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Inland
Politische Entscheidungen nach den Wünschen der Unternehmerverbände
Was kann man der SPD noch glauben?
Von Franz Kersjes
Was kann man der SPD noch glauben? Die SPD erlebt zurzeit ihre tiefste Krise – dank der Agenda-Politik von Gerhard Schröder und Franz Müntefering. In deren so genannter Reformpolitik kennt kaum ein Sozialdemokrat seine Partei wieder. Deshalb müht sich vor allem Parteivorsitzender Kurt Beck, zu sozialdemokratischen Prinzipien zurückzufinden. Aber die demonstrative Geschlossenheit der Delegierten des jüngsten Parteitags in Hamburg kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die SPD eine gespaltene Partei ist.
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die an der Agenda-Politik uneinge- schränkt festhalten; diese Gruppe ist in der Bundestagsfraktion stark vertreten, befindet sich aber in der Partei in der Minderheit. Auf der anderen Seite gibt es viele Funktionäre, die Korrekturen besonders in der Sozialpolitik verlangen. Doch dieser Dissens sollte auf dem Parteitag verschleiert werden, damit – frei nach dem Motto des Mainzer Karnevals: Allen Wohl und niemand Wehe – keiner in der Führungsriege beschädigt erscheint.
SPD-Parteitag 2002 – zu Beginn der Agenda-Politik
Quelle: www.spd-parteitag.de
Dramatischer Vertrauensverlust
Zahlen belegen anschaulich diesen dramatischen Vertrauensverlust:
„Zur Bundestagswahl 1998 haben rund 20 Millionen Wahlberechtigte SPD gewählt, 2005 waren es immerhin noch ungefähr 16 Millionen, jetzt stehen aktuell noch etwa 11 Millionen Wählerinnen und Wähler hinter der SPD.
Da ist eine Riesenlücke entstanden“, sagte Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, in einem Zeitungsinterview. In den Umfragen liegt die SPD bundesweit konstant unter 30 Prozent; in einzelnen Ländern hat sie mit Wahlergebnissen unter 20 Prozent den Charakter einer Volkspartei verloren.
Zu dieser Entwicklung ist es wesentlich durch die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze gekommen. Die Rechte aus den sozialen Sicherungs- systemen wurden drastisch reduziert. Damit wird das Soziale nicht abge- schafft, sondern in den Dienst des Marktes gestellt und nach den Prinzipien des Marktes gelenkt. Die politischen Entscheidungen, die den Wünschen der Unternehmerverbände entsprachen, sollen nun plötzlich dazu dienen, den Sozialstaat zu erhalten. Aber für viele Menschen hat diese Politik katastrophale Folgen. Die Zahl der Hartz-IV-Abhängigen ist inzwischen auf 7,4 Millionen Menschen gestiegen. Zu ihnen gehören immer mehr Jugend- liche; ihre Arbeitslosigkeit wächst und liegt jetzt über dem Durchschnitt der Gesamtarbeitslosigkeit. Zudem arbeitet in Westdeutschland mittlerweile ein Viertel der Beschäftigten zu Löhnen, die weniger als 75 Prozent des Durch- schnittseinkommens ausmachen; in Ostdeutschland sind es bereits 60 Prozent der Arbeitnehmer. Außerdem steigen Kinder- und die Altersarmut.
Eine gespaltene Partei
Die Konflikte in der Partei wurden und werden unterdrückt. So wurde der Antrag des Parteivorsitzenden Kurt Beck für eine längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I an Ältere – ein Thema, das vier Wochen lang die innenpolitische Debatte bestimmt hatte – ohne Aussprache (!) mal eben beschlossen. Hauptsache: die SPD wirkt geschlossen. Franz Müntefering sollte keinen Schaden nehmen.
Die Entscheidungen der Delegierten des Parteitages führen zu keinem grundlegenden Politikwechsel der SPD sowie zu keiner Revision der Agenda 2010 und der Hartz- Gesetze. Nicht nur der Vorsitzende Beck fand große Unterstützung, auch Franz Müntefering wurde bejubelt für seine rhetorisch starke Rede. Den größten Applaus erhielt er für seine erneute Ankündigung, die Höhe der Managergehälter zu begrenzen – obwohl dies doch längst hätte geschehen können.
Ein Beispiel für die Verschleierung innerparteilicher Konflikte: Die Mehrheit der Parteitagsdelegierten votierte gegen die Privatisierung der Bahn, also gegen die Parteiführung. Die Folge war ein fauler Kompro- miss: Anteile der Bahn AG sollen als stimmrechtslose Vorzugsaktien an die Börse gebracht werden, damit „private Investoren keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik“ haben. Finanzminister Peer Steinbrück hatte dieses Modell stets für untauglich erklärt. Trotzdem wurde er zum stellvertretenden Parteivor- sitzenden gewählt und soll nun als Finanzminister den Beschluss gegen die eigene Überzeugung im Kabinett vertreten. Folglich ist nicht zu erwarten, dass sich die Führungsriege der SPD konsequent für wichtige Beschlüsse ihrer Partei einsetzen wird.
Unfassbar ist zudem, dass die Delegierten nicht nur Minister Steinbrück, sondern auch Minister Steinmeier zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt haben. Sie werden, ganz im Sinn von Ex-Kanzler Schröder, die Agenda-Politik fortsetzen. Von einem „Linksruck“ der SPD kann keine Rede sein! (PK)
Online-Flyer Nr. 123 vom 28.11.2007
Politische Entscheidungen nach den Wünschen der Unternehmerverbände
Was kann man der SPD noch glauben?
