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Huismanns WDR/ARD-Film über den Mord an Kennedy
Ein Feuerwerk der Dummheit
Von der Gruppe Arbeiterfotografie
Den am 6. Januar in der ARD ausgestrahlten und vom WDR mit 850.000 Euro finanzierten Film "Rendezvous mit dem Tod: Kennedy und Castro" von Wilfried Huismann und Gus Russo hat die Presse von FAZ bis "Kölner Stadt-Anzeiger" nahezu einhellig bejubelt. Er beweise, dass Kubas Präsident Fidel Castro den angeblichen Mörder Lee Harvey Oswald beauftragt und bezahlt habe. In der LINKS-Zeitung durfte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) Filmemacher Huismann aufgrund seiner "Enthüllungen" sogar für den nächsten Grimme-Preis vorschlagen. Die Gruppe "Arbeiterfotografie" hat dem Film die Realität des Jahres 1963 in Dallas und das, was über den Kennedy-Mord in den Archiven zu finden ist, gegenüber gestellt. Ihr Fazit: "Ein Feuerwerk der Dummheit und Geschichtslosigkeit". Oder Schlimmeres? Die Redaktion
"Wir haben ein Videoband, das ganz klar zeigt, dass John F. Kennedy von vorne erschossen wurde - und nicht von hinten (siehe folgendes animiertes Bild aus dem Video) - wo Lee Harvey Oswald sich gemäß der Warren-Kommission in einem Schulbuchlager befunden haben soll."
(Aus aus dem Film von Abraham Zapruder gemäß Vortrag von Mike Ruppert)
Eine von mehreren Kugeln trifft den Kopf von John F. Kennedy - von vorne, sein Kopf wird nach hinten geschleudert - sein angeblicher Mörder, Lee Harvey Oswald, soll aber aus einer ganz anderen Richtung geschossen haben - die Theorie von der magischen Kugel ist geboren
Dieser Satz stammt nicht aus dem Film von Wilfried Huismann, sondern aus einem Vortrag des Ex-FBI-Beamten Mike Ruppert vom November 2001. Mike Ruppert fragt darin weiter, was die Existenz des Videos bewirkt habe? Nichts! Zumindest nicht bei Wilfried Huismann und den ansonsten für den Film "Rendezvous mit dem Tod: Kennedy und Castro" Verantwortlichen.
Es mag Einiges stimmen in diesem Film, nur das Entscheidende nicht: dass als erwiesen betrachtet werden kann, dass - wie seit über vierzig Jahren verbreitet wird - Lee Harvey Oswald der Mörder von US-Präsident John F. Kennedy war und dass - wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" schreibt - der Ablauf des Attentats "ballistisch, medizinisch und logistisch" geklärt sei und dass - wie es auch der so genannte Warren-Report darstellt - "Oswald... aus dem fünften Stock eines Lagerhauses drei Schüsse auf den Präsidenten ab[gab]" mit dem Ergebnis, dass eine Kugel ihr Ziel verfehlte, die zweite Kennedys Hals durchschlug und die dritte, tödliche, seinen Schädel zerschmetterte.
"Vom kubanischen Geheimdienst G-2 rekrutiert"
Gleich zu Beginn des Films hören wir als Äußerung des Autors Wilfried Huismann die unhaltbare Formulierung: "Am Morgen des 22. November 1963 macht sich Lee Harvey Oswald auf den Weg, um Präsident Kennedy zu töten." Über alle berechtigten Zweifel an der offiziellen These geht Wilfried Huismann hinweg - mit diesem Satz und im Film insgesamt. Noch drastischer wird es in der ARD-Programmankündigung: Lee Harvey Oswald sei "das finale Werkzeug in einem mörderischen Kampf" zwischen Kennedy und Castro gewesen. "Lee Harvey Oswald wurde vom kubanischen Geheimdienst G-2 rekrutiert und erhielt während seines Aufenthaltes in Mexico-City im September 1963 den Auftrag, John F. Kennedy zu erschießen.", lesen wir an anderer Stelle.
