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Bil’in gegen die Sperranlage
(Teil-)Sieg im politischen Vakuum
Von Asma Agbarieh
Quelle: bil'in village
Der Erfolg
Zweieinhalb Jahre lang haben die 1.800 Bewohner Bil’ins entschlossen gegen die Mauer gekämpft. Jeden Freitag gingen sie auf die Straße, Männer und Frauen, Junge und Alte, und stellten sich auf der Baustelle vor die Armee. Aktivisten von den Anarchists against the Wall und dem International Solidarity Movement unterstützten sie. Viele wurden festgenommen, mindestens 1.000 wurden verletzt und alle machten die Bekanntschaft von Tränengas. Doch trotz aller Versuche des Militärs und der Kollaborateure, sie einzuschüchtern, und trotz der Enttäuschungen, die eine lange gewaltfreie Aktion mit sich bringt, machten sie weiter.
Jetzt feiert Bil’in, denn am 4. September hat Israels Oberstes Gericht entschieden, dass der Staat die Route der Sperranlage, die die Ländereien des Dorfes durchschneidet und ihm über die Hälfte seines Bodens geraubt hat, ändern muss. Das Urteil gibt dem Dorf 1.200 der 2.300 Dunam [1], die ihm die Mauer genommen hat, zurück. Vorgeblich waren Sicherheitserwägungen der Grund für den Landraub, doch tatsächlich ging es um den Bau zweier Siedlungen, Mattityahu Ost A und B. Die 1.500 Wohneinheiten von Mattityahu Ost A sind bereits gebaut.
Das Brachland von Mattityahu Ost B hat das Gericht Bil’in zurückgegeben. Die 1.100 Dunam, die Mattityahu Ost A belegt, bekommt das Dorf nicht zurück. Die Siedlung müsse erhalten bleiben, schrieb Richterin Miriam Naor ins Urteil: „Ist es an uns, Schritte zu unternehmen, die darauf hinauslaufen zu zerstören, was gegen das Gesetz gebaut wurde? … Meine Antwort ist Nein. Eine solche Maßnahme wäre angesichts der Umstände unverhältnismäßig. Unschuldige Käufer, von denen einige bereits in den Wohnungen leben, würden Schaden erleiden.“ (Ha’aretz, 06.09.2007)
Ahmad Samara vom ,Volkskomitee gegen die Mauer’ ist trotz des nur teilweisen Erfolgs zufrieden: „Viele haben bezweifelt, dass wir Erfolg haben würden, aber wir haben gezeigt, dass man trotz der schwierigen regionalen und internationalen Lage nicht zu verzweifeln und aufzugeben braucht. Indem wir uns der Armee entgegengestellt haben, haben wir die Barriere der Angst überwunden.“ In der Tat ist das einer der bedeutendsten Erfolge des langwierigen Kampfs von Bil’in.
Quelle: bil'in village
Die Begrenzung
Doch das Oberste Gericht Israels hat nur entschieden, den Verlauf der Sperranlage zu verändern, es hat nicht entschieden, sie abzureißen. Das hatte das Dorf auch nicht erwartet, wie man der Stellungnahme entnehmen konnte, die Bassam Mansour einige Tage nach dem Urteil für das Volkskomitee abgab: „Wir sind nicht vor das Gericht der Besatzung gezogen, weil wir daran geglaubt haben, sondern um zu beweisen, dass die Gerichte nur Werkzeuge der Besatzung sind. Sie sind wie ein Soldat, der dir in den Kopf schießt, dich tötet und dir dann den Kopf verbindet, damit es aussieht, als würde er Dir erste Hilfe leisten. Dieses Gericht hat mit seinem Urteil seine Feigheit und seine Ungerechtigkeit bewiesen. Denkt daran, dass sich unsere Kampagne gegen die Mauer an sich und nicht gegen deren Verlauf gerichtet hat.“
