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Aktueller Online-Flyer vom 14. November 2024  

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Arbeit und Soziales
Kampf gegen Löhne im freien Fall
Mindestlohndebatte
Von Redaktion Böcklerimpuls

Die Löhne befinden sich weiter im freien Fall. In ihrem Abschlussbericht Ende 2007 hat die „Arbeitsgruppe Arbeitsmarkt" der Bundesregierung festgehalten, dass Arbeitgeber mit den Hinzuverdienstmöglichkeiten Erwerbsloser zu Hartz IV Reibach gemacht und die gesetzlichen Bestimmungen zu Lasten der Steuerzahler weidlich ausgenutzt hätten. Und vergangenen Donnerstag hat sich der marktradikale Europäische Gerichtshof gegen gewerkschaftliche Tarifverträge und zugunsten von Dumpinglöhnen – aber auch für die Möglichkeit gesetzlicher Mindestlöhne – entschieden. Die Diskussion darum ist neu eröffnet und der Ruf nach gesetzlichen Mindestlöhnen wird lauter. Rainer Bispinck und Thorsten Schulten vom WSI machten sich ebenfalls Gedanken zum branchenübergreifenden Mindestlohn. – Die Redaktion.
Branchenbezogene Mindestlöhne und ein allgemeines gesetzliches Mindestentgelt können sich sinnvoll ergänzen, zeigt eine Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB. So ließe sich der wachsende Niedriglohnsektor wirksam regulieren.
 
Viele Menschen in Deutschland arbeiten für wenig Geld. Ei­nen Niedriglohn erhalten 6,6 Millionen, das sind 22,6 Pro­zent aller Beschäftigten. Forscher der Uni Duisburg-Essen er­mittelten dies anhand der OECD-Niedriglohn-Definition: ein Arbeitsentgelt von weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns. Die Bundesregierung plant nun, die Einführung bran­chenbezogener Mindestlöhne zu erleichtern – mittels einer Ausweitung des Entsendegesetzes und einer Reaktivierung des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes. „Eine genaue Ana­lyse der vorgeschlagenen Verfahren macht jedoch deutlich, dass hierbei große Teile des Niedriglohnsektors nicht erfasstwerden", erklären Reinhard Bispinck und Thorsten Schulren vom WSI." Ein branchenübergreifender Mindestlohn könne Lücken schließen.


Demonstration gegen Hungerlöhne 2007 
 
Branchenbezogene Mindestlöhne
 
Viele Geringverdiener werden nicht von Tarifverträgen geschützt. Von allen Betrie­ben sind rund 37 Prozent tarifgebunden, weitere 40 Prozent geben an, sich an Tarifverträgen zu orientieren. Sicherheit gegen Niedriglöhne bietet das nicht. Arbeitsminister des Bundes und der Länder können Tarifverträge auf die ganze Bundesrepublik ausweiten, doch das Veto der Arbeitgeber steht dem oft im Weg, so das WSI. Allgemeinverbindlichkeitserklärungen (AVE) von Tariflöhnen nach dem Tarifvertragsgesetz sind selten, es gibt sie derzeit nur regional im Wach- und Sicherheits- sowie im Friseurgewerbe und in Hotels und Gaststätten. Davon profitieren aktuell 570.000 Beschäftigte.
 
Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz erfassen hingegen 1,3 Millionen Beschäftigte in sieben Branchen. Sie schwanken ja nach Wirtschaftszweig und Region zwischen 6,36 und 12,50 Euro. Im vergangenen Jahr neu ins Entsendegesetz aufgenommen wurden das Gebäudereinigerhandwerk und die Briefdienstleistungen. Als nächste Kandidaten gelten die Zeitarbeitsbranche und die industriellen textilen Dienste: Hier sind bereits Mindestlohntarifverträge abgeschlossen worden. Das Bundesarbeitsministerium setzt derzeit auf eine Weiterentwicklung des Entsendegesetzes: Danach sind auch AVEs nach dem Entsendegesetz für regionale Tarifverträge denkbar. Bei den Entscheidungen soll zudem auch das fiska­lische Interesse des Staates an einem ausreichenden Erwerbs­einkommen berücksichtigt werden. Bispinck und Schulten beleuchten – von der Weiterbildung über den Gartenbau bis zum Einzelhandel – zwölf Branchen, auf die das Entsendege­setz ausgeweitet werden könnte. In einigen führen die Tarifparteien intensive Gespräche, in anderen liegen die Inte­ressen weit auseinander.
 
