sehen. Zeitgleich hat Wolfram Wette, zusammen mit seinem Co-Autor Detlef Vogel, im Berliner Aufbau-Verlag ein neues wichtiges Buch herausgebracht. Es behandelt, so der Titel, ein „letztes Tabu" der deutschen Rechts- und Militärgeschichte, beziehungsweise ihrer viel zu späten Aufarbeitung.
Letztes Tabu und hartnäckige Erblast
Genau um dieses „Tabu" ging es auch an jenem 10. Mai 2007 im Deutschen Bundestag, als Norbert Geis seine zitierte Rede fabrizierte. Zum wiederholten Male wurde dort, am 74. Jahrestag der Bücherverbrennung und 48 Stunden nach dem 62. Jahrestag der Kapitulation der NS-Wehrmacht, eine letzte, aber hartnäckige Erblast der Nazi-Kriegs- und Terrorjustiz in heftigem Streit und letztlich erfolglos verhandelt. Die endliche Rehabilitierung jener Soldaten – und Zivilisten –, die wegen „Kriegsverrats" verurteilt und hingerichtet worden waren, scheint für das demokratische Nachkriegs-und Nachfolgedeutschland immer noch ein unüberwindliches Hindernis darzustellen. Nach Jahrzehnte langen, zumindest rhetorisch bürgerkriegsähnlichen, Auseinandersetzungen hatte sich zwischen 1998 und 2002 endlich mühevoll eine politische Mehrheit dafür gefunden, Opfer der Nazi-Kriegsjustiz zu „rehabilitieren", wie etwa Kriegsdienstverweigerer und letztlich, mit Beschluss vom 17. Mai 2002, „sogar" Deserteure. Die aber unter dem ominösen Verdikt des „Kriegsverrats" von der NS-Rechtsfindung im Stile des Chefkriegsrichters Roeder, des Kriegsrechtskommentators Schwinge und des bekannten Marinerichters Filbinger hingemeuchelt wurden, erscheinen einer nach dem Muster Norbert Geis weitgehend auf Unwissen beharrenden politischen Mehrheit bis heute noch als irgendwie kriminelle, „vaterlandslose Gesellen". Ihnen gegenüber befolgt die Bundesrepublik nach wie vor das Verdikt, das sich in vielen NS-Urteilsformeln findet: „Auf immer ehrlos."
Genoske Schröder
Politisch geballtes und juristisch verklausuliertes Ressentiment im Stammtisch-Stil „alter Kameraden" gegen „Verräter", noch dazu „Kriegs- Verräter", wie es beispielhaft Norbert Geis vortrug, kann heute freilich nur noch im Bundestag, in Schreiben des Bundesjustizministeriums, sowie in rechtsextremen Blättchen als ernsthafte Position formuliert werden.
Spätestens seit den achtziger Jahren aber sind solche Deutungen in zeit- und militärhistorischen Fachpublikationen, die Anspruch auf Seriosität erheben, unvertretbar. Dass allerdings Aufklärung ein zähes Unterfangen ist, dass reaktionärer Quatsch als Grundlage politischer Entscheidungen und juristisch formulierter Maßnahmen hingegen völlig ausreichen kann, zeigen deutsche Geschichte und Gegenwart mehr als zur Genüge. Die zitierte Aussage des CSU-Politikers Geis ist dafür ein Beispiel.
Genoske Schröder: "Das ist mit mir nicht zu machen!"
Foto: André Zahn | Quelle: wikimedia
Allerdings gewissermaßen nur ein zweitrangiges. Der ehemalige „Bürgerrechtsanwalt", Juso-Vorsitzende und bedauerlicherweise sieben Jahre auch SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder soll, Noske wäre stolz gewesen, sich höchstpersönlich mit typisch schnarrendem „Basta-Ton" jegliche weitere Debatte über eine Rehabilitierung der „Kriegsverräter" verbeten haben: „Das ist mit mir nicht zu machen." Wahrscheinlich ging ihm schon die Rehabilitierung der Deserteure wider den Strich – aber „Kriegs-Verräter" in Zeiten neuer Kriegseinsätze ausdrücklich rehabilitieren – unmöglich!
