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Lokales
Lebenslanger Kampf wider die „Entartung"
Kleines Polit-Psychogramm des Joachim Kardinal Meisner
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Rituelle Distanzierungen und abwiegelnde Kritik
Zur Kölner Heimatfolklore gehört regelmäßig auch die sterile Aufregung über die jeweils neueste Sprachgranate, die der Hausherr der Kölner Bahnhofskapelle ohne Rücksicht auf Verluste gezündet hat. Jüngstes Beispiel: das "Entartungs"- Zitat. Immerhin: Seit 1945 ist dieser Begriff außer von Franz Joseph Strauß von keinem Mitglied der staatlich-gesellschaftlichen Machtelite mehr offiziell gebraucht worden. Selbst das intellektuelle Leitblatt des größten Kölner Zeitungsverlages, dem ansonsten mangelnde Kirchentreue nicht nachgesagt werden kann, kritisierte den Kardinal dafür mit wohlgesetztem Tadel. Ja, sogar Kölns bekanntester Lateinlehrer Schramma, der bei jedem der Meisnerschen Soldatengottesdienste frierend, aber treu in der Bank sitzt, wagt zagende Kritik am verehrten Kardinal. Doch bei näherem Hinsehen ist solche Distanzierung nur oberflächliche Pflichtübung; sie soll ja auch überhaupt nicht die etablierte Machtposition und die Gültigkeitsansprüche der katholischen Kirche antasten, sondern nur so tun, als hätte sich Herr Meisner rein persönlich ein bißchen vergaloppiert.
Wieder eine Sprachgranate – hier zum „Großen Zapfenstreich"
Foto: Arbeiterfotografie
Sprachrohr seines Herrn
Starkes Wort, schwacher Gedanke? Weit gefehlt. In Wirklichkeit hat Meisner nie eine persönliche Marotte ausgelebt, sondern stets „nur" die Herrschaftstradition und insbesondere den monopolistischen Ausschließlichkeitsanspruch seiner Kirche mit begrüßenswerter Deutlichkeit formuliert. Wer Meisner kennt, kennt die katholische Kirche, jedenfalls so, wie sie spätestens seit Konstantin und Augustinus als Machtapparat funktioniert. Auch Meisner selbst sieht sich nach eigener Aussage nur als „demütiger Diener" seines „Gottes" und der Kirche: „Herr, mach mich zum Werkzeug Deines Friedens!“
Apropos Frieden: Gerade aus seinen beliebten "Soldatenpredigten" läßt sich immer eines herauslesen und -hören, nämlich das unbeirrbare Festhalten am katholischen Mittelalter einschließlich Unwert-und mindestens impliziter Kriegserklärung an alle Andersdenkenden, vulgo "Ketzer". Was nicht katholisch ist, wer und was vom Glauben abfällt oder ihm fernsteht, ist in Meisners Predigt-Dramaturgie regelmäßig die Ursache allen Übels in der Welt, von „Verderben", „Verfall" oder – ab sofort – „Entartung".
Kleine Meisner-Exegese: „Entartung“
Mag schon sein, daß Meisner diesen Begriff nicht im spezifischen Nazisinne gebrauchen wollte. Daß er ihn also nicht aus regulär faschistischem oder offen rassistischem Geist ausgesprochen hat, sondern als neu- und wiederentdeckten Kampfbegriff seiner religiös-fundamentalistischen Kampagnenrhetorik. Doch wenn sich das erwähnte Kölner Bürgerblatt nach etlicher Kritik eilfertig bemüht hat, die Wogen mit eben diesem Hinweis zu glätten, sollte man sich von solcher Abwiegelung nicht beruhigen lassen. Denn ein Blick gerade in die jüngere Kölner Kulturgeschichte zeigt, wie fließend der Übergang zwischen der „religiösen" und der nazistischen Version des Begriffs „Entartung" sein kann.