Abdullah Abu Rahma aus Bil’in erklärt, warum sie sich trotzdem an das Gericht gewandt haben: „Wir hatten nicht viele Möglichkeiten. Es war eine unsichere Sache, uns an das israelische Gericht zu wenden, aber wenn wir es nicht versucht hätten, hätten wir viel mehr verloren. Wir wollten nicht das israelische Rechtssystem boykottieren, um dann gar kein Land mehr zu haben. Die Leute haben den Glauben an ein politisches Herangehen verloren. Die Siedlungen wachsen, die Checkpoints werden immer zahlreicher und der Bau der Sperranlage schreitet fort. Uns bleiben nur noch Massendemonstrationen oder bewaffneter Kampf.“
„Die palästinensische Führung ist mit Wahlen oder internen Streitigkeiten beschäftigt, und die einfachen Leute haben damit zu tun, über die Runden zu kommen“, fasst Rateb Abu Rahma, ebenfalls Mitglied des Volkskomitees, die Lage zusammen. „Das wirkt sich negativ auf ihre Standhaftigkeit und ihre Kampfbereitschaft aus. Ergebnis ist, dass die Besatzung tötet und unterdrückt, es aber niemand gibt, der darauf reagiert.“
Quelle: bil'in village
Vom Kampf für eine Heimat zum Kampf um Land
„Während der Ersten Intifada haben wir für nationale Befreiung gekämpft“, sagt Ahmed Samara, ein altgedienter Linker, „aber heute steht unser Überleben auf dem Spiel, weil sie uns unser Land nehmen. Während der Ersten Intifada hat die PLO den Kampf von außerhalb des Landes geführt, während im Land die Kämpfer die Sache in der Hand hatten. Heute haben wir keine Kämpfer und die Politiker widmen sich ihren bornierten Interessen. Das Volkskomitee von Bil’in hat sich nicht unter die Führung einer der politischen Gruppierungen gestelllt, denn wir haben in die gegenwärtige Führung kein Vertrauen. Wir haben gekämpft, weil wir hier leben, und wir haben die Unterstützung der internationalen und israelischen Linken angenommen.“
Hassan Khreisheh, Mitglied des palästinensischen Parlaments, sieht das genauso: „Die Leute von Bil’in sind auf eigene Faust losgezogen, weil es ein Führungsvakuum gibt. Das innere Schisma hat zur Folge, dass nicht mehr die nationale Frage im Zentrum steht. Die Leute sehen keine Führung, die für ihre Interessen kämpft. Das palästinensische Volk ist zur Geisel der Besatzung geworden und zur Geisel des unmoralischen, ungerechten internen Konflikts der beiden Gruppierungen [Fatah und Hamas – AA], die beide die Verantwortung dafür tragen, dass die nationale Frage in den Hintergrund getreten ist und für Lähmung des Kampfes gegen die Besatzung."
Bei der Feldarbeit hinter der Mauer
Quelle: bil'in village
Kein neues Modell
Aufgrund des Teilerfolgs von Bil’in sind Stimmen laut geworden, man solle diese Kampfform auf andere Dörfer übertragen – als neuen Weg zur nationalen Befreiung. Und der gemeinsame Kampf der Bewohner Bil’ins, mit beharrlicher Entschlossenheit geführt, ist in dem allgemeinen Niedergang in der Tat ein außergewöhnliches Phänomen und verdient Respekt und Anerkennung. Aber er ist weit davon entfernt, ein Beispiel für einen anderen Kampf für nationale Befreiung zu sein. Letztlich beschränkte sich der Horizont der Kampagne auf den Rahmen, den ihr das höchste israelische Gericht mit einem Urteil setzte, das die Sperranlage fortschrieb und eine auf privatem palästinensischem Land gebaute Siedlung legitimierte.
