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Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

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Kultur und Wissen
Das Wort am Sonntag: „Mit Gott und den Faschisten“ Folge III
Die Lateranverträge
Von Karlheinz Deschner

Im Kölner Dom wurde unter großem öffentlichem Beifall ein Kirchenfenster eingeweiht, das  nicht – wie ursprünglich geplant – sechs Widerstands- kämpferInnen gegen die Nazis ehrt, sondern stattdessen 11.263 quadratische Glasstücke in 72 verschiedenen Farbtönen zeigt. Warum die katholische Kirche – deren Kardinal Meisner wenig später mit dem Hinweis, dass „die Kultur entartet“, Schlagzeilen machte – solche Probleme mit dem Aufarbeiten ihrer jüngeren Vergangenheit hat, wird durch Karlheinz Deschners Serie zur Politik der Päpste im 20. Jahrhundert deutlich. – Die Redaktion.
Das römische Papsttum – durch Kriege und Betrug groß geworden, durch Kriege und Betrug groß geblieben – hatte durch Pius X. den Ausbruch des Ersten Weltkriegs gefördert und förderte nun durch Pius XI. entscheidend die Heraufkunft des Faschismus. Dankbar nahm Mussolini nicht nur sechs Geistliche in sein erstes Kabinett auf, sondern rettete auch sogleich die „Banco di Roma“, der der Vatikan und mehrere seiner Hierarchen hohe Summen anvertraut hatten, vor dem Bankrott, indem er mit etwa 1,5 Milliarden Lire aus der Staatskasse einsprang, worauf der Dekan des „Heiligen Kollegiums“, Kardinal Vanutelli, erklärte, Mussolini sei „auserwählt zur Rettung der Nation und zur Wiederherstellung ihres Glücks... Wir sind ihm alle dankbar“.


pius XI. NRhZ-Archiv
Pius XI.
Papst Pius XI. schränkte den Einfluß des antifaschistischen Partito Popolare Italiano, 1919 von dem sizilianischen Geistlichen Luigi Sturzo gegründet, immer mehr ein. Denn Sturzo, Generalsekretär der Katholischen Aktion, stand theologisch zwar rechts, politisch verwarf er aber das bisherige Bündnis der Katholiken mit den Konservativen. Er propagierte eine gewisse soziale Orientierung, Agrarreform, Zerstückelung des Großgrundbesitzes, Förderung des Kleineigentums, wobei er mit den gemäßigten Gewerkschaften kooperierte, ja gemeinsam mit den Sozialisten für den Achtstundentag eintrat. Das alles paßte dem „Heiligen Vater“ viel weniger ins Konzept als der Faschismus. Und da man dem Partito Popolare, der dem deutschen Zentrum nachgebildeten katholischen Volkspartei, durchaus zutraute, im Bündnis mit den Sozialisten den Faschismus zu liquidieren, wie im August 1924 die vatikanische Jesuitenzeitschrift, das Sprachrohr des Papstes, einräumte, mußte Sturzo fallen.  

Schon 1923 erzwang deshalb die Kurie Sturzos Rücktritt als Parteisekretär, im Mai 1924 seinen Rücktritt aus dem Vorstand. Im September verurteilte der Papst persönlich und öffentlich eine Koalition der Volkspartei mit den verfassungstreuen Sozialisten. Im Oktober mußte Sturzo, mit anderen Gesinnungsgenossen, ins Exil, womit der gefährlichste Gegenspieler des Faschismus im Kampf um die Macht eliminiert war.  


Luigi Sturzo

Wie der Vatikan zehn Jahre später in Deutschland den katholischen Reichskanzler Brüning und das Zentrum preisgab, so damals den Katholiken Sturzo und bald auch dessen Partei. Ein Priester, der ein soziales Ethos vertrat, das zumindest den Landbesitzern als „schwarzer Bolschewismus“ erschien, der entschieden die Emanzipation der Laien vom Klerus in der Politik erstrebte, konnte bei einem Papst, der nichts mehr als Linke fürchtete, unermüdlich aber auch den liberalen Laizismus bekämpfte, keine Gnade finden. Um so weniger, als Sturzos Partei auch die Lösung der „Römischen Frage“ nicht wesentlich genug erschien, einer Frage, die für das Papsttum 1870 entstanden war, als Italien den Kirchenstaat beseitigte, Rom besetzt und zur Hauptstadt gemacht hatte. Zum argen Mißfallen von Pius XI. weigerte sich nun die Volkspartei, die Versöhnung von Staat und Kirche im Sinne des „Heiligen Stuhls“ in ihr Programm aufzunehmen.  

So drang Pius XI. nach Sturzos Sturz auch auf das Ausscheiden aller Priester aus der katholischen Partei, was deren Auflösung gleichkam. Der „Stellvertreter Christi“ protestierte nicht einmal, als mehrere ihrer Mitglieder, auch Geistliche, von Faschisten getötet wurden. Er protestierte erst recht nicht gegen die Liquidierung einiger tausend Kommunisten und Sozialisten, darunter Mussolinis erbittertster Gegner, der junge Strafrechtslehrer und Sozialistenführer Giacomo Matteotti, der sein ganzes Vermögen armen Bauern seiner Provinz geschenkt hatte.  


