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Interview mit Josef Angenfort, genannt Jupp, ehemals Funktionär der KPD
Vier Jahre und vier Monate Haft
Von Wolfgang Bittner
Wolfgang Bittner: Sie sind in den 50er Jahren in die Kommunistische Partei Deutschlands eingetreten. War das bereits in Ihrer Kindheit vorhersehbar? Wie waren die Verhältnisse in Ihrem Elternhaus?
Jupp Angenfort: Ich stamme aus einem christlich-katholischen Elternhaus. Mein Vater war Mitglied der christlich-katholischen Arbeiterbewegung. Das sah so aus, dass ich jeden Sonntag - wie Katholiken das tun sollen - zur Kirche ging. Als ich acht Jahre alt war, wurde ich folgerichtig mit großem Einverständnis meiner Eltern Mitglied der Sankt-Georgs-Pfadfinder, einer christlichen Jugendorganisation, und ich habe mich da außerordentlich wohl gefühlt.
Es war für mich ein Schock, als die Nazis 1935 diese Organisation verboten haben. Meine Eltern waren aus religiösen Motiven gegen die Nazis. Mein Vater sagte immer: "Vor Gott sind alle Menschen gleich." Deswegen war er gegen die Verfolgung Andersdenkender, insbesondere gegen die sich später entwickelnde Verfolgung der Juden. Meine Eltern hatten auch antikommunistische Vorbehalte, die sich natürlich auf mich übertrugen.
Sie wurden damals Mitglied der Hitlerjugend. Wie ist das zu erklären?
Jupp Angenfort auf dem Ostermarsch
Foto: Arbeiterfotografie
1937 nahm mich mein Klassenlehrer, ein sehr verständnisvoller Mann, beiseite und sagte: "Hör mal, ich kann dich nicht mehr zur Befreiung vom Schulgeld vorschlagen, wenn du nicht Mitglied der Hitlerjugend wirst. Sprich mal mit deinen Eltern." Das habe ich meinen Eltern erzählt, und sie sind zum Pastor gegangen, um sich Rat zu holen. Das Ergebnis war, dass ich 1937 tatsächlich Mitglied der Hitlerjugend geworden bin.
Wie war, abgesehen von der christlichen Orientierung, Ihr familiäres Umfeld?
Mein Vater war aktiver Sympathisant des Zentrums, dieser im Grunde genommen konservativen Partei, die von den Nazis verboten und aufgelöst wurde. Er beteiligte sich an den Aktivitäten dieser Partei, ging also zu den Versammlungen. Er war Schmied und Schlosser, das hatte er gelernt, und er ging später zur Reichsbahn. Ich hatte noch vier Geschwister, und schon in meiner Jugendzeit habe ich soziale Probleme kennengelernt, denn mein zehn Jahre älterer Bruder war insgesamt fünf Jahre arbeitslos
Sie konnten aber auf ein Gymnasium gehen.
Ja, ich habe dank der Fürsorge meiner Eltern eine gute Schulausbildung bekommen, das war auf der Oberschule für Jungen in Düsseldorf. Dort habe ich 1942 das Abitur machen können.
Sie sind mitten im Krieg Soldat geworden. Wie standen Sie damals zur nationalsozialistischen Ideologie?
Natürlich hat die Schule sehr auf mich eingewirkt, so dass nationalsozialistische Einflüsse für mich eine Rolle spielten, zum Beispiel die Lebensraum-Theorie. Als ich Soldat wurde, stand ich auf dem Standpunkt: Die Nazis mögen ja unangenehme Leute sein, aber der Krieg ist nun mal da, und wir müssen sehen, dass wir möglichst gut herauskommen.
Wo waren Sie als Soldat stationiert?
1942 bin ich zuerst zum Arbeitsdienst, danach zur Armee gekommen, und zwar als Besatzungssoldat nach Belgien. Als ich einen kurzen Urlaub hatte, habe ich die Auswirkungen des Luftangriffs auf Düsseldorf erlebt; meine Eltern sind damals ausgebombt worden. Im Juli 1943 kam ich an die Ostfront zu einem Truppenteil, der den Belagerungsring um Leningrad nach Osten abschirmte.
Sie gerieten in russische Kriegsgefangenschaft. Wie haben Sie das erlebt?
