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Arbeit und Soziales
Politik feiert sich ohne das Volk
Täusche und herrsche
Von Hans-Dieter Hey
Agenda 2010: „Paket mit Sprengkraft"
Am 13. März gab es für einige Anlass zur Freude. So freute sich zum Beispiel Agenda-2010-Erfinder Gerhard Schröder (SPD): "Es zeigt sich immer mehr: Sie war gut und richtig." Mehr noch freuten sich die Arbeitgeber. Ihr Präsident Dieter Hundt lobte am gleichen Tag in der Rheinischen Post online: „Zu den Gewinnern gehörten vor allem Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte sowie ältere Arbeitnehmer". Und Klaus Zimmermann vom Institut der Deutschen Wirtschaft (DIW) sprach in der FAZ von einer „insgesamt sehr positiven Bilanz". Von allen Seiten wird zu dem Thema gelogen, dass sich die Balken biegen. Das merkte sogar die Zeitschrift focus und sprach am gleichen Tag von einer „Packung mit Sprengstoff". Es liegen nämlich die ernüchternde Zahlen vor, an denen niemand mehr vorbei kann. Doch weil die Wirklichkeit gar nicht so gut klingt, wie Kanzlerin Angela Merkel es gern hätte, wird der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung der Öffentlichkeit vorenthalten. Jetzt stehen nämlich alle da im kurzen Hemd!
Skandalös zurechtgebogene Statistiken
Für das Jahr 2007 erschienen in den öffentlichen Statistiken rund 3,8 Millionen Erwerbslose, die als „großer Erfolg der Arbeitsmarktreform" medienwirksam gefeiert wurden. Gerade heute gibt die Bundesagentur 3,4 Millionen Erwerebslose bekannt. Doch wer soll dies noch glauben? Überprüft man jedoch diese Zahlen, fällt auf, dass es im Jahr 2007 rund 6,3 Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld gab. 3,2 Millionen Bezieher tauchten überhaupt nicht mehr auf und verschwanden im Bermuda-Dreieck amtlicher Statistiken. Zu den abhanden Gekommenen zählten auch 286.000 Bezieher von Arbeitslosengeld I und 2,9 Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld II. Über Jahre hindurch hat die Bundesregierung an dieser statistischen Schönfärberei der Erwerbslosenzahlen gebastelt. Das arbeitgeberfinanzierte Sprachrohr „Neue Soziale Marktwirtschaft", INSM, aus Köln (O-Ton: „Marktwirtschaftliche Reformen bringen neue wirtschaftliche Dynamik, mehr Beschäftigung und neuen Wohlstand") behauptet in großflächigen Werbeanzeigen gar, dass die Erwerbslosenzahlen herunter gehen, wenn das Arbeitslosengeld sinkt. Genau das hat man mit Agenda 2010 gemacht. Leider stimmte das Ergebnis nicht. Drei Jahre nach Einführung von Hartz IV folgt nun die Ernüchterung: Es gibt tatsächlich immer noch mindestens 7 Millionen Erwerbslose.
INSM-Werbung aus Köln: konstruierte Wahrheiten
Vor allem für die älteren Erwerbslosen zeichnet sich ein Skandal ab. Vollmundig hatte die Bundesregierung versprochen, sich für sie einzusetzen, „50+" nannte man das. In Köln sind inzwischen 68 Prozent aller Erwerbslosen über 50 Jahre alt. Bundesweit sind nach drei Jahren Hartz IV die Zahlen Erwerbsloser im Alter von 55 bis 65 Jahren gegenüber 2005 um mehr als 18 Prozent gestiegen. Von 2006 auf 2007 betrug die Steigerung sogar mehr als 24 Prozent. Und das, obwohl wegen der „58er-Regelung" 225.000 Erwerbslose zwar arbeitslos waren, aber bis zum Rentenalter nicht mehr in der Statistik auftauchen. Selbst deren Anteil ist inzwischen höher als Ende 2005. Zu diesen dramatischen Ergebnissen kam kürzlich das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jungendberufshilfe (BIAJ).
