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Lokales
Migrantinnen in Köln zu Menschenrechtsverletzungen und Widerstand:
„Menschenrechte sind Frauenrechte“
Von Steffi Holz
Migrantinnen organisieren sich seit langem und fordern Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesundheitsversorgung, im Bildungswesen und als Bürgerinnen, weil sie wegen ihrer Herkunft und als Frauen immer noch benachteiligt sind. „Ich habe hier studiert und ein Leben aufgebaut, aber das Wahlrecht habe ich immer noch nicht“, berichtet Yasemin, die vor 23 Jahren aus dem Iran nach Deutschland kam. Ihre Kinder sind hier geboren und zur Schule gegangen. Sie verstehen sich als Deutsche aber werden immer wieder als „Ausländer“ behandelt.
Podiumsdiskussion am Sonntagvormittag | Fotos: Steffi Holz
Begriff „Migrantin“ unzulänglich
Ungefähr 40 Frauen mit Migrationshintergrund aus der ganzen Republik und Österreich waren sich auf der Konferenz einig, dass der Begriff „Migrantin“ angesichts der vielfältigen Biografien der Anwesenden unzulänglich ist. Viele der Teilnehmerinnen leben schon lange in Deutschland, manche seit 30 Jahren. Sie sind aus politischen Gründen, zum Studieren oder Arbeiten gekommen, wurden von ihren Eltern nachgeholt und sind hier aufgewachsen. Andere sind hier geboren, haben Schule und Studium absolviert und leben immer noch mit unsicherem Status und ohne Wahlrecht. Einige haben als Kinder binationaler Partnerschaften den deutschen Pass und verstehen sich als Deutsche und wieder andere haben sich einbürgern lassen.
Zur Eröffnung stellte Dorothea Frings, Juristin und Vorsitzende des Fördervereins von agisra, fest, dass in der seit vielen Jahren stattfindenden Menschenrechtsarbeit die Zeit „sozialer Arbeit als fürsorgliche Belagerung“ vorbei sei. Heute gehe es vielmehr darum, durch politische Arbeit nicht nur die Situation von Migrantinnen zu verbessern, sondern auch den Diskurs über Prozesse und Phänomene der Migration mit zu gestalten.
Konkrete Anregungen
So ging es in Vorträgen und Workshops um konkrete Anregungen für die praktische Arbeit und die politische Lobbyarbeit der NGOs, wie sie beispielsweise verschiedene Menschenrechtskonventionen auf UN-Ebene bieten. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das vor einem Jahr in Kraft trat, wurde daraufhin untersucht, ob es hilft, wenn Migrantinnen gegen Diskriminierung vorgehen wollen.
Inputs gab es zu den unterschiedlichsten Aspekten von Migration, die sich, entgegen der politischen Bestrebungen, Migration als Arbeitsmigration regeln zu wollen, sehr viel vielschichtiger gestaltet. Es ging um politische Partizipation, Widerstand gegen sexualisierte Gewalt und Empowerment.
Denn trotz ihrer sehr individuellen Biografien erfahren die Frauen im deutschen Alltag auf ähnliche Weise Diskriminierung und strukturelle Benachteiligung. Die Frauen berichten von dem Gefühl, ständig als „anders“ markiert zu sein und nicht ernst genommen zu werden. Sie erleben regelmäßig Schikanen auf der Straße, beim Arzt und bei Behörden. Das Ausländergesetz ist für sie Ausdruck einer Zweiklassengesellschaft. Es erschwert ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt und verweigert ihnen ein Mitspracherecht, beschneidet das Recht auf Familienzusammenführung und Eheschließung. Viele der Anwesenden haben nur einen befristeten Aufenthaltsstatus, müssen alle 2 Jahre zur Ausländerbehörde und dürfen sich, um diesen nicht zu gefährden, nicht länger als sechs Monate außerhalb Deutschlands aufhalten. Alles das sind für sie Formen von Gewalt.
In einer Pause – Empowerment für Frauenrechte
Kraft der Solidarität und Vernetzung
„Ich bin ich“ sagt Ludmila bestimmt. Diese einfach anmutende Erkenntnis war für die 28jährige Russin ein wichtiger Schritt, um nicht an der alltäglich erfahrenen Diskriminierung zu zerbrechen. Seit fünf Jahren lebt sie in Deutschland und kennt die Klischees, die andere mit ihrer Herkunft verbinden, nur zu gut. Bei der Ausländerbehörde wird sie gefragt, ob sie zur Prostitution gekommen sei, ihr Arzt spricht sie auf den Ehering an ihrem Finger an und fragt, ob es eine Vernunftehe gewesen sei. Ihre neuen Freunde nötigen ihr Wodka auf, weil die Russen doch so gerne trinken und feiern. Gegen diese Verletzungen hat sie sich ein dickes Fell wachsen lassen. In der Begegnung mit anderen Migrantinnen, die ähnliche Erfahrungen machen, erlebt sie nun die Kraft der Solidarität und Vernetzung.
