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„Zugesehen – mitgemacht – profitiert?“ – Teil 2
Jüdischer Unternehmer für Hitler: Paul Silverberg
Von Werner Rügemer
In kaum einer deutschen Grossstadt hat es die Bankiers- und Unternehmerelite so flächendeckend geschafft, ihre damalige Unterstützung für Hitler vor und nach 1933 und ihre Profite im „Dritten Reich“ bis heute so unsichtbar zu machen wie in Köln. Dabei spielt nicht nur der Verlag DuMont Schauberg („Kölner Stadt-Anzeiger“, „Express“, „Kölnische Rundschau“, „Radio Köln“ usw.) eine Rolle, der ab 1931 immer militanter die Kanzlerschaft Hitlers als Rettung vor dem „Kommunismus“ forderte und mit seinem Flaggschiff „Kölnische Zeitung“ dem NS-Regime bis zum bitteren Ende ein internationales und nationales Renommée verschaffte.
Kurt Neven DuMont – Verleger der Kölnischen
Zeitung | Foto: KAOS-Archiv
Nicht nur die eigene NS-Geschichte verdunkelt
Das heutige Medienimperium, zu dem inzwischen noch die „Mitteldeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“ und die israelische „Haaretz“ gehören, verdunkelt nicht nur seine eigene NS-Geschichte und übertüncht sie mit einer Widerstandslegende, sondern lässt dies auch anderen Kölner Unternehmen zuteil werden. Daneben sind die Kölner Industrie- und Handelskammer, die lokalen Arbeitgeberverbände, die beiden Grosskirchen und etwa die in der Stadt auch kulturell einflussreiche Bank Sal. Oppenheim bis heute mit Verdunkelungsarbeiten und Widerstandslegenden befasst.
Die korrekte Geschichtsdarstellung endlich nachzuholen ist notwendig – nicht nur aus historischen Gründen. Das neoliberale Gedankengut, das heute von den genannten Akteuren verbreitet wird, ist dem Gedankengut von „damals“, vor und nach 1933, sehr viel ähnlicher als ihnen lieb ist und als sie öffentlich eingestehen wollen und können.
KIZ-Titelbild aus dem Verlag M.DuMont Schauberg
Quelle: KAOS-Archiv
Der einflussreichste Industrielle des Rheinlands
Eine der tabuisierten Figuren ist Paul Silverberg. Er ist bis heute aus dem öffentlichen Gedächtnis ausradiert, obwohl er Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre der einflussreichste Industrielle des Rheinlands war. Er verkörpert eine besonders tabuisierte Gruppe: Er trat vor 1933 für Hitler ein, durfte aber nicht davon profitieren, sondern verlor (fast) alles.
Paul Silverberg – hoch geehrt
auf der homepage des Bed-
burger Geschichtsvereins
Quelle: www.geschichtsverein-
bedburg.de
Neuerdings gibt es eine umfangreiche Studie über diese unbekannte, wichtige und aufschlussreiche Persönlichkeit der Zeitgeschichte. Die Studie blieb weitgehend unbemerkt. Sie hat das Verdienst, sehr viele Informationen aus weit verstreuten Quellen erstmalig zusammenzutragen und stammt von Boris Gehlen: „Paul Silverberg (1876 – 1959). Ein Unternehmer.“ Und steht im Beiheft 194 der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart 2007, 606 Seiten, 78 Euro. Schon der Untertitel „Ein Unternehmer“ zeigt das Bemühen, jegliche Brisanz aus dem Thema herauszuhalten. Silverberg war gerade nicht einfach „ein Unternehmer“.
Silverberg galt 1927 als die Nummer 20 in der Rangliste der einflussreichsten Angehörigen der Wirtschafts- und Bankenelite Deutschlands. Er war Vorsitzender des Aufsichtsrates der Rheinischen AG für Braunkohlebergbau (= Rheinbraun) und hatte gut 60 weitere Aufsichtsratsmandate, darunter in den Kölner Unternehmen Clouth, Colonia und Felten & Guilleaume, vor allem aber in großen deutschen Unternehmen, z.B. in der Charlottenhütte Friedrich Flicks, in RWE (dort war er stellvertretender Vorsitzender), VEW, Deutsche Bank, HAPAG, Norddeutscher Lloyd, DEMAG, Harpener Bergbau, Metallgesellschaft, Mitteldeutsche Stahlwerke, Vereinigte Stahlwerke, Siemens, Universum Film. Er stand mit führenden Industriellen wie Friedrich Flick und Fritz Thyssen in enger Verbindung; sie waren die Hauptaktionäre von Rheinbraun, man traf sich in zahlreichen Aufsichtsräten. Silverberg war seit 1927 stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, gehörte dem Vorstand der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände an, dem Reichseisenbahnrat, dem Reichskohlenrat, dem Reichswirtschaftsrat. Er prägte die unternehmerische Verbandspolitik in Deutschland. 1932 wurde er Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer.