Arbeitsplätzchen statt Lohn und Brot
Und immer mehr Menschen arbeiten hierzulande für einen Hungerlohn. 20 Prozent verdienen – sofern das Wort verdienen dabei noch gerechtfertigt ist – unterhalb der Niedriglohnschwelle, das sind 6,5 Millionen Menschen. Im Jahr 2006 waren es noch 15 Prozent. Im Jahr 2007 bekamen fast zwei Millionen Menschen einen Lohn, der unter fünf Euro die Stunde lag, 2004 waren es noch 1,5 Millionen. Auf diese dramatische Entwicklung weist das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) in seiner Analyse hin. Auch das Ammenmärchen, dass Qualifikation die Chancen für Geringverdiener erhöhe, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: Drei Viertel aller Geringverdiener haben eine qualifizierte Ausbildung, trotzdem – so das IAQ – seien gerade in Deutschland ihre Chancen am geringsten. Ein besonderer Skandal der Agenda 2010 ist, dass zwei Millionen Menschen so wenig verdienen, dass ihr Hungerlohn mit Hartz IV aufgestockt werden muss, damit sie überleben können. Darunter sind ca. 800.000 Vollzeitbeschäftigte. Dass CDU, CSU und FDP angesichts dieser bedrohlichen Lage und gegen den Mehrheitswillen der Bundesbürger immer noch keinen Mindestlohn wollen, zeigt, wie sehr sich Berlin von den Menschen im Lande entfernt hat.
Während im Jahr 2005 nur ca. ein Prozent aller Beschäftigten Leiharbeitnehmer waren, gab es ein Jahr später bereits 1,5 Prozent. Seit 1998 hat sich ihre Zahl gar verdreifacht. Inzwischen beschäftigen 10 Prozent aller Entleihbetriebe dauerhaft 20 Prozent Leiharbeitnehmer. Vor allem der Trend, Festbeschäftigte durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen, hat sich verfestigt. Nach einer Mitteilung der Hans-Böckler-Stiftung ersetzen 25 Prozent aller Betriebe inzwischen ihre Stammbelegschaft durch Leiharbeit. Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dehen davon aus, dass dahinter „eine Strategie der Lohnkostensenkung" steckt. Zudem erweist sich Leiharbeit als ein bedeutendes Risiko für die meisten Beschäftigten: Nur 37,5 Prozent aller Leiharbeitnehmer waren länger als drei Monate beschäftigt, 50 Prozent zwischen einer Woche und drei Monaten und 12 Prozent noch kürzer, so das IAB.
Lohnunterentwicklung
Inzwischen haben wir in der BRD mit über drei Prozent die höchste Preissteigerungsrate seit der Einführung des Euro. Vor allem die Preise für Nahrungsmittel und Energie reißen in den Privathaushalten immer größere Löcher in die Portemonnaies. Trotz einiger Erfolge der Gewerkschaften bei Tarifauseinandersetzungen können die Lohnsteigerungen die Preissteigerung nicht mehr auffangen. Einige der Tarifauseinandersetzungen sind noch in vollem Gange – manche davon als Rückzugsgefechte der Gewerkschaften, obwohl die nur mit starken Arbeitskämpfen ihre Forderungen durchsetzen können. Doch wegen des Mitgliederschwunds der vergangenen Jahre wird noch geschwächelt.
Die Stärke einer Gewerkschaft ist abhängig von Anzahl und Aktivität der Mitglieder – doch noch wird geschwächelt.
Plakat: arbeiterfotografie
Lohnerhöhungen können sich außerdem steuerlich auch negativ auswirken. Die Einkommensteuerlast der Erwerbstätigen steigt bei Einkommenssteigerungen ja nicht kontinuierlich, sondern an einigen Einkommenspunkten sprunghaft an. Schon bei einem Einkommen von jährlich 15.000 Euro wächst durch eine Lohnerhöhung von nur drei Prozent die Steuerlast um über sieben Prozent. Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung den Steuertarif nicht an die Entwicklung der Preissteigerungen – vor allem bei gering Verdienenden – anpasst. Vor allem zu Lasten der abhängig Beschäftigten sollen dadurch bis zum Jahr 2011 63 Milliarden Euro mehr in die Bundeskasse fließen, während gleichzeitig über weitere Steuerentlastungen der Unternehmen nachgedacht wird.
