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Aktueller Online-Flyer vom 22. November 2024  

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Arbeit und Soziales
Notwendige Energiekosten müssen übernommen werden!
Arme brauchen genug Energie
Von Helga Spindler

Die Energiepreise steigen und die  Forderungen nach Sozialtarifen  für arme Strom- und Gaskunden werden immer lauter. Aber unabhängig davon , wie es gelingen wird, die Energiekonzerne zu maßvolleren Preisen gegenüber der Bevölkerung anzuhalten, ist die Frage aktuell überlebenswichtig, wie hoch der Staat einen Mindestenergieverbrauch über die staatlichen Grundsicherungsleistungen absichert. Und hier ist mit der Regelsatzreform 2004 einiges aus dem Lot geraten, was dazu führt, dass in der Grundsicherung selbst notwendige Energiekosten nicht mehr erfasst sind.

Die Kosten für Haushaltsenerge wairen schon  in der Sozialhilfe Bestandteil des notwendigen Existenzminimums und sind bis heute pauschal im Regelsatz der Grundsicherung enthalten. Sie umfassen den  gesamten Verbrauch an Haushaltsenergie inklusive der Aufwendungen für die Grundgebühr, Abgaben und für die Warmwasserbereitung. Von da aus ist es schon grob falsch, wenn Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) in der FAZ vom 1. 6. 2006 zitiert wird, die nahezu unbegrenzte Erstattung  der Stromkosten lade zu einem ungehemmten Energieverbrauch geradezu ein. Aber solche irreführenden Meldungen zu diesem schwierigen Thema sind nicht selten. Getrennt davon zu sehen sind die Heizkosten, die von den Kommunen  zusätzlich zum Regelsatz übernommen werden müssen. Dort sind Pauschalierungen kaum möglich, weil die Heizkosten einer Zentralheizung durch Mieter nur wenig zu beeinflussen sind.


Wo für Arme die Wahl zur Qual wird: Essen oder Energie?
Montage: „Schwarze Serie", gesichter zei(ch/g)en

In  Zeiten der Sozialhilfe wurden zum notwendigen Haushaltsenergieverbrauch und den Kosten noch  sorgfältige Untersuchungen angestellt. So wurde 1990 für einen Ein-Personen Haushalt  ein durchschnittlicher Verbrauch von 1.781 kWh pro Jahr  (148 kWh pro Monat)  festgestellt, für 2 Personen 2.604 kWh pro Jahr, für 3 Personen  4.416 kWh  pro Jahr. Und nach aktuellen Untersuchungen ist ein derartiger Verbrauch – wenn davon  auch Warmwasser finanziert werden muss – als guter,  sparsamer Energieverbrauch zu bewerten und keinesfalls als Energieverschwendung. Das gilt um so mehr bei armen Bürgerinnen und Bürgern, die mehr Zeit zu Hause verbringen müssen und nicht auswärts essen gehen können oder sich nicht die modernsten Energiespargeräte leisten können.

Manipulation bei den statistischen Werten 

Auf dieser Grundlage wurden 1998 noch 26,31 Euro im Sozialhilferegelsatz  für den Stromverbrauch einer Person berücksichtigt, bei Haushalten ab 3 Personen – also bei Familien – in etwa der doppelte Betrag. Mit der Umstellung der Regelsätze kam es zu einer schwer zu durchschauenden Manipulation bei den  herangezogenen statistischen Werten. Vermutlich hat man sich an Daten von Menschen orientiert, bei denen das warme Wasser über die Zentralheizung kommt und damit zu den Heizkosten zählt. Außerdem werden seit 2004 die steigenden Lebenshaltungskosten nicht mehr berücksichtigt.


Oktober 2007: demonstrierende Erwerbslose klagen an

Als Folge ist 2008 – also 10 Jahre später –  im Regelsatz nur noch 21,75 Euro  für Haushaltsenergie enthalten, obwohl gleichzeitig die Energie nicht billiger geworden ist. Die Durchschnittspreise sind zwischen 1998 und 2006 um 26,8 Prozent und inzwischen schon um nahezu 30 Prozent gestiegen. Mit anderen Worten: Für die etwa 30 Prozent gestiegenen Kosten stehen 2008  jeden Monat 4,56 Euro weniger zur Verfügung als 1998. 

Nach meinen Berechnungen müssten die Ein- Personen Haushalte deshalb etwa 150 Euro pro Jahr mehr haben, ab 3 Personen das Doppelte,  nur um den in der Sozialhilfe noch gewährleisteten Stromverbrauch finanzieren zu können. Wenn der lokale Strompreis höher ist als der statistische Durchschnitt, wird die Differenz noch größer. Auch einige Sozialgerichte, wie das LSG Sachsen, haben inzwischen mit  etwa gleichen Ergebnissen  dazu eigene Untersuchungen angestellt. Nachzulesen bei Tacheles. Dort gibt es einen Überblick über die komplizierte Lage in der Sache.

Sparen bei den Armen: ARGE Köln-Chorweiler

Spätestens seit der Regelsatzumstellung 2005 können die Haushalte selbst einen sparsamen Energieverbrauch nicht mehr bezahlen, und das ist allen Verantwortlichen auch bewusst. Aber sie nehmen in Kauf, dass entweder immer höhere Schulden entstehen oder dass sich die Bezieher die hohen Kosten vom Essen, der Kleidung und anderen wichtigen Dingen des täglichen Lebens absparen.