Zusätzliche Hürde: Ein Mindest-Lohn-Tarirvertrag muss laut Gesetzentwurf 50 Prozent der Beschäftigten binden. Das ist in vielen Niedriglohnbranchen wie etwa der Fleisch­industrie nicht der Fall. In Branchen mit „funktio­nierender Tarifvertragspra­xis auf der Basis von Flä­chentarifverträgen" könnten tarifliche Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz akzep­table Standards setzen, resü­mieren die Wissenschaftler. Allerdings hätten Geringver­diener wenig von einer Auf­nahme ins Gesetz, wenn in ihrem Wirtschaftszweig die tarifvertragliche Grundver­gütung sehr niedrig ist. In verschiedenen Branchen lie­gen tarifliche Grundvergü­tungen deutlich unter 7,50 Euro pro Stunde. Das reicht bei manchen Branchen bis in die mittleren Lohn- und Ge­haltsgruppen hinein: etwa im Wach- und Sicherheits- sowie im Friseurgewerbe, in Hotels und Gaststätten.
 
Die Koalition will außerdem das Mindestarbeitsbedingungengesetz von 1952 aktualisieren, um zu Mindestlöhnen zu gelangen. Den vorliegenden Referentenentwurf beurteilen die WSI-Forscher skeptisch: „Die geplanten Rahmen- und Ausführungsbestimmungen lassen befürchten, dass die An­wendung des Gesetzes sehr bürokratisch und zeitaufwändig sein wird." Der Referentenentwurf sieht ein kompliziertes Verfahren mit Haupt- und Fachausschüssen vor. Es sei zu er­warten, dass diese Gremien in der Anfangszeit überlastet sind und das Gesetz nur unsystematisch angewandt werde.
 

Protest für Mindestlohn beim Arbeitnehmerempfang durch Regierungspräsident Jürgen Rüttgers 2007 | Fotos: arbeiterfotografie 

Ein allgemeiner Mindestlohn

 
„Nicht zufällig haben sich nahezu sämtliche EU-Staaten mit gesetzlichen Mindestlöh­nen für ein universelles, branchenübergreifendes Mindestlohnmodell entschieden", schreiben die Wissenschaftler des WSI. Deutschland könne den Erfahrungsvorsprung anderer Länder nutzen. Ein Ansatz in diese Richtung sei der Entwurf für ein Mindestlohngesetz des Landes Rheinland-Pfalz. Das Modell greift die positiven britischen Erfahrungen auf. Auf der Insel legt eine aus Wissenschaftlern sowie Vertretern von Arbeitgebern und -nehmern besetzte Kommission die Höhe des Mindestlohns fest – und überprüft seinen Effekt.
 
Untersuchungen über die Entwicklung in Großbritannien zeigen auch besonders deutlich, dass ein Mindestlohn keine Arbeitsplätze kosten muss. In Deutschland wird zwar vor möglichen Jobverlusten als Folge eines Mindestlohns ge­warnt, doch die Empirie stützt diese These nicht, legen die Wissenschaftler dar: „Anders als in der öffentlichen Debatte oft suggeriert wird, verfügen die Wirtschaftsinstitute keines­wegs über wissenschaftlich gesicherte Nachweise über nega­tive Beschäftigungswirkungen von Mindestlöhnen." Die Aussagen prominenter Ökonomen beruhten vor allem auf Vermutungen – etwa dass der Lohn tatsächlich stets die Produktivität eines Beschäftigten widerspiegele. Vor allem neuere empirische Studien kommen zu anderen Ergebnissen. So stellte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung jüngst fest, dass der 1997 eingeführte Mindestlohn in der deutschen Baubranche keine Jobs gekostet hat. (HDH)
 
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung, „Böcklerimpuls" 3-2008
 
Der Artikel von Rainer Bispinck und Thorsten Schulten „Aktuelle Mindestlohndebatte: Branchenlösungen oder gesetzlicher Mindestlohn?" ist im Download erhältlich beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der DGB. Dr. Rainer Bispinck ist Leiter des WSI-Tarifarchivs und Dr. Thorsten Schulten hat den Schwerpunkt Arbeits- und Tarifpolitik in Europa.














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Online-Flyer Nr. 141  vom 09.04.2008



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