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Literatur
Literaturreihe „Freie Geister“ – Lore Tomalla
Maritime Geschichten
Von Christian Breuer
„...Es will mir so vorkommen, als würde ich sie aus einem imaginären Gedankenmeer auffangen“ (Lore Tomalla)
Immer wieder blickt man mit der Menge aufmerksam und gebannt auf Dichter, die auf einer expliziten Welle daherkommen und die sehr plötzlich sehr vielen gefallen. So manches Mal sind es die coolen Hechte, im gewandten Vortrag auf der literarischen Bühne ihr Hechtgebiss zeigend – und damit mit jedem gelungenen verbalen Kunstgriff, wer nun eigentlich Chef im Teiche ist. Ein anderes Mal sind es die stummen Tiefseearme, die blubbernd Gedanken vorbereiten und zur rechten Zeit schweigend das Werk als Flaschenpost und geheime Weisheit anspülen lassen.
Nehmen die offensichtlichen Zauberer mit den glänzenden (...blendenden!) Flossen als Künstler voll und ganz gefangen, tauchen die geheimen Überbringer tiefer Einsichten als Person immer wieder in nebliges Gewässer ab. Und man erblickt in jenen Zeiträumen, in denen die einen selbstberauscht in Höhenflügen entgleiten und die anderen auf Tauchstation sind, die Vertreter einer überaus fruchtvollen dritten Art: die immer da sind und die immer da waren.

Watt auf Föhr | Foto: Ingelotte, pixelio.de
Als überaus lebendige, stetig sprudelnde Quelle und mit vielseitigem Werk ist Lore Tomalla seit Jahren ein Aktivposten in literarischen (Wasser-)Landschaften und zeigt Wege in eigene schöne und liquide Arme, die sich in voller Pracht erschließen, wenn man in der Gesamtsicht einige Schritte zurück ins Trockene tritt. Soll heißen: viele Worte versagen, und die Vergleiche aus nasser Sphäre gereichen nicht zur Vorstellung.
Ebbe
Der Wind ist gut!
Hoch die Segel!
Zurück bleibt die Insel.
Wattfahrwasser sind schmal.
Klar zur Wende?
Über die Fock!
Mehr als ein Dutzendmal.
Wie ist die Zeit?
Bald ebbt es ab!
Dort treibt einer
auf die Sandbank zu!
Motor an!
Längsseits gehn!
Die Schleppleine –
wirf über! – Mach fest!
Lebensretter, die sauber aufgeschossenen Leine.
Zu spät –
sie jetzt noch ordnen wollen.
Wie ist die Zeit?
Es ebbt, es ebbt!
Die Insel vor uns?
Wir fahren im Kreis!
Den Kompaß her!
Wo sind die Pricken?
Das Fernglas – mach aus,
siehst du die Seriemer Mühle?
Querab schon eine halbe Stunde.
Der Havarist hängt schwer an uns
Immer noch querab die Seriemer Mühle.
Wie ist die Zeit?
Es ebbt mit Macht!
Endlich die rote Tonne.
Im Fischerhafen anlegen –
Der Sportboothafen liegt
schon trocken.
Das bedeutet:
Nachts um zwei Uhr Leinen los.
Die Fischerboote fahren aus.
Aber was macht das?
Zwei Boote liegen auf Schlick
und träumen vom Wasser.
Ein gewisser Drehschwindel stellt sich ein, in den der Rezipient auf der Suche nach Fassbarkeit im Werk der Autorin gerät. Allein 43 offizielle Publikationen sind es, die im Anhang an Lore Tomallas Maritime Geschichten (ISBN Nr. 3 923713 55 X) aufgelistet sind, und die über den hauseigenen HAMSAH-Verlag oder über den Verlag Die Blaue Eule bestellt werden können.
Selbst dies erscheint nur als Auswahl, das Maritime ist – wie kaum anders zu vermuten – nicht repräsentativ fürs gesamte Schaffen. Lore Tomalla schreibt seit ihrer Kindheit Lyrik und Prosa. Sie verfasst unter anderem Haikus, japanische Dreizeiler, für Veröffentlichungen der Deutschen Haiku-Gesellschaft und bietet, ebenso wie Sachbücher zu Yoga und Atemschulung, Gedichtbände an. Sie übersetzt antike indische Texte und ist seit 50 (in Worten: fünfzig) Jahren Yogalehrerin. Tomalla lebt in Köln und an der Costa Blanca und leitet an ihrem Zweitwohnsitz den Internationalen Literaturkreis San Fulgencio.