Losgelöst von historischen Bezügen - Kardinal Meisner
Foto: Arbeiterfotografie
Exkurs: Der Kölner Bartok-Skandal 1926 und die „Entartungs”-Hetze
Fugenlos vernetzten sich nämlich beide „Versionen“ schon 1926, als am Kölner Opernhaus die Tanzpantomime „Der Wunderbare Mandarin" des ungarischen Komponisten Bela Bartok uraufgeführt wurde. Gegen dieses im „Ganoven- und Hurenmilieu" spielende „neutönerische" Ballettdrama erhob sich ein wütender reichsweiter Proteststurm, der den Skandal um Strawinskys „Sacre du printemps" 1913 in Paris schon aus politischen Gründen weit übertraf. An den Aufruhr hing sich der „Völkische Beobachter" zwar an, doch ging er vor allem von christlichen, in Köln mithin katholischen Kreisen aus. „Krank, pervers, entartet“, so schimpften Sittlichkeitsvereine, Kirchenkreise und katholische Blätter wie die Kölnische Volkszeitung, wetterten gegen „östliche Invasion“ und natürlich: „Judenkunst“.
Ein Unterschied der vielleicht „nur christlichen" Haßtiraden zu den gleichlautenden der Nazis mag da nicht mehr recht einleuchten. Die Agitation gegen die „entartete Kunst" war auf beiden Seiten jedenfalls gleichermaßen und unterschiedslos mit antisemitischer Pogromhetze verbunden. - Ein gewisser Konrad Adenauer schrieb sich erstmals in die Weltgeschichte ein, wenn auch „nur" der Musik und überdies unrühmlich, obgleich er Lob dafür einheimste, daß er mit den „artfremden Elementen kurzen Prozeß gemacht“ habe. Denn als weltlicher Arm des katholischen Kulturobskurantismus verbot der Oberbürgermeister jede weitere Aufführung des „entarteten" Werkes, das erst 1960 wieder in Köln zu sehen und zu hören war. Ein lokales Blatt namens „Kölner Stadt-Anzeiger“ übrigens schwang sich am 3. 12. 1926 zu einem Höhepunkt antisemitischer Entartungs-Hetze auf:
„Im Opernhaus hat man ein Groß-Reinemachen abgehalten, indem man das Stück eines der gräßlichsten Neutöner mit der gebührenden Empörung zurückwies – nicht allein wegen der Hottentottenkralsmusik, die uns Bartók als die Ausgeburt eines entarteten Musiksinns bescherte, sondern in erster Linie wegen des anstößigen Inhalts der Pantomime.“ - Wenige Jahre später erreichte solche Agitation aus der Mitte von Bürgertum und Glauben ihr Ziel mit der Austreibung jüdischer und sonst „entarteter“ Künstler aus Deutschland.
Spiel mit dem Feuer: Meisners Sprachmißbrauch
Gerade die Kölner Erfahrung zeigt also, daß in jenem Begriff bereits der Kern des Pogroms enthalten ist. Man wird Meisner zwar nicht einen Haßprediger nennen dürfen, denn gegen diese Einordnung durch den Kölner Kabarettisten Jürgen Becker schickte der ansonsten heftig austeilende Kampfkardinal - in eigener Sache höchst dünnhäutig - die banale weltliche Justiz vor. Doch wird man feststellen müssen, daß Meisner seit je immer wieder gerade mit historisch schwer belasteten Anklängen arbeitet, die in der Vorstellung noch weit mehr auslösen und auslösen sollen, als er expressis verbis sagt. Wie etwa anno 2003 mit dem Gerede vom notwendigen „Ausschwitzen" irgendwelcher Gifte des Unglaubens und Sittenverfalls, assoziativ in die Nähe einer Beschimpfungsarie gegen Homosexuelle gestellt. Wer da nicht „auf Gedanken" kommt, hat keine mehr.
Säulenheilige am Domportal
Foto: Arbeiterfotografie
„Exotische“ Ansichten – „Wahrheit des Glaubens“
Für kurzlebige Medien-„Skandale" und zitierfähige „Klopper" ist dieser Meister der dankenswert deutlichen Aussprache also immer gut. Doch sei nochmals davor gewarnt, den unermüdlichen Kreuzzügler als verschrobenen Exoten mißzuverstehen. Sicher: Andere Prälaten einschließlich des Papstes treten verbindlicher auf, gerieren sich „moderner", verfallen (!) gelegentlich vom Kirchenlatein in ranschmeißerischen Jugendjargon. Doch auch wenn einmal eine Soutane zur Rockmusik wippt, kann all dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß der kantige Kardinal zwar aus der rechten Ecke heraus mosert, damit aber direkt aus der Mitte seiner Kirchentradition spricht.