Rot-grüne „Geschichtspolitik" – der Kriegspolitik untergeordnet
Wie ja überhaupt gerade die gescheiterte rot-grüne Koalition neben einem Wiedereinstieg in deutsche Kriegsführung auch eine „Entsorgung" der deutschen Kriegsvergangenheit vorangetrieben hat – unter Bruch vorheriger Zusagen auf Kosten bisher unberücksichtigt gebliebener Opfergruppen. Das gilt etwa für die Weigerung, überlebenden Opfern von Wehrmachts- und SS-Massakern, wie etwa in den griechischen Orten Distomo und Kalavryta, Anerkennung und Entschädigung zukommen zu lassen. Und es spiegelt sich gleichermaßen in der unbelehrbaren bis opportunistischen Haltung gegenüber den sogenannten Kriegsverrätern. Einklagbare Entschädigungen für Kriegswillkür gegen Zivilisten, und eben auch die Rechtfertigung eines Tatbestands mit der magischen Bezeichnung „Kriegs-Verrat", das scheint gerade heute, angesichts des Hauptziels weltweiter Kriegsführungsfähigkeit, völlig inopportun zu sein. Dieser aktuelle Gedanke kam in Wolfram Wettes Vortrag zwar nicht vor, drängt sich aber angesichts der Renaissance militärischer Prioritäten geradezu auf.
SPD-Ministerin übernimmt Legenden „alter Kameraden"
Als besonders tragisches Relikt der rotgrünen Phase erweist sich auch in
diesem Zusammenhang die SPD-Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. „So erscheint der in Fällen des Kriegsverrats gegebene Unrechtsgehalt (nicht auszuschließende Lebensgefährdung für eine Vielzahl von Soldaten) äußerst hoch", munkelte die Rechtswahrerin der Großen Koalition anno 2006 in einem abschlägigen Bescheid an die „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“. Juristische Apologeten der NS-Militärjustiz, wie etwa der in Fachkreisen einschlägig bekannte Marburger Professor Erich Schwinge oder der Bundeswehr-Generalmajor und langjährige Vorsitzende des traditionalistischen Verbandes Deutscher Soldaten, Dr. jur. Jürgen Schreiber, hätten das zu ihrer Wirkungszeit in den fünfziger bis siebziger Jahren nicht „besser" formulieren können als die Sozialdemokratin Zypries im Jahre 2006. Unsinnige Behauptungen ohne jeglichen Beweis, befindet Wolfram Wette in aller nüchterner Zurückhaltung.
Deutsches Militär-Strafgesetzbuch von 1934
Quelle: wikimedia
Um die von ihm betonte „Distanz" und „Objektivität" muß sich der engagierte Historiker Wette im Gegensatz zu amtierenden Politikern freilich schon aus der methodischen Sicht des renom- mierten Fachwissenschaftlers bemühen. Die Resultate der wissenschaftlichen Forschung sollen für sich selber sprechen und weniger der rhetorische Eifer des Forschers. Mit Erfolg, denn unerbittlicher Forschung, wie sie Wissenschaftler wie Wolfram Wette und der Doyen einer endlich kritischen Militär- geschichtsforschung, Manfred Messerschmidt, entscheidend angestoßen haben, ist die restlose Widerlegung jener (bundes)deutschen National- legenden zu verdanken, die im Falle der „Kriegsverräter" immer noch parlamentarisch mehrheits- fähig scheinen. In der Hoffnung, dass Aufklärung doch nicht vollkommen vergeblich sei, hier einige Beispiele aus der „Fallsammlung", die Wette und Vogel in mühseliger Forscherarbeit zusammengetragen haben.