Rede vor dem Industrieclub in Düsseldorf
Foto: Arbeiterfotografie
Am 7. Oktober 1943 wurde ich bei einem russischen Stoßtruppunternehmen gefangen genommen. Das war eine wilde Sache, denn ich habe mich kräftig gewehrt, weil Gefangenschaft überhaupt nicht in meinem Kopf war und ich natürlich Angst hatte, dass ich erschossen werde. Aber die Tatsachen haben mich eines Besseren belehrt: Ich wurde als Kriegsgefangener korrekt behandelt. Erstaunlich und beeindruckend war für mich, dass am zweiten Tag ein russischer Soldat zu mir kam, der ganz gut deutsch sprach; er wollte sich mit mir über Feuerbach unterhalten. Ich dachte, über den Maler Anselm Feuerbach, aber er meinte den Philosophen Ludwig Feuerbach, der auf Marx und Engels großen Einfluss hatte. Noch ein anderes Ereignis hat mich in diesen ersten Tagen der Gefangenschaft stark beeindruckt. Ein russischer Major, der offenbar die Mentalität deutscher Soldaten kennenlernen wollte, unterhielt sich mit mir, und am Ende des Gesprächs gab er mir die Hand mit den Worten: "Sie haben jetzt in den Augen der Nazis etwas ganz Furchtbares getan, Sie haben einem Juden die Hand gegeben. Ich komme aus Kiew und meine Frau ist, nur weil sie Jüdin war, von den Deutschen erschossen worden."
Sie bekamen dann Kontakt zu Gefangenen, die sich gegen Hitler-Deutschland wandten.
In dem Lager Tscherepowez, in das ich kam, war ein recht aktives politisches Leben, vor allem geprägt durch das Nationalkomitee Freies Deutschland. Ich ging zu den Versammlungen, war einverstanden und habe mich, da ich inzwischen von den Nazis innerlich weitgehend abgerückt war, im Dezember 1943 dem Nationalkomitee angeschlossen. Es sollte erreicht werden, dass die deutsche Wehrmacht, in der damaligen Zeit die einzige noch zu einer wirkungsvollen politischen Opposition fähige Kraft, den Krieg stoppt, Hitler beseitigt und in Verhandlungen mit den Alliierten eintritt mit dem Ziel, dass Frieden geschlossen wird und ein freies, unabhängiges, demokratisches Deutschland entstehen kann.
Wie hat sich dieser innere Wandlungsprozess bei Ihnen vollzogen? Das kam doch sicherlich nicht von heut auf morgen.
Ich habe in der Gefangenschaft zunächst einmal die Reden gelesen, die auf den Parteitagen der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gehalten worden sind, davon allerdings nur den außenpolitischen Teil. Und ich war überrascht, wie richtig und weitblickend die Beurteilung Hitler-Deutschlands, insbesondere im Hinblick auf die Zukunft war. In diesen Reden von 1934 bis 1936 wurde gesagt, dass Deutschland einen Krieg gegen die Sowjetunion vorbereite, und zugleich hieß es, dass ein solcher Krieg mit der Niederlage Deutschlands enden würde und dass sich dann die Welt nicht wundern sollte, wenn einige Regierungen nicht mehr existierten. Das hat mich überzeugt, denn ich konnte ja nun sagen: Dort waren keine Phrasen gedroschen, sondern sachliche Voraussagen gemacht worden, die sich historisch als richtig erwiesen.
Wurden nicht auch Schulungen angeboten?
Als ich etwa ein halbes Jahr in Gefangenschaft war, wurde ich von den Leuten des Nationalkomitees Freies Deutschland gefragt, ob ich bereit wäre, eine antifaschistische Schule zu besuchen. Ich habe zugestimmt. Das Hauptthema, mit dem wir uns beschäftigten, war: Wie kann erreicht werden, das Hitler-Regime zu überwinden und ein friedliches, demokratisches Deutschland entstehen zu lassen. Es wurde aber auch über die Geschichte Russlands und der Sowjetunion gesprochen und in diesem Zusammenhang über den Marxismus. Darüber habe ich auf der Schule eine Menge gehört und gelesen.
Wie lange hat das gedauert?
Insgesamt war ich sechs Jahre in Kriegsgefangenschaft. Danach bin ich nach Düsseldorf zurückgekehrt, gesund, wenn auch mager, das war im Dezember 1949. Und im Januar 1950 habe ich meine Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei Deutschlands beantragt, bei der Freien Deutschen Jugend und bei der Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen, der ich nun, in Gestalt von ver.di, seit fünfeinhalb Jahrzehnten angehöre.
Sie haben dann eine Familie gegründet und angefangen politisch zu arbeiten.
Ja, 1951 habe ich geheiratet; wir haben zwei Kinder, die natürlich schon groß sind, und ich habe auch Enkelkinder. In der ersten Zeit war ich recht aktiv in der Freien Deutschen Jugend. Ich habe zum Beispiel dazu beigetragen, dass Helgoland nicht weiter durch britische und amerikanische Bombenzielübungen zerstört wurde oder dass der Exgeneral von Manteuffel, der sich im Februar 1950 im ehemaligen Düsseldorfer Gewerkschaftshaus an die Frontgeneration wenden wollte, nicht sprechen konnte. Aufgrund dieser Aktivitäten wurde ich im Herbst 1950 zum Leiter des Zentralbüros der Freien Deutschen Jugend Westdeutschlands gewählt.
Sie haben auch für den nordrhein-westfälischen Landtag kandidiert.
