NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

Fenster schließen

Kultur und Wissen
Das Wort am Sonntag: „Mit Gott und den Faschisten“ Folge IV
Das Ermächtigungsgesetz
Von Karlheinz Deschner

Im Kölner Dom wurde unter großem öffentlichem Beifall ein Kirchenfenster eingeweiht, das  nicht – wie ursprünglich geplant – sechs WiderstandskämpferInnen gegen die Nazis ehrt, sondern stattdessen 11.263 quadratische Glasstücke in 72 verschiedenen Farbtönen zeigt. Warum die katholische Kirche – deren Kardinal Meisner wenig später mit dem Hinweis, dass „die Kultur entartet“, Schlagzeilen machte – solche Probleme mit dem Aufarbeiten ihrer jüngeren Vergangenheit hat, wird durch Karlheinz Deschners Serie zur Politik der Päpste im 20. Jahrhundert deutlich. – Die Redaktion.
Das römische Papsttum – durch Kriege und Betrug groß geworden, durch Kriege und Betrug groß geblieben – hatte durch Pius X. den Ausbruch des Ersten Weltkriegs gefördert und durch Pius XI. entscheidend die Heraufkunft des Faschismus: eine klerofaschistische Verbrüderung, die zunächst 1929 in den Lateranverträgen gipfelte, von Adolf Hitler ebenso begeistert gepriesen wie von seinem späteren Gefolgsmann Kardinal Faulhaber oder dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer.


Pius XI.

Pius XI. aber, der durch die Preisgabe der katholischen Volkspartei Italiens und Mussolinis Erhebung in wenigen Jahren so sensationelle Erfolge in Italien errungen hatte, versuchte nun einen ganz ähnlichen Umsturz in Deutschland durch Preisgabe der katholischen Zentrumspartei. Beide Male betrieb der Papst die Auflösung der eigenen katholischen Partei, um dort Mussolini, hier Hitler an die Macht zu bringen.

Wie der Katholik Mussolini hatte der Katholik Hitler ein sehr ambivalentes, wenn auch ganz anders geartetes Verhältnis zum Katholizismus. Als Schüler besuchte er zwei Jahre lang das Benediktinerstift Lambach, war dort Ministrant, was auch Heinrich Himmler gewesen, und wollte einmal Abt werden. Später verdankte Hitler dem katholischen München „so gut wie alles“. Hier stützten und schützten ihn katholisch-konservative Politiker und katholisch-konservative Gerichte.


Mussolini und Hitler

Er gewann in Bayern Boden, indem er sich als künftiger Vernichter des jüdischen Bolschewismus präsentierte, indem er in seinem Buch „Mein Kampf“ und in seinen Reden die römische Kirche, deren enormen Einfluß er in Österreich kennen gelernt hatte, über alles schonte. Ja, ausdrücklich bekannte er sich zum „Werk des Herrn“, versprach wiederholt, seine Bewegung für immer frei zu halten „von allen religiösen Diskussionen und Kämpfen“ und erklärte 1928 in Passau: „In unseren Reihen dulden wir keinen, der die Gedanken des Christentums verletzt, der einem anders Gesinnten Widerstand entgegen trägt, ihn bekämpft oder sich als Erbfeind des Christentums provoziert. Diese unsere Bewegung ist tatsächlich christlich.“

An seiner politischen Gegnerschaft zum Zentrum aber ließ Hitler stets so wenig einen Zweifel wie andererseits das Zentrum an seinem Antinazismus. Ebenso der deutsche Episkopat, jedenfalls vor 1933. Stand jedoch die Phalanx des deutschen Katholizismus bis zum Frühjahr 1933 nahezu geschlossen gegen die Nazipartei, so dachte man über sie im Vatikan bereits ganz anders. Im kommunistischen Rußland die größte Christenbekämpfung der neuesten Zeit, in Deutschland Hitlers spektakuläre Erfolge zu Beginn der dreißiger Jahre vor Augen, konnte für das stets opportunistische Papsttum, das durch Anpassung an den jeweils Stärksten lebt und überlebt, die Entscheidung nicht anders ausfallen. Nichts betet die römische Kurie mehr an als Macht und Erfolg. Hatte sie auch keine Sympathie für die nazistische Rassenideologie, so jagte und mordete ihr eigener Anhang doch die Juden durch zwei Jahrtausende. War Rom auch der wilde Antiklerikalismus eines Rosenberg oder Streicher verhaßt – Hitler persönlich hatte sich immer wieder auf den Boden des Christentums gestellt und seine Geneigtheit, mit den Kirchen zu kooperieren, signalisiert.

So plädierte Pius XI. schon 1931 für ein Zusammengehen des Zentrums und der katholischen Bayerischen Volkspartei mit den Nationalsozialisten. Ähnlich äußerte sich im Sommer des folgenden Jahres Kardinalstaatssekretär Pacelli, der nächste Papst, den am meisten am Wahlausgang nicht die 120 Mandate beunruhigten, die Hitler dazu gewonnen hatte, sondern die elf weiteren der Kommunisten. 