Armut statt Kinder
Vom Jahr 2004 – der Einführung der Agenda 2010 – bis zum Jahr 2006 hatte sich Kinderarmut bereits verdoppelt. 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche lebten plötzlich auf Sozialhilfeniveau. Unter den insgesamt 15 Millionen Kindern hatten diese keine ausreichenden Bildungschancen mehr und ein besonders hohes Gesundheitsrisiko. Im Jahr 2007 lebten fast sechs Millionen Kinder in Haushalten, die unter 15.300 Euro im Jahr verdienen. Immer mehr von ihnen werden mit ihren Familien gettoisiert und für Armutskarrieren vorprogrammiert. Besonders ausländische Kinder haben es dabei schwer. In Nordrhein-Westfalen lebt inzwischen jedes dritte ausländische Kind von Hartz IV. Während man in den Talk-Shows vollmundig über Generationengerechtigkeit schwafelt, wird politisch bei unserer Zukunft nicht angesetzt. Denn natürlich reicht Hartz IV nicht nur bei diesen Kindern vorne und hinten nicht, sondern auch bei ihren Eltern. Allen Warnrufen der Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Initiativen zum Trotz will aber die Politik hier nichts ändern. Doch wenn die Chancen auf Entwicklung, auf sicheres Einkommen und auf ausreichende Gesundheit für die Jugend zerschlagen werden, wird es auch keine Generationengerechtigkeit geben können. Allein in Nordrhein-Westfalen leben 815.000 Kinder in Armut, das sind inzwischen 25 Prozent.
Weiter so?
Reden wir nicht drum herum. Agenda 2010 ist ein großer politischer Skandal der ehemaligen rot-grünen und in deren Fortsetzung der aktuellen schwarz-roten Regierung. Agenda 2010 hat unsere Gesellschaft gespalten, ihr weniger Arbeit mit Chancen zum Überleben gebracht, weniger Bildungschancen, ungleiche medizinische Versorgung und vor allem große Armut in immer größeren Teilen der Bevölkerung, während Managergehälter und Gewinne skandalös steigen. Wie jetzt zu sehen ist, zeigt sich zudem inzwischen auch weltweit, dass das neoliberale Herumwurschteln gescheitert ist und der von vielen beschworene Marktmechanismus nicht funktioniert. Die Folgen: Siehe oben. Ob diese Gesellschaft noch eine Agenda 2020 aushält, weil auf die Politik kein Verlass mehr ist, ist eine große Unbekannte. Wie im Lande gedacht wird, zeigt eine Untersuchung: 55 Prozent aller Deutschen sind sicher, dass in ihrem jetzigen Leben noch eine Revolution kommen wird. Es bleibt nur die Frage, wer's macht. (HDH)
Online-Flyer Nr. 144 vom 27.04.2008
Politik feiert sich ohne das Volk
Täusche und herrsche
Von Hans-Dieter Hey
Agenda 2010: „Paket mit Sprengkraft"
Am 13. März gab es für einige Anlass zur Freude. So freute sich zum Beispiel Agenda-2010-Erfinder Gerhard Schröder (SPD): "Es zeigt sich immer mehr: Sie war gut und richtig." Mehr noch freuten sich die Arbeitgeber. Ihr Präsident Dieter Hundt lobte am gleichen Tag in der Rheinischen Post online: „Zu den Gewinnern gehörten vor allem Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte sowie ältere Arbeitnehmer". Und Klaus Zimmermann vom Institut der Deutschen Wirtschaft (DIW) sprach in der FAZ von einer „insgesamt sehr positiven Bilanz". Von allen Seiten wird zu dem Thema gelogen, dass sich die Balken biegen. Das merkte sogar die Zeitschrift focus und sprach am gleichen Tag von einer „Packung mit Sprengstoff". Es liegen nämlich die ernüchternde Zahlen vor, an denen niemand mehr vorbei kann. Doch weil die Wirklichkeit gar nicht so gut klingt, wie Kanzlerin Angela Merkel es gern hätte, wird der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung der Öffentlichkeit vorenthalten. Jetzt stehen nämlich alle da im kurzen Hemd!
Skandalös zurechtgebogene Statistiken
Für das Jahr 2007 erschienen in den öffentlichen Statistiken rund 3,8 Millionen Erwerbslose, die als „großer Erfolg der Arbeitsmarktreform" medienwirksam gefeiert wurden. Gerade heute gibt die Bundesagentur 3,4 Millionen Erwerebslose bekannt. Doch wer soll dies noch glauben? Überprüft man jedoch diese Zahlen, fällt auf, dass es im Jahr 2007 rund 6,3 Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld gab. 3,2 Millionen Bezieher tauchten überhaupt nicht mehr auf und verschwanden im Bermuda-Dreieck amtlicher Statistiken. Zu den abhanden Gekommenen zählten auch 286.000 Bezieher von Arbeitslosengeld I und 2,9 Millionen Bezieher von Arbeitslosengeld II. Über Jahre hindurch hat die Bundesregierung an dieser statistischen Schönfärberei der Erwerbslosenzahlen gebastelt. Das arbeitgeberfinanzierte Sprachrohr „Neue Soziale Marktwirtschaft", INSM, aus Köln (O-Ton: „Marktwirtschaftliche Reformen bringen neue wirtschaftliche Dynamik, mehr Beschäftigung und neuen Wohlstand") behauptet in großflächigen Werbeanzeigen gar, dass die Erwerbslosenzahlen herunter gehen, wenn das Arbeitslosengeld sinkt. Genau das hat man mit Agenda 2010 gemacht. Leider stimmte das Ergebnis nicht. Drei Jahre nach Einführung von Hartz IV folgt nun die Ernüchterung: Es gibt tatsächlich immer noch mindestens 7 Millionen Erwerbslose.