Richtig, 1950 waren Landtagswahlen, zu denen ich angetreten bin. Aber in den Landtag kam ich erst 1951 als Nachrücker. Bis 1954 war ich dann Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Ich wurde außerdem Mitglied des Präsidiums und des Sekretariats der KPD.
Damals ist doch eine ganz seltsame Sache passiert: Sie wurden von der Straße weg verhaftet.
Ja, am 12. März 1953 war ich vormittags in der Nähe des Duisburger Zoos auf der Mühlheimer Straße zu Fuß unterwegs, als plötzlich ein Auto scharf bremsend neben mir hielt. Heraus sprangen drei Männer, die mich in das Auto zerrten. Ich habe gedacht, das seien Leute des Bundes Deutscher Jugend, einer Gruppierung, die wir heute als rechtsextremistische terroristische Organisation bezeichnen würden. Deswegen habe ich laut geschrieen: "Hilfe, Menschenraub! Hier wird ein Landtagsabgeordneter entführt!" Tatsächlich haben sich Passanten das Kennzeichen des Autos gemerkt und bei der Polizei angerufen, aber sie bekamen zur Antwort: "Bewahren Sie Stillschweigen, das ist eine Polizeiaktion." Ich war also als Landtagsabgeordneter unter Bruch meiner Immunität verhaftet und zum Polizeipräsidium gebracht worden.
Wusste die Polizei nicht, dass Sie Landtagsabgeordneter waren?
Doch. In dem Haftbefehl, den mir ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs namens Dr. Clauss vorlas, hieß es, dass die Vollstreckung nicht dadurch beeinträchtigt werde, dass ich Mitglied des Landtages sei. Ich war anschließend zwei Jahre in Untersuchungshaft in Münster und in Essen. Im Verlauf dieser Haft war ich vier Wochen auf freiem Fuß mit der Auflage, mich polizeilich zu melden, denn in dieser Zeit war Landtagswahlkampf und ich kandidiert für die KPD. Vierzehn Tage nach den Wahlen wurde ich erneut verhaftet, blieb wiederum in Untersuchungshaft, bis im April 1955 mein Prozess vor dem Bundesgerichtshof stattfand. Ich wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, weil ich Leiter der FDJ war; das wurde als Vorbereitung zum Hochverrat ausgelegt. Von den zwei Jahren U-Haft wurde mir ein halbes Jahr nicht angerechnet, so dass ich fünfeinhalb Jahre Strafe hatte. Außerdem wurden mir die bürgerlichen Ehrenrechte auf fünf Jahre aberkannt und nach der Entlassung - so stand es im Urteil - war Polizeiaufsicht zulässig.
Wie haben Sie diese Zuchthausstrafe verbracht?
'Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!'
Foto: Arbeiterfotografie
Das Zuchthaus Münster hatte den Auftrag abzuschrecken. Deswegen war dort ein strengeres Regime als in anderen Zuchthäusern. Im ersten halben Jahr gab es überhaupt keinen Verdienst; man musste zwar arbeiten, bekam aber nichts dafür. Was man später verdiente, kam auf das persönliche Konto bei der Anstalt. Ich hatte im ersten halben Jahr auch nicht das Recht ein Buch zu bekommen; ich durfte - und das galt für die gesamte Zuchthausstrafe - keine Tageszeitung halten. Besuch wurde laut Anstaltsordnung nur alle zwei Monate genehmigt, einen Brief zu schreiben alle vier Wochen. Meine Frau ist deswegen zum Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Rudolf Amelunxen, gegangen, der vor 1933 Regierungspräsident in Münster gewesen und von den Nazis aus dem Amt gejagt worden war. Dr. Amelunxen hat durch einen Erlass diese genannten Anordnungen aufgehoben, und er hat noch etwas getan, was meiner Familie sehr geholfen hat. Ich erhielt nämlich, als ich bereits drei Monat im Zuchthaus war, vom Generalbundesanwalt eine Rechnung über rund 10.000 Mark. Das waren Gerichtskosten, Transportkosten, Zeugengelder und Haftkosten, letztere schon bis auf das Ende der fünfjährigen Zuchthausstrafe vorausberechnet. Diese Rechnung endete mit den Worten: "Zu zahlen bei der Gerichtskasse, ansonsten erfolgt Pfändung." 10.000 Mark waren damals sehr viel Geld, das wir natürlich nicht hatten. Meine Frau hat diese Rechnung dem Justizminister gezeigt. Dr. Amelunxen hat sich eine Kopie machen lassen und meiner Frau gesagt: "Von dieser Rechnung werden Sie nie mehr etwas hören." Und so war es dann auch.
Wie ist denn Ihre Verhaftung und Bestrafung in der deutschen Öffentlichkeit aufgenommen worden? Das muss doch publik geworden sein.