Not durch zu geringe Pauschalen

Noch schlimmer kann es bei denen werden, die das warme Wasser über die Zentralheizung geliefert bekommen. Dort dürfen die Kommunen  von den 21,75 Euro einen geschätzten Warmwasseranteil vom Regelsatz abziehen, den sie als Teil der Heizkosten  übernehmen.

Nach Abzug des Grundpreises  können sie – was früher noch gut begründet war – 30 Prozent des Regelsatzanteils für die Warmwasserkosten ansetzen, das wären nur ca. 4 Euro. Ohne Vorwegabzug des Grundpreises sind es beim aktuellen Regelsatz maximal 6,53 Euro bei einer Person oder 11,74 Euro bei 2 Personen. Diese Zusammenhänge sind Sozialhilfeträgern seit Jahrzehnten bekannt, und manche setzen diese Praxis auch fort wie die Stadt Düsseldorf.  Andere sehen natürlich, dass die Energiekosten tatsächlich viel höher steigen und wollen den Armen dennoch alles vom Regelsatz abziehen. So wird z.B. berichtet, dass die ARGE  Köln  in Chorweiler versucht, Ein-Personenhaushalten bis zu 36 Euro pro Monat oder Zwei- Personenhaushalten bis zu 42 Euro pro Monat nur für Warmwasserbereitung vom Regelsatz abzuziehen – und das zum Teil auch noch für vergangene Monate. Das Ganze bezieht sich auf eine neu eingeführte Abrechnungsformel für Warmwasserbereitung, die in keiner Regelsatzbemessung bisher je berücksichtigt werden konnte. Die in Not geratenen Menschen verzweifeln mehr und mehr und wissen nicht mehr, wie sie diese Kosten aufbringen sollen.

Bundessozialgericht verschließt sich dem Grundproblem

Nun hat das Bundessozialgericht mit einer Entscheidung  vom 27.2.2008 – B 14/7b AS 64/06 R – dieser unmäßigen Anrechung einen Riegel vorgeschoben und entschieden, dass allenfalls bis zu 6,53 Euro für Warmwasser vom Regelsatz abgezogen werden darf. Das verhindert zwar die schlimmsten Kürzungen, reicht aber in keiner Weise aus, die Unterversorgung im Regelsatz zu beheben. Denn die übrig bleibenden ca. 15 Euro reichen nicht, um den monatlichen Energieverbrauch einschließlich der  Grundgebühr zu finanzieren. Die Kommunen müssen den Teil der Warmwasserkosten zahlen, den sie nicht auf Arme überwälzen dürfen. Diejenigen , die keine zentrale Warmwasserbereitung haben (sondern zum Beispiel Durchlauferhitzer), können das mit den vorgesehenen 6,53 Euro auch nicht finanzieren und werden noch mehr belastet, bzw. "...gelten als Energieverschwender, die zu oft warm duschen". Diese verfahrene Lage kommt deshalb zustande, weil sich die Gerichte nach wie vor weigern, die Grundlagen der Regelsatzfestsetzung zu überprüfen und  die Bundesregierung hier weiterhin ermuntert wird, zu machen was sie will, was sie seit der rot-grünen Ära nun mit Schwarz-Rot auch gerne nutzt.

Endlich notwendig: Sozialtarife bei Energie und Regelsatzanpassung

Was tun in dieser unübersichtlichen Lage? Es muss ermittelt werden, wie hoch die Kosten am Ort bei sparsamem Energieverbrauch ausfallen. Sozialtarife bieten hier für Arbeitslose, vor allem aber auch für Niedrigverdiener eine erste Entlastung. Aber eine Differenz in der ermittelten Höhe kann damit vermutlich nicht aufgebracht werden. Die Kommunen müssten im Grunde die Betroffenen über die mangelhafte Regelsatzbemessung aufklären und sogar im eigenen Interesse Kläger bei Musterprozessen unterstützen. In der Übergangszeit sollten die Betroffenen durch nicht rückzahlbare Sonderleistungen und Schuldenübernahme unterstützt werden.

Gleichzeitig sollten die Kommunen über ihre Spitzenverbände den Bund endlich auffordern, die Regelsätze um die notwendigen Energiekosten zu erhöhen. Dann erst können sie auch wieder mehr für Warmwasserbereitung einbehalten. Der Bund hat mit der Hartz - Reform die finanzielle Verantwortung für das Existenzminimum übernommen. Der Pfusch bei der Regelsatzermittlung muss aufhören und die Regelsätze müssen wieder wie früher mit den Lebenshaltungskosten Schritt halten und dürfen nicht weiter sachwidrig an die Renten gekoppelt werden, auch wenn die in diesem Jahr unter Verschiebung der weiter angekündigten Kürzungen um 1,1 % erhöht werden. (HDH)

Prof. Dr. jur. Helga Spindler ist Professorin im Fachbereich Bildungswissenschaften, Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik. Sie beschäftigt sich besonders mit den sozialen Schieflagen bei Hartz IV



Online-Flyer Nr. 139  vom 26.03.2008



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