INSM-Werbung aus Köln: konstruierte Wahrheiten
Vor allem für die älteren Erwerbslosen zeichnet sich ein Skandal ab. Vollmundig hatte die Bundesregierung versprochen, sich für sie einzusetzen, „50+" nannte man das. In Köln sind inzwischen 68 Prozent aller Erwerbslosen über 50 Jahre alt. Bundesweit sind nach drei Jahren Hartz IV die Zahlen Erwerbsloser im Alter von 55 bis 65 Jahren gegenüber 2005 um mehr als 18 Prozent gestiegen. Von 2006 auf 2007 betrug die Steigerung sogar mehr als 24 Prozent. Und das, obwohl wegen der „58er-Regelung" 225.000 Erwerbslose zwar arbeitslos waren, aber bis zum Rentenalter nicht mehr in der Statistik auftauchen. Selbst deren Anteil ist inzwischen höher als Ende 2005. Zu diesen dramatischen Ergebnissen kam kürzlich das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jungendberufshilfe (BIAJ).
Arbeitsplätzchen statt Lohn und Brot
Und immer mehr Menschen arbeiten hierzulande für einen Hungerlohn. 20 Prozent verdienen – sofern das Wort verdienen dabei noch gerechtfertigt ist – unterhalb der Niedriglohnschwelle, das sind 6,5 Millionen Menschen. Im Jahr 2006 waren es noch 15 Prozent. Im Jahr 2007 bekamen fast zwei Millionen Menschen einen Lohn, der unter fünf Euro die Stunde lag, 2004 waren es noch 1,5 Millionen. Auf diese dramatische Entwicklung weist das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) in seiner Analyse hin. Auch das Ammenmärchen, dass Qualifikation die Chancen für Geringverdiener erhöhe, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: Drei Viertel aller Geringverdiener haben eine qualifizierte Ausbildung, trotzdem – so das IAQ – seien gerade in Deutschland ihre Chancen am geringsten. Ein besonderer Skandal der Agenda 2010 ist, dass zwei Millionen Menschen so wenig verdienen, dass ihr Hungerlohn mit Hartz IV aufgestockt werden muss, damit sie überleben können. Darunter sind ca. 800.000 Vollzeitbeschäftigte. Dass CDU, CSU und FDP angesichts dieser bedrohlichen Lage und gegen den Mehrheitswillen der Bundesbürger immer noch keinen Mindestlohn wollen, zeigt, wie sehr sich Berlin von den Menschen im Lande entfernt hat.
Während im Jahr 2005 nur ca. ein Prozent aller Beschäftigten Leiharbeitnehmer waren, gab es ein Jahr später bereits 1,5 Prozent. Seit 1998 hat sich ihre Zahl gar verdreifacht. Inzwischen beschäftigen 10 Prozent aller Entleihbetriebe dauerhaft 20 Prozent Leiharbeitnehmer. Vor allem der Trend, Festbeschäftigte durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen, hat sich verfestigt. Nach einer Mitteilung der Hans-Böckler-Stiftung ersetzen 25 Prozent aller Betriebe inzwischen ihre Stammbelegschaft durch Leiharbeit. Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dehen davon aus, dass dahinter „eine Strategie der Lohnkostensenkung" steckt. Zudem erweist sich Leiharbeit als ein bedeutendes Risiko für die meisten Beschäftigten: Nur 37,5 Prozent aller Leiharbeitnehmer waren länger als drei Monate beschäftigt, 50 Prozent zwischen einer Woche und drei Monaten und 12 Prozent noch kürzer, so das IAB.