Die Wagenkolonne von John F. Kennedy fährt durch Dallas -
kurz bevor Kennedy erschossen wird. Einblendung: 'Um 13:00 Uhr'"
Foto: Archiv Arbeiterfotografie
In Huismanns Film sehen wir die Wagenkolonne von John F. Kennedy durch Dallas fahren. Eingeblendet wird in diese Szene: "Um 13:00 Uhr". Zu diesem Zeitpunkt war Kennedy schon eine halbe Stunde tot. Mit den Fakten nimmt Huismann es offenbar nicht so genau. Daß das Attentat nicht um 13 Uhr, sondern um ca. 12:30 Uhr stattgefunden hat, erfahren wir von ihm nicht. Die eingeblendete Zeitangabe 'Um 13:00 Uhr' ist Antwort auf die Frage, wann Kennedy bei dem Attentat in Texas getötet wurde. Frage und Antwort sind Teil eines Textes, der angeblich abgehörten Telefonaten entstammt, an denen die kubanische Botschaft in Mexiko beteiligt gewesen sein soll. Die Telefonate sollen um 14 Uhr und 17:30 Uhr geführt worden sein, das mit der Zeitangabe '13 Uhr' um 14 Uhr.
Es handelt sich um Gespräche, in denen eine nicht identifizierte Person ihrer Freude über das Attentat Ausdruck verleiht und der den Eindruck vermittelt, es sei Lee Harvey Oswald, der den Auftrag zur Ermordung Kennedys erhalten habe, und als habe einer der Geprächspartner davon im vorhinein Kenntnis gehabt. Aus welcher Quelle diese angeblichen Telefon-Mitschnitte stammen sollen, erfahren wir nicht. Warum auch? Die Frage nach der Authentizität ist für Wilfried Huismann und die ARD offensichtlich keine.
Kennedy "ein degenerierter Agressor"
Wir müssen an anderer Stelle nach der Quelle suchen. In einer Bildlegende innerhalb der WDR-Programmankündigung erfahren wir, dass Ko-Autor Gus Russo die Tonbänder im US-Nationalarchiv gefunden habe. Und im Kölner Stadt-Anzeiger vom 5.1.2006 lesen wir, dass es "von der CIA abgehörte Telefonate" seien, die der Filmemacher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe.
Kennedy wird in diesen Telefonaten - von Huismann in Form von Untertiteln wiedergegeben - als "ein degenerierter Agressor" bezeichnet. (Die falsche Schreibweise des Wortes 'Aggressor' entspricht der Einblendung.) Die Formulierung soll offensichtlich suggerieren: Kennedy ist einer der schlimmsten Feinde Kubas und muss deshalb beseitigt werden. Doch wir werden noch erkennen, dass gerade in diesen Tagen vor Kennedys Ermordung sich eine Annäherung zwischen USA und Kuba abzuzeichnen beginnt.
John F. Kennedy liegt getroffen auf der Rückbank der Limousine
Film-Einblendung aus einem angeblich abgehörten Telefonat, das um 14 Uhr unter Beteiligung der kubanischen Botschaft in Mexiko geführt worden sein soll: "Drei Kopfschüsse! - Perfekt"
Foto: Archiv Arbeiterfotografie
Und dann präsentiert Huismann eine weitere Einblendung aus dem angeblich abgehörten Telefonat, das um 14 Uhr unter Beteiligung der kubanischen Botschaft in Mexiko geführt worden sein soll: "Drei Kopfschüsse! - Perfekt". Die ARD liefert eine ganz neue Darstellung der Ereignisse. Von drei Kopfschüssen ist bislang noch nirgends die Rede gewesen. Selbst der Warren-Report (siehe www.arbeiterfotografie.de), der die Art der Schüsse verschleiert, kennt nur einen Kopfschuss.
Parallel zu den Texten aus den angeblichen Telefonaten, über deren Authentizität wir nichts wissen, sehen wir die Szene von der Ermordung John F. Kennedys. Wir sehen seine Limousine fahren. Nur haben wir kaum eine Chance zu erkennen, was genau passiert - wie und von wo Kennedy getroffen wird. Das wird in diesem Film auch an keiner anderen Stelle erhellt. Und es ist offensichtlich auch nicht beabsichtigt. Es ist Oliver Stone vorbehalten, uns diese Szene in dem 1991 entstandenen Film "JFK" äußerst prägnant vorzuführen:
Dallas, 22.11.1963, ca. 12:30 Uhr:
Aus dem Film von Abraham Zapruder gemäß des Oliver Stone-Films "JFK":
"Der Schuss kam von vorn rechts, also nicht aus dem Schulbuchlagerhaus...",
wo der angebliche Attentäter Lee Harvey Oswald sich aufhielt
Der Film "JFK" kommentiert die Szene, in der John F. Kennedy tödlich getroffen wird, wie folgt: "Der Wagen des Präsidenten bremst ab. Der 6. und tödliche Schuss, Bild 313, trifft Kennedy von vorn in den Kopf. Das ist der entscheidende Schuss... Der Kopf des Präsidenten sinkt nach hinten, fällt nach links. Der Schuss kam von vorn rechts, also nicht aus dem Schulbuchlagerhaus..." Der Kopf bewegt sich infolge des Schusses "nach hinten zurück und nach links..." Der Schuss muss von vorn gekommen sein.