Gotteswort als rechter Agitprop
Sollte einmal eine Meisner-Predigt oder -Rede kein besonderes öffentliches Aufsehen erregen, dann nur, weil eben niemand zugegen war, der irgendein besonderes Reizwort aufgefangen hat. Denn fast regelmäßig finden sich beim Kölner Oberhirten Passagen von erlesen agitatorischer Qualität, Diffamierungen insbesondere sexistischer Provenienz und reaktionäres Gedanken-„Gut" in Hülle und Fülle. So intonierte er - nur als Beispiel - in der Ansprache beim Neujahrsempfang des Diözesanrates 2003 die altbekannte zölibatäre Klage über die angeblich mangelhafte Gebärfreude des durch „Feministinnen" irregeleiteten Weibervolkes. Ganz im Stil rechtslastiger Bevölkerungspolitik schwadroniert der Unbeweibte von einem „Suizid unseres Volkes", das „immer weniger Geburten, immer weniger Ehen kennt." Auf diesem Felde, das enthaltsamkeitsverpflichtete Kleriker mit besonderer Hingabe beackern, blühen die Neurosen und fließen seit eh und je rechte mit religiösen Diskursen zusammen. Hinter dem „Volkssuizid“ - von dem auch die NPD gern spricht - steckt freilich, wie sollte es bei unserem gott(ein)geweihten Verschwörungs-Theologen auch anders sein, natürlich wieder das "Böse", ein "Geist" nämlich, der nach Augustinus „aus seiner Ordnung fällt". Was man als theologisches Synonym für „Entartung" verstehen könnte.
Schon beim „Weltjugendtag" enttarnt – das Verhältnis von Stadt-Anzeiger und EXPRESS zu ihrem Kardinal | Fotomontage: Jan Brune und Hady Emami
Hexenhammer reloaded: Meisners Dämonenlehre
Als Träger(Innen) dieses Entartungskeimes macht der Domherr die schon angeführten „Feministinnen" aus, die in seiner Wahrnehmung mutmaßlich die Nachfolge der altbekannten Hexen übernommen haben. Diese Sendbotinnen Satans „spielen sich als Befreier der geknechteten Frau auf" und wühl-arbeiten skrupellos daran, der Frau die „sogenannten drei K's" auszureden. Eingeredet wird der Frau von heute dagegen, "Emanzipation heiße Befreiung von den Lasten der Kindererziehung, der Küche und nicht zuletzt der Kirche, die sich dem schrankenlosen Lebensgenuß hindernd in den Weg stellte". War und ist doch der Lebensverdruß stets der ideale Nährboden eines auf jenseitige Erlösung verweisenden Glaubens. Die Zersetzung der göttlichen Ordnung durch gleichermaßen „schranken- und zügellosen" wie kinderlosen - ja, jetzt müssen wir das Unaussprechliche doch einmal beim Namen nennen - Sex fördert nach Feststellung des Dämonologen Meisner neben den Feministinnen deren Hilfs- und Unterteufel. Als da sind: „Kommunisten, bestimmte Sozialisten mit einem marxistisch eingefärbten Flügel der ,Grünen'".
Gebärziffern als Kriegsbilanz: Das Böse siegt im Bett
Jene grünen Radikalmarxisten, die allerdings nur in Meisners exorzistisch geschärfter Gespenstersicht existieren, fördern gar die „für die Gesundheit und das Volksganze schädlichen Abtreibungen und Verordnungen der Pille" und verhindern damit auch, daß z.B. für die gottgefälligen Kriege von morgen genug Soldaten geboren werden. Also doch ein durchtriebener, vom Satan eingeflüsterter, pazifistischer Winkelzug? Der noch dazu den Un-bzw. Falschgläubigen nützt. Denn aufgrund der Geburtensabotage der deutschen Frau kann sich der Muslim nun die Hände reiben. Was er 1683 vor Wien verfehlte, erreicht er nun bald auf natürlichem Wege. Jedenfalls, so Meisner, sei unter den „Muslimen" schon die Meinung anzutreffen: „Integration lohnt sich nicht mehr, weil die Deutschen – im Gegensatz zu den Muslimen – keine Kinder mehr hätten und so dabei sind auszusterben."
