SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Literatur
Werk und Leben der iranischen Lyrikerin Forough Farrochsad
„Der Vogel ist sterblich“
Von Gerrit Wustmann
Im Gegensatz zum europäischen Raum, wo die Lyrik kaum mehr als ein literarisches Nischendasein fristet, steht sie im Iran, wie auch in vielen Ländern des arabischen Raums, bis heute als die vollkommenste Form geistigen Ausdrucks. Nicht zuletzt diese Tatsache dürfte einer der Gründe dafür sein, dass Forough Farrochsads Texte trotz staatlichen Verbots bis in die Gegenwart hinein munter gelesen, auswendig gelernt und weitererzählt werden. „Behalte den Flug im Gedächtnis! / Der Vogel ist sterblich.“ Diese zwei Verse, die Übersetzer Kurt Scharf als Motto voranstellt, geben die Grundhaltung der Autorin klar wieder. Scharf übersetzte den Band „Jene Tage“, der in der Bibliothek Suhrkamp erschien.
„Der Vogel ist sterblich“
Mein Herz ist bedrückt
Mein Herz ist bedrückt,
ich trete auf den Balkon
und meine Finger streichen über die
gespannte Haut der Nacht.
Die Lampen der Beziehung sind erloschen.
Die Lampen der Beziehung sind erloschen.
Niemand wird mich der sonne vorstellen
Niemand wird mich
zu dem Gastmählern der Spatzen mitnehmen.
Behalte den Flug im Gedächtnis
der Vogel ist sterblich.

Forugh Farrokhzad als junge Frau
Foto: privat
Im Januar 1935 geboren, wuchs sie in einer Familie der oberen Mittelschicht auf, die durch den Offiziersberuf des Vaters unter dem Schutz der Militärdiktatur stand. Und obwohl der Vater das autoritäre Gehabe der Militärakademie in die Familie trug, war er andererseits ein gebildeter Mann, der den Kindern – Forough, ihrer Schwester und ihren vier Brüdern – schon vor der Einschulung Lesen und Schreiben beibrachte. Bereits auf der Mädchenoberschule schrieb Forough Farrochsad, orientiert an der klassischen persischen Literatur, erste Ghaselen. Ebenso wie Hedayat war sie ihr Leben lang nicht nur Autorin, sondern auch Malerin. Und bevor sie sich immer mehr der Literatur hingab, studierte sie Modedesign. Im Alter von 16 Jahren heiratete sie ihren fast doppelt so alten Vetter Parwis Shahpur. Ihr Mann, der selbst kleine Satiren schrieb, ermutigte sie, ihre ersten kleinen Veröffentlichungen in Zeitungen zu publizieren.
Nach nur vier Jahren zerbrach die Ehe; Farrochsad ließ ihren Mann und den gemeinsamen Sohn zurück und zog nach Teheran. Bezeichnend ist dieser radikale Ausbruch aus den gesellschaftlichen Normen und Traditionen, der sich einheitlich durch ihr Leben wie ihre Kunst zog. Zwar litt sie bis zu ihrem Tod unter der Trennung von ihrem Sohn, doch hatte sie die Entscheidung bewusst getroffen, sich gegen die Gesellschaft und für die Kunst entschieden:
„Ich aber hab verwirrt und tief bedrückt
Den Weg der Sehnsucht eingeschlagen
Der Vers ist mein Gefährte, mein Geliebter
Um seinetwillen muss ich alles wagen.“

Die staatliche Presse versuchte, ihren Lebenswandel mit einer Klatschkampagne in den Schmutz zu ziehen. Ihre Europareise 1957 und die anschließend häufig wechselnden Liebschaften trugen massiv zur öffentlichen Verurteilung ihres Lebensstils bei. In einem Nachwort zu einer Neuauflage ihres ersten Gedichtbandes „Gefangen“ forderte sie für sich als Frau das Recht ein, ebenso offen über ihre Gefühle und Moralvorstellungen schreiben zu dürfen wie ein Mann.
Stilleben von Forugh Farrokhzad
Die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte sie mit dem Schriftsteller Ebrahim Golestan Dieser war aber verheiratet und hatte zwei Kinder. In dieser Zeit litt Forough immer wieder unter Depressionen, da sie stets nur die zweite Frau in seinem Leben blieb – eine Beziehung, die sie in ihrem Gedichtband „Wiedergeburt“ thematisierte. „Kein Fischer wird je in einem kläglichen Rinnsal, /das in eine Sickergrube fließt, eine Perle finden“ heißt es dort, und: „Mein ganzes Sein ist wie ein dunkler Spruch / Der dich in sich wiederholend / Zum Morgengrauen ewigen Erblühens und Gedeihens tragen wird“.