Kriegsverrat: Diffuser Straftatbestand, schärfster Justizterror
Was „Kriegsverrat" eigentlich sein sollte, das ließ die NS-Gesetzgebung wohl vorsätzlich in einer diffusen Schwebe, wie sie für exakt zu definierende Straftatbestände eigentlich schon methodisch unannehmbar ist. Im Militärgesetzbuch des Bismarck-Reichs aus dem Jahr 1872 war unter diesem Begriff noch eine ganze Liste konkreter Handlungen aufgeführt, für die der Soldat Strafe, allerdings Zuchthaus und nicht die bei den Nazis obligatorische Todesstrafe, zu gewärtigen hatte. Dazu gehörte etwa die Freilassung „feindlicher" Kriegsgefangener und die „Aushändigung" eines „Signalbuchs" an den „Feind". 1934 schafften die Nazis diese detaillistischen Vorschriften einfach ab und ersetzten sie durch die pauschale Androhung der Todesstrafe für alle Handlungen und schließlich auch Haltungen, die angeblich geeignet schienen, dem „Feind" zu nützen. Der schon erwähnte Militärstrafrechts- Kommentator Erich Schwinge (1903-1994) setzte im Sinne der Naziführung mit seiner auf rücksichtslose Radikalisierung der „Rechtspraxis" ausgerichteten Kommentierung gerade des „Kriegsverrats"-Begriffs Maßstäbe, an denen sich die NS-Wehrmachtsjustiz schließlich orientierte. Allen voran das Reichskriegsgericht unter „Generalrichter" Manfred Roeder bis hin zu den Feldkriegsgerichten an der „Front".
Als „Kriegsverrat" genügte schon, so Schwinges Kommentierung 1944, „jegliche Unterstützung der Ziele des Bolschewismus“. Meinungsterror mit Justizmitteln: „Das bedeutete, dass nun schon die kommunistische Gesinnung eines Wehrmachtsoldaten ausreichte, um den Straftatbestand des Kriegsverrats zu erfüllen", so Wolfram Wette, und: „Ein Kontakt zu russischen Kriegsgefangenen konnte ähnlich gewertet werden."
Todesstrafe für private Tagebücher und versuchte Judenrettung
Genau das wurde dem Gefreiten Adolf Pogede zum Verhängnis. Der ehemalige KPD-Abgeordnete in der Bezirksversammlung Berlin-Wedding brachte es in der Wehrmacht zum Obergefreiten und Kraftfahrer und bekam 1944 an seinem Standort Frankfurt/Oder Kontakt zu sowjetischen Kriegsgefangenen. Ihnen gegenüber offenbarte er sich als Kommunist und prognostizierte, dass die Rote Armee bald in Berlin einmarschieren werde. Von einem eingeschleusten V-Mann verpfiffen, wurde Pogede von Roeders Reichskriegsgericht wegen „Kriegsverrats" zum Tode verurteilt und am 11. August 1944 im Zuchthaus Halle durch das Fallbeil geköpft.
Wehrmacht erschießt polnische Gefangene
Quelle: Bataliony Chłopskie
Ein anderer Wehrmachts- Kraftfahrer versuchte, im Mai 1944 dreizehn ungarische Juden in seinem LKW nach Rumänien zu schmuggeln. Das Unternehmen flog an der Grenze auf, der namentlich nicht bekannte Soldat wurde, wie es in einem Wehrmachts- dokument heißt, wegen „Kriegsverrats" durch „Judenschmuggel" zum Tode verurteilt und am 9. Mai 1944 erschossen. Politischer Weitblick und versuchte Judenrettung – das also waren die „Schwerverbrechen", die nach der Logik eines Schwinge und Roeder, aber auch eines Geis, eines Schröder und einer Zypries „unseren deutschen Soldaten" schwerste Unbill zufügten, todeswürdig waren und bis heute einen „erheblichen Unrechtsgehalt" aufweisen.