Sozialistenführer
Giacomo Matteotti                   
Der Mord an Matteotti führte zur schwersten inneren Erschütterung des Faschismus zwischen 1922 und 1943. Mussolini schien am Ende, jäh vereinsamt, fast ganz Italien stand gegen ihn. Man forderte seine Absetzung vom König. Da aber ergriff die Kurie Partei für ihn, rühmte ihn – das päpstliche Hofblatt „Osservatore Romano“ ebenso wie die vatikanische Jesuitenzeitung oder der langjährige Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri. Und natürlich der Papst selbst, der es ablehnte, die Witwe Matteottis auch nur zu empfangen.  

Am 20. Dezember 1926 verkündete der „Heilige Vater“ wieder einmal: „Mussolini wurde uns von der Vorsehung gesandt.“ Der Duce hatte kurz zuvor die Mandate der nicht faschistischen Kammer- und Senatsmitglieder für ungültig erklärt, ihre Parteien aufgelöst und mit der faschistischen Umgestaltung des Staates begonnen.  

Drei Jahre später, am 11. Februar 1929, unterzeichneten im Lateran, dem päpstlichen Palast, Benito Mussolini und Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri die Lateranverträge. Es war das bedeutendste kirchenpolitische Ereignis im Pontifikat Pius XI., die wichtigste außenpolitische Entscheidung des Papsttums seit 1870. Das Vertragswerk umfaßte einen Staatsvertrag, ein Finanzabkommen, ein Konkordat, Verträge, die das Ansehen der Faschisten enorm steigerten, vor allem aber der Kurie gewaltige Vorteile brachten.  

Zwar verzichtete Pius XI. damit definitiv auf den Kirchenstaat, der im 8. Jahrhundert durch Betrug und Krieg gewonnen und 1870 von Italien besetzt worden war. Dafür bekam der Papst aber uneingeschränkte Souveränität auf dem Gebiet der Vatikanstadt und als Abfindung „das Kapital einer Weltbank“, die (nach damaliger Währung) ungeheure Summe von einer Milliarde Lire in Staatspapieren und 750 Millionen Lire in bar, bei fünfprozentiger Verzinsung eine Jahresrente von fast 90 Millionen. Der Katholizismus wurde Staatsreligion, die kirchliche Ehe der bürgerlichen ebenbürtig, die Scheidung unmöglich, der Religionsunterricht obligatorisch. Antikirchliche Bücher, Zeitungen, Filme wurden unter Zensur gestellt, die Kritik des Katholizismus unter Strafe. Der Staat verpflichtete sich, seine ganze Gesetzgebung mit dem kirchlichen Recht abzustimmen.  

Mussolini in Yugoslavia in Jogoslwaien
Mussolini  in Jogoslawien       
Was gab die Kirche dafür? Sie sah, im eigenen Interesse wohl, eine Verringerung der 279 italienischen Bistümer vor, sie erlaubte der Regierung, bei der Ernennung von Bischöfen und Pfarrern politische „Bedenken“ zu äußern. Und sie untersagte – das schönste Geschenk für Mussolini – allen Geistlichen die parteipolitische Betätigung. „Ist Konkordat und Kirchenplan nicht glücklich durchgeführt. Ja, fangt einmal mit Rom nur an, da seid ihr angeführt.“ (Goethe)  

Die geistige Unabhängigkeit Italiens war damit zu Ende. Was der Protest von vier Vorgängern beim liberalen Italien nicht erreicht hatte, erreichte Pius XI. durch die Faschisten. Es „waren Dinge“ geschehen, „wie man sie seit über einem Jahrhundert in der Kirchenpolitik Italiens nicht mehr erlebt hatte“, erklärte Rechtsanwalt Francesco Pacelli, der jahrelang, meist geheim, mit Mussolini selbst die Verträge ausgehandelt hatte, nach ihrer Ratifizierung den Titel eines Markgrafen bekam und nach Krönung seines Bruders zum Papst Pius XII. in den erblichen Fürstenstand erhoben wurde.  

Rom triumphierte. Und mit ihm jubelte die ganze katholische Welt. In München pries Adolf Hitler die klerofaschistische Verbrüderung kaum minder als sein späterer Gefolgsmann Kardinal Faulhaber, der sie „nicht Menschenwerk“, nein „eine Gottestat“ nannte. Und der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der im Winter 1932/33 auch erklärte, daß „eine so große Partei wie die NSDAP unbedingt führend in der Regierung vertreten sein müsse“, der Katholik Adenauer prophezeite dem Faschisten Mussolini in einem Glückwunschtelegramm, sein Name werde in goldenen Buchstaben in die Geschichte der katholischen Kirche eingetragen werden. 


Karlheinz Deschner, 1924 in Bamberg geboren, im Krieg Soldat, studierte Jura, Theologie, Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte. Über seine literarischen, literatur- und kirchen-kritischen Werke berichtet der Dokumentarfilm „Im Grunde bin ich ein aus lauter Zweifeln bestehender gläubiger Mensch“ (siehe www.kaos-archiv.de). Der 83jährige arbeitet zurzeit am 9. Band seines Werks „Kriminalgeschichte des Christentums“ (siehe www.deschner.info) und erhielt – nach einigen anderen Literaturpreisen – Anfang 2007 in Mailand den Giordano Bruno-Preis.
Einen Teil des hier vorliegenden Textes finden Sie als Filmausschnitt in dieser NRhZ-Ausgabe. (PK)

Online-Flyer Nr. 117  vom 17.10.2007



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