Nach den Mordversuchen an Castro nun ein Rufmordversuch
Huismann lässt einen gedungenen Mörder namens Rolando Cubela, der im Auftrag der CIA Fidel Castro umbringen sollte, äußern, Fidel Castro sei ein Krebsgeschwür - und ein Krebsgeschwür müsse man eliminieren. Bezeichne einen Menschen als Krebsgeschwür, dann darfst Du ihn umbringen. Das ist die Logik, die dieser Film verbreitet, ohne dass ein Sturm der Empörung durch unser Land geht. Keine Spur von Distanz zu einer derartigen Verkommenheit des Denkens ist zu erkennen. Nein, ganz im Gegenteil: der Film macht es sich zum Ziel, Fidel Castro, der fast zum Opfer eines der unzähligen US-amerikanischen Attentatsversuche geworden wäre - von denen US-General Alexander Haig in diesem Film wie von Selbstverständlichkeiten spricht - als Täter darzustellen, als denjenigen, der John F. Kennedy umbringen ließ. Alle Mordversuche an Castro sind gescheitert - jetzt kommt ein weiterer - ein Rufmordversuch.
Gleichzeitig soll laut Huismann Rolando Cubela in seiner angeblichen Funktion als Doppelagent Lee Harvey Oswald für den kubanischen Geheimdienst angeworben haben. Das wird im Film von einer fragwürdigen Person namens Oscar Marino (die, in einem Auto fahrend, nur von hinten zu sehen ist) behauptet und soll aus einer KGB-Akte hervorgehen.
Ausgerechnet in der Zeit der Annäherung
Die Recherchen des Publizisten Horst Schäfer scheint Huismann nicht zu kennen. Horst Schäfer wertet in seinem Buch "Im Fadenkreuz: Kuba" (erschienen 2004 im Kai-Homilius-Verlag) Dokumente aus US-Archiven aus und kommt dabei zu folgender Darstellung der Ereignisse:
Des weiteren entnimmt Horst Schäfer US-Dokumenten Folgendes:
Nicht Castro, sondern der US-Generalstab war Kennedys Feind
Huismanns Filmemacher-Kollege Gerhard Wisnewski kommentiert auf seiner Website, die angebliche Kuba-Connection sei völlig sinnlos, denn:
Wilfried Huismann stellt seinen gegen Oliver Stones berühmten Film "JFK". Er versucht sich dagegen zu behaupten, indem er wesentliche Fragen ausspart:
US-General Alexander Haig über den verdeckten Krieg der USA gegen Kuba:
"Pro Woche drei Kommandoaktionen. Wir zerstörten Brücken, Zuckerfabriken und andere Einrichtungen... Mindestens acht Versuche, Castro zu ermorden"
Foto: Archiv Arbeiterfotografie
Tatsächlich kein Fake ist, was Alexander Haig im Film über den verdeckten Krieg der USA gegen Kuba äußert, als wäre dies ein ganz normaler Vorgang: "Als junger Major an der Seite von Verteidigungsminister Cyrus Vance nahm ich an diesen verdeckten Operationen teil. Wir machten viele Aktionen mit dem Ziel, Castro zu provozieren. Pro Woche drei Kommandoaktionen. Wir zerstörten Brücken, Zuckerfabriken und andere Einrichtungen." Und er spricht von "mindestens acht Versuchen, Castro zu ermorden". Er sagt dies in aller Öffentlichkeit, ohne dass er und die anderen dafür Verantwortlichen vor ein Internationales Kriegsverbrechertribunal gestellt worden wären. Und Huismann lässt Haig in dieser Weise ohne auch nur eine Spur von Distanzierung zu Wort kommen.