„Mechanistisches Menschenbild“ – vor allem bei Meisner
Wie hier unterm Panier der Gottesliebe und "Menschenwürde" Menschen zu reinen Zählgrößen einer auf „Volkskraft" und Macht (vor allem der Kirche) orientierten Herrschaftskalkulation reduziert werden, ist schon atemberaubend. Allerdings ist genau das recht typisch für die Institution, die Meisner auch hier wahrhaft als „eifriger Diener" vertritt. Vor lauter Weltjugendtags-Hype ist wohl schon in Vergessenheit geraten, daß in der Sicht dieser Kirche und eben nicht nur Meisners zumindest die Frau ihre schier einzige Existenzberechtigung in der Erfüllung unwandelbarer „Funktionen" findet - an deren oberster Stelle die der gottergebenen Gebärerin steht. Andererseits: „Indem der Mann es als Geschenk annimmt, Mann zu sein, kann er sich der Frau als Mann schenken." Er muß es wissen, Joachim, der Freigiebige.
Meisner und Benedikt in dem vom WDR zensierten Kölner Stunksitzungs-Sketsch 2006 | Foto: A. & W. Bartscher/dea-NewsInfo.Net
Ratze und Meise – gleiches Lied, verschiedene Weise
Doch soll hier auf kruden Sermon nicht mit Kalauern reagiert werden. Schließlich, es kann nicht oft genug betont werden, spricht Joachim Meisner nicht für sich selbst, sondern für seine Kirche, deren Tradition er gerade auch mit den scheinbar bizarrsten Aussprüchen authentischer vertritt als jeder noch so gutwillige, liberal sich gebärdende „Reformtheologe". Sicher wirkt er nicht so ätherisch abgeklärt wie sein irdischer Vize-Chef, der „deutsche Papst" Joseph Ratzinger, der auf seine intellektuell verhobene Art und "theoretisch" weit ausgefeilter als der Gebrauchstheologe Meisner denselben „authentischen Fundamentalismus" verkörpert. Das Gotteswort erklingt beim Gelehrten Ratzinger in raffinierten Sentenzen; beim Feldkuraten Meisner ertönt die „Wahrheit der Kirche" eher als Kampfparole und Tagesbefehl. Die Ideologie jedoch ist gleich - mittelalterlich, antiemanzipatorisch, gegenaufklärerisch, von so etwas Ähnlichem wie Demokratie noch Jahrhunderte entfernt. Denn - nicht aus Willkür, sondern als korrekte Traditionsauslegung – stellte Ratzinger, als er noch nicht Papst hieß, einstmals unmißverständlich klar: „Die katholische Kirche ist keine demokratische Institution, sondern eine hierarchische. Nicht der Wille der Mehrheit zählt, sondern die gelehrte Wahrheit.“
„Entartete" Begrüßung – Ratzinger beim Weltjugendtag 2005 in Köln
Foto: NRhZ-Archiv
„Entartung“ tut not
Daß eine solche Einrichtung immer noch erheblichen Einfluß auf zentrale Bereiche der Gesellschaft und Politik ausübt, kann so gesehen vor allem als Symptom für weitgehende Defizite und massiven Nachholbedarf des Projekts Aufklärung begriffen werden. Immerhin stimmt hoffnungsvoll, daß sich im Alltag etwa 95 Prozent der eingeschriebenen Katholiken nicht die Bohne um Ratzes oder Meises Vorschriften und Verbote scheren. Das ist doch schon ein erster wesentlicher Fortschritt auf dem Wege des „Verfalls". Möge in diesem Sinne der Prozeß der „Entartung" erfolgreich weiter voranschreiten. (PK)
Online-Flyer Nr. 116 vom 10.10.2007
Lebenslanger Kampf wider die „Entartung"