Auch in die Kölner High Society integriert
Silverbergs Eltern waren bekennende und praktizierende Juden, ließen ihren Sohn aber evangelisch taufen. Mit diesem Religionswechsel waren die Silverbergs vergleichsweise spät, andere Juden hatten ihn schon Jahrzehnte früher vollzogen. Der Konvertit bemühte sich wie andere jüdische Aufsteiger in Wirtschafts- und Finanzkreisen um Integration in die „bürgerliche Gesellschaft“. Er tat dies erfolgreich und ohne auf Widerstände zu treffen. Die Weimarer Republik war dafür günstig, allerdings hatten die meisten Aufsteiger wie etwa die Oppenheims bereits im Wilhelminischen Kaiserreich zur preußischen Staatsreligion konvertiert. Zahlreiche Juden stiegen während der Weimarer Republik in die Vorstände von Unternehmen und Banken auf, nicht nur im traditionellen jüdischen Bereich der Privatbanken, sondern auch etwa in der „urdeutschen“ Deutschen Bank.
Auch in der Kölner High Society war Silverberg umfassend integriert, man könnte sogar von einer gewissen „Über-Integration“ sprechen, etwa durch Mitgliedschaften im Kölner Golfclub, im Kölner Poloclub, im Kölner Rennverein, in der Casino Gesellschaft Köln, in der Fördergesellschaft des Wallraf Richarz-Museums „Der Kunstfreund“, im Deutschen Herrenclub für politische Aussprache Köln, im Herrenclub Mittelrhein, im Zentral-Dombau-Verein, im Zweigverein Köln für das Rote Kreuz und einigen anderen Vereinen dieser Art. Mit Konrad Adenauer, den Oppenheims, Freiherr Kurt von Schröder und Robert Pferdmenges gründete er 1928 die Kölner Sektion des Rotary Clubs.
Eine ähnliche selbstverständliche Integrationsleistung vollbrachte er in politischer Hinsicht. Silverberg war seit 1929 Mitglied der nationalkonservativen Deutschen Volkspartei (DVP) und gehörte wie andere führende Unternehmer mehreren rechten und auch ultrarechten Organisationen an: Bund zur Erneuerung des Reiches, Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas, Deutsche Kolonialgesellschaft, Deutscher Flottenverein, Deutsches Palästina-Komittee zur Förderung der jüdischen Palästinasiedlung, Deutscher Herrenclub, Ruhrlade (regelmässige Treffen von Vertretern der wichtigsten Ruhrgebietsunternehmen in der Kruppschen Villa Hügel, Absprache von Kartellen, Lohn- und Gewerkschaftspolitik), Industrieclub Düsseldorf und andere.
Schon früh für Hitler eingesetzt
Er gehörte mit Fritz Thyssen zu den ersten führenden Unternehmern, die sich schon frühzeitig in der Weimarer Republik für Hitler einsetzten. Schon während der Weltwirtschaftskrise unterstützte der Rheinbraun-Chef die NSDAP finanziell. Er polemisierte öffentlich gegen die „doktrinären marxistischen Gewerkschaftsführer“. Den Nationalsozialisten bescheinigte er dagegen, sie seien keine Doktrinäre, sie hätten vielmehr erkannt, dass die deutsche Industrie neue Märkte brauche, dass dies ein Kampf auf Leben und Tod sei und nur gewonnen werden könne, wenn die deutschen Arbeiter mitziehen – diese Überzeugung habe die NSDAP wirkungsvoll in die Arbeiterköpfe hineingehämmert.
Die Deutschen haben auf dem europäischen Kontinent und darüber hinaus, so Silverbergs Überzeugung, das industrielle Monopol. Tschechische und polnische Arbeiter etwa sollen sich eine andere Arbeit auf dem Lande suchen, es gebe nicht genügend Raum für alle. „Wir können es uns nicht leisten, mitleidig zu sein.“ Deutschland hole damit nur nach, was die USA, Frankreich und England im 19. Jahrhundert durch Kolonisation erreicht haben. Das war wie Originalton Hitler. Seit den 20er Jahren stimmte Silverberg auch mit den finanzpolitischen Vorstellungen Hjalmar Schachts überein, der 1933 Hitlers Finanzminister und Reichsbankpräsident wurde.