Wir folgern: wenn ein Staat erklärt, die Politik eines anderen Staates sei gegen seine Interessen, darf er dagegen mit verbrecherischen Mitteln vorgehen. Ist das die neue Auffassung von Völkerrecht bei der ARD? Eine erschreckende Vorstellung!
Das "Hamburger Abendblatt" ringt sich am 5.1.2006 - nachdem lobend herausgestellt wurde, die ARD warte "mit einem beeindruckend gemachten Film des deutschen Dokumentaristen Wilfried Huismann und des amerikanischen Experten in Sachen Kennedy-Mord, Gus Russo, auf, nach dem der wahre Mörder Fidel Castro heißt" - immerhin zu der Feststellung durch, der Film funktioniere nur, "weil er die These von Oswald als einem Einzeltäter pflegt, der alle drei Kugeln auf Kennedy abfeuerte." Doch in der Annahme, dass es sich dabei um eine gesicherte Erkenntnis handelt, liegt ein entscheidender Konstruktionsfehler des Films. Der lässt das von Wilfried Huismann mit dem immensen Aufwand von 850.000 Euro Produktionskosten gezimmerte Gebäude erbarmungslos zusammenstürzen.
Huismann, der WDR und die ARD machen sich mit ihrem Film zum Gespött, denn: was sie Dokumentation und investigativen Journalismus nennen, gerät zu einem Feuerwerk der Dummheit und Geschichtslosigkeit.
Weitere Informationen unter
http://www.arbeiterfotografie.com
Online-Flyer Nr. 28 vom 25.01.2006
Huismanns WDR/ARD-Film über den Mord an Kennedy
Ein Feuerwerk der Dummheit
Von der Gruppe Arbeiterfotografie
Den am 6. Januar in der ARD ausgestrahlten und vom WDR mit 850.000 Euro finanzierten Film "Rendezvous mit dem Tod: Kennedy und Castro" von Wilfried Huismann und Gus Russo hat die Presse von FAZ bis "Kölner Stadt-Anzeiger" nahezu einhellig bejubelt. Er beweise, dass Kubas Präsident Fidel Castro den angeblichen Mörder Lee Harvey Oswald beauftragt und bezahlt habe. In der LINKS-Zeitung durfte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) Filmemacher Huismann aufgrund seiner "Enthüllungen" sogar für den nächsten Grimme-Preis vorschlagen. Die Gruppe "Arbeiterfotografie" hat dem Film die Realität des Jahres 1963 in Dallas und das, was über den Kennedy-Mord in den Archiven zu finden ist, gegenüber gestellt. Ihr Fazit: "Ein Feuerwerk der Dummheit und Geschichtslosigkeit". Oder Schlimmeres? Die Redaktion
"Wir haben ein Videoband, das ganz klar zeigt, dass John F. Kennedy von vorne erschossen wurde - und nicht von hinten (siehe folgendes animiertes Bild aus dem Video) - wo Lee Harvey Oswald sich gemäß der Warren-Kommission in einem Schulbuchlager befunden haben soll."
(Aus aus dem Film von Abraham Zapruder gemäß Vortrag von Mike Ruppert)
Eine von mehreren Kugeln trifft den Kopf von John F. Kennedy - von vorne, sein Kopf wird nach hinten geschleudert - sein angeblicher Mörder, Lee Harvey Oswald, soll aber aus einer ganz anderen Richtung geschossen haben - die Theorie von der magischen Kugel ist geboren
Dieser Satz stammt nicht aus dem Film von Wilfried Huismann, sondern aus einem Vortrag des Ex-FBI-Beamten Mike Ruppert vom November 2001. Mike Ruppert fragt darin weiter, was die Existenz des Videos bewirkt habe? Nichts! Zumindest nicht bei Wilfried Huismann und den ansonsten für den Film "Rendezvous mit dem Tod: Kennedy und Castro" Verantwortlichen.