Massenaktionen sind wichtig, genau wie der Kampf mit den Mitteln des Gesetzes, doch wenn sie nicht Teil einer umfassenden politischen Strategie sind, bleiben sie in ihrer Wirkung begrenzt. Das Beispiel von Bil’in kann das wichtige und schwierige Ziel, eine alternative politische Führung zu schaffen, nicht ersetzen. (YH)
[1] 1 Dunam = 1.000 m²
Aus dem Englischen von Endy Hagen
Online-Flyer Nr. 118 vom 24.10.2007
Bil’in gegen die Sperranlage
(Teil-)Sieg im politischen Vakuum
Von Asma Agbarieh
Quelle: bil'in village
Der Erfolg
Zweieinhalb Jahre lang haben die 1.800 Bewohner Bil’ins entschlossen gegen die Mauer gekämpft. Jeden Freitag gingen sie auf die Straße, Männer und Frauen, Junge und Alte, und stellten sich auf der Baustelle vor die Armee. Aktivisten von den Anarchists against the Wall und dem International Solidarity Movement unterstützten sie. Viele wurden festgenommen, mindestens 1.000 wurden verletzt und alle machten die Bekanntschaft von Tränengas. Doch trotz aller Versuche des Militärs und der Kollaborateure, sie einzuschüchtern, und trotz der Enttäuschungen, die eine lange gewaltfreie Aktion mit sich bringt, machten sie weiter.
Jetzt feiert Bil’in, denn am 4. September hat Israels Oberstes Gericht entschieden, dass der Staat die Route der Sperranlage, die die Ländereien des Dorfes durchschneidet und ihm über die Hälfte seines Bodens geraubt hat, ändern muss. Das Urteil gibt dem Dorf 1.200 der 2.300 Dunam [1], die ihm die Mauer genommen hat, zurück. Vorgeblich waren Sicherheitserwägungen der Grund für den Landraub, doch tatsächlich ging es um den Bau zweier Siedlungen, Mattityahu Ost A und B. Die 1.500 Wohneinheiten von Mattityahu Ost A sind bereits gebaut.
Das Brachland von Mattityahu Ost B hat das Gericht Bil’in zurückgegeben. Die 1.100 Dunam, die Mattityahu Ost A belegt, bekommt das Dorf nicht zurück. Die Siedlung müsse erhalten bleiben, schrieb Richterin Miriam Naor ins Urteil: „Ist es an uns, Schritte zu unternehmen, die darauf hinauslaufen zu zerstören, was gegen das Gesetz gebaut wurde? … Meine Antwort ist Nein. Eine solche Maßnahme wäre angesichts der Umstände unverhältnismäßig. Unschuldige Käufer, von denen einige bereits in den Wohnungen leben, würden Schaden erleiden.“ (Ha’aretz, 06.09.2007)
Ahmad Samara vom ,Volkskomitee gegen die Mauer’ ist trotz des nur teilweisen Erfolgs zufrieden: „Viele haben bezweifelt, dass wir Erfolg haben würden, aber wir haben gezeigt, dass man trotz der schwierigen regionalen und internationalen Lage nicht zu verzweifeln und aufzugeben braucht. Indem wir uns der Armee entgegengestellt haben, haben wir die Barriere der Angst überwunden.“ In der Tat ist das einer der bedeutendsten Erfolge des langwierigen Kampfs von Bil’in.
Quelle: bil'in village
Die Begrenzung
Doch das Oberste Gericht Israels hat nur entschieden, den Verlauf der Sperranlage zu verändern, es hat nicht entschieden, sie abzureißen. Das hatte das Dorf auch nicht erwartet, wie man der Stellungnahme entnehmen konnte, die Bassam Mansour einige Tage nach dem Urteil für das Volkskomitee abgab: „Wir sind nicht vor das Gericht der Besatzung gezogen, weil wir daran geglaubt haben, sondern um zu beweisen, dass die Gerichte nur Werkzeuge der Besatzung sind. Sie sind wie ein Soldat, der dir in den Kopf schießt, dich tötet und dir dann den Kopf verbindet, damit es aussieht, als würde er Dir erste Hilfe leisten. Dieses Gericht hat mit seinem Urteil seine Feigheit und seine Ungerechtigkeit bewiesen. Denkt daran, dass sich unsere Kampagne gegen die Mauer an sich und nicht gegen deren Verlauf gerichtet hat.“