Lohnunterentwicklung
Inzwischen haben wir in der BRD mit über drei Prozent die höchste Preissteigerungsrate seit der Einführung des Euro. Vor allem die Preise für Nahrungsmittel und Energie reißen in den Privathaushalten immer größere Löcher in die Portemonnaies. Trotz einiger Erfolge der Gewerkschaften bei Tarifauseinandersetzungen können die Lohnsteigerungen die Preissteigerung nicht mehr auffangen. Einige der Tarifauseinandersetzungen sind noch in vollem Gange – manche davon als Rückzugsgefechte der Gewerkschaften, obwohl die nur mit starken Arbeitskämpfen ihre Forderungen durchsetzen können. Doch wegen des Mitgliederschwunds der vergangenen Jahre wird noch geschwächelt.
Die Stärke einer Gewerkschaft ist abhängig von Anzahl und Aktivität der Mitglieder – doch noch wird geschwächelt.
Plakat: arbeiterfotografie
Lohnerhöhungen können sich außerdem steuerlich auch negativ auswirken. Die Einkommensteuerlast der Erwerbstätigen steigt bei Einkommenssteigerungen ja nicht kontinuierlich, sondern an einigen Einkommenspunkten sprunghaft an. Schon bei einem Einkommen von jährlich 15.000 Euro wächst durch eine Lohnerhöhung von nur drei Prozent die Steuerlast um über sieben Prozent. Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung den Steuertarif nicht an die Entwicklung der Preissteigerungen – vor allem bei gering Verdienenden – anpasst. Vor allem zu Lasten der abhängig Beschäftigten sollen dadurch bis zum Jahr 2011 63 Milliarden Euro mehr in die Bundeskasse fließen, während gleichzeitig über weitere Steuerentlastungen der Unternehmen nachgedacht wird.
Armut statt Kinder
Vom Jahr 2004 – der Einführung der Agenda 2010 – bis zum Jahr 2006 hatte sich Kinderarmut bereits verdoppelt. 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche lebten plötzlich auf Sozialhilfeniveau. Unter den insgesamt 15 Millionen Kindern hatten diese keine ausreichenden Bildungschancen mehr und ein besonders hohes Gesundheitsrisiko. Im Jahr 2007 lebten fast sechs Millionen Kinder in Haushalten, die unter 15.300 Euro im Jahr verdienen. Immer mehr von ihnen werden mit ihren Familien gettoisiert und für Armutskarrieren vorprogrammiert. Besonders ausländische Kinder haben es dabei schwer. In Nordrhein-Westfalen lebt inzwischen jedes dritte ausländische Kind von Hartz IV. Während man in den Talk-Shows vollmundig über Generationengerechtigkeit schwafelt, wird politisch bei unserer Zukunft nicht angesetzt. Denn natürlich reicht Hartz IV nicht nur bei diesen Kindern vorne und hinten nicht, sondern auch bei ihren Eltern. Allen Warnrufen der Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Initiativen zum Trotz will aber die Politik hier nichts ändern. Doch wenn die Chancen auf Entwicklung, auf sicheres Einkommen und auf ausreichende Gesundheit für die Jugend zerschlagen werden, wird es auch keine Generationengerechtigkeit geben können. Allein in Nordrhein-Westfalen leben 815.000 Kinder in Armut, das sind inzwischen 25 Prozent.
Weiter so?
Reden wir nicht drum herum. Agenda 2010 ist ein großer politischer Skandal der ehemaligen rot-grünen und in deren Fortsetzung der aktuellen schwarz-roten Regierung. Agenda 2010 hat unsere Gesellschaft gespalten, ihr weniger Arbeit mit Chancen zum Überleben gebracht, weniger Bildungschancen, ungleiche medizinische Versorgung und vor allem große Armut in immer größeren Teilen der Bevölkerung, während Managergehälter und Gewinne skandalös steigen. Wie jetzt zu sehen ist, zeigt sich zudem inzwischen auch weltweit, dass das neoliberale Herumwurschteln gescheitert ist und der von vielen beschworene Marktmechanismus nicht funktioniert. Die Folgen: Siehe oben. Ob diese Gesellschaft noch eine Agenda 2020 aushält, weil auf die Politik kein Verlass mehr ist, ist eine große Unbekannte. Wie im Lande gedacht wird, zeigt eine Untersuchung: 55 Prozent aller Deutschen sind sicher, dass in ihrem jetzigen Leben noch eine Revolution kommen wird. Es bleibt nur die Frage, wer's macht. (HDH)
Online-Flyer Nr. 144 vom 27.04.2008