Nicht zuletzt deshalb engagieren sich die meisten von ihnen seit vielen Jahren in Initiativen, die andere Migrantinnen unterstützen. Sie beraten haupt- oder ehrenamtlich Frauen, die physische und psychische Gewalterfahrungen in der Migration gemacht haben und begleiten sie in Asylverfahren. Sie kämpfen gegen Menschenhandel und Zwangsheirat, organisieren Arztbesuche für Illegalisierte oder Bildungskurse für Migrantinnen. Außerdem fordern sie Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft, in der sie leben. Wichtig ist diesen Menschenrechts-Aktivistinnen auch, sich überregional zu vernetzen und wissenschaftlich zu arbeiten.
„Dieses Feuer weiter tragen!“
Der Bedarf ist offenbar groß. Ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland hat einen Migrationshintergrund Während PolitikerInnen jeglicher Couleur Deutschland immer noch nicht als Einwanderungsland begreifen wollen und sich darauf beschränken, Arbeitsmigration, weil ökonomisch profitabel, zu regeln, steht für die Teilnehmerinnen der Konferenz längst fest, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben. Sie wissen: Der Weg zu gleichberechtigter Teilhabe von Migrantinnen bleibt steinig. Die NGOs müssen sich im Spannungsfeld zwischen selbstbestimmter, praktischer Arbeit und der Gefahr behaupten, von der Politik instrumentalisiert zu werden. Ihre Finanzierungen müssen sie vor diesem Hintergrund erstreiten.
Am Ende sind sich die Teilnehmerinnen darüber einig, dass die Tagung ein wertvoller Raum für interkulturelles Lernen, zum Spinnen von Utopien und für die weitere Vernetzung ihrer Arbeit war. Ludmila nimmt für sich als wertvollste Erkenntnis mit, nicht allein zu sein und wünscht allen anderen, „dieses Feuer, das hier entfacht wurde, weiter zu tragen“. Für sie hat das klischeehafte Bild der Migrantinnen in der Opferrolle ausgedient. Migrantinnen und Women of Colour wollen verstärkt als fordernde Akteure in Politik und Gesellschaft auftreten, sich einmischen und aktiv für Menschenrechte einsetzen. (PK)
Online-Flyer Nr. 120 vom 07.11.2007
Migrantinnen in Köln zu Menschenrechtsverletzungen und Widerstand:
„Menschenrechte sind Frauenrechte“
Von Steffi Holz
Migrantinnen organisieren sich seit langem und fordern Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesundheitsversorgung, im Bildungswesen und als Bürgerinnen, weil sie wegen ihrer Herkunft und als Frauen immer noch benachteiligt sind. „Ich habe hier studiert und ein Leben aufgebaut, aber das Wahlrecht habe ich immer noch nicht“, berichtet Yasemin, die vor 23 Jahren aus dem Iran nach Deutschland kam. Ihre Kinder sind hier geboren und zur Schule gegangen. Sie verstehen sich als Deutsche aber werden immer wieder als „Ausländer“ behandelt.
Podiumsdiskussion am Sonntagvormittag | Fotos: Steffi Holz
Begriff „Migrantin“ unzulänglich
Ungefähr 40 Frauen mit Migrationshintergrund aus der ganzen Republik und Österreich waren sich auf der Konferenz einig, dass der Begriff „Migrantin“ angesichts der vielfältigen Biografien der Anwesenden unzulänglich ist. Viele der Teilnehmerinnen leben schon lange in Deutschland, manche seit 30 Jahren. Sie sind aus politischen Gründen, zum Studieren oder Arbeiten gekommen, wurden von ihren Eltern nachgeholt und sind hier aufgewachsen. Andere sind hier geboren, haben Schule und Studium absolviert und leben immer noch mit unsicherem Status und ohne Wahlrecht. Einige haben als Kinder binationaler Partnerschaften den deutschen Pass und verstehen sich als Deutsche und wieder andere haben sich einbürgern lassen.
Zur Eröffnung stellte Dorothea Frings, Juristin und Vorsitzende des Fördervereins von agisra, fest, dass in der seit vielen Jahren stattfindenden Menschenrechtsarbeit die Zeit „sozialer Arbeit als fürsorgliche Belagerung“ vorbei sei. Heute gehe es vielmehr darum, durch politische Arbeit nicht nur die Situation von Migrantinnen zu verbessern, sondern auch den Diskurs über Prozesse und Phänomene der Migration mit zu gestalten.
