NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 23. November 2024  

Fenster schließen

Lokales
Eröffnung der Raphael Lemkin-Bibliothek beim Kölner Appell
„Erinnern für die Menschenrechte“
Von Sella Schenk

Fast 60 Besucher fanden sich im Kölner Allerweltshaus ein, um an der Eröffnung der Raphael-Lemkin Bibliothek teilzunehmen. Raphael Lemkin war ein aschkenasischer Jude aus Polen, der den Nazis entkommen konnte und nach dem Krieg als Jurist an der Vorbereitung der Nürnberger Prozesse beteiligt war. Auf seinem Grabstein in New York wird er als „Father of the Genocide Convention“ geehrt.
Den Abend in der Ehrenfelder Körnerstraße 77-79 eröffnete Moderatorin Ayse Tekin von der Deutschen Welle mit dem Satz „Ein Mensch lebt so lange, wie er in Erinnerung bleibt.“ Sie kündigte an, dass die Bibliothek im Zusammenhang mit der Veranstaltungsreihe „Erinnern für die Menschenrechte“ stehe, und dass hierzu Podiumsdiskussionen, Vorträge, Lesungen, Musik- und Filmabend vorgesehen seien.
 
Erinnerungen an den Nationalsozialismus
 
Kurt Holl von Rom e.V. sprach das Grußwort. Der erst vor kurzem nach Köln-Ehrenfeld umgezogene Verein hoffe auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Kölner Appell und dem Allerweltshaus. Holl erinnerte an die Zeit des Nationalsozialismus. Damals lebten in Ehrenfeld viele Roma, sie wurden vom Bahnhof in Ehrenfeld zusammen mit Jüdinnen und Juden in die Konzentrationslager transportiert. 
 

Raphael Lemkin
Quelle: www.duke.edu
Das Projekt „Raphael Lemkin-Bibliothek“ selbst wurde von Adnan Keskin vorgestellt. Er wies darauf hin, dass alle Interessierten für jeden letzten Mittwoch im Monat ab 19 Uhr ins Büro des Kölner Appell eingeladen seien, um das Projekt gemeinsam zu planen und durchzuführen und dankte allen Mitgliedern, Ehrenamtlichen, Praktikantinnen und Praktikanten des Kölner Appell, für die freundliche Aufnahme in den Verein. Das neue Projekt biete eine bislang weltweit einzigartige Bibliothek und Veranstaltungsreihe an. Zwar bestehe die Bibliothek zurzeit erst aus einem Regal mit Büchern, die den Völkermord an den europäischen Juden während des Nationalsozialismus, den Völkermord an den Armeniern und den Völkermord in Ruanda zum Thema haben. Doch diese Bibliothek werde wachsen und nur Bücher aufnehmen, die die Themen Völkermord, Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung, Krieg, Flucht, Vertreibung und Tod behandeln, aber auch Bücher über Rebellion, Protest und Widerstand.
 
Im Laufe dieses Prozesses soll die Raphael Lemkin-Bibliothek eine wertvolle Ergänzung der Bibliotheken des Allerweltshauses und des NS-Dokumentationszentrums werden. Im zweiten Teil des Projektes, der Veranstaltungsreihe „Geschichte und Geschichten“, werden - so Adnan Keskin - Info- und Diskussionsveranstaltungen, Filmvorführungen, Lesungen und Ausstellungen stattfinden, die ebenfalls Völkermorde, Völkervernichtungen, Völkervertreibungen, Massaker, Kriege, Militarismus, Diktaturen, Folterungen und die Verletzungen der Menschenrechte thematisieren.
 
„Geschichte und Geschichten“
 
Der Kölner Appell gegen Rassismus wolle, so Keskin, durch das Projekt zu einer produktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte, auf die Migranten in Deutschland treffen, und mit den Geschichten, die sie selbst in die Bundesrepublik mitbringen, anregen. Wichtig sei den Initiatoren dabei, auf Menschenrechtsverletzungen aus rassistischen, nationalistischen, antisemitischen oder fundamentalistisch orientierten religiösen Gründen hinzuweisen. Man wolle „eine Zukunft, in der die Menschenrechte für alle gelten, hier bei uns und überall auf der Welt“. Deshalb hat der Kölner Appell sein Projekt „Erinnern für die Menschenrechte mit der Raphael Lemkin-Bibliothek und der Veranstaltungsreihe: Geschichte und Geschichten“ genannt. „Die Erinnerungsarbeit, die Aufklärung der Geschichte und der Geschichten soll uns helfen zu erkennen, woher wir kommen, um zu wissen, wer wir sind. Nur so können wir wissen, wohin wir wollen und was zu tun ist, damit wir den richtigen Weg finden, für eine Zukunft, in der die Menschenrechte für alle gelten.“


Ulla Kux und Ayse Tekin vor einem Lemkin-Foto
Fotos: Bernadetta Zakrzewska

Der vor 20 Jahren aus der Türkei nach Köln gekommene Adnan Keskin hofft, dass Deutsche und Migrantinnen und Migranten durch dieses Projekt zusammenkommen, zusammen aus den Geschichten lernen und zusammen an der Gestaltung einer Zukunft wirken, in der alle Menschen gleiche Rechte haben, wo Frieden herrscht und wo die Menschenrechte und Menschenwürde als oberstes Gebot geachtet werden. Außerdem hofft er, dass diese Arbeit selbst eines Tages Teil der Kölner Geschichte wird und selbst eine gute Geschichte schreibt.
 