Heute, nach so viel klischeehafter „Bewältigung der NS-Vergangenheit“, erscheint es so manchen „aufgeklärten“ bzw. desinformierten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen unglaublich und undenkbar, dass ein jüdischer Unternehmer für Hitler eingetreten sein soll. Doch in Wirklichkeit ist dies keineswegs erstaunlich. .
Antisemitismus ausgeblendet
Silverberg war zudem kein Einzelfall. Zur Integration von Juden in die „bürgerliche Gesellschaft“ gehörten Patriotismus und Nationalismus. Das begann spätestens im Wilhelminischen Kaiserreich. Insbesondere aufgestiegene Juden verstanden sich meist nicht in erster Linie als Juden, sondern als Deutsche sowie als Unternehmer und Bankiers, die wie andere deutsche Unternehmer und Bankiers um ihre Privilegien besorgt waren. Den Antisemitismus Hitlers blendeten sie entweder aus oder nahmen ihn nicht für so wichtig. Vielmehr schätzten sie zunehmend, dass Hitler, abweichend von der ursprünglichen Programmatik der NSDAP, das bürgerliche Eigentum sichern und Gewerkschaften und Marxismus „mit Stumpf und Stiel ausrotten“ wollte.
Zudem spielte der Antisemitismus vor 1933 für Hitler nicht die zentrale und eindimensionale Rolle, wie es heute meist ungeprüft angenommen wird. Wenn Hitler sich öffentlich mit Unternehmern traf, hielt er sich mit dem Antisemitismus zurück. Nimmt man beispielsweise die berühmte, im Wortlaut dokumentierte Rede Hitlers vor mehreren hundert Unternehmern und Bankiers im Düsseldorfer Industrieclub vom 27. Januar 1932, so finden sich keinerlei antisemitische Ausführungen.
Silverberg verstand sich als ein sehr flexibler politischer Stratege. Zur Sicherung kapitalistischer Privilegien setzte er auf verschiedene Pferdchen. In seiner umstrittenen Rede 1926 vor dem Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) hatte er als Präsidiumsmitglied ausgeführt und sich damit in Gegensatz zu den hardlinern seines Milieus gestellt: Man könne nicht ohne die Arbeiterschaft regieren. Die großen Kräfte des Volkes, die Arbeiterschaft und die Unternehmerschaft müssten zur vertrauensvollen Zusammenarbeit geführt werden. Seit dem 1. Weltkrieg sei die SPD die Repräsentanz der Arbeiter. Deshalb müsse man mit der SPD zusammenarbeiten.
„Deutsche Führerbriefe“ gegründet
Als die SPD gegen Ende der Weimarer Republik ihre dergestaltige Integrationskraft verloren hatte, verhandelte Silverberg mit Georg Strasser als dem Vertreter des „Gewerkschaftsflügels“ der NSDAP und mit dem Zwischen-Kanzler General von Schleicher, der ebenfalls zur Systemsicherung die Gewerkschaften einbinden wollte. Als Silverberg einsehen musste, dass auch diese Strategie machtpolitisch erfolglos bleiben musste, schwenkte er endgültig um auf die Linie Adolf Hitlers. Das wirtschaftliche Bürgertum könne sich nicht allein an der Macht halten, es müsse nun eben den Nationalsozialismus zur seiner Stütze umgestalten, so seine nunmehrige Überzeugung. Über den „Herrenclub“ suchte er Kontakt zu Hitler.
So berichtete später der französische Botschafter in NS-Deutschland, André Francois-Poncet, dass Silverberg seine Geschäftsfreunde Friedrich Flick, Fritz Thyssen und Albert Vögler (Wehrwirtschaftsführer, Vereinigte Stahlwerke) dabei unterstützt habe, zwischen Franz von Papen und Hitler eine Verständigung zwecks Regierungsbildung herbeizuführen. Es wird auch berichtet, dass von Papen nach dem Geheimtreffen mit Hitler am 4.1.1933 in der Kölner Villa des Bankiers Kurt Freiherr von Schröder unmittelbar anschließend den in Köln wohnenden Silverberg aufgesucht habe.
Silverbergs Privatsekretär Otto Meynen hatte bereits 1928 in Köln, wohin der Sitz der Rheinbraun verlegt worden war, die „Deutschen Führerbriefe – Politisch-wirtschaftliche Privatkorrespondenz“ ins Leben gerufen. Sie erschienen ab 1929 in Berlin. Der zweite Redakteur war der Journalist Franz Reuter, der Berliner Vertreter der Pressestelle Kohle und Eisen („Langnam-Verein“). Der interne Infobrief für Unternehmer, Grossagrarier und die antidemokratische Politikelite wurde von Mitgliedern der „Ruhrlade“ mitfinanziert. Die Redaktion hatte enge Kontakte zur NSDAP-Führung, zum RDI und zu Hjalmar Schacht. Auch Konservative wie Konrad Adenauer, Kölner Oberbürgermeister und Mitglied der katholischen Zentrumspartei, waren Abonnenten der „Führerbriefe“.