Es gab eine große Solidarität und ich erhielt außerordentlich viel Post. Sie wurde mir in den ersten acht Tagen auch noch ausgehändigt, danach auf Anordnung des Generalbundesanwalts nicht mehr. Meine Post wurde - bis auf die meiner nächsten Angehörigen, die man mir gab - auf Lager genommen. Erst bei der Entlassung bekam ich vier große Persilkartons gefüllt mit der Solidaritätspost.
Was haben Sie nach Ihrer Entlassung aus dem Zuchthaus gemacht?
Ich habe sofort Kontakt zur Kommunistischen Partei Deutschlands aufgenommen, die inzwischen verboten worden war, und bin dann im Jahre 1962 erneut verhaftet worden, das war in München. Ich wurde ins Gefängnis Stadelheim eingeliefert. Diesmal hatte ich den festen Vorsatz, bei günstiger Gelegenheit zu fliehen, weil ich außer meiner Reststrafe noch eine neue Strafe zu erwarten hatte. Die günstige Gelegenheit ergab sich, als ich vom Gefängnis zum Richter ins Justizgebäude München gebracht wurde, wo mir ein neuer Haftbefehl eröffnet wurde. Auf dem Rückweg vom Justizgebäude zum Gefängniswagen konnte ich aus der Fesselung herausschlüpfen und erfolgreich entfliehen.
Ihrer Biographie ist zu entnehmen, dass Sie nach Ihrer Flucht in die DDR gegangen sind. Es war doch bestimmt nicht einfach, dorthin zu gelangen. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe mich zuerst in München zu einer Familie begeben, die Heimarbeit machte und von der ich wusste, dass sie immer zu Hause ist. Dort erhielt ich Geld, Hut und einen Mantel, so dass ich schon ein bisschen anders aussah. Anschließend wurde ich bei einer anderen Münchner Familie untergebracht, die nicht Mitglied der KPD war, und nach acht Tagen, als sich alles ein wenig beruhigt hatte, bin ich in verschiedenen Etappen im Kofferraum eines Personenwagen nach Österreich gebracht worden. Von dort aus habe ich mich in die Deutsche Demokratische Republik begeben, und zwar nach Berlin.
Können Sie vielleicht noch etwas zum KPD-Verbot sagen?
Die KPD ist am 16. August 1956 verboten worden; da war ich schon in Haft. Ungeachtet dieses Verbots, das übrigens immer noch aufrechterhalten bleibt, hatte sich im Jahre 1968 die Deutsche Kommunistische Partei, die DKP, gebildet, die bis heute besteht.
Sie sind dann nach einigen Jahren in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt.
Nachdem sich die DKP gebildet hatte, bin ich nach Düsseldorf zurückgegangen, habe mich beim Einwohneramt gemeldet und eine Verlängerung meines Ausweises beantragt. Daraufhin bekam ich vom Generalbundesanwalt die Aufforderung, mich am 30. Januar 1969 zur Verbüßung meiner Reststrafe von sieben Monaten ins Zuchthaus Lüttringhausen zu begeben. Das habe ich nicht getan, worauf ich ein paar Wochen darauf erneut verhaftet wurde. Aber es gab damals in der westdeutschen Öffentlichkeit eine große Empörung, denn das passte überhaupt nicht mehr ins politische Leben. Und eines Tages wurde ich vom Anstaltsleiter darüber informiert, dass der Bundespräsident - es war seinerzeit Lübke - mich zu begnadigen beabsichtigte. Ich wurde gefragt, ob ich damit einverstanden sei. Selbstverständlich habe ich abgelehnt, und zwar mit der Begründung, dass ich mich von einem Mann, der mit den Nazis zusammengearbeitet hat, nicht begnadigen lasse. Aber am nächsten Tag bekam ich die Nachricht, dass der Bundespräsident mich auch gegen meinen Willen begnadigen könne, und so wurde ich entlassen.
Haben Sie Ihre politische Arbeit nach der Haftentlassung fortgesetzt?
Ja, ich wurde 1988 zum Vorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Nordrhein-Westfalen gewählt. Heute gehört mein politisches Engagement immer noch dieser Organisation, also der Bekämpfung des Neonazismus. Es hat da immer eine Doppelaufgabe gegeben: Einmal die Betreuung der Opfer des Faschismus; und zweitens wollten wir dazu beitragen, dass es nie mehr Faschismus und Krieg gibt. Am klarsten kommt das in dem Schwur der Häftlinge von Buchenwald zum Ausdruck, die sich bekanntlich im April 1945 selbst befreit und auf dem Appellplatz des Konzentrationslagers geschworen haben: "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!"