Durch Golestan erweiterte sie aber auch ihre Arbeit in Richtung Film. Als Cutterin und gelegentlich auch als Darstellerin beteiligte sie sich an seinen Werken; Anfang 1960 studierte sie in England Film und drehte 1964 den Streifen „Das Haus ist schwarz“, der mit dem Oberhausener Kurzfilmpreis ausgezeichneten wurde. Forough Farrochsad war ein Multitalent, die erste persische Lyrikerin, die national und international Bedeutung erlangte. Ihr Leben aber blieb unstet und relativ ungebunden, was für eine in der Öffentlichkeit stehende Frau in Iran als skandalös galt.
Forough Farrochsad starb im Februar 1967 in Teheran bei einem Autounfall. Ihre literarische Wirkung und Bedeutung hat bis heute Bestand. Diese Bedeutung besteht nicht nur aufgrund ihres modernen Stils, sondern auch aufgrund ihrer Versuche, in einer konservativ geprägten Gesellschaft zumindest in der Kunst eine Gleichstellung von Mann und Frau zu erwirken. (CH)
Online-Flyer Nr. 128 vom 09.01.2008
Werk und Leben der iranischen Lyrikerin Forough Farrochsad
„Der Vogel ist sterblich“
Von Gerrit Wustmann
Im Gegensatz zum europäischen Raum, wo die Lyrik kaum mehr als ein literarisches Nischendasein fristet, steht sie im Iran, wie auch in vielen Ländern des arabischen Raums, bis heute als die vollkommenste Form geistigen Ausdrucks. Nicht zuletzt diese Tatsache dürfte einer der Gründe dafür sein, dass Forough Farrochsads Texte trotz staatlichen Verbots bis in die Gegenwart hinein munter gelesen, auswendig gelernt und weitererzählt werden. „Behalte den Flug im Gedächtnis! / Der Vogel ist sterblich.“ Diese zwei Verse, die Übersetzer Kurt Scharf als Motto voranstellt, geben die Grundhaltung der Autorin klar wieder. Scharf übersetzte den Band „Jene Tage“, der in der Bibliothek Suhrkamp erschien.
Mein Herz ist bedrückt
Mein Herz ist bedrückt,
ich trete auf den Balkon
und meine Finger streichen über die
gespannte Haut der Nacht.
Die Lampen der Beziehung sind erloschen.
Die Lampen der Beziehung sind erloschen.
Niemand wird mich der sonne vorstellen
Niemand wird mich
zu dem Gastmählern der Spatzen mitnehmen.
Behalte den Flug im Gedächtnis
der Vogel ist sterblich.

Forugh Farrokhzad als junge Frau
Foto: privat
Nach nur vier Jahren zerbrach die Ehe; Farrochsad ließ ihren Mann und den gemeinsamen Sohn zurück und zog nach Teheran. Bezeichnend ist dieser radikale Ausbruch aus den gesellschaftlichen Normen und Traditionen, der sich einheitlich durch ihr Leben wie ihre Kunst zog. Zwar litt sie bis zu ihrem Tod unter der Trennung von ihrem Sohn, doch hatte sie die Entscheidung bewusst getroffen, sich gegen die Gesellschaft und für die Kunst entschieden:
„Ich aber hab verwirrt und tief bedrückt
Den Weg der Sehnsucht eingeschlagen
Der Vers ist mein Gefährte, mein Geliebter
Um seinetwillen muss ich alles wagen.“

Stilleben von Forugh Farrokhzad
Die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte sie mit dem Schriftsteller Ebrahim Golestan Dieser war aber verheiratet und hatte zwei Kinder. In dieser Zeit litt Forough immer wieder unter Depressionen, da sie stets nur die zweite Frau in seinem Leben blieb – eine Beziehung, die sie in ihrem Gedichtband „Wiedergeburt“ thematisierte. „Kein Fischer wird je in einem kläglichen Rinnsal, /das in eine Sickergrube fließt, eine Perle finden“ heißt es dort, und: „Mein ganzes Sein ist wie ein dunkler Spruch / Der dich in sich wiederholend / Zum Morgengrauen ewigen Erblühens und Gedeihens tragen wird“.

Forough Farrochsad starb im Februar 1967 in Teheran bei einem Autounfall. Ihre literarische Wirkung und Bedeutung hat bis heute Bestand. Diese Bedeutung besteht nicht nur aufgrund ihres modernen Stils, sondern auch aufgrund ihrer Versuche, in einer konservativ geprägten Gesellschaft zumindest in der Kunst eine Gleichstellung von Mann und Frau zu erwirken. (CH)
Online-Flyer Nr. 128 vom 09.01.2008