Es mag Einiges stimmen in diesem Film, nur das Entscheidende nicht: dass als erwiesen betrachtet werden kann, dass - wie seit über vierzig Jahren verbreitet wird - Lee Harvey Oswald der Mörder von US-Präsident John F. Kennedy war und dass - wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" schreibt - der Ablauf des Attentats "ballistisch, medizinisch und logistisch" geklärt sei und dass - wie es auch der so genannte Warren-Report darstellt - "Oswald... aus dem fünften Stock eines Lagerhauses drei Schüsse auf den Präsidenten ab[gab]" mit dem Ergebnis, dass eine Kugel ihr Ziel verfehlte, die zweite Kennedys Hals durchschlug und die dritte, tödliche, seinen Schädel zerschmetterte.
"Vom kubanischen Geheimdienst G-2 rekrutiert"
Gleich zu Beginn des Films hören wir als Äußerung des Autors Wilfried Huismann die unhaltbare Formulierung: "Am Morgen des 22. November 1963 macht sich Lee Harvey Oswald auf den Weg, um Präsident Kennedy zu töten." Über alle berechtigten Zweifel an der offiziellen These geht Wilfried Huismann hinweg - mit diesem Satz und im Film insgesamt. Noch drastischer wird es in der ARD-Programmankündigung: Lee Harvey Oswald sei "das finale Werkzeug in einem mörderischen Kampf" zwischen Kennedy und Castro gewesen. "Lee Harvey Oswald wurde vom kubanischen Geheimdienst G-2 rekrutiert und erhielt während seines Aufenthaltes in Mexico-City im September 1963 den Auftrag, John F. Kennedy zu erschießen.", lesen wir an anderer Stelle.
Die Wagenkolonne von John F. Kennedy fährt durch Dallas -
kurz bevor Kennedy erschossen wird. Einblendung: 'Um 13:00 Uhr'"
Foto: Archiv Arbeiterfotografie
In Huismanns Film sehen wir die Wagenkolonne von John F. Kennedy durch Dallas fahren. Eingeblendet wird in diese Szene: "Um 13:00 Uhr". Zu diesem Zeitpunkt war Kennedy schon eine halbe Stunde tot. Mit den Fakten nimmt Huismann es offenbar nicht so genau. Daß das Attentat nicht um 13 Uhr, sondern um ca. 12:30 Uhr stattgefunden hat, erfahren wir von ihm nicht. Die eingeblendete Zeitangabe 'Um 13:00 Uhr' ist Antwort auf die Frage, wann Kennedy bei dem Attentat in Texas getötet wurde. Frage und Antwort sind Teil eines Textes, der angeblich abgehörten Telefonaten entstammt, an denen die kubanische Botschaft in Mexiko beteiligt gewesen sein soll. Die Telefonate sollen um 14 Uhr und 17:30 Uhr geführt worden sein, das mit der Zeitangabe '13 Uhr' um 14 Uhr.
Es handelt sich um Gespräche, in denen eine nicht identifizierte Person ihrer Freude über das Attentat Ausdruck verleiht und der den Eindruck vermittelt, es sei Lee Harvey Oswald, der den Auftrag zur Ermordung Kennedys erhalten habe, und als habe einer der Geprächspartner davon im vorhinein Kenntnis gehabt. Aus welcher Quelle diese angeblichen Telefon-Mitschnitte stammen sollen, erfahren wir nicht. Warum auch? Die Frage nach der Authentizität ist für Wilfried Huismann und die ARD offensichtlich keine.
Kennedy "ein degenerierter Agressor"
Wir müssen an anderer Stelle nach der Quelle suchen. In einer Bildlegende innerhalb der WDR-Programmankündigung erfahren wir, dass Ko-Autor Gus Russo die Tonbänder im US-Nationalarchiv gefunden habe. Und im Kölner Stadt-Anzeiger vom 5.1.2006 lesen wir, dass es "von der CIA abgehörte Telefonate" seien, die der Filmemacher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe.
Kennedy wird in diesen Telefonaten - von Huismann in Form von Untertiteln wiedergegeben - als "ein degenerierter Agressor" bezeichnet. (Die falsche Schreibweise des Wortes 'Aggressor' entspricht der Einblendung.) Die Formulierung soll offensichtlich suggerieren: Kennedy ist einer der schlimmsten Feinde Kubas und muss deshalb beseitigt werden. Doch wir werden noch erkennen, dass gerade in diesen Tagen vor Kennedys Ermordung sich eine Annäherung zwischen USA und Kuba abzuzeichnen beginnt.