Abdullah Abu Rahma aus Bil’in erklärt, warum sie sich trotzdem an das Gericht gewandt haben: „Wir hatten nicht viele Möglichkeiten. Es war eine unsichere Sache, uns an das israelische Gericht zu wenden, aber wenn wir es nicht versucht hätten, hätten wir viel mehr verloren. Wir wollten nicht das israelische Rechtssystem boykottieren, um dann gar kein Land mehr zu haben. Die Leute haben den Glauben an ein politisches Herangehen verloren. Die Siedlungen wachsen, die Checkpoints werden immer zahlreicher und der Bau der Sperranlage schreitet fort. Uns bleiben nur noch Massendemonstrationen oder bewaffneter Kampf.“
„Die palästinensische Führung ist mit Wahlen oder internen Streitigkeiten beschäftigt, und die einfachen Leute haben damit zu tun, über die Runden zu kommen“, fasst Rateb Abu Rahma, ebenfalls Mitglied des Volkskomitees, die Lage zusammen. „Das wirkt sich negativ auf ihre Standhaftigkeit und ihre Kampfbereitschaft aus. Ergebnis ist, dass die Besatzung tötet und unterdrückt, es aber niemand gibt, der darauf reagiert.“
Quelle: bil'in village
Vom Kampf für eine Heimat zum Kampf um Land
„Während der Ersten Intifada haben wir für nationale Befreiung gekämpft“, sagt Ahmed Samara, ein altgedienter Linker, „aber heute steht unser Überleben auf dem Spiel, weil sie uns unser Land nehmen. Während der Ersten Intifada hat die PLO den Kampf von außerhalb des Landes geführt, während im Land die Kämpfer die Sache in der Hand hatten. Heute haben wir keine Kämpfer und die Politiker widmen sich ihren bornierten Interessen. Das Volkskomitee von Bil’in hat sich nicht unter die Führung einer der politischen Gruppierungen gestelllt, denn wir haben in die gegenwärtige Führung kein Vertrauen. Wir haben gekämpft, weil wir hier leben, und wir haben die Unterstützung der internationalen und israelischen Linken angenommen.“
Hassan Khreisheh, Mitglied des palästinensischen Parlaments, sieht das genauso: „Die Leute von Bil’in sind auf eigene Faust losgezogen, weil es ein Führungsvakuum gibt. Das innere Schisma hat zur Folge, dass nicht mehr die nationale Frage im Zentrum steht. Die Leute sehen keine Führung, die für ihre Interessen kämpft. Das palästinensische Volk ist zur Geisel der Besatzung geworden und zur Geisel des unmoralischen, ungerechten internen Konflikts der beiden Gruppierungen [Fatah und Hamas – AA], die beide die Verantwortung dafür tragen, dass die nationale Frage in den Hintergrund getreten ist und für Lähmung des Kampfes gegen die Besatzung."
Bei der Feldarbeit hinter der Mauer
Quelle: bil'in village
Kein neues Modell
Aufgrund des Teilerfolgs von Bil’in sind Stimmen laut geworden, man solle diese Kampfform auf andere Dörfer übertragen – als neuen Weg zur nationalen Befreiung. Und der gemeinsame Kampf der Bewohner Bil’ins, mit beharrlicher Entschlossenheit geführt, ist in dem allgemeinen Niedergang in der Tat ein außergewöhnliches Phänomen und verdient Respekt und Anerkennung. Aber er ist weit davon entfernt, ein Beispiel für einen anderen Kampf für nationale Befreiung zu sein. Letztlich beschränkte sich der Horizont der Kampagne auf den Rahmen, den ihr das höchste israelische Gericht mit einem Urteil setzte, das die Sperranlage fortschrieb und eine auf privatem palästinensischem Land gebaute Siedlung legitimierte.
Massenaktionen sind wichtig, genau wie der Kampf mit den Mitteln des Gesetzes, doch wenn sie nicht Teil einer umfassenden politischen Strategie sind, bleiben sie in ihrer Wirkung begrenzt. Das Beispiel von Bil’in kann das wichtige und schwierige Ziel, eine alternative politische Führung zu schaffen, nicht ersetzen. (YH)
[1] 1 Dunam = 1.000 m²
Aus dem Englischen von Endy Hagen
Online-Flyer Nr. 118 vom 24.10.2007