Raphael Lemkin
 
An Raphael Lemkin erinnerte anschließend Ulla Kux von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Lemkin wird am 24. Juni 1900 in dem polnischen Dorf Bezvodna geboren. Seine Eltern sind aschkenasische Juden und Bauern. Er hat zwei Brüder, beschäftigt sich schon in jungen Jahren mit den politischen Vorgängen in der Welt und beginnt zunächst ein Studium der Philologie. Die Massenverbrechen des 1. Weltkrieges, die er selber miterlebt hat, veranlassen ihn jedoch später Jura zu studieren. 1926 erwirbt er den juristischen Doktorgrad, wird Sekretär des höchsten polnischen Appellationsgerichtes, dann Staatsanwalt. Sein größtes Interesse liegt bei der Strafbarkeit von Verbrechen, die gegen Menschen als Angehörige einer Gruppe gerichtet sind.
 
In seiner Studienzeit interessiert ihn besonders der Friedenskongress in Paris. Erstmals sollen dort Angehörige einer Krieg führenden Partei individuell vor Gericht für die Kriegsverbrechen des Ersten Weltkrieges zur Verantwortung gezogen werden, was die deutsche Regierung jedoch vehement ablehnt, so dass es im Endeffekt nur zu 17 Verurteilungen kommt. Er beschäftigt sich auch mit den„Istanbuler Prozessen“ von 1919 bis 1921, bei denen Führungspersonen des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg wegen Straftaten angeklagt wurden. An den Verbrechen gegen die Armenier und an den Istanbuler Prozessen orientiert Lemkin sich bei seinen Plädoyers für die Weiterentwicklung des Völkerrechts. Er ist der Meinung, es müsse international abgesichert sein, dass bestraft werde, „wer aus Hass gegen eine rassenmäßige, konfessionelle oder soziale Gemeinschaft oder zum Zwecke ihrer Ausrottung eine strafbare Handlung gegen Leben, Gesundheit, Freiheit, Würde oder wirtschaftliche Existenz einer solchen Gemeinschaft angehörigen Person unternimmt.“
 
„Unsere deutschen Freunde“ beleidigt
 
Raphael Lemkin nimmt in Brüssel, Kopenhagen, Madrid und Warschau an internationalen Völkerrechts-Konferenzen teil und beginnt ein internationales Abkommen gegen die Vernichtung von ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen zu entwerfen. Diesen Entwurf stellt er auf der Konferenz 1933 in Madrid vor, bleibt damit jedoch erfolglos. Außerdem kostet ihn die Teilnahme an der Madrider Konferenz in Warschau seine Stellung in einer Kommission zur Reform des polnischen Rechts und sein Amt als Staatsanwalt. Die pro-deutsche polnische Regierung wirft ihm nämlich vor, dass er „unsere deutschen Freunde“ beleidigt habe.
 
Ende 1939, nach dem deutschen Angriff auf Polen, flüchtet Raphael Lemkin aus Warschau für sechs Monate in die polnischen Wälder. Dann gelangt er, über Litauen und die Ostsee, nach Schweden - nicht ohne zahlreiche Unterlagen des NS-Regimes. Er will die deutschen Verbrechen dokumentieren und bekommt eine Beschäftigung an der Universität in Stockholm. 1941 verlässt er Schweden aufgrund einer Einladung der Duke University im US-Bundesstaat North Carolina. Dort hält er Vorlesungen über die Lage in Europa und übersetzt Dekrete der Nationalsozialisten, die er gesammelt hat. Nach Kriegseintritt der USA zieht er nach Washington. 1943 geht er nach London und erarbeitet einen Gesetzesentwurf zur Bestrafung der deutschen Verbrechen.


60 Besucher zur Eröffnung der Bibliothek


Die Definition von Genozid
 
In seinem großen Werk „Axis Rule“ überführt er 1944 die polnische Bezeichnung mit Rückgriff auf das griechische „genos“ („Volk“) und das lateinische „caedere“ („töten“) in den neuen Begriff „genocide“. Die Definition von Genozid, Völkermord entwickelt er vor allem  entlang der konkreten Verbrechen gegen die Armenier und die europäischen Juden. 1945
wird er für die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zum Assistenten des US-amerikanischen Chef-Anklägers Robert H. Jackson berufen und hofft, dass der Begriff Genozid in internationale Strafrechte aufgenommen wird. Gegen Ende der Nürnberger Urteilsverkündigungen beschließt die junge UNO 1946, eine Konvention zu Völkermord zu verabschieden. Raphael Lemkin erarbeitet mit zwei anderen Juristen einen Entwurf für eine Genozid-Konvention, die 1948 von der UNO-Generalversammlung ohne Gegenstimme verabschiedet wird.
 
Während dieser intensiven Arbeit wird Raphael Lemkin immer dünner und blasser und verwahrlost schließlich. Er lebt in einer Ein-Zimmer Wohnung, hat keine feste Anstellung und lehrt nur noch als Gastdozent an der Yale Law School in New York. Schließlich wird er krank, bis er am 28. August 1959 an einem Herzanfall stirbt. Sieben Menschen nehmen an seiner Beerdigung teil, ein Grabstein muss gespendet werden, doch unter seinem Namen steht die Inschrift: „Father of the Genocide Convention“.
 
Die letzte halbe Stunde der Veranstaltung gestalteten Michael Goldort (Gitarre) und Prof. Igor Epstein (Geige) von der „Akademie für Weltmusik, Klezmer und Ästhetik“ mit russisch-jüdischer Musik. Zu jedem Musikstück erzählte Igor Epstein auf sehr humorvolle Weise die Entstehungsgeschichte oder wovon das Musikstück handelt. Das Publikum war begeistert und die Musikanten bekamen viel Applaus. (PK)

Online-Flyer Nr. 127  vom 02.01.2008



Startseite           nach oben