Foto: Helga Ulbing | pixelio.de
In ihre jüngsten Texte tritt das trockene Element hinzu, wenn in einer Naturbetrachtung als Trilogie die Wüste thematisiert wird, in Form dreier „Elfchen“ [1]
Wüsten Trilogie
SAND
weißer Sand
nichts als Sand
hohe Berge von Sand
Wüste
MEER
blauer Spiegel
wilde weiße Gischt
Sand in den Wellenbergen
Wasserwüste
HOTEL
hoch hinaus
Balkon an Balkon
und Hotel an Hotel
Betonwüste
Lore Tomalla ist regelmäßig vertreten mit eigenem Werk und Vortrag auf Messen (Buchmesse Frankfurt, Leipzig, MiniPressenMesse Mainz) und versucht, „das Unsagbare einzufangen“. Weiter sagt sie zu ihren Texten: „Es will mir so vorkommen, als würde ich sie aus einem imaginären Gedankenmeer auffangen“.
Kontakt: loretomalla (at) gmx.de
[1] Elfchen sind fünfzeilige Kurzgedichte mit ansteigender Wortanzahl, bei denen die erste Zeile aus 1, die zweite aus 2, dritte aus 3, vierte aus 4 Worten gebildet wird und bei denen am Ende in der fünften Zeile wiederum 1 einzelnes Wort steht. (CH)
Online-Flyer Nr. 141 vom 09.04.2008
Literaturreihe „Freie Geister“ – Lore Tomalla
Maritime Geschichten
Von Christian Breuer
„...Es will mir so vorkommen, als würde ich sie aus einem imaginären Gedankenmeer auffangen“ (Lore Tomalla)
Immer wieder blickt man mit der Menge aufmerksam und gebannt auf Dichter, die auf einer expliziten Welle daherkommen und die sehr plötzlich sehr vielen gefallen. So manches Mal sind es die coolen Hechte, im gewandten Vortrag auf der literarischen Bühne ihr Hechtgebiss zeigend – und damit mit jedem gelungenen verbalen Kunstgriff, wer nun eigentlich Chef im Teiche ist. Ein anderes Mal sind es die stummen Tiefseearme, die blubbernd Gedanken vorbereiten und zur rechten Zeit schweigend das Werk als Flaschenpost und geheime Weisheit anspülen lassen.
Nehmen die offensichtlichen Zauberer mit den glänzenden (...blendenden!) Flossen als Künstler voll und ganz gefangen, tauchen die geheimen Überbringer tiefer Einsichten als Person immer wieder in nebliges Gewässer ab. Und man erblickt in jenen Zeiträumen, in denen die einen selbstberauscht in Höhenflügen entgleiten und die anderen auf Tauchstation sind, die Vertreter einer überaus fruchtvollen dritten Art: die immer da sind und die immer da waren.

Watt auf Föhr | Foto: Ingelotte, pixelio.de
Als überaus lebendige, stetig sprudelnde Quelle und mit vielseitigem Werk ist Lore Tomalla seit Jahren ein Aktivposten in literarischen (Wasser-)Landschaften und zeigt Wege in eigene schöne und liquide Arme, die sich in voller Pracht erschließen, wenn man in der Gesamtsicht einige Schritte zurück ins Trockene tritt. Soll heißen: viele Worte versagen, und die Vergleiche aus nasser Sphäre gereichen nicht zur Vorstellung.
Ebbe
Der Wind ist gut!
Hoch die Segel!
Zurück bleibt die Insel.
Wattfahrwasser sind schmal.
Klar zur Wende?
Über die Fock!
Mehr als ein Dutzendmal.
Wie ist die Zeit?
Bald ebbt es ab!
Dort treibt einer
auf die Sandbank zu!
Motor an!
Längsseits gehn!
Die Schleppleine –
wirf über! – Mach fest!
Lebensretter, die sauber aufgeschossenen Leine.
Zu spät –
sie jetzt noch ordnen wollen.
Wie ist die Zeit?
Es ebbt, es ebbt!
Die Insel vor uns?
Wir fahren im Kreis!
Den Kompaß her!
Wo sind die Pricken?
Das Fernglas – mach aus,
siehst du die Seriemer Mühle?
Querab schon eine halbe Stunde.
Der Havarist hängt schwer an uns
Immer noch querab die Seriemer Mühle.
Wie ist die Zeit?
Es ebbt mit Macht!
Endlich die rote Tonne.
Im Fischerhafen anlegen –
Der Sportboothafen liegt
schon trocken.
Das bedeutet:
Nachts um zwei Uhr Leinen los.
Die Fischerboote fahren aus.
Aber was macht das?
Zwei Boote liegen auf Schlick
und träumen vom Wasser.
Ein gewisser Drehschwindel stellt sich ein, in den der Rezipient auf der Suche nach Fassbarkeit im Werk der Autorin gerät. Allein 43 offizielle Publikationen sind es, die im Anhang an Lore Tomallas Maritime Geschichten (ISBN Nr. 3 923713 55 X) aufgelistet sind, und die über den hauseigenen HAMSAH-Verlag oder über den Verlag Die Blaue Eule bestellt werden können.
Selbst dies erscheint nur als Auswahl, das Maritime ist – wie kaum anders zu vermuten – nicht repräsentativ fürs gesamte Schaffen. Lore Tomalla schreibt seit ihrer Kindheit Lyrik und Prosa. Sie verfasst unter anderem Haikus, japanische Dreizeiler, für Veröffentlichungen der Deutschen Haiku-Gesellschaft und bietet, ebenso wie Sachbücher zu Yoga und Atemschulung, Gedichtbände an. Sie übersetzt antike indische Texte und ist seit 50 (in Worten: fünfzig) Jahren Yogalehrerin. Tomalla lebt in Köln und an der Costa Blanca und leitet an ihrem Zweitwohnsitz den Internationalen Literaturkreis San Fulgencio.

Foto: Helga Ulbing | pixelio.de
In ihre jüngsten Texte tritt das trockene Element hinzu, wenn in einer Naturbetrachtung als Trilogie die Wüste thematisiert wird, in Form dreier „Elfchen“ [1]
Wüsten Trilogie
SAND
weißer Sand
nichts als Sand
hohe Berge von Sand
Wüste
MEER
blauer Spiegel
wilde weiße Gischt
Sand in den Wellenbergen
Wasserwüste
HOTEL
hoch hinaus
Balkon an Balkon
und Hotel an Hotel
Betonwüste

Kontakt: loretomalla (at) gmx.de
[1] Elfchen sind fünfzeilige Kurzgedichte mit ansteigender Wortanzahl, bei denen die erste Zeile aus 1, die zweite aus 2, dritte aus 3, vierte aus 4 Worten gebildet wird und bei denen am Ende in der fünften Zeile wiederum 1 einzelnes Wort steht. (CH)
Online-Flyer Nr. 141 vom 09.04.2008