John F. Kennedy liegt getroffen auf der Rückbank der Limousine
Film-Einblendung aus einem angeblich abgehörten Telefonat, das um 14 Uhr unter Beteiligung der kubanischen Botschaft in Mexiko geführt worden sein soll: "Drei Kopfschüsse! - Perfekt"
Foto: Archiv Arbeiterfotografie
Und dann präsentiert Huismann eine weitere Einblendung aus dem angeblich abgehörten Telefonat, das um 14 Uhr unter Beteiligung der kubanischen Botschaft in Mexiko geführt worden sein soll: "Drei Kopfschüsse! - Perfekt". Die ARD liefert eine ganz neue Darstellung der Ereignisse. Von drei Kopfschüssen ist bislang noch nirgends die Rede gewesen. Selbst der Warren-Report (siehe www.arbeiterfotografie.de), der die Art der Schüsse verschleiert, kennt nur einen Kopfschuss.
Parallel zu den Texten aus den angeblichen Telefonaten, über deren Authentizität wir nichts wissen, sehen wir die Szene von der Ermordung John F. Kennedys. Wir sehen seine Limousine fahren. Nur haben wir kaum eine Chance zu erkennen, was genau passiert - wie und von wo Kennedy getroffen wird. Das wird in diesem Film auch an keiner anderen Stelle erhellt. Und es ist offensichtlich auch nicht beabsichtigt. Es ist Oliver Stone vorbehalten, uns diese Szene in dem 1991 entstandenen Film "JFK" äußerst prägnant vorzuführen:
Dallas, 22.11.1963, ca. 12:30 Uhr:
Aus dem Film von Abraham Zapruder gemäß des Oliver Stone-Films "JFK":
"Der Schuss kam von vorn rechts, also nicht aus dem Schulbuchlagerhaus...",
wo der angebliche Attentäter Lee Harvey Oswald sich aufhielt
Der Film "JFK" kommentiert die Szene, in der John F. Kennedy tödlich getroffen wird, wie folgt: "Der Wagen des Präsidenten bremst ab. Der 6. und tödliche Schuss, Bild 313, trifft Kennedy von vorn in den Kopf. Das ist der entscheidende Schuss... Der Kopf des Präsidenten sinkt nach hinten, fällt nach links. Der Schuss kam von vorn rechts, also nicht aus dem Schulbuchlagerhaus..." Der Kopf bewegt sich infolge des Schusses "nach hinten zurück und nach links..." Der Schuss muss von vorn gekommen sein.
Nach den Mordversuchen an Castro nun ein Rufmordversuch
Huismann lässt einen gedungenen Mörder namens Rolando Cubela, der im Auftrag der CIA Fidel Castro umbringen sollte, äußern, Fidel Castro sei ein Krebsgeschwür - und ein Krebsgeschwür müsse man eliminieren. Bezeichne einen Menschen als Krebsgeschwür, dann darfst Du ihn umbringen. Das ist die Logik, die dieser Film verbreitet, ohne dass ein Sturm der Empörung durch unser Land geht. Keine Spur von Distanz zu einer derartigen Verkommenheit des Denkens ist zu erkennen. Nein, ganz im Gegenteil: der Film macht es sich zum Ziel, Fidel Castro, der fast zum Opfer eines der unzähligen US-amerikanischen Attentatsversuche geworden wäre - von denen US-General Alexander Haig in diesem Film wie von Selbstverständlichkeiten spricht - als Täter darzustellen, als denjenigen, der John F. Kennedy umbringen ließ. Alle Mordversuche an Castro sind gescheitert - jetzt kommt ein weiterer - ein Rufmordversuch.
Gleichzeitig soll laut Huismann Rolando Cubela in seiner angeblichen Funktion als Doppelagent Lee Harvey Oswald für den kubanischen Geheimdienst angeworben haben. Das wird im Film von einer fragwürdigen Person namens Oscar Marino (die, in einem Auto fahrend, nur von hinten zu sehen ist) behauptet und soll aus einer KGB-Akte hervorgehen.