Das gilt vor allem für den besonders verwerflichen Frevel, den der Stabsgefreite Josef Salz beging: Er schrieb ein Tagebuch, nur für sich, und darin schrieb er eigene Gedanken nieder. Das hätte er nicht tun sollen. Denn sein privates Tagebuch wurde entdeckt, durchschnüffelt und zum corpus delicti, zum Beweis verbrecherischen „Gedankenverrats" pervertiert. Er habe sich „als Freund der Juden und Bolschewisten" ausgegeben, um sich vielleicht einmal – frei nach Geis – bei den Bolschewisten „lieb Kind" zu machen. Todeswürdig habe er „das deutsche Volk, seine Führung und die Wehrmacht in übelster Weise" geschmäht und verleumdet. Durch diesen – wie es später bei Orwell heißen sollte – „Verbrecherdenk" habe Salz seine eigene „Wehrkraft" zersetzt. Tatbestand: „Kriegsverrat" – Urteil: Tod durch Erschießen, in Stettin am 8. Februar 1944. Der zuständige „Gerichtsherr", Infanteriegeneral Hoernlein, schnarrte im Verordnungsblatt des 2. Armeekorps: „So ergeht es jedem, der dem Führer die Treue bricht! Wer durch Feigheit sein Leben erhalten will, stirbt den Verbrechertod!"
Gedanken als Verbrechen und die Staatsmaxime, dass nichts mehr privat bleiben darf – wäre jeder Vergleich mit dem NS-Terror nicht so völlig unangemessen, könnten einem dabei doch so manche aktuellen Vorgänge und Debatten in dieser unserer „rechtsstaatlichen Demokratie" unvermittelt in den Sinn kommen.
Gedenkplatte in Braunschweig
Foto: brunswyk | Quelle: wikimedia
Rehalbilitierung oder Rückfall?
Wir haben bewußt nur einige der „kleineren", eigentlich „bescheideneren" Fälle aus Wette/Vogels Sammlung angeführt. Denn die Lektüre des Buches wollen wir keinesfalls ersetzen.
„Verraten" sei nur noch, daß Generalrichter Roeder auch im Falle der „Roten Kapelle" eine katastrophale Rolle spielte und allein gegenüber dieser Widerstandsgruppe 48 Todesurteile bewirkte. Was ihn nicht hinderte, sondern geradezu qualifizierte, 1951 ein Buch zu veröffentlichen, mit dem er die „Rote Kapelle" als kriminelle „Verräterbande" denunzierte. Diese Gestapo-Lesart blieb denn auch bis in die siebziger Jahre die vorherrschende bundesdeutsche Anschauung. Roeder und der in der Bundesrepublik zum Rektor der Marburger Universität avancierte Erich Schwinge fanden in der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft dankbare Abnehmer für ihre Publikationen, mit denen sie maßgeblich, ihrer Mitwirkung an NS-Justizverbrechen nicht zum Trotz, sondern geradezu zum Lohne, die Wehrmachtsjustiz erfolgreich schönschrieben und andererseits das diffamöse Bild der Opfer dieser Wehrmachtsjustiz maßgeblich und verhängnisvoll prägten.
In manchen Köpfen, vor allem auf der politischen Entscheidungsebene, scheinen die Mythen der Schwinge und Roeder bis heute noch „wirkmächtig" zu sein. Bleibt zu hoffen, daß das Buch von Wette und Vogel hier einen letzten notwendigen Erkenntnisfortschritt befördert. Denn wenn auch keiner von denen mehr lebt, die unter dem Vorwand des Kriegsverrats in die Fänge der NS-Justiz gerieten, so ist ihre Rehabilitierung doch ein Akt längst überfälliger demokratischer Rehabilitation. Nicht nur für die Opfer, sondern für diese Gesellschaft selbst. Es sei denn, und das wollen wir abschließend nur andeuten, genau daran bestünde in einer Epoche neuer und kommender Kriege unter deutscher Beteiligung kein Interesse. (YH)
[1] Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007, S. 9971-9977; Norbert Geis MdB, ebda., S. 9972 D.