Interviewer Wolfgang Bittner
Foto: NRhZ-Archiv
Der Filmclip zum Interview in dieser Ausgabe
Nähere Informationen über die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten unter:
www.nrw.vvn-bda.de
Online-Flyer Nr. 27 vom 17.01.2006
Interview mit Josef Angenfort, genannt Jupp, ehemals Funktionär der KPD
Vier Jahre und vier Monate Haft
Von Wolfgang Bittner
Wolfgang Bittner: Sie sind in den 50er Jahren in die Kommunistische Partei Deutschlands eingetreten. War das bereits in Ihrer Kindheit vorhersehbar? Wie waren die Verhältnisse in Ihrem Elternhaus?
Jupp Angenfort: Ich stamme aus einem christlich-katholischen Elternhaus. Mein Vater war Mitglied der christlich-katholischen Arbeiterbewegung. Das sah so aus, dass ich jeden Sonntag - wie Katholiken das tun sollen - zur Kirche ging. Als ich acht Jahre alt war, wurde ich folgerichtig mit großem Einverständnis meiner Eltern Mitglied der Sankt-Georgs-Pfadfinder, einer christlichen Jugendorganisation, und ich habe mich da außerordentlich wohl gefühlt.
Es war für mich ein Schock, als die Nazis 1935 diese Organisation verboten haben. Meine Eltern waren aus religiösen Motiven gegen die Nazis. Mein Vater sagte immer: "Vor Gott sind alle Menschen gleich." Deswegen war er gegen die Verfolgung Andersdenkender, insbesondere gegen die sich später entwickelnde Verfolgung der Juden. Meine Eltern hatten auch antikommunistische Vorbehalte, die sich natürlich auf mich übertrugen.
Sie wurden damals Mitglied der Hitlerjugend. Wie ist das zu erklären?
Jupp Angenfort auf dem Ostermarsch
Foto: Arbeiterfotografie
1937 nahm mich mein Klassenlehrer, ein sehr verständnisvoller Mann, beiseite und sagte: "Hör mal, ich kann dich nicht mehr zur Befreiung vom Schulgeld vorschlagen, wenn du nicht Mitglied der Hitlerjugend wirst. Sprich mal mit deinen Eltern." Das habe ich meinen Eltern erzählt, und sie sind zum Pastor gegangen, um sich Rat zu holen. Das Ergebnis war, dass ich 1937 tatsächlich Mitglied der Hitlerjugend geworden bin.
Wie war, abgesehen von der christlichen Orientierung, Ihr familiäres Umfeld?
Mein Vater war aktiver Sympathisant des Zentrums, dieser im Grunde genommen konservativen Partei, die von den Nazis verboten und aufgelöst wurde. Er beteiligte sich an den Aktivitäten dieser Partei, ging also zu den Versammlungen. Er war Schmied und Schlosser, das hatte er gelernt, und er ging später zur Reichsbahn. Ich hatte noch vier Geschwister, und schon in meiner Jugendzeit habe ich soziale Probleme kennengelernt, denn mein zehn Jahre älterer Bruder war insgesamt fünf Jahre arbeitslos
Sie konnten aber auf ein Gymnasium gehen.
Ja, ich habe dank der Fürsorge meiner Eltern eine gute Schulausbildung bekommen, das war auf der Oberschule für Jungen in Düsseldorf. Dort habe ich 1942 das Abitur machen können.
Sie sind mitten im Krieg Soldat geworden. Wie standen Sie damals zur nationalsozialistischen Ideologie?
Natürlich hat die Schule sehr auf mich eingewirkt, so dass nationalsozialistische Einflüsse für mich eine Rolle spielten, zum Beispiel die Lebensraum-Theorie. Als ich Soldat wurde, stand ich auf dem Standpunkt: Die Nazis mögen ja unangenehme Leute sein, aber der Krieg ist nun mal da, und wir müssen sehen, dass wir möglichst gut herauskommen.
Wo waren Sie als Soldat stationiert?
1942 bin ich zuerst zum Arbeitsdienst, danach zur Armee gekommen, und zwar als Besatzungssoldat nach Belgien. Als ich einen kurzen Urlaub hatte, habe ich die Auswirkungen des Luftangriffs auf Düsseldorf erlebt; meine Eltern sind damals ausgebombt worden. Im Juli 1943 kam ich an die Ostfront zu einem Truppenteil, der den Belagerungsring um Leningrad nach Osten abschirmte.
Sie gerieten in russische Kriegsgefangenschaft. Wie haben Sie das erlebt?