Ausgerechnet in der Zeit der Annäherung
Die Recherchen des Publizisten Horst Schäfer scheint Huismann nicht zu kennen. Horst Schäfer wertet in seinem Buch "Im Fadenkreuz: Kuba" (erschienen 2004 im Kai-Homilius-Verlag) Dokumente aus US-Archiven aus und kommt dabei zu folgender Darstellung der Ereignisse:
- 17.03.1960: Eisenhower-Regierung beschließt Schweinebucht-Invasion
- 23.07.1960: CIA informiert Präsidentschaftskandidat Kennedy über Invasionspläne
- 03.01.1961: USA brechen diplomatische Beziehungen zu Kuba ab
- 22.01.1961: Kennedy wird als Präsident vereidigt
- 17.-19.04.1961: Invasion in der Schweinebucht (Kennedy billigt die Invasion, verweigert aber die offene US-Luftunterstützung; die Operation misslingt)
Die weiteren von Horst Schäfer präsentierten Fakten führen die von Huismann dargestellte Motivlage ad absurdum: fokussiert wird auf das Verhältnis zwischen den USA und Kuba in den zwei Monaten vor Kennedys Ermordung: - 20.09.1963: Präsident Kennedy billigt Sondierungen Kuba-USA
- 20.09.1963: Präsident Kennedy hält vor den Vereinten Nationen eine epochale Rede (Als Ziel beschreibt er die Verständigung und Koexistenz mit der Sowjetunion, die friedliche Zusammenarbeit aller Staaten und die endgültige Beendigung der Rassendiskriminierung in den USA)
- 31.10.1963: Castro lädt US-Botschafter zu Vorbereitungsgesprächen für Gipfeltreffen ein
- 05.11.1963: Kennedy stimmt geheimen Gesprächen mit Kuba zu
- 18.11.1963: US-Botschafter Attwood teilt Castro Gesprächsbereitschaft mit
- 19.11.1963: CIA versucht Kennedy von seinen Verständigungsabsichten abzubringen
- 19.11.1963: Castro trifft sich mit einem französischen Journalisten, der anschließend mit Kennedy spricht und ihm von Castros positiver Haltung berichtet
- 22.11.1963: Kennedy wird in Dallas ermordet (für diesen Tag ist eine zweite Gesprächsrunde verabredet)
Des weiteren entnimmt Horst Schäfer US-Dokumenten Folgendes:
- Ein Ausschuss des US-Repräsentantenhauses, der sich mit Mordfällen befasst (Select Commitee on Assassinations), kommt 1979 nach zweijährigen Untersuchungen zum Ergebnis, dass die These von Oswald als Einzeltäter falsch ist
- Es gibt Unstimmigkeiten mit dem Datum des Aufenthalts Oswalds in Mexiko zum Zwecke einer angeblichen Geldübergabe. Im Bericht des Sonderausschusses des US-Senats unter Senator Frank Church, dem so genannten Church-Report über den Kennedy-Mord, Band V, veröffentlicht am 26.5.1976, heißt es: "CIA und Warren-Kommission sind später zu dem Schluss gekommen, dass die Geschichte eine Erfindung ist."
Nicht Castro, sondern der US-Generalstab war Kennedys Feind
Huismanns Filmemacher-Kollege Gerhard Wisnewski kommentiert auf seiner Website, die angebliche Kuba-Connection sei völlig sinnlos, denn:
- Oswald operierte aus der exilkubanischen (also ultrarechten) Szene in New Orleans heraus, kann also kein linker Kennedy-Hasser gewesen sein, was Huismann unterstellt.
- Kennedy war bei seinem eigenen Generalstab und der exilkubanischen Szene als Linker verhasst. Er kämpfte für die Gleichberechtigung der Schwarzen und für Bürgerrechte. Ein denkbar schlechtes Ziel für Castro.
- Wie selbst im Huismann-Film gezeigt wurde, bezeichnete der KGB Oswald gegenüber dem kubanischen Partnerdienst als instabil. Und diesem Mann sollen die Kubaner ein Attentat auf den Präsidenten ihres mächtigsten Feindes anvertraut haben?
- Kennedy stoppte sowohl die Invasion an der Schweinebucht als auch die gegen Kuba gerichtete 'Operation Northwoods', schützte damit Castro und machte sich so seinen eigenen Generalstab zum Todfeind. Kennedy ermorden zu lassen, wäre aus der Sicht Castros reiner Selbstmord gewesen.
- Kennedy wurde abgelöst von den reaktionären US-Politikern Johnson und Ford sowie Castros (und Kennedys!) Intimfeind und Kommiefresser Nixon - und das soll Castro nicht bedacht haben?