Wolfram Wette/ Detlef Vogel (Hrsg.)
unter Mitarbeit von Ricarda Berthold u. Helmut Kramer:
„Das letzte Tabu"
NS-Militärjustiz und Kriegsverrat
Mit einem Vorwort von Manfred Messerschmidt.
Berlin (Aufbau) 2007
Kostet, für die Arbeit „fast geschenkt" (Wette),
24 Euro 90 Cent.
Online-Flyer Nr. 115 vom 03.10.2007
Wolfram Wette über die letzte Bastion der NS-Justiz
Tabu „Kriegsverrat"
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Filbingers Enkel – oder: Wie die Alten sungen ...
„Wer Kriegsverrat beging, hat oft in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kameraden geschadet, ja, sie oft in Lebensgefahr gebracht, in der sie dann auch umgekommen sind, dies zum Beispiel dann, wenn der Verräter zu den feindlichen Linien überwechselte und, um sich dort lieb Kind zu machen, die Stellungen der eigenen Kameraden verriet, von der (sic!) er geflüchtet war. Der Feind konnte sich darauf einrichten und den Standort der Truppe unter Beschuss nehmen, wobei viele ihr Leben verloren haben.“
Nein, dieses Zitat stammt nicht aus dem Jahre 1942, und es ist auch nicht einem Terrorurteil des Reichskriegsgerichts entnommen. Diesen Anklang an die Rhetorik nationalsozialistischer Rechtspflege („ ... sich beim Feind lieb Kind machen...") intonierte vielmehr am 10. Mai diesen Jahres, 2007, der CSU-Rechts-Politiker Norbert Geis. Wenigstens in diesem Augenblick wurde der Deutsche Bundestag auch mental ganz eins mit seinem Verhandlungsort, dem „Reichstag".[1]
Wolfram Wette
Quelle: br-online.de
Letztes Tabu und hartnäckige Erblast
Genau um dieses „Tabu" ging es auch an jenem 10. Mai 2007 im Deutschen Bundestag, als Norbert Geis seine zitierte Rede fabrizierte. Zum wiederholten Male wurde dort, am 74. Jahrestag der Bücherverbrennung und 48 Stunden nach dem 62. Jahrestag der Kapitulation der NS-Wehrmacht, eine letzte, aber hartnäckige Erblast der Nazi-Kriegs- und Terrorjustiz in heftigem Streit und letztlich erfolglos verhandelt. Die endliche Rehabilitierung jener Soldaten – und Zivilisten –, die wegen „Kriegsverrats" verurteilt und hingerichtet worden waren, scheint für das demokratische Nachkriegs-und Nachfolgedeutschland immer noch ein unüberwindliches Hindernis darzustellen. Nach Jahrzehnte langen, zumindest rhetorisch bürgerkriegsähnlichen, Auseinandersetzungen hatte sich zwischen 1998 und 2002 endlich mühevoll eine politische Mehrheit dafür gefunden, Opfer der Nazi-Kriegsjustiz zu „rehabilitieren", wie etwa Kriegsdienstverweigerer und letztlich, mit Beschluss vom 17. Mai 2002, „sogar" Deserteure. Die aber unter dem ominösen Verdikt des „Kriegsverrats" von der NS-Rechtsfindung im Stile des Chefkriegsrichters Roeder, des Kriegsrechtskommentators Schwinge und des bekannten Marinerichters Filbinger hingemeuchelt wurden, erscheinen einer nach dem Muster Norbert Geis weitgehend auf Unwissen beharrenden politischen Mehrheit bis heute noch als irgendwie kriminelle, „vaterlandslose Gesellen". Ihnen gegenüber befolgt die Bundesrepublik nach wie vor das Verdikt, das sich in vielen NS-Urteilsformeln findet: „Auf immer ehrlos."
