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Der Fern-Seher – Folge 23
Sprachlos
Von Ekkes Frank
Und dabei hatte ich eigentlich gar nichts zu meckern: das Wetter, von dem inzwischen nicht nur alle, sondern auch wir reden, war so schön wie bei uns in Italien; auf den deutschen Autobahnen wurde ich trotz des lahmen Twingo um mich herum nur selten sittenlos bedrängt; die Kanzlerin war nach New York entschwunden; mein Fernsehapparat ließ sich nicht einschalten; und bei einem Elektronikwarensupersupermarkt kriegte ich das allerletzte noch vorhandene Autoradio mit Musikkassettenteil (welches in meinem alten Gerät kaputt war) – für 9,99 Euro! Worüber also hätte ich, bitteschön, schimpfen sollen?
Überhaupt: ich bemerke seit einiger Zeit, dass ich mich in einer Art Erich-Kästner-Invers-Situation befinde: die Frage, nicht in Briefen, sondern direkt gestellt, lautet immer öfter: „Mein Herr, wo bleibt das Negative?“ Und zwar vor allem, wenn ich über mein neues Leben in den Marken rede. Vielleicht hat das mich sprachlos gemacht. Nicht, dass mir nichts einfiele, wenn es um Negatives geht, in Italien, in den Marken, an meinem Wohnort. Ich bin ja nicht blind und nicht blöd. Aber das Positive überwiegt einfach, so stark, dass ich zum Reden über das andere meist gar nicht mehr komme. Einfach aus Zeitmangel!
Das ist komischerweise genau andersrum als früher. Da wusste ich natürlich auch, dass es in Deutschland, in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder Nordrhein-Westfalen, an meinen jeweiligen Wohnorten auch Gutes und Schönes gab. Aber ich kam nicht dazu, darüber zu reden, weil das andere so stark überwog. Und die Kästner-Frage, wo denn das Positive bleibe, hab ich immer wieder gehört, ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen aus der Satirikerzunft auch. Manchmal hab ich mich ein bisschen gewundert über die Menschen, die das fragten. So uneingeschränkt positiv eingestellt wie sie taten, kannte ich sie eigentlich gar nicht. Sie waren ja denkende Menschen und sie sahen die gleichen Dinge, die ich auch sah, nur dass sie sie vielleicht nicht ganz so negativ beurteilten wie ich. Nur: so wie sie mich damals inquisitionierten, kam es mir vor, als betrachteten sie mich und meine Sicht der Dinge als unnachvollziehbar einseitig, ungerecht, blind für jede Art von Realität.
Und heute beobachte ich das Gleiche – nur mit umgekehrtem Vorzeichen, sozusagen. Meine Sprachlosigkeit hatte also – das ist hoffentlich klar, inzwischen – ganz banale, natürliche Ursachen: es regnete unaufhörlich aus einem bleibend trübtiefgrauen Himmel, es war ziemlich kalt, ich hatte mich weder mental noch kleidungsmäßig darauf eingestellt. Kurz: ich hatte mich schwer erkältet. Nun, und für das Wetter kann bekanntlich kein Mensch etwas. Die Klima-Katastrophe beschert uns der Herr des Himmels, welcher in den letzten Jahrzehnten irgendwas gegen uns zu haben scheint, der Himmel weiß warum. Wir Menschen können da nichts dran ändern. Zum Beispiel hätten wir Deutschen doch schon längst ein Tempolimit auf den Autobahnen eingeführt, wenn das etwas bringen würde, für das Klima. Und wir hätten ja auch längst…
Unser Fern-Seher
Foto: NRhZ-Archiv
Äh, Moment – ich spüre auf einmal so ein merkwürdiges Kribbeln im Hals. Genauer gesagt: ein mentales Kribbeln. Weil: inzwischen sitze ich wieder in Senigallia im Café, in der wunderschön frühherbstlich milden Sonne, bei 24 Grad, also kein Grund weit und breit für eine Erkältung. Aber ich habe dennoch das Gefühl, ich sollte jetzt nichts weiter sagen. Auch nicht auf die erneut unüberhörbare Frage, wo – zum Teufel! – denn das Negative bleibe. (PK)
Startbild: „Augenauf" | Quelle: www.pixelio.de
Online-Flyer Nr. 116 vom 10.10.2007
Der Fern-Seher – Folge 23
Sprachlos
Von Ekkes Frank
Und dabei hatte ich eigentlich gar nichts zu meckern: das Wetter, von dem inzwischen nicht nur alle, sondern auch wir reden, war so schön wie bei uns in Italien; auf den deutschen Autobahnen wurde ich trotz des lahmen Twingo um mich herum nur selten sittenlos bedrängt; die Kanzlerin war nach New York entschwunden; mein Fernsehapparat ließ sich nicht einschalten; und bei einem Elektronikwarensupersupermarkt kriegte ich das allerletzte noch vorhandene Autoradio mit Musikkassettenteil (welches in meinem alten Gerät kaputt war) – für 9,99 Euro! Worüber also hätte ich, bitteschön, schimpfen sollen?