- Die kriminalistischen Beweise schließen Oswald aus. Während sich dieser hinter Kennedy befand, kam der tödliche Schuss von vorne.
- Die mexikanische Spur ist gar keine, denn der angeblich in der kubanischen Botschaft gesichtete Oswald war ein Namens-Doppelgänger, der die Aufgabe hatte, die Spur in Richtung Kuba zu legen. Zeugen in Mexiko City beschrieben Oswald ganz anders, als den Oswald, der in Dallas festgenommen wurde. Leider hat Huismann glatt vergessen, dies zu erwähnen.
- etc.
Wilfried Huismann stellt seinen gegen Oliver Stones berühmten Film "JFK". Er versucht sich dagegen zu behaupten, indem er wesentliche Fragen ausspart:
- er thematisiert nicht die Glaubwürdigkeit bzw. Fragwürdigkeit der Zeugen (von gedungenen Mördern, Doppelagenten...)
- er fragt nicht, ob es - angenommen Oswald wäre tatsächlich an dem Mord beteiligt gewesen - weitere Beteiligte gegeben haben könnte
- er thematisiert nicht das Prinzip des ermordeten Mörders, dessen Anwendung den großen Vorteil in sich birgt, dass es zu keinem Prozess und damit zu keinen unbequemen Ermittlungen kommt
- er sieht an keiner Stelle die Kontraproduktivität, die ein von Kuba durchgeführter Mord an John F. Kennedy für Kuba mit sich gebracht hätte
US-General Alexander Haig über den verdeckten Krieg der USA gegen Kuba:
"Pro Woche drei Kommandoaktionen. Wir zerstörten Brücken, Zuckerfabriken und andere Einrichtungen... Mindestens acht Versuche, Castro zu ermorden"
Foto: Archiv Arbeiterfotografie
Tatsächlich kein Fake ist, was Alexander Haig im Film über den verdeckten Krieg der USA gegen Kuba äußert, als wäre dies ein ganz normaler Vorgang: "Als junger Major an der Seite von Verteidigungsminister Cyrus Vance nahm ich an diesen verdeckten Operationen teil. Wir machten viele Aktionen mit dem Ziel, Castro zu provozieren. Pro Woche drei Kommandoaktionen. Wir zerstörten Brücken, Zuckerfabriken und andere Einrichtungen." Und er spricht von "mindestens acht Versuchen, Castro zu ermorden". Er sagt dies in aller Öffentlichkeit, ohne dass er und die anderen dafür Verantwortlichen vor ein Internationales Kriegsverbrechertribunal gestellt worden wären. Und Huismann lässt Haig in dieser Weise ohne auch nur eine Spur von Distanzierung zu Wort kommen.
Wir folgern: wenn ein Staat erklärt, die Politik eines anderen Staates sei gegen seine Interessen, darf er dagegen mit verbrecherischen Mitteln vorgehen. Ist das die neue Auffassung von Völkerrecht bei der ARD? Eine erschreckende Vorstellung!
Das "Hamburger Abendblatt" ringt sich am 5.1.2006 - nachdem lobend herausgestellt wurde, die ARD warte "mit einem beeindruckend gemachten Film des deutschen Dokumentaristen Wilfried Huismann und des amerikanischen Experten in Sachen Kennedy-Mord, Gus Russo, auf, nach dem der wahre Mörder Fidel Castro heißt" - immerhin zu der Feststellung durch, der Film funktioniere nur, "weil er die These von Oswald als einem Einzeltäter pflegt, der alle drei Kugeln auf Kennedy abfeuerte." Doch in der Annahme, dass es sich dabei um eine gesicherte Erkenntnis handelt, liegt ein entscheidender Konstruktionsfehler des Films. Der lässt das von Wilfried Huismann mit dem immensen Aufwand von 850.000 Euro Produktionskosten gezimmerte Gebäude erbarmungslos zusammenstürzen.
Huismann, der WDR und die ARD machen sich mit ihrem Film zum Gespött, denn: was sie Dokumentation und investigativen Journalismus nennen, gerät zu einem Feuerwerk der Dummheit und Geschichtslosigkeit.
Weitere Informationen unter
http://www.arbeiterfotografie.com
Online-Flyer Nr. 28 vom 25.01.2006