Genoske Schröder
Politisch geballtes und juristisch verklausuliertes Ressentiment im Stammtisch-Stil „alter Kameraden" gegen „Verräter", noch dazu „Kriegs- Verräter", wie es beispielhaft Norbert Geis vortrug, kann heute freilich nur noch im Bundestag, in Schreiben des Bundesjustizministeriums, sowie in rechtsextremen Blättchen als ernsthafte Position formuliert werden.
Spätestens seit den achtziger Jahren aber sind solche Deutungen in zeit- und militärhistorischen Fachpublikationen, die Anspruch auf Seriosität erheben, unvertretbar. Dass allerdings Aufklärung ein zähes Unterfangen ist, dass reaktionärer Quatsch als Grundlage politischer Entscheidungen und juristisch formulierter Maßnahmen hingegen völlig ausreichen kann, zeigen deutsche Geschichte und Gegenwart mehr als zur Genüge. Die zitierte Aussage des CSU-Politikers Geis ist dafür ein Beispiel.
Genoske Schröder: "Das ist mit mir nicht zu machen!"
Foto: André Zahn | Quelle: wikimedia
Allerdings gewissermaßen nur ein zweitrangiges. Der ehemalige „Bürgerrechtsanwalt", Juso-Vorsitzende und bedauerlicherweise sieben Jahre auch SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder soll, Noske wäre stolz gewesen, sich höchstpersönlich mit typisch schnarrendem „Basta-Ton" jegliche weitere Debatte über eine Rehabilitierung der „Kriegsverräter" verbeten haben: „Das ist mit mir nicht zu machen." Wahrscheinlich ging ihm schon die Rehabilitierung der Deserteure wider den Strich – aber „Kriegs-Verräter" in Zeiten neuer Kriegseinsätze ausdrücklich rehabilitieren – unmöglich!
Rot-grüne „Geschichtspolitik" – der Kriegspolitik untergeordnet
Wie ja überhaupt gerade die gescheiterte rot-grüne Koalition neben einem Wiedereinstieg in deutsche Kriegsführung auch eine „Entsorgung" der deutschen Kriegsvergangenheit vorangetrieben hat – unter Bruch vorheriger Zusagen auf Kosten bisher unberücksichtigt gebliebener Opfergruppen. Das gilt etwa für die Weigerung, überlebenden Opfern von Wehrmachts- und SS-Massakern, wie etwa in den griechischen Orten Distomo und Kalavryta, Anerkennung und Entschädigung zukommen zu lassen. Und es spiegelt sich gleichermaßen in der unbelehrbaren bis opportunistischen Haltung gegenüber den sogenannten Kriegsverrätern. Einklagbare Entschädigungen für Kriegswillkür gegen Zivilisten, und eben auch die Rechtfertigung eines Tatbestands mit der magischen Bezeichnung „Kriegs-Verrat", das scheint gerade heute, angesichts des Hauptziels weltweiter Kriegsführungsfähigkeit, völlig inopportun zu sein. Dieser aktuelle Gedanke kam in Wolfram Wettes Vortrag zwar nicht vor, drängt sich aber angesichts der Renaissance militärischer Prioritäten geradezu auf.
SPD-Ministerin übernimmt Legenden „alter Kameraden"
Deutsches Militär-Strafgesetzbuch von 1934
Quelle: wikimedia
Um die von ihm betonte „Distanz" und „Objektivität" muß sich der engagierte Historiker Wette im Gegensatz zu amtierenden Politikern freilich schon aus der methodischen Sicht des renom- mierten Fachwissenschaftlers bemühen. Die Resultate der wissenschaftlichen Forschung sollen für sich selber sprechen und weniger der rhetorische Eifer des Forschers. Mit Erfolg, denn unerbittlicher Forschung, wie sie Wissenschaftler wie Wolfram Wette und der Doyen einer endlich kritischen Militär- geschichtsforschung, Manfred Messerschmidt, entscheidend angestoßen haben, ist die restlose Widerlegung jener (bundes)deutschen National- legenden zu verdanken, die im Falle der „Kriegsverräter" immer noch parlamentarisch mehrheits- fähig scheinen. In der Hoffnung, dass Aufklärung doch nicht vollkommen vergeblich sei, hier einige Beispiele aus der „Fallsammlung", die Wette und Vogel in mühseliger Forscherarbeit zusammengetragen haben.