Rede vor dem Industrieclub in Düsseldorf
Foto: Arbeiterfotografie
Am 7. Oktober 1943 wurde ich bei einem russischen Stoßtruppunternehmen gefangen genommen. Das war eine wilde Sache, denn ich habe mich kräftig gewehrt, weil Gefangenschaft überhaupt nicht in meinem Kopf war und ich natürlich Angst hatte, dass ich erschossen werde. Aber die Tatsachen haben mich eines Besseren belehrt: Ich wurde als Kriegsgefangener korrekt behandelt. Erstaunlich und beeindruckend war für mich, dass am zweiten Tag ein russischer Soldat zu mir kam, der ganz gut deutsch sprach; er wollte sich mit mir über Feuerbach unterhalten. Ich dachte, über den Maler Anselm Feuerbach, aber er meinte den Philosophen Ludwig Feuerbach, der auf Marx und Engels großen Einfluss hatte. Noch ein anderes Ereignis hat mich in diesen ersten Tagen der Gefangenschaft stark beeindruckt. Ein russischer Major, der offenbar die Mentalität deutscher Soldaten kennenlernen wollte, unterhielt sich mit mir, und am Ende des Gesprächs gab er mir die Hand mit den Worten: "Sie haben jetzt in den Augen der Nazis etwas ganz Furchtbares getan, Sie haben einem Juden die Hand gegeben. Ich komme aus Kiew und meine Frau ist, nur weil sie Jüdin war, von den Deutschen erschossen worden."
Sie bekamen dann Kontakt zu Gefangenen, die sich gegen Hitler-Deutschland wandten.
In dem Lager Tscherepowez, in das ich kam, war ein recht aktives politisches Leben, vor allem geprägt durch das Nationalkomitee Freies Deutschland. Ich ging zu den Versammlungen, war einverstanden und habe mich, da ich inzwischen von den Nazis innerlich weitgehend abgerückt war, im Dezember 1943 dem Nationalkomitee angeschlossen. Es sollte erreicht werden, dass die deutsche Wehrmacht, in der damaligen Zeit die einzige noch zu einer wirkungsvollen politischen Opposition fähige Kraft, den Krieg stoppt, Hitler beseitigt und in Verhandlungen mit den Alliierten eintritt mit dem Ziel, dass Frieden geschlossen wird und ein freies, unabhängiges, demokratisches Deutschland entstehen kann.
Wie hat sich dieser innere Wandlungsprozess bei Ihnen vollzogen? Das kam doch sicherlich nicht von heut auf morgen.
Ich habe in der Gefangenschaft zunächst einmal die Reden gelesen, die auf den Parteitagen der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gehalten worden sind, davon allerdings nur den außenpolitischen Teil. Und ich war überrascht, wie richtig und weitblickend die Beurteilung Hitler-Deutschlands, insbesondere im Hinblick auf die Zukunft war. In diesen Reden von 1934 bis 1936 wurde gesagt, dass Deutschland einen Krieg gegen die Sowjetunion vorbereite, und zugleich hieß es, dass ein solcher Krieg mit der Niederlage Deutschlands enden würde und dass sich dann die Welt nicht wundern sollte, wenn einige Regierungen nicht mehr existierten. Das hat mich überzeugt, denn ich konnte ja nun sagen: Dort waren keine Phrasen gedroschen, sondern sachliche Voraussagen gemacht worden, die sich historisch als richtig erwiesen.
Wurden nicht auch Schulungen angeboten?
Als ich etwa ein halbes Jahr in Gefangenschaft war, wurde ich von den Leuten des Nationalkomitees Freies Deutschland gefragt, ob ich bereit wäre, eine antifaschistische Schule zu besuchen. Ich habe zugestimmt. Das Hauptthema, mit dem wir uns beschäftigten, war: Wie kann erreicht werden, das Hitler-Regime zu überwinden und ein friedliches, demokratisches Deutschland entstehen zu lassen. Es wurde aber auch über die Geschichte Russlands und der Sowjetunion gesprochen und in diesem Zusammenhang über den Marxismus. Darüber habe ich auf der Schule eine Menge gehört und gelesen.
Wie lange hat das gedauert?
Insgesamt war ich sechs Jahre in Kriegsgefangenschaft. Danach bin ich nach Düsseldorf zurückgekehrt, gesund, wenn auch mager, das war im Dezember 1949. Und im Januar 1950 habe ich meine Mitgliedschaft bei der Kommunistischen Partei Deutschlands beantragt, bei der Freien Deutschen Jugend und bei der Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen, der ich nun, in Gestalt von ver.di, seit fünfeinhalb Jahrzehnten angehöre.
Sie haben dann eine Familie gegründet und angefangen politisch zu arbeiten.
Ja, 1951 habe ich geheiratet; wir haben zwei Kinder, die natürlich schon groß sind, und ich habe auch Enkelkinder. In der ersten Zeit war ich recht aktiv in der Freien Deutschen Jugend. Ich habe zum Beispiel dazu beigetragen, dass Helgoland nicht weiter durch britische und amerikanische Bombenzielübungen zerstört wurde oder dass der Exgeneral von Manteuffel, der sich im Februar 1950 im ehemaligen Düsseldorfer Gewerkschaftshaus an die Frontgeneration wenden wollte, nicht sprechen konnte. Aufgrund dieser Aktivitäten wurde ich im Herbst 1950 zum Leiter des Zentralbüros der Freien Deutschen Jugend Westdeutschlands gewählt.