Kleines Polit-Psychogramm des Joachim Kardinal Meisner
Von Hans-Detlev v. Kirchbach
Rituelle Distanzierungen und abwiegelnde Kritik
Zur Kölner Heimatfolklore gehört regelmäßig auch die sterile Aufregung über die jeweils neueste Sprachgranate, die der Hausherr der Kölner Bahnhofskapelle ohne Rücksicht auf Verluste gezündet hat. Jüngstes Beispiel: das "Entartungs"- Zitat. Immerhin: Seit 1945 ist dieser Begriff außer von Franz Joseph Strauß von keinem Mitglied der staatlich-gesellschaftlichen Machtelite mehr offiziell gebraucht worden. Selbst das intellektuelle Leitblatt des größten Kölner Zeitungsverlages, dem ansonsten mangelnde Kirchentreue nicht nachgesagt werden kann, kritisierte den Kardinal dafür mit wohlgesetztem Tadel. Ja, sogar Kölns bekanntester Lateinlehrer Schramma, der bei jedem der Meisnerschen Soldatengottesdienste frierend, aber treu in der Bank sitzt, wagt zagende Kritik am verehrten Kardinal. Doch bei näherem Hinsehen ist solche Distanzierung nur oberflächliche Pflichtübung; sie soll ja auch überhaupt nicht die etablierte Machtposition und die Gültigkeitsansprüche der katholischen Kirche antasten, sondern nur so tun, als hätte sich Herr Meisner rein persönlich ein bißchen vergaloppiert.
Wieder eine Sprachgranate – hier zum „Großen Zapfenstreich"
Foto: Arbeiterfotografie
Sprachrohr seines Herrn
Starkes Wort, schwacher Gedanke? Weit gefehlt. In Wirklichkeit hat Meisner nie eine persönliche Marotte ausgelebt, sondern stets „nur" die Herrschaftstradition und insbesondere den monopolistischen Ausschließlichkeitsanspruch seiner Kirche mit begrüßenswerter Deutlichkeit formuliert. Wer Meisner kennt, kennt die katholische Kirche, jedenfalls so, wie sie spätestens seit Konstantin und Augustinus als Machtapparat funktioniert. Auch Meisner selbst sieht sich nach eigener Aussage nur als „demütiger Diener" seines „Gottes" und der Kirche: „Herr, mach mich zum Werkzeug Deines Friedens!“
Apropos Frieden: Gerade aus seinen beliebten "Soldatenpredigten" läßt sich immer eines herauslesen und -hören, nämlich das unbeirrbare Festhalten am katholischen Mittelalter einschließlich Unwert-und mindestens impliziter Kriegserklärung an alle Andersdenkenden, vulgo "Ketzer". Was nicht katholisch ist, wer und was vom Glauben abfällt oder ihm fernsteht, ist in Meisners Predigt-Dramaturgie regelmäßig die Ursache allen Übels in der Welt, von „Verderben", „Verfall" oder – ab sofort – „Entartung".
Kleine Meisner-Exegese: „Entartung“
Mag schon sein, daß Meisner diesen Begriff nicht im spezifischen Nazisinne gebrauchen wollte. Daß er ihn also nicht aus regulär faschistischem oder offen rassistischem Geist ausgesprochen hat, sondern als neu- und wiederentdeckten Kampfbegriff seiner religiös-fundamentalistischen Kampagnenrhetorik. Doch wenn sich das erwähnte Kölner Bürgerblatt nach etlicher Kritik eilfertig bemüht hat, die Wogen mit eben diesem Hinweis zu glätten, sollte man sich von solcher Abwiegelung nicht beruhigen lassen. Denn ein Blick gerade in die jüngere Kölner Kulturgeschichte zeigt, wie fließend der Übergang zwischen der „religiösen" und der nazistischen Version des Begriffs „Entartung" sein kann.