Kriegsverrat: Diffuser Straftatbestand, schärfster Justizterror
Was „Kriegsverrat" eigentlich sein sollte, das ließ die NS-Gesetzgebung wohl vorsätzlich in einer diffusen Schwebe, wie sie für exakt zu definierende Straftatbestände eigentlich schon methodisch unannehmbar ist. Im Militärgesetzbuch des Bismarck-Reichs aus dem Jahr 1872 war unter diesem Begriff noch eine ganze Liste konkreter Handlungen aufgeführt, für die der Soldat Strafe, allerdings Zuchthaus und nicht die bei den Nazis obligatorische Todesstrafe, zu gewärtigen hatte. Dazu gehörte etwa die Freilassung „feindlicher" Kriegsgefangener und die „Aushändigung" eines „Signalbuchs" an den „Feind". 1934 schafften die Nazis diese detaillistischen Vorschriften einfach ab und ersetzten sie durch die pauschale Androhung der Todesstrafe für alle Handlungen und schließlich auch Haltungen, die angeblich geeignet schienen, dem „Feind" zu nützen. Der schon erwähnte Militärstrafrechts- Kommentator Erich Schwinge (1903-1994) setzte im Sinne der Naziführung mit seiner auf rücksichtslose Radikalisierung der „Rechtspraxis" ausgerichteten Kommentierung gerade des „Kriegsverrats"-Begriffs Maßstäbe, an denen sich die NS-Wehrmachtsjustiz schließlich orientierte. Allen voran das Reichskriegsgericht unter „Generalrichter" Manfred Roeder bis hin zu den Feldkriegsgerichten an der „Front".
Als „Kriegsverrat" genügte schon, so Schwinges Kommentierung 1944, „jegliche Unterstützung der Ziele des Bolschewismus“. Meinungsterror mit Justizmitteln: „Das bedeutete, dass nun schon die kommunistische Gesinnung eines Wehrmachtsoldaten ausreichte, um den Straftatbestand des Kriegsverrats zu erfüllen", so Wolfram Wette, und: „Ein Kontakt zu russischen Kriegsgefangenen konnte ähnlich gewertet werden."
Todesstrafe für private Tagebücher und versuchte Judenrettung
Genau das wurde dem Gefreiten Adolf Pogede zum Verhängnis. Der ehemalige KPD-Abgeordnete in der Bezirksversammlung Berlin-Wedding brachte es in der Wehrmacht zum Obergefreiten und Kraftfahrer und bekam 1944 an seinem Standort Frankfurt/Oder Kontakt zu sowjetischen Kriegsgefangenen. Ihnen gegenüber offenbarte er sich als Kommunist und prognostizierte, dass die Rote Armee bald in Berlin einmarschieren werde. Von einem eingeschleusten V-Mann verpfiffen, wurde Pogede von Roeders Reichskriegsgericht wegen „Kriegsverrats" zum Tode verurteilt und am 11. August 1944 im Zuchthaus Halle durch das Fallbeil geköpft.
Wehrmacht erschießt polnische Gefangene
Quelle: Bataliony Chłopskie
Das gilt vor allem für den besonders verwerflichen Frevel, den der Stabsgefreite Josef Salz beging: Er schrieb ein Tagebuch, nur für sich, und darin schrieb er eigene Gedanken nieder. Das hätte er nicht tun sollen. Denn sein privates Tagebuch wurde entdeckt, durchschnüffelt und zum corpus delicti, zum Beweis verbrecherischen „Gedankenverrats" pervertiert. Er habe sich „als Freund der Juden und Bolschewisten" ausgegeben, um sich vielleicht einmal – frei nach Geis – bei den Bolschewisten „lieb Kind" zu machen. Todeswürdig habe er „das deutsche Volk, seine Führung und die Wehrmacht in übelster Weise" geschmäht und verleumdet. Durch diesen – wie es später bei Orwell heißen sollte – „Verbrecherdenk" habe Salz seine eigene „Wehrkraft" zersetzt. Tatbestand: „Kriegsverrat" – Urteil: Tod durch Erschießen, in Stettin am 8. Februar 1944. Der zuständige „Gerichtsherr", Infanteriegeneral Hoernlein, schnarrte im Verordnungsblatt des 2. Armeekorps: „So ergeht es jedem, der dem Führer die Treue bricht! Wer durch Feigheit sein Leben erhalten will, stirbt den Verbrechertod!"