Überhaupt: ich bemerke seit einiger Zeit, dass ich mich in einer Art Erich-Kästner-Invers-Situation befinde: die Frage, nicht in Briefen, sondern direkt gestellt, lautet immer öfter: „Mein Herr, wo bleibt das Negative?“ Und zwar vor allem, wenn ich über mein neues Leben in den Marken rede. Vielleicht hat das mich sprachlos gemacht. Nicht, dass mir nichts einfiele, wenn es um Negatives geht, in Italien, in den Marken, an meinem Wohnort. Ich bin ja nicht blind und nicht blöd. Aber das Positive überwiegt einfach, so stark, dass ich zum Reden über das andere meist gar nicht mehr komme. Einfach aus Zeitmangel!
Das ist komischerweise genau andersrum als früher. Da wusste ich natürlich auch, dass es in Deutschland, in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder Nordrhein-Westfalen, an meinen jeweiligen Wohnorten auch Gutes und Schönes gab. Aber ich kam nicht dazu, darüber zu reden, weil das andere so stark überwog. Und die Kästner-Frage, wo denn das Positive bleibe, hab ich immer wieder gehört, ebenso wie meine Kolleginnen und Kollegen aus der Satirikerzunft auch. Manchmal hab ich mich ein bisschen gewundert über die Menschen, die das fragten. So uneingeschränkt positiv eingestellt wie sie taten, kannte ich sie eigentlich gar nicht. Sie waren ja denkende Menschen und sie sahen die gleichen Dinge, die ich auch sah, nur dass sie sie vielleicht nicht ganz so negativ beurteilten wie ich. Nur: so wie sie mich damals inquisitionierten, kam es mir vor, als betrachteten sie mich und meine Sicht der Dinge als unnachvollziehbar einseitig, ungerecht, blind für jede Art von Realität.
Und heute beobachte ich das Gleiche – nur mit umgekehrtem Vorzeichen, sozusagen. Meine Sprachlosigkeit hatte also – das ist hoffentlich klar, inzwischen – ganz banale, natürliche Ursachen: es regnete unaufhörlich aus einem bleibend trübtiefgrauen Himmel, es war ziemlich kalt, ich hatte mich weder mental noch kleidungsmäßig darauf eingestellt. Kurz: ich hatte mich schwer erkältet. Nun, und für das Wetter kann bekanntlich kein Mensch etwas. Die Klima-Katastrophe beschert uns der Herr des Himmels, welcher in den letzten Jahrzehnten irgendwas gegen uns zu haben scheint, der Himmel weiß warum. Wir Menschen können da nichts dran ändern. Zum Beispiel hätten wir Deutschen doch schon längst ein Tempolimit auf den Autobahnen eingeführt, wenn das etwas bringen würde, für das Klima. Und wir hätten ja auch längst…
Unser Fern-Seher
Foto: NRhZ-Archiv
Äh, Moment – ich spüre auf einmal so ein merkwürdiges Kribbeln im Hals. Genauer gesagt: ein mentales Kribbeln. Weil: inzwischen sitze ich wieder in Senigallia im Café, in der wunderschön frühherbstlich milden Sonne, bei 24 Grad, also kein Grund weit und breit für eine Erkältung. Aber ich habe dennoch das Gefühl, ich sollte jetzt nichts weiter sagen. Auch nicht auf die erneut unüberhörbare Frage, wo – zum Teufel! – denn das Negative bleibe. (PK)
Startbild: „Augenauf" | Quelle: www.pixelio.de
Online-Flyer Nr. 116 vom 10.10.2007