Losgelöst von historischen Bezügen - Kardinal Meisner
Foto: Arbeiterfotografie
Exkurs: Der Kölner Bartok-Skandal 1926 und die „Entartungs”-Hetze
Fugenlos vernetzten sich nämlich beide „Versionen“ schon 1926, als am Kölner Opernhaus die Tanzpantomime „Der Wunderbare Mandarin" des ungarischen Komponisten Bela Bartok uraufgeführt wurde. Gegen dieses im „Ganoven- und Hurenmilieu" spielende „neutönerische" Ballettdrama erhob sich ein wütender reichsweiter Proteststurm, der den Skandal um Strawinskys „Sacre du printemps" 1913 in Paris schon aus politischen Gründen weit übertraf. An den Aufruhr hing sich der „Völkische Beobachter" zwar an, doch ging er vor allem von christlichen, in Köln mithin katholischen Kreisen aus. „Krank, pervers, entartet“, so schimpften Sittlichkeitsvereine, Kirchenkreise und katholische Blätter wie die Kölnische Volkszeitung, wetterten gegen „östliche Invasion“ und natürlich: „Judenkunst“.
Ein Unterschied der vielleicht „nur christlichen" Haßtiraden zu den gleichlautenden der Nazis mag da nicht mehr recht einleuchten. Die Agitation gegen die „entartete Kunst" war auf beiden Seiten jedenfalls gleichermaßen und unterschiedslos mit antisemitischer Pogromhetze verbunden. - Ein gewisser Konrad Adenauer schrieb sich erstmals in die Weltgeschichte ein, wenn auch „nur" der Musik und überdies unrühmlich, obgleich er Lob dafür einheimste, daß er mit den „artfremden Elementen kurzen Prozeß gemacht“ habe. Denn als weltlicher Arm des katholischen Kulturobskurantismus verbot der Oberbürgermeister jede weitere Aufführung des „entarteten" Werkes, das erst 1960 wieder in Köln zu sehen und zu hören war. Ein lokales Blatt namens „Kölner Stadt-Anzeiger“ übrigens schwang sich am 3. 12. 1926 zu einem Höhepunkt antisemitischer Entartungs-Hetze auf:
„Im Opernhaus hat man ein Groß-Reinemachen abgehalten, indem man das Stück eines der gräßlichsten Neutöner mit der gebührenden Empörung zurückwies – nicht allein wegen der Hottentottenkralsmusik, die uns Bartók als die Ausgeburt eines entarteten Musiksinns bescherte, sondern in erster Linie wegen des anstößigen Inhalts der Pantomime.“ - Wenige Jahre später erreichte solche Agitation aus der Mitte von Bürgertum und Glauben ihr Ziel mit der Austreibung jüdischer und sonst „entarteter“ Künstler aus Deutschland.
Spiel mit dem Feuer: Meisners Sprachmißbrauch
Gerade die Kölner Erfahrung zeigt also, daß in jenem Begriff bereits der Kern des Pogroms enthalten ist. Man wird Meisner zwar nicht einen Haßprediger nennen dürfen, denn gegen diese Einordnung durch den Kölner Kabarettisten Jürgen Becker schickte der ansonsten heftig austeilende Kampfkardinal - in eigener Sache höchst dünnhäutig - die banale weltliche Justiz vor. Doch wird man feststellen müssen, daß Meisner seit je immer wieder gerade mit historisch schwer belasteten Anklängen arbeitet, die in der Vorstellung noch weit mehr auslösen und auslösen sollen, als er expressis verbis sagt. Wie etwa anno 2003 mit dem Gerede vom notwendigen „Ausschwitzen" irgendwelcher Gifte des Unglaubens und Sittenverfalls, assoziativ in die Nähe einer Beschimpfungsarie gegen Homosexuelle gestellt. Wer da nicht „auf Gedanken" kommt, hat keine mehr.
Säulenheilige am Domportal
Foto: Arbeiterfotografie
„Exotische“ Ansichten – „Wahrheit des Glaubens“
Für kurzlebige Medien-„Skandale" und zitierfähige „Klopper" ist dieser Meister der dankenswert deutlichen Aussprache also immer gut. Doch sei nochmals davor gewarnt, den unermüdlichen Kreuzzügler als verschrobenen Exoten mißzuverstehen. Sicher: Andere Prälaten einschließlich des Papstes treten verbindlicher auf, gerieren sich „moderner", verfallen (!) gelegentlich vom Kirchenlatein in ranschmeißerischen Jugendjargon. Doch auch wenn einmal eine Soutane zur Rockmusik wippt, kann all dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß der kantige Kardinal zwar aus der rechten Ecke heraus mosert, damit aber direkt aus der Mitte seiner Kirchentradition spricht.