Ab 1932 trat der Informationsdienst, wie es auch dem Meinungswandel Silverbergs entsprach, für die Regierungsbeteiligung der NSDAP ein. Die Kanzlerschaft Hitlers wurde dann enthusiastisch begrüßt: Die „Regierungskrise (habe) durch die Berufung Hitlers zum Reichskanzler erfreulich schnell die Lösung gefunden, die wir seit dem Sommer unentwegt trotz nicht geringer Kritik und Anfeindungen als die beste gefordert haben.“ 1935 wurde das Erscheinen eingestellt, denn die Ziele waren verwirklicht.
Am Ende als Jude gnadenlos abserviert
Silverberg verstand es dann nicht, dass er ab März 1933 innerhalb von zwei Monaten wegen seiner ihm nun plötzlich öffentlich auferlegten Eigenschaft als Jude von seinen bisherigen Geschäftsfreunden gnadenlos abserviert wurde. Dass er sich für Hitler eingesetzt hatte, half ihm nichts. Er wurde aus allen Aufsichtsräten und aus allen Funktionen in der Unternehmerlobby entfernt.
Bankier Kurt von Schröder von der alteingesessenen Kölner Bank J.H.Stein vertrieb ihn aus seiner Funktion als Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer. Kurt von Schröder, dann schon Mitglied der SS, wurde im Mai 1933 in der IHK-Vollversammlung von denselben Kölner Unternehmern enthusiastisch zum neuen IHK-Präsidenten gewählt, die ein Jahr zuvor noch begeistert Silverberg gewählt hatten.
Der tief Enttäuschte erkaufte sich 1936 die teure Staatsbürgerschaft des Fürstentums Liechtenstein, weil er ein immer noch erhebliches Vermögen nachweisen konnte. Die Nazis nahmen ihm zwar wesentliche Teile seines Eigentums weg, aber er konnte trotzdem unter komfortablen Umständen nach Lugano (Schweiz) ins Exil gehen. Dort blieb er bis zu seinem Tode 1959, und er blieb unbelehrbar. Er kehrte nach dem Ende des NS trotz vieler Bitten etwa seiner engen Freunde Robert Pferdmenges von der Bank Oppenheim und von Bundeskanzler Konrad Adenauer nicht nach Deutschland bzw. in die Bundesrepublik zurück.
Seine Begründung lautete: Das unternehmerische Eigentum sei in der neuen Bundesrepublik nicht gesichert, erstens weil die US-Militärbehörden die in der NS-Zeit entstandenen Industriesyndikate dekartelliert (entflochten) hätten und zweitens weil sogar Adenauers CDU sozialdemokratisch-sozialistischen Einflüssen unterliege – er meinte damit insbesondere das „Ahlener Programm“ der CDU und die Bedeutung, die damals den Christlisch-Demokratischen Arbeitnehmerausschüssen (CDA) in der CDU zukamen.
Die geschichtliche Bilanz lautete für den Unbelehrbaren: Der Nationalsozialismus hätte Erfolg haben und die Welt erobern können, wenn er nur die Juden nicht verfolgt hätte.
1951 Ehrenpräsident der IHK Köln
Doch die Freunde des Unbelehrbaren waren zahlreich und kamen aus den „besten Kreisen“. Sie gaben in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland den Ton an. Anlässlich seines 75. Geburtstages ernannten sie Silverberg 1951 zum Ehrenpräsidenten der IHK Köln, zum Ehrenpräsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), zum Ehrenpräsidenten des Aufsichtsrates der Industrie- und Kreditbank (die heutige IKB), zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Bedburg und zum Ehrensenator der Universität Bonn, an der er promoviert hatte.
Weil der enttäuschte Prophet Hitlers sich weigerte, dazu nach Deutschland zu kommen, packten die Vertreter der Kölner und der deutschen Wirtschaftselite, der Stadt Bedburg und der Universität Bonn die Verleihungsurkunden und Geschenke ein, pilgerten eigens in die Finanzenklave Lugano und überhäuften den Jubilar am 6. Mai 1951 in einer grossen Feier mit den Ehrungen für sein Lebenswerk.