Sie haben auch für den nordrhein-westfälischen Landtag kandidiert.
Richtig, 1950 waren Landtagswahlen, zu denen ich angetreten bin. Aber in den Landtag kam ich erst 1951 als Nachrücker. Bis 1954 war ich dann Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Ich wurde außerdem Mitglied des Präsidiums und des Sekretariats der KPD.
Damals ist doch eine ganz seltsame Sache passiert: Sie wurden von der Straße weg verhaftet.
Ja, am 12. März 1953 war ich vormittags in der Nähe des Duisburger Zoos auf der Mühlheimer Straße zu Fuß unterwegs, als plötzlich ein Auto scharf bremsend neben mir hielt. Heraus sprangen drei Männer, die mich in das Auto zerrten. Ich habe gedacht, das seien Leute des Bundes Deutscher Jugend, einer Gruppierung, die wir heute als rechtsextremistische terroristische Organisation bezeichnen würden. Deswegen habe ich laut geschrieen: "Hilfe, Menschenraub! Hier wird ein Landtagsabgeordneter entführt!" Tatsächlich haben sich Passanten das Kennzeichen des Autos gemerkt und bei der Polizei angerufen, aber sie bekamen zur Antwort: "Bewahren Sie Stillschweigen, das ist eine Polizeiaktion." Ich war also als Landtagsabgeordneter unter Bruch meiner Immunität verhaftet und zum Polizeipräsidium gebracht worden.
Wusste die Polizei nicht, dass Sie Landtagsabgeordneter waren?
Doch. In dem Haftbefehl, den mir ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs namens Dr. Clauss vorlas, hieß es, dass die Vollstreckung nicht dadurch beeinträchtigt werde, dass ich Mitglied des Landtages sei. Ich war anschließend zwei Jahre in Untersuchungshaft in Münster und in Essen. Im Verlauf dieser Haft war ich vier Wochen auf freiem Fuß mit der Auflage, mich polizeilich zu melden, denn in dieser Zeit war Landtagswahlkampf und ich kandidiert für die KPD. Vierzehn Tage nach den Wahlen wurde ich erneut verhaftet, blieb wiederum in Untersuchungshaft, bis im April 1955 mein Prozess vor dem Bundesgerichtshof stattfand. Ich wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, weil ich Leiter der FDJ war; das wurde als Vorbereitung zum Hochverrat ausgelegt. Von den zwei Jahren U-Haft wurde mir ein halbes Jahr nicht angerechnet, so dass ich fünfeinhalb Jahre Strafe hatte. Außerdem wurden mir die bürgerlichen Ehrenrechte auf fünf Jahre aberkannt und nach der Entlassung - so stand es im Urteil - war Polizeiaufsicht zulässig.
Wie haben Sie diese Zuchthausstrafe verbracht?
'Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!'
Foto: Arbeiterfotografie
Das Zuchthaus Münster hatte den Auftrag abzuschrecken. Deswegen war dort ein strengeres Regime als in anderen Zuchthäusern. Im ersten halben Jahr gab es überhaupt keinen Verdienst; man musste zwar arbeiten, bekam aber nichts dafür. Was man später verdiente, kam auf das persönliche Konto bei der Anstalt. Ich hatte im ersten halben Jahr auch nicht das Recht ein Buch zu bekommen; ich durfte - und das galt für die gesamte Zuchthausstrafe - keine Tageszeitung halten. Besuch wurde laut Anstaltsordnung nur alle zwei Monate genehmigt, einen Brief zu schreiben alle vier Wochen. Meine Frau ist deswegen zum Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Rudolf Amelunxen, gegangen, der vor 1933 Regierungspräsident in Münster gewesen und von den Nazis aus dem Amt gejagt worden war. Dr. Amelunxen hat durch einen Erlass diese genannten Anordnungen aufgehoben, und er hat noch etwas getan, was meiner Familie sehr geholfen hat. Ich erhielt nämlich, als ich bereits drei Monat im Zuchthaus war, vom Generalbundesanwalt eine Rechnung über rund 10.000 Mark. Das waren Gerichtskosten, Transportkosten, Zeugengelder und Haftkosten, letztere schon bis auf das Ende der fünfjährigen Zuchthausstrafe vorausberechnet. Diese Rechnung endete mit den Worten: "Zu zahlen bei der Gerichtskasse, ansonsten erfolgt Pfändung." 10.000 Mark waren damals sehr viel Geld, das wir natürlich nicht hatten. Meine Frau hat diese Rechnung dem Justizminister gezeigt. Dr. Amelunxen hat sich eine Kopie machen lassen und meiner Frau gesagt: "Von dieser Rechnung werden Sie nie mehr etwas hören." Und so war es dann auch.
Wie ist denn Ihre Verhaftung und Bestrafung in der deutschen Öffentlichkeit aufgenommen worden? Das muss doch publik geworden sein.