Gotteswort als rechter Agitprop
Sollte einmal eine Meisner-Predigt oder -Rede kein besonderes öffentliches Aufsehen erregen, dann nur, weil eben niemand zugegen war, der irgendein besonderes Reizwort aufgefangen hat. Denn fast regelmäßig finden sich beim Kölner Oberhirten Passagen von erlesen agitatorischer Qualität, Diffamierungen insbesondere sexistischer Provenienz und reaktionäres Gedanken-„Gut" in Hülle und Fülle. So intonierte er - nur als Beispiel - in der Ansprache beim Neujahrsempfang des Diözesanrates 2003 die altbekannte zölibatäre Klage über die angeblich mangelhafte Gebärfreude des durch „Feministinnen" irregeleiteten Weibervolkes. Ganz im Stil rechtslastiger Bevölkerungspolitik schwadroniert der Unbeweibte von einem „Suizid unseres Volkes", das „immer weniger Geburten, immer weniger Ehen kennt." Auf diesem Felde, das enthaltsamkeitsverpflichtete Kleriker mit besonderer Hingabe beackern, blühen die Neurosen und fließen seit eh und je rechte mit religiösen Diskursen zusammen. Hinter dem „Volkssuizid“ - von dem auch die NPD gern spricht - steckt freilich, wie sollte es bei unserem gott(ein)geweihten Verschwörungs-Theologen auch anders sein, natürlich wieder das "Böse", ein "Geist" nämlich, der nach Augustinus „aus seiner Ordnung fällt". Was man als theologisches Synonym für „Entartung" verstehen könnte.
Schon beim „Weltjugendtag" enttarnt – das Verhältnis von Stadt-Anzeiger und EXPRESS zu ihrem Kardinal | Fotomontage: Jan Brune und Hady Emami
Hexenhammer reloaded: Meisners Dämonenlehre
Als Träger(Innen) dieses Entartungskeimes macht der Domherr die schon angeführten „Feministinnen" aus, die in seiner Wahrnehmung mutmaßlich die Nachfolge der altbekannten Hexen übernommen haben. Diese Sendbotinnen Satans „spielen sich als Befreier der geknechteten Frau auf" und wühl-arbeiten skrupellos daran, der Frau die „sogenannten drei K's" auszureden. Eingeredet wird der Frau von heute dagegen, "Emanzipation heiße Befreiung von den Lasten der Kindererziehung, der Küche und nicht zuletzt der Kirche, die sich dem schrankenlosen Lebensgenuß hindernd in den Weg stellte". War und ist doch der Lebensverdruß stets der ideale Nährboden eines auf jenseitige Erlösung verweisenden Glaubens. Die Zersetzung der göttlichen Ordnung durch gleichermaßen „schranken- und zügellosen" wie kinderlosen - ja, jetzt müssen wir das Unaussprechliche doch einmal beim Namen nennen - Sex fördert nach Feststellung des Dämonologen Meisner neben den Feministinnen deren Hilfs- und Unterteufel. Als da sind: „Kommunisten, bestimmte Sozialisten mit einem marxistisch eingefärbten Flügel der ,Grünen'".
Gebärziffern als Kriegsbilanz: Das Böse siegt im Bett
Jene grünen Radikalmarxisten, die allerdings nur in Meisners exorzistisch geschärfter Gespenstersicht existieren, fördern gar die „für die Gesundheit und das Volksganze schädlichen Abtreibungen und Verordnungen der Pille" und verhindern damit auch, daß z.B. für die gottgefälligen Kriege von morgen genug Soldaten geboren werden. Also doch ein durchtriebener, vom Satan eingeflüsterter, pazifistischer Winkelzug? Der noch dazu den Un-bzw. Falschgläubigen nützt. Denn aufgrund der Geburtensabotage der deutschen Frau kann sich der Muslim nun die Hände reiben. Was er 1683 vor Wien verfehlte, erreicht er nun bald auf natürlichem Wege. Jedenfalls, so Meisner, sei unter den „Muslimen" schon die Meinung anzutreffen: „Integration lohnt sich nicht mehr, weil die Deutschen – im Gegensatz zu den Muslimen – keine Kinder mehr hätten und so dabei sind auszusterben."