Im Zusammenhang mit Werner Rügemers Vortrag wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die eine Veröffentlichung zum Thema „Die Kölner Wirtschaftselite im Nationalsozialismus“ vorbereitet. Wer bei diesem Projekt mitarbeiten will, kann sich bei Werner Rügemer melden: wer_ruegemer@web.de und www.werner-ruegemer.de (PK)
Online-Flyer Nr. 136 vom 05.03.2008
„Zugesehen – mitgemacht – profitiert?“ – Teil 2
Jüdischer Unternehmer für Hitler: Paul Silverberg
Von Werner Rügemer
In kaum einer deutschen Grossstadt hat es die Bankiers- und Unternehmerelite so flächendeckend geschafft, ihre damalige Unterstützung für Hitler vor und nach 1933 und ihre Profite im „Dritten Reich“ bis heute so unsichtbar zu machen wie in Köln. Dabei spielt nicht nur der Verlag DuMont Schauberg („Kölner Stadt-Anzeiger“, „Express“, „Kölnische Rundschau“, „Radio Köln“ usw.) eine Rolle, der ab 1931 immer militanter die Kanzlerschaft Hitlers als Rettung vor dem „Kommunismus“ forderte und mit seinem Flaggschiff „Kölnische Zeitung“ dem NS-Regime bis zum bitteren Ende ein internationales und nationales Renommée verschaffte.
Kurt Neven DuMont – Verleger der Kölnischen
Zeitung | Foto: KAOS-Archiv
Nicht nur die eigene NS-Geschichte verdunkelt
Das heutige Medienimperium, zu dem inzwischen noch die „Mitteldeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Rundschau“ und die israelische „Haaretz“ gehören, verdunkelt nicht nur seine eigene NS-Geschichte und übertüncht sie mit einer Widerstandslegende, sondern lässt dies auch anderen Kölner Unternehmen zuteil werden. Daneben sind die Kölner Industrie- und Handelskammer, die lokalen Arbeitgeberverbände, die beiden Grosskirchen und etwa die in der Stadt auch kulturell einflussreiche Bank Sal. Oppenheim bis heute mit Verdunkelungsarbeiten und Widerstandslegenden befasst.
Die korrekte Geschichtsdarstellung endlich nachzuholen ist notwendig – nicht nur aus historischen Gründen. Das neoliberale Gedankengut, das heute von den genannten Akteuren verbreitet wird, ist dem Gedankengut von „damals“, vor und nach 1933, sehr viel ähnlicher als ihnen lieb ist und als sie öffentlich eingestehen wollen und können.
KIZ-Titelbild aus dem Verlag M.DuMont Schauberg
Quelle: KAOS-Archiv
Der einflussreichste Industrielle des Rheinlands
Eine der tabuisierten Figuren ist Paul Silverberg. Er ist bis heute aus dem öffentlichen Gedächtnis ausradiert, obwohl er Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre der einflussreichste Industrielle des Rheinlands war. Er verkörpert eine besonders tabuisierte Gruppe: Er trat vor 1933 für Hitler ein, durfte aber nicht davon profitieren, sondern verlor (fast) alles.
Paul Silverberg – hoch geehrt
auf der homepage des Bed-
burger Geschichtsvereins
Quelle: www.geschichtsverein-
bedburg.de
Silverberg galt 1927 als die Nummer 20 in der Rangliste der einflussreichsten Angehörigen der Wirtschafts- und Bankenelite Deutschlands. Er war Vorsitzender des Aufsichtsrates der Rheinischen AG für Braunkohlebergbau (= Rheinbraun) und hatte gut 60 weitere Aufsichtsratsmandate, darunter in den Kölner Unternehmen Clouth, Colonia und Felten & Guilleaume, vor allem aber in großen deutschen Unternehmen, z.B. in der Charlottenhütte Friedrich Flicks, in RWE (dort war er stellvertretender Vorsitzender), VEW, Deutsche Bank, HAPAG, Norddeutscher Lloyd, DEMAG, Harpener Bergbau, Metallgesellschaft, Mitteldeutsche Stahlwerke, Vereinigte Stahlwerke, Siemens, Universum Film. Er stand mit führenden Industriellen wie Friedrich Flick und Fritz Thyssen in enger Verbindung; sie waren die Hauptaktionäre von Rheinbraun, man traf sich in zahlreichen Aufsichtsräten. Silverberg war seit 1927 stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, gehörte dem Vorstand der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände an, dem Reichseisenbahnrat, dem Reichskohlenrat, dem Reichswirtschaftsrat. Er prägte die unternehmerische Verbandspolitik in Deutschland. 1932 wurde er Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer.