Von Franz Kersjes
Was kann man der SPD noch glauben? Die SPD erlebt zurzeit ihre tiefste Krise – dank der Agenda-Politik von Gerhard Schröder und Franz Müntefering. In deren so genannter Reformpolitik kennt kaum ein Sozialdemokrat seine Partei wieder. Deshalb müht sich vor allem Parteivorsitzender Kurt Beck, zu sozialdemokratischen Prinzipien zurückzufinden. Aber die demonstrative Geschlossenheit der Delegierten des jüngsten Parteitags in Hamburg kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die SPD eine gespaltene Partei ist.
Auf der einen Seite stehen diejenigen, die an der Agenda-Politik uneinge- schränkt festhalten; diese Gruppe ist in der Bundestagsfraktion stark vertreten, befindet sich aber in der Partei in der Minderheit. Auf der anderen Seite gibt es viele Funktionäre, die Korrekturen besonders in der Sozialpolitik verlangen. Doch dieser Dissens sollte auf dem Parteitag verschleiert werden, damit – frei nach dem Motto des Mainzer Karnevals: Allen Wohl und niemand Wehe – keiner in der Führungsriege beschädigt erscheint.
SPD-Parteitag 2002 – zu Beginn der Agenda-Politik
Quelle: www.spd-parteitag.de
Dramatischer Vertrauensverlust
Zahlen belegen anschaulich diesen dramatischen Vertrauensverlust:
„Zur Bundestagswahl 1998 haben rund 20 Millionen Wahlberechtigte SPD gewählt, 2005 waren es immerhin noch ungefähr 16 Millionen, jetzt stehen aktuell noch etwa 11 Millionen Wählerinnen und Wähler hinter der SPD.
Da ist eine Riesenlücke entstanden“, sagte Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, in einem Zeitungsinterview. In den Umfragen liegt die SPD bundesweit konstant unter 30 Prozent; in einzelnen Ländern hat sie mit Wahlergebnissen unter 20 Prozent den Charakter einer Volkspartei verloren.
Zu dieser Entwicklung ist es wesentlich durch die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze gekommen. Die Rechte aus den sozialen Sicherungs- systemen wurden drastisch reduziert. Damit wird das Soziale nicht abge- schafft, sondern in den Dienst des Marktes gestellt und nach den Prinzipien des Marktes gelenkt. Die politischen Entscheidungen, die den Wünschen der Unternehmerverbände entsprachen, sollen nun plötzlich dazu dienen, den Sozialstaat zu erhalten. Aber für viele Menschen hat diese Politik katastrophale Folgen. Die Zahl der Hartz-IV-Abhängigen ist inzwischen auf 7,4 Millionen Menschen gestiegen. Zu ihnen gehören immer mehr Jugend- liche; ihre Arbeitslosigkeit wächst und liegt jetzt über dem Durchschnitt der Gesamtarbeitslosigkeit. Zudem arbeitet in Westdeutschland mittlerweile ein Viertel der Beschäftigten zu Löhnen, die weniger als 75 Prozent des Durch- schnittseinkommens ausmachen; in Ostdeutschland sind es bereits 60 Prozent der Arbeitnehmer. Außerdem steigen Kinder- und die Altersarmut.
Eine gespaltene Partei
Die Konflikte in der Partei wurden und werden unterdrückt. So wurde der Antrag des Parteivorsitzenden Kurt Beck für eine längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I an Ältere – ein Thema, das vier Wochen lang die innenpolitische Debatte bestimmt hatte – ohne Aussprache (!) mal eben beschlossen. Hauptsache: die SPD wirkt geschlossen. Franz Müntefering sollte keinen Schaden nehmen.
Die Entscheidungen der Delegierten des Parteitages führen zu keinem grundlegenden Politikwechsel der SPD sowie zu keiner Revision der Agenda 2010 und der Hartz- Gesetze. Nicht nur der Vorsitzende Beck fand große Unterstützung, auch Franz Müntefering wurde bejubelt für seine rhetorisch starke Rede. Den größten Applaus erhielt er für seine erneute Ankündigung, die Höhe der Managergehälter zu begrenzen – obwohl dies doch längst hätte geschehen können.
Ein Beispiel für die Verschleierung innerparteilicher Konflikte: Die Mehrheit der Parteitagsdelegierten votierte gegen die Privatisierung der Bahn, also gegen die Parteiführung. Die Folge war ein fauler Kompro- miss: Anteile der Bahn AG sollen als stimmrechtslose Vorzugsaktien an die Börse gebracht werden, damit „private Investoren keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik“ haben. Finanzminister Peer Steinbrück hatte dieses Modell stets für untauglich erklärt. Trotzdem wurde er zum stellvertretenden Parteivor- sitzenden gewählt und soll nun als Finanzminister den Beschluss gegen die eigene Überzeugung im Kabinett vertreten. Folglich ist nicht zu erwarten, dass sich die Führungsriege der SPD konsequent für wichtige Beschlüsse ihrer Partei einsetzen wird.
Unfassbar ist zudem, dass die Delegierten nicht nur Minister Steinbrück, sondern auch Minister Steinmeier zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt haben. Sie werden, ganz im Sinn von Ex-Kanzler Schröder, die Agenda-Politik fortsetzen. Von einem „Linksruck“ der SPD kann keine Rede sein! (PK)
Online-Flyer Nr. 123 vom 28.11.2007