„Mechanistisches Menschenbild“ – vor allem bei Meisner
Wie hier unterm Panier der Gottesliebe und "Menschenwürde" Menschen zu reinen Zählgrößen einer auf „Volkskraft" und Macht (vor allem der Kirche) orientierten Herrschaftskalkulation reduziert werden, ist schon atemberaubend. Allerdings ist genau das recht typisch für die Institution, die Meisner auch hier wahrhaft als „eifriger Diener" vertritt. Vor lauter Weltjugendtags-Hype ist wohl schon in Vergessenheit geraten, daß in der Sicht dieser Kirche und eben nicht nur Meisners zumindest die Frau ihre schier einzige Existenzberechtigung in der Erfüllung unwandelbarer „Funktionen" findet - an deren oberster Stelle die der gottergebenen Gebärerin steht. Andererseits: „Indem der Mann es als Geschenk annimmt, Mann zu sein, kann er sich der Frau als Mann schenken." Er muß es wissen, Joachim, der Freigiebige.
Meisner und Benedikt in dem vom WDR zensierten Kölner Stunksitzungs-Sketsch 2006 | Foto: A. & W. Bartscher/dea-NewsInfo.Net
Ratze und Meise – gleiches Lied, verschiedene Weise
Doch soll hier auf kruden Sermon nicht mit Kalauern reagiert werden. Schließlich, es kann nicht oft genug betont werden, spricht Joachim Meisner nicht für sich selbst, sondern für seine Kirche, deren Tradition er gerade auch mit den scheinbar bizarrsten Aussprüchen authentischer vertritt als jeder noch so gutwillige, liberal sich gebärdende „Reformtheologe". Sicher wirkt er nicht so ätherisch abgeklärt wie sein irdischer Vize-Chef, der „deutsche Papst" Joseph Ratzinger, der auf seine intellektuell verhobene Art und "theoretisch" weit ausgefeilter als der Gebrauchstheologe Meisner denselben „authentischen Fundamentalismus" verkörpert. Das Gotteswort erklingt beim Gelehrten Ratzinger in raffinierten Sentenzen; beim Feldkuraten Meisner ertönt die „Wahrheit der Kirche" eher als Kampfparole und Tagesbefehl. Die Ideologie jedoch ist gleich - mittelalterlich, antiemanzipatorisch, gegenaufklärerisch, von so etwas Ähnlichem wie Demokratie noch Jahrhunderte entfernt. Denn - nicht aus Willkür, sondern als korrekte Traditionsauslegung – stellte Ratzinger, als er noch nicht Papst hieß, einstmals unmißverständlich klar: „Die katholische Kirche ist keine demokratische Institution, sondern eine hierarchische. Nicht der Wille der Mehrheit zählt, sondern die gelehrte Wahrheit.“
„Entartete" Begrüßung – Ratzinger beim Weltjugendtag 2005 in Köln
Foto: NRhZ-Archiv
„Entartung“ tut not
Daß eine solche Einrichtung immer noch erheblichen Einfluß auf zentrale Bereiche der Gesellschaft und Politik ausübt, kann so gesehen vor allem als Symptom für weitgehende Defizite und massiven Nachholbedarf des Projekts Aufklärung begriffen werden. Immerhin stimmt hoffnungsvoll, daß sich im Alltag etwa 95 Prozent der eingeschriebenen Katholiken nicht die Bohne um Ratzes oder Meises Vorschriften und Verbote scheren. Das ist doch schon ein erster wesentlicher Fortschritt auf dem Wege des „Verfalls". Möge in diesem Sinne der Prozeß der „Entartung" erfolgreich weiter voranschreiten. (PK)
Online-Flyer Nr. 116 vom 10.10.2007