Auch in die Kölner High Society integriert
Silverbergs Eltern waren bekennende und praktizierende Juden, ließen ihren Sohn aber evangelisch taufen. Mit diesem Religionswechsel waren die Silverbergs vergleichsweise spät, andere Juden hatten ihn schon Jahrzehnte früher vollzogen. Der Konvertit bemühte sich wie andere jüdische Aufsteiger in Wirtschafts- und Finanzkreisen um Integration in die „bürgerliche Gesellschaft“. Er tat dies erfolgreich und ohne auf Widerstände zu treffen. Die Weimarer Republik war dafür günstig, allerdings hatten die meisten Aufsteiger wie etwa die Oppenheims bereits im Wilhelminischen Kaiserreich zur preußischen Staatsreligion konvertiert. Zahlreiche Juden stiegen während der Weimarer Republik in die Vorstände von Unternehmen und Banken auf, nicht nur im traditionellen jüdischen Bereich der Privatbanken, sondern auch etwa in der „urdeutschen“ Deutschen Bank.
Auch in der Kölner High Society war Silverberg umfassend integriert, man könnte sogar von einer gewissen „Über-Integration“ sprechen, etwa durch Mitgliedschaften im Kölner Golfclub, im Kölner Poloclub, im Kölner Rennverein, in der Casino Gesellschaft Köln, in der Fördergesellschaft des Wallraf Richarz-Museums „Der Kunstfreund“, im Deutschen Herrenclub für politische Aussprache Köln, im Herrenclub Mittelrhein, im Zentral-Dombau-Verein, im Zweigverein Köln für das Rote Kreuz und einigen anderen Vereinen dieser Art. Mit Konrad Adenauer, den Oppenheims, Freiherr Kurt von Schröder und Robert Pferdmenges gründete er 1928 die Kölner Sektion des Rotary Clubs.
Eine ähnliche selbstverständliche Integrationsleistung vollbrachte er in politischer Hinsicht. Silverberg war seit 1929 Mitglied der nationalkonservativen Deutschen Volkspartei (DVP) und gehörte wie andere führende Unternehmer mehreren rechten und auch ultrarechten Organisationen an: Bund zur Erneuerung des Reiches, Deutsche Gesellschaft zum Studium Osteuropas, Deutsche Kolonialgesellschaft, Deutscher Flottenverein, Deutsches Palästina-Komittee zur Förderung der jüdischen Palästinasiedlung, Deutscher Herrenclub, Ruhrlade (regelmässige Treffen von Vertretern der wichtigsten Ruhrgebietsunternehmen in der Kruppschen Villa Hügel, Absprache von Kartellen, Lohn- und Gewerkschaftspolitik), Industrieclub Düsseldorf und andere.
Schon früh für Hitler eingesetzt
Er gehörte mit Fritz Thyssen zu den ersten führenden Unternehmern, die sich schon frühzeitig in der Weimarer Republik für Hitler einsetzten. Schon während der Weltwirtschaftskrise unterstützte der Rheinbraun-Chef die NSDAP finanziell. Er polemisierte öffentlich gegen die „doktrinären marxistischen Gewerkschaftsführer“. Den Nationalsozialisten bescheinigte er dagegen, sie seien keine Doktrinäre, sie hätten vielmehr erkannt, dass die deutsche Industrie neue Märkte brauche, dass dies ein Kampf auf Leben und Tod sei und nur gewonnen werden könne, wenn die deutschen Arbeiter mitziehen – diese Überzeugung habe die NSDAP wirkungsvoll in die Arbeiterköpfe hineingehämmert.
Die Deutschen haben auf dem europäischen Kontinent und darüber hinaus, so Silverbergs Überzeugung, das industrielle Monopol. Tschechische und polnische Arbeiter etwa sollen sich eine andere Arbeit auf dem Lande suchen, es gebe nicht genügend Raum für alle. „Wir können es uns nicht leisten, mitleidig zu sein.“ Deutschland hole damit nur nach, was die USA, Frankreich und England im 19. Jahrhundert durch Kolonisation erreicht haben. Das war wie Originalton Hitler. Seit den 20er Jahren stimmte Silverberg auch mit den finanzpolitischen Vorstellungen Hjalmar Schachts überein, der 1933 Hitlers Finanzminister und Reichsbankpräsident wurde.
Heute, nach so viel klischeehafter „Bewältigung der NS-Vergangenheit“, erscheint es so manchen „aufgeklärten“ bzw. desinformierten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen unglaublich und undenkbar, dass ein jüdischer Unternehmer für Hitler eingetreten sein soll. Doch in Wirklichkeit ist dies keineswegs erstaunlich. .