Sofort nach der Wahl 1932 hoffte und wünschte der Kardinalstaatssekretär gegenüber dem bayerischen Vatikangesandten, Baron Ritter, daß die „auf christlicher Grundlage stehenden Parteien, zu denen sich gleichfalls die nunmehr stärkste Partei des Reichstags, die Nationalsozialistische Partei, zähle, alles daran setzen werden, den hinter der Kommunistischen Partei marschierenden Kulturbolschewismus von Deutschland fernzuhalten.“ Notwendig erschien Pacelli nun eine neue Koalition im Reichstag, was für das Zentrum und die katholische Bayerische Volkspartei hieß, „sich jetzt mehr nach rechts zu orientieren und dort eine für ihre Grundsätze tragbare Koalition zu suchen“.

Ergo steuerte der Kardinal, der als einstiger Nuntius in München und Berlin die Verhältnisse im Reich genau kannte, die Zentrumspartei, das politische Instrument der Kurie in Deutschland, den Nazis nun direkt in die Arme. Einer seiner Paladine, der Päpstliche Kammerherr und nachmalige Stellvertreter Hitlers, Franz von Papen, beseitigte im Sommer 1932 als Reichskanzler die sozialdemokratische Regierung Braun-Severing, hob das Verbot der SA und der SS auf und tat alles, um Hitler an die Macht zu bringen. Zweiter im Bund: Pacelli-Freund Prälat Ludwig Kaas, Professor für Kirchenrecht, der als Zentrumsführer keine wichtige Entscheidung ohne Pacellis Zustimmung fällte.

Kaum hatte Kaas das Votum seiner Fraktion für Hitlers „Ermächtigungs- gesetz“, das diesem die Diktatur ermöglichte, verschwand er nach Rom. Von dort sandte er Hitler, mit dem er unmittelbar zuvor, ohne Wissen selbst seiner nächsten Parteifreunde, unter vier Augen konferiert hatte, „aufrichtige Segenswünsche“, forderte die Auflösung des Zentrums, die auch prompt erfolgte, und beschwichtigte, nach Rücksprache mit dem Papst und Pacelli, viele protestierende Katholiken: „Hitler weiß das Staatsschiff wohl zu lenken. Noch ehe er Kanzler wurde, traf ich ihn wiederholt und war sehr beeindruckt von seiner Art, den Tatsachen ins Auge zu sehen und dabei doch seinen edlen Idealen treu zu bleiben...“ 

Nicht das Gros der Katholiken also ging zuerst zu Hitler über, wie man der Welt so gern vorgelogen, dann der Episkopat, dann die Kurie, sondern umgekehrt: Der Papst entschloß sich, das mit Mussolini geglückte Experiment mit Hitler zu wiederholen, die deutschen Bischöfe gehorchten, und die Gläubigen mußten folgen.


Franz von Papen als Hauptmann
In Ansprachen im November 1933 bekannte der Päpstliche Kammerherr von Papen, daß „ich damals bei der Übernahme der Kanzlerschaft dafür geworben habe, der jungen kämpfenden Freiheitsbewegung den Weg zur Macht zu ebnen“, daß „die Vorsehung mich dazu bestimmt hatte, ein Wesentliches zur Geburt der Regierung der nationalen Erhebung beizutragen“, daß „das wundervolle Aufbauwerk des Kanzlers und seiner großen Bewegung unter keinen Umständen gefährdet werden dürfe“ und daß „die Strukturelemente des Nationalsozialismus... der katholischen Lebensauffassung nicht wesensfremd“ seien, „sondern sie entsprechen ihr in fast allen Beziehungen“. „Der liebe Gott“, rief Papen, „hat Deutschland gesegnet, daß er ihm in Zeiten tiefer Not einen Führer gab“. (PK)


Karlheinz Deschner, 1924 in Bamberg geboren, im Krieg Soldat, studierte Jura, Theologie, Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte. Über seine literarischen, literatur- und kirchen-kritischen Werke berichtet der Dokumentarfilm "Im Grunde bin ich ein aus lauter Zweifeln bestehender gläubiger Mensch" (siehe www.kaos-archiv.de). Der 83jährige arbeitet zurzeit am 9. Band seines Werks „Kriminalgeschichte des Christentums“ (siehe www.deschner.info) und erhielt – nach einigen anderen Literaturpreisen – Anfang 2007 in Mailand den Giordano Bruno-Preis.

Einen Teil des hier vorliegenden Textes finden Sie als Filmausschnitt in dieser NRhZ-Ausgabe


Online-Flyer Nr. 118  vom 24.10.2007



Startseite           nach oben