Rauf muß ich da nicht
„Sie sagen ja jetzt...“ – Teil 27
Von Ulla Lessmann
Meine Nachbarin hat sogar solche Hosen, die unterm Knie aufhören, also, schön ist was anderes. Ich finde, man soll sich gerade im Urlaub ein bißchen nett machen. Aber wenn die da oben ankommen in diesen Hütten, sind die verschwitzt und rot. Ich bin mal mit der Seilbahn da rauf, da waren die, die zu Fuß gekommen waren, fix und fertig und hatten in dem Sinne nicht so viel von dem Panorama, weil sie viel zu erledigt waren.
Foto: Zugerli | Quelle: www.pixelio.de
Meine Nachbarin schwärmt aber immer davon, dass man so die Weite als solche spürt und ein Gefühl für die Ewigkeit an sich bekommt, wenn man als kleiner Mensch auf und zwischen diesen gewaltigen Gipfeln steht und so was wie ein Gefühl für die Natur sich einstellt. Das kann ich nun gar nicht verstehen, denn wenn ich auf diesen gemachten Wegen gehe, die sie ja wirklich pflegen in diesen Ferienorten, und mich dann mal auch mal umsehe und nicht immer nur auf den Weg, dann kriege ich auch Natur zu sehen und kann mich irgendwie klein fühlen, falls ich das gerade brauche, wenn ich von unten in die Berge hochgucke. Dafür muß ich dann nicht da rauf, um zu sehen, dass die hoch sind.
Meine Nachbarin macht immer Diaabende von ihren Bergtouren, die schrecklich langweilig sind, weil alle Berge gleich aussehen, und sie immer 73 Dias davon zeigt, wie sie sich windzerzaust und mit Sonnenbrand auf der Nase auf ihren Wanderstock stützt, ein Bein vor und ein Bein ein bißchen zurück und ein bißchen abgeknickt in der Taille und die Augen zusammengekniffen und so in die Weite guckend und da hat sie auch immer solche Anoraks an, die gar nicht kleidsam sind in unserem Alter, weil sie so bauschen. Sie sagt, es geht ihr um das Gemeinschaftserlebnis. Weil, wenn einer nicht weiterkommt, weil es zu steil ist, dann helfen die anderen und das ist eine Kameradschaft, die es nur im Berg gibt und wenn man oben ist, hat man was davon.
Quelle: www.aufsteigerinnen.de
Das ist nun auch nichts Besonderes, denn in meiner Pension sind immer sehr angenehme Damen, mit denen ich gemeinsam diesen einen Weg um den See herum mache und wenn eine nicht mehr kann, setzen wir uns gemeinsam auf die Bank und warten, bis sie wieder bei Puste ist. Da muß man sich ja nun nicht verausgaben, um sich mit Jemandem verbunden zu fühlen. Und auf den Fotos, die wir immer davon machen, wie wir da auf der Bank sitzen, sehen wir, ehrlich gesagt, viel mehr nach Urlaub aus, als meine Nachbarin auf ihren Dias. Noch dazu, wo hinter dieser einen Bank auch ein riesiger Berg aufragt, und der macht sich im Hintergrund wirklich schön. (PK)
Foto: Jürgen Seidel
Zuletzt erschienen: „Hacki und der Herd“ in: „Tödliche Torten“, hg. v. Ina Coelen, Leporello-Verlag 2005, „Der Riß im Balkon“ in: „Über den Dächern der Stadt“, hg. v. Unda Hörner, edition-ebersbach 2006, „Lange Annäherung“, in: „Hier ziehe ich die Schuhe aus/60 Jahre NRW“, hg. v. Amir Shaheen, Verlag Ralf Liebe 2006, „Lilien zur Erinnerung“, in: „Radieschen von unten“, hg. v. Ina Coelen, Leporello 2006.
Ulla Lessmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Satirepreis der Stadt Herne und EMMA-Journalistinnen-Preis. Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller/innen (VS), im Syndikat und bei Sisters in Crime.
www.ulla-lessmann.de
Online-Flyer Nr. 117 vom 17.10.2007