Antisemitismus ausgeblendet
Silverberg war zudem kein Einzelfall. Zur Integration von Juden in die „bürgerliche Gesellschaft“ gehörten Patriotismus und Nationalismus. Das begann spätestens im Wilhelminischen Kaiserreich. Insbesondere aufgestiegene Juden verstanden sich meist nicht in erster Linie als Juden, sondern als Deutsche sowie als Unternehmer und Bankiers, die wie andere deutsche Unternehmer und Bankiers um ihre Privilegien besorgt waren. Den Antisemitismus Hitlers blendeten sie entweder aus oder nahmen ihn nicht für so wichtig. Vielmehr schätzten sie zunehmend, dass Hitler, abweichend von der ursprünglichen Programmatik der NSDAP, das bürgerliche Eigentum sichern und Gewerkschaften und Marxismus „mit Stumpf und Stiel ausrotten“ wollte.
Zudem spielte der Antisemitismus vor 1933 für Hitler nicht die zentrale und eindimensionale Rolle, wie es heute meist ungeprüft angenommen wird. Wenn Hitler sich öffentlich mit Unternehmern traf, hielt er sich mit dem Antisemitismus zurück. Nimmt man beispielsweise die berühmte, im Wortlaut dokumentierte Rede Hitlers vor mehreren hundert Unternehmern und Bankiers im Düsseldorfer Industrieclub vom 27. Januar 1932, so finden sich keinerlei antisemitische Ausführungen.
Silverberg verstand sich als ein sehr flexibler politischer Stratege. Zur Sicherung kapitalistischer Privilegien setzte er auf verschiedene Pferdchen. In seiner umstrittenen Rede 1926 vor dem Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) hatte er als Präsidiumsmitglied ausgeführt und sich damit in Gegensatz zu den hardlinern seines Milieus gestellt: Man könne nicht ohne die Arbeiterschaft regieren. Die großen Kräfte des Volkes, die Arbeiterschaft und die Unternehmerschaft müssten zur vertrauensvollen Zusammenarbeit geführt werden. Seit dem 1. Weltkrieg sei die SPD die Repräsentanz der Arbeiter. Deshalb müsse man mit der SPD zusammenarbeiten.
„Deutsche Führerbriefe“ gegründet
Als die SPD gegen Ende der Weimarer Republik ihre dergestaltige Integrationskraft verloren hatte, verhandelte Silverberg mit Georg Strasser als dem Vertreter des „Gewerkschaftsflügels“ der NSDAP und mit dem Zwischen-Kanzler General von Schleicher, der ebenfalls zur Systemsicherung die Gewerkschaften einbinden wollte. Als Silverberg einsehen musste, dass auch diese Strategie machtpolitisch erfolglos bleiben musste, schwenkte er endgültig um auf die Linie Adolf Hitlers. Das wirtschaftliche Bürgertum könne sich nicht allein an der Macht halten, es müsse nun eben den Nationalsozialismus zur seiner Stütze umgestalten, so seine nunmehrige Überzeugung. Über den „Herrenclub“ suchte er Kontakt zu Hitler.
So berichtete später der französische Botschafter in NS-Deutschland, André Francois-Poncet, dass Silverberg seine Geschäftsfreunde Friedrich Flick, Fritz Thyssen und Albert Vögler (Wehrwirtschaftsführer, Vereinigte Stahlwerke) dabei unterstützt habe, zwischen Franz von Papen und Hitler eine Verständigung zwecks Regierungsbildung herbeizuführen. Es wird auch berichtet, dass von Papen nach dem Geheimtreffen mit Hitler am 4.1.1933 in der Kölner Villa des Bankiers Kurt Freiherr von Schröder unmittelbar anschließend den in Köln wohnenden Silverberg aufgesucht habe.
Silverbergs Privatsekretär Otto Meynen hatte bereits 1928 in Köln, wohin der Sitz der Rheinbraun verlegt worden war, die „Deutschen Führerbriefe – Politisch-wirtschaftliche Privatkorrespondenz“ ins Leben gerufen. Sie erschienen ab 1929 in Berlin. Der zweite Redakteur war der Journalist Franz Reuter, der Berliner Vertreter der Pressestelle Kohle und Eisen („Langnam-Verein“). Der interne Infobrief für Unternehmer, Grossagrarier und die antidemokratische Politikelite wurde von Mitgliedern der „Ruhrlade“ mitfinanziert. Die Redaktion hatte enge Kontakte zur NSDAP-Führung, zum RDI und zu Hjalmar Schacht. Auch Konservative wie Konrad Adenauer, Kölner Oberbürgermeister und Mitglied der katholischen Zentrumspartei, waren Abonnenten der „Führerbriefe“.