Konkrete Anregungen
So ging es in Vorträgen und Workshops um konkrete Anregungen für die praktische Arbeit und die politische Lobbyarbeit der NGOs, wie sie beispielsweise verschiedene Menschenrechtskonventionen auf UN-Ebene bieten. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das vor einem Jahr in Kraft trat, wurde daraufhin untersucht, ob es hilft, wenn Migrantinnen gegen Diskriminierung vorgehen wollen.
Inputs gab es zu den unterschiedlichsten Aspekten von Migration, die sich, entgegen der politischen Bestrebungen, Migration als Arbeitsmigration regeln zu wollen, sehr viel vielschichtiger gestaltet. Es ging um politische Partizipation, Widerstand gegen sexualisierte Gewalt und Empowerment.
Denn trotz ihrer sehr individuellen Biografien erfahren die Frauen im deutschen Alltag auf ähnliche Weise Diskriminierung und strukturelle Benachteiligung. Die Frauen berichten von dem Gefühl, ständig als „anders“ markiert zu sein und nicht ernst genommen zu werden. Sie erleben regelmäßig Schikanen auf der Straße, beim Arzt und bei Behörden. Das Ausländergesetz ist für sie Ausdruck einer Zweiklassengesellschaft. Es erschwert ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt und verweigert ihnen ein Mitspracherecht, beschneidet das Recht auf Familienzusammenführung und Eheschließung. Viele der Anwesenden haben nur einen befristeten Aufenthaltsstatus, müssen alle 2 Jahre zur Ausländerbehörde und dürfen sich, um diesen nicht zu gefährden, nicht länger als sechs Monate außerhalb Deutschlands aufhalten. Alles das sind für sie Formen von Gewalt.
In einer Pause – Empowerment für Frauenrechte
Kraft der Solidarität und Vernetzung
„Ich bin ich“ sagt Ludmila bestimmt. Diese einfach anmutende Erkenntnis war für die 28jährige Russin ein wichtiger Schritt, um nicht an der alltäglich erfahrenen Diskriminierung zu zerbrechen. Seit fünf Jahren lebt sie in Deutschland und kennt die Klischees, die andere mit ihrer Herkunft verbinden, nur zu gut. Bei der Ausländerbehörde wird sie gefragt, ob sie zur Prostitution gekommen sei, ihr Arzt spricht sie auf den Ehering an ihrem Finger an und fragt, ob es eine Vernunftehe gewesen sei. Ihre neuen Freunde nötigen ihr Wodka auf, weil die Russen doch so gerne trinken und feiern. Gegen diese Verletzungen hat sie sich ein dickes Fell wachsen lassen. In der Begegnung mit anderen Migrantinnen, die ähnliche Erfahrungen machen, erlebt sie nun die Kraft der Solidarität und Vernetzung.
Nicht zuletzt deshalb engagieren sich die meisten von ihnen seit vielen Jahren in Initiativen, die andere Migrantinnen unterstützen. Sie beraten haupt- oder ehrenamtlich Frauen, die physische und psychische Gewalterfahrungen in der Migration gemacht haben und begleiten sie in Asylverfahren. Sie kämpfen gegen Menschenhandel und Zwangsheirat, organisieren Arztbesuche für Illegalisierte oder Bildungskurse für Migrantinnen. Außerdem fordern sie Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft, in der sie leben. Wichtig ist diesen Menschenrechts-Aktivistinnen auch, sich überregional zu vernetzen und wissenschaftlich zu arbeiten.
„Dieses Feuer weiter tragen!“
Der Bedarf ist offenbar groß. Ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland hat einen Migrationshintergrund Während PolitikerInnen jeglicher Couleur Deutschland immer noch nicht als Einwanderungsland begreifen wollen und sich darauf beschränken, Arbeitsmigration, weil ökonomisch profitabel, zu regeln, steht für die Teilnehmerinnen der Konferenz längst fest, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben. Sie wissen: Der Weg zu gleichberechtigter Teilhabe von Migrantinnen bleibt steinig. Die NGOs müssen sich im Spannungsfeld zwischen selbstbestimmter, praktischer Arbeit und der Gefahr behaupten, von der Politik instrumentalisiert zu werden. Ihre Finanzierungen müssen sie vor diesem Hintergrund erstreiten.
Am Ende sind sich die Teilnehmerinnen darüber einig, dass die Tagung ein wertvoller Raum für interkulturelles Lernen, zum Spinnen von Utopien und für die weitere Vernetzung ihrer Arbeit war. Ludmila nimmt für sich als wertvollste Erkenntnis mit, nicht allein zu sein und wünscht allen anderen, „dieses Feuer, das hier entfacht wurde, weiter zu tragen“. Für sie hat das klischeehafte Bild der Migrantinnen in der Opferrolle ausgedient. Migrantinnen und Women of Colour wollen verstärkt als fordernde Akteure in Politik und Gesellschaft auftreten, sich einmischen und aktiv für Menschenrechte einsetzen. (PK)
Online-Flyer Nr. 120 vom 07.11.2007