Es gab eine große Solidarität und ich erhielt außerordentlich viel Post. Sie wurde mir in den ersten acht Tagen auch noch ausgehändigt, danach auf Anordnung des Generalbundesanwalts nicht mehr. Meine Post wurde - bis auf die meiner nächsten Angehörigen, die man mir gab - auf Lager genommen. Erst bei der Entlassung bekam ich vier große Persilkartons gefüllt mit der Solidaritätspost.
Was haben Sie nach Ihrer Entlassung aus dem Zuchthaus gemacht?
Ich habe sofort Kontakt zur Kommunistischen Partei Deutschlands aufgenommen, die inzwischen verboten worden war, und bin dann im Jahre 1962 erneut verhaftet worden, das war in München. Ich wurde ins Gefängnis Stadelheim eingeliefert. Diesmal hatte ich den festen Vorsatz, bei günstiger Gelegenheit zu fliehen, weil ich außer meiner Reststrafe noch eine neue Strafe zu erwarten hatte. Die günstige Gelegenheit ergab sich, als ich vom Gefängnis zum Richter ins Justizgebäude München gebracht wurde, wo mir ein neuer Haftbefehl eröffnet wurde. Auf dem Rückweg vom Justizgebäude zum Gefängniswagen konnte ich aus der Fesselung herausschlüpfen und erfolgreich entfliehen.
Ihrer Biographie ist zu entnehmen, dass Sie nach Ihrer Flucht in die DDR gegangen sind. Es war doch bestimmt nicht einfach, dorthin zu gelangen. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe mich zuerst in München zu einer Familie begeben, die Heimarbeit machte und von der ich wusste, dass sie immer zu Hause ist. Dort erhielt ich Geld, Hut und einen Mantel, so dass ich schon ein bisschen anders aussah. Anschließend wurde ich bei einer anderen Münchner Familie untergebracht, die nicht Mitglied der KPD war, und nach acht Tagen, als sich alles ein wenig beruhigt hatte, bin ich in verschiedenen Etappen im Kofferraum eines Personenwagen nach Österreich gebracht worden. Von dort aus habe ich mich in die Deutsche Demokratische Republik begeben, und zwar nach Berlin.
Können Sie vielleicht noch etwas zum KPD-Verbot sagen?
Die KPD ist am 16. August 1956 verboten worden; da war ich schon in Haft. Ungeachtet dieses Verbots, das übrigens immer noch aufrechterhalten bleibt, hatte sich im Jahre 1968 die Deutsche Kommunistische Partei, die DKP, gebildet, die bis heute besteht.
Sie sind dann nach einigen Jahren in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt.
Nachdem sich die DKP gebildet hatte, bin ich nach Düsseldorf zurückgegangen, habe mich beim Einwohneramt gemeldet und eine Verlängerung meines Ausweises beantragt. Daraufhin bekam ich vom Generalbundesanwalt die Aufforderung, mich am 30. Januar 1969 zur Verbüßung meiner Reststrafe von sieben Monaten ins Zuchthaus Lüttringhausen zu begeben. Das habe ich nicht getan, worauf ich ein paar Wochen darauf erneut verhaftet wurde. Aber es gab damals in der westdeutschen Öffentlichkeit eine große Empörung, denn das passte überhaupt nicht mehr ins politische Leben. Und eines Tages wurde ich vom Anstaltsleiter darüber informiert, dass der Bundespräsident - es war seinerzeit Lübke - mich zu begnadigen beabsichtigte. Ich wurde gefragt, ob ich damit einverstanden sei. Selbstverständlich habe ich abgelehnt, und zwar mit der Begründung, dass ich mich von einem Mann, der mit den Nazis zusammengearbeitet hat, nicht begnadigen lasse. Aber am nächsten Tag bekam ich die Nachricht, dass der Bundespräsident mich auch gegen meinen Willen begnadigen könne, und so wurde ich entlassen.
Haben Sie Ihre politische Arbeit nach der Haftentlassung fortgesetzt?
Ja, ich wurde 1988 zum Vorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Nordrhein-Westfalen gewählt. Heute gehört mein politisches Engagement immer noch dieser Organisation, also der Bekämpfung des Neonazismus. Es hat da immer eine Doppelaufgabe gegeben: Einmal die Betreuung der Opfer des Faschismus; und zweitens wollten wir dazu beitragen, dass es nie mehr Faschismus und Krieg gibt. Am klarsten kommt das in dem Schwur der Häftlinge von Buchenwald zum Ausdruck, die sich bekanntlich im April 1945 selbst befreit und auf dem Appellplatz des Konzentrationslagers geschworen haben: "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!"
Interviewer Wolfgang Bittner
Foto: NRhZ-Archiv
Der Filmclip zum Interview in dieser Ausgabe
Nähere Informationen über die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes -
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten unter:
www.nrw.vvn-bda.de
Online-Flyer Nr. 27 vom 17.01.2006