Ab 1932 trat der Informationsdienst, wie es auch dem Meinungswandel Silverbergs entsprach, für die Regierungsbeteiligung der NSDAP ein. Die Kanzlerschaft Hitlers wurde dann enthusiastisch begrüßt: Die „Regierungskrise (habe) durch die Berufung Hitlers zum Reichskanzler erfreulich schnell die Lösung gefunden, die wir seit dem Sommer unentwegt trotz nicht geringer Kritik und Anfeindungen als die beste gefordert haben.“ 1935 wurde das Erscheinen eingestellt, denn die Ziele waren verwirklicht.
Am Ende als Jude gnadenlos abserviert
Silverberg verstand es dann nicht, dass er ab März 1933 innerhalb von zwei Monaten wegen seiner ihm nun plötzlich öffentlich auferlegten Eigenschaft als Jude von seinen bisherigen Geschäftsfreunden gnadenlos abserviert wurde. Dass er sich für Hitler eingesetzt hatte, half ihm nichts. Er wurde aus allen Aufsichtsräten und aus allen Funktionen in der Unternehmerlobby entfernt.
Bankier Kurt von Schröder von der alteingesessenen Kölner Bank J.H.Stein vertrieb ihn aus seiner Funktion als Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer. Kurt von Schröder, dann schon Mitglied der SS, wurde im Mai 1933 in der IHK-Vollversammlung von denselben Kölner Unternehmern enthusiastisch zum neuen IHK-Präsidenten gewählt, die ein Jahr zuvor noch begeistert Silverberg gewählt hatten.
Der tief Enttäuschte erkaufte sich 1936 die teure Staatsbürgerschaft des Fürstentums Liechtenstein, weil er ein immer noch erhebliches Vermögen nachweisen konnte. Die Nazis nahmen ihm zwar wesentliche Teile seines Eigentums weg, aber er konnte trotzdem unter komfortablen Umständen nach Lugano (Schweiz) ins Exil gehen. Dort blieb er bis zu seinem Tode 1959, und er blieb unbelehrbar. Er kehrte nach dem Ende des NS trotz vieler Bitten etwa seiner engen Freunde Robert Pferdmenges von der Bank Oppenheim und von Bundeskanzler Konrad Adenauer nicht nach Deutschland bzw. in die Bundesrepublik zurück.
Seine Begründung lautete: Das unternehmerische Eigentum sei in der neuen Bundesrepublik nicht gesichert, erstens weil die US-Militärbehörden die in der NS-Zeit entstandenen Industriesyndikate dekartelliert (entflochten) hätten und zweitens weil sogar Adenauers CDU sozialdemokratisch-sozialistischen Einflüssen unterliege – er meinte damit insbesondere das „Ahlener Programm“ der CDU und die Bedeutung, die damals den Christlisch-Demokratischen Arbeitnehmerausschüssen (CDA) in der CDU zukamen.
Die geschichtliche Bilanz lautete für den Unbelehrbaren: Der Nationalsozialismus hätte Erfolg haben und die Welt erobern können, wenn er nur die Juden nicht verfolgt hätte.
1951 Ehrenpräsident der IHK Köln
Doch die Freunde des Unbelehrbaren waren zahlreich und kamen aus den „besten Kreisen“. Sie gaben in der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland den Ton an. Anlässlich seines 75. Geburtstages ernannten sie Silverberg 1951 zum Ehrenpräsidenten der IHK Köln, zum Ehrenpräsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), zum Ehrenpräsidenten des Aufsichtsrates der Industrie- und Kreditbank (die heutige IKB), zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Bedburg und zum Ehrensenator der Universität Bonn, an der er promoviert hatte.
Weil der enttäuschte Prophet Hitlers sich weigerte, dazu nach Deutschland zu kommen, packten die Vertreter der Kölner und der deutschen Wirtschaftselite, der Stadt Bedburg und der Universität Bonn die Verleihungsurkunden und Geschenke ein, pilgerten eigens in die Finanzenklave Lugano und überhäuften den Jubilar am 6. Mai 1951 in einer grossen Feier mit den Ehrungen für sein Lebenswerk.
Im Zusammenhang mit Werner Rügemers Vortrag wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die eine Veröffentlichung zum Thema „Die Kölner Wirtschaftselite im Nationalsozialismus“ vorbereitet. Wer bei diesem Projekt mitarbeiten will, kann sich bei Werner Rügemer melden: wer_ruegemer@web.de und www.werner-ruegemer.de (PK)
Online-Flyer Nr. 136 vom 05.03.2008