Gedanken als Verbrechen und die Staatsmaxime, dass nichts mehr privat bleiben darf – wäre jeder Vergleich mit dem NS-Terror nicht so völlig unangemessen, könnten einem dabei doch so manche aktuellen Vorgänge und Debatten in dieser unserer „rechtsstaatlichen Demokratie" unvermittelt in den Sinn kommen.
Gedenkplatte in Braunschweig
Foto: brunswyk | Quelle: wikimedia
Rehalbilitierung oder Rückfall?
Wir haben bewußt nur einige der „kleineren", eigentlich „bescheideneren" Fälle aus Wette/Vogels Sammlung angeführt. Denn die Lektüre des Buches wollen wir keinesfalls ersetzen.
„Verraten" sei nur noch, daß Generalrichter Roeder auch im Falle der „Roten Kapelle" eine katastrophale Rolle spielte und allein gegenüber dieser Widerstandsgruppe 48 Todesurteile bewirkte. Was ihn nicht hinderte, sondern geradezu qualifizierte, 1951 ein Buch zu veröffentlichen, mit dem er die „Rote Kapelle" als kriminelle „Verräterbande" denunzierte. Diese Gestapo-Lesart blieb denn auch bis in die siebziger Jahre die vorherrschende bundesdeutsche Anschauung. Roeder und der in der Bundesrepublik zum Rektor der Marburger Universität avancierte Erich Schwinge fanden in der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft dankbare Abnehmer für ihre Publikationen, mit denen sie maßgeblich, ihrer Mitwirkung an NS-Justizverbrechen nicht zum Trotz, sondern geradezu zum Lohne, die Wehrmachtsjustiz erfolgreich schönschrieben und andererseits das diffamöse Bild der Opfer dieser Wehrmachtsjustiz maßgeblich und verhängnisvoll prägten.
In manchen Köpfen, vor allem auf der politischen Entscheidungsebene, scheinen die Mythen der Schwinge und Roeder bis heute noch „wirkmächtig" zu sein. Bleibt zu hoffen, daß das Buch von Wette und Vogel hier einen letzten notwendigen Erkenntnisfortschritt befördert. Denn wenn auch keiner von denen mehr lebt, die unter dem Vorwand des Kriegsverrats in die Fänge der NS-Justiz gerieten, so ist ihre Rehabilitierung doch ein Akt längst überfälliger demokratischer Rehabilitation. Nicht nur für die Opfer, sondern für diese Gesellschaft selbst. Es sei denn, und das wollen wir abschließend nur andeuten, genau daran bestünde in einer Epoche neuer und kommender Kriege unter deutscher Beteiligung kein Interesse. (YH)
[1] Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007, S. 9971-9977; Norbert Geis MdB, ebda., S. 9972 D.
Wolfram Wette/ Detlef Vogel (Hrsg.)
unter Mitarbeit von Ricarda Berthold u. Helmut Kramer:
„Das letzte Tabu"
NS-Militärjustiz und Kriegsverrat
Mit einem Vorwort von Manfred Messerschmidt.
Berlin (Aufbau) 2007
Kostet, für die Arbeit „fast geschenkt" (Wette),
24 Euro 90 Cent.
Online-Flyer Nr. 115 vom 03.10.2007