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Inland
Deutsche Umwelthilfe enttarnt Spitzenpolitiker als Klimakiller
Ordentlich was unter der Haube
Von Peter Kleinert

„US-amerikanische Starlets und Pop-Ikonen sind an diesem Punkt erheblich weiter als die Mehrheit deutscher Minister“, weiß Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH), seit der jüngsten „Dienstwagen-Erhebung“ seiner Organisation. Spitzenpolitiker, auch Landesumweltminister wie Eckhard Uhlenberg (NRW, CDU), die sich zur Treibhausdebatte gelegentlich populistisch äußern, lässt diese völlig kalt, wenn es um ihre Dienstwagen und ihren Vorbildcharakter beim Lebensstil geht.

Dienstlimousine
Dienstlimousine von Thüringens Ministerpräsident Althaus
Foto: BMW


Auch andere Landesumweltminister wie Ottmar Bernhard von der bayerischen CSU, Volker Sklenar von der CDU in Thüringen und Hans-Heinrich Sander von der niedersächsischen FDP lassen laut Recherchen der DUH ihre in der Regel funkelnagelneuen Dienstlimousinen durchweg doppelt soviel Treibhausgase ausstoßen wie die EU-Kommission künftig noch straffrei erlauben will.


AlthausDieter
Dieter Althaus – Spitzenreiter bei Umweltverpestung
Foto: NRhZ-Archiv


Daher bezeichnet die Deutsche Umwelthilfe sie als Klimakiller. Platz 1 in Motorleistung (367 PS), Verbrauch (11,4 l/100km), Klimagasausstoß (271 g CO2/km) und Höchstgeschwindigkeit (250 km/h) besetzt der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) mit seinem BMW 750i. Von ihm sei allerdings nicht anzunehmen, „dass er die 250 km/h-Ignoranz-Schwelle als einziger unter seinen Kollegen erreicht“, so die DUH. Denn 12 der 16 Länderregierungschefs verweigerten der Umweltorganisation, die ihre „Erhebung über den Dienstwagenpark an der deutschen Staatsspitze“ zwischen März und Mai 2008 erstellte, bis heute standhaft die Auskunft. Allein die Berliner Umweltsenatorin Katrin Lompscher von der LINKEN hält laut DUH den geplanten EU-Grenzwert von 130 Gramm je Kilometer für CO2 ein.

LompscherKatrin
Berlins Umweltsenatorin Katrin Lompscher
Quelle: www.berlin.de


Möglicherweise war deshalb bis zum Redaktionsschluß dieser NRhZ-Ausgabe in den üblichen Medien - außer bei Spiegel-online - über die Pressemitteilung der DUH vom 8. Mai so gut wie nichts zu lesen oder zu hören. Nur einige alternative Medien, wie etwa www.sonnenseite.com von Franz Alt, ehemals Leiter des ARD-Magazins Report Baden-Baden, nahmen sich des Skandals an. Der engagierte TV-Mann hätte daraus vermutlich auch im später umbenannten Report Mainz eine Sendung gemacht, wenn ihn sein SWR-Intendant, der frühere rheinland-pfälzische CDU-Landtagsabgeordnete Willibald Hilf, nicht nach 20 Jahren allzu politik-kritischer Fernseharbeit dort rausgeschmissen hätte.
 
Weit über dem EU-Grenzwert
 
Auch die meisten Bundesminister halten sich nicht einmal ansatzweise an die von ihnen gelegentlich propagierten strengen Ökovorgaben - die Emissionen ihrer Limousinen liegen weit über dem EU-Grenzwert von 130 Gramm je Kilometer. Bei Familienministerin Schavan ist der Klimagasausstoß ihres neuen Dienstwagens laut DUH gar um 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt lässt ihren Dienstwagen - trotz Umsteigens von einem Mercedes S 500 mit 388 PS und einem CO2-Ausstoß von 286 Gramm je Kilometer seit April 2007 auf einen S 420 - immerhin noch 247 bis 252 Gramm CO2 in die Atmosphäre blasen. Wäre sie nicht umgestiegen, hätte sie Ministerpräsident Althaus glatt vom Spitzenplatz verdrängt.

Ulla Schmidt
Ulla Schmidt – spart jetzt auch ein bisschen beim CO2
Montage: Christian Heinrici


„Nach eineinhalb Jahren intensiver Klimadebatten, nach Weltklimakonferenzen und zahlreichen Gesetzesinitiativen zur Eindämmung der Klimakiller ist die Dickfelligkeit vieler Politiker bei der Wahl ihres Dienstwagens erschreckend“, kommentierte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch dieses Verhalten. Politikerinnen wie Katrin Lompscher zeigten ja deutlich, dass es möglich sei, Dienstwagen im Einklang mit den derzeit geltenden EU-Zielwerten für den Klimagasausstoß zu verwenden.
 
Viel hinhaltender Widerstand
 
Selten habe eine Recherche der DUH einen solchen Aufwand erfordert und sei auf soviel hinhaltenden Widerstand gestoßen wie diese eigentlich überschaubare Dienstwagenerhebung, die sich juristisch auf die jeweiligen Umweltinformationsgesetze (UIG) des Bundes und der Länder stützte, erklärte Resch. Oft hätte man deswegen wochenlang telefonieren müssen,
und manche Antworten blieben bis zum Schluss unvollständig. Deshalb werde die DUH die Liste im Internet unter www.duh.de laufend aktualisieren und im Einzelfall auch nicht davor zurückschrecken, die Informationen vor Gericht einzuklagen. Als ausgesprochen phantasievoll hätten sich die Ministerien und Staatskanzleien insbesondere bei der Verweigerung erwiesen. Unangefochten auf Nummer eins der Ablehnungsgründe hätten angebliche Sicherheitsbedenken gestanden. Vor allem die Ministerpräsidenten, die gerne Tag für Tag in den Abend- und Tagesschauen ihren dunklen Wichtig-Limousinen entsteigen, wollten nicht so gern verraten, was sich unter der Haube abspielt. „In vielen Fällen reicht die gewählte Motorisierung heran an die der schwersten Lkw, die auf deutschen Straßen zugelassen sind – und an deren Klimabelastungen“, so Resch.
 
„Bedeutsame Schutzgüter“
 
Manche Staatskanzleien, wie etwa die nordrhein-westfälische, schickten nach einigem Hin und Her rechtsmittelfähige Bescheide, in denen es um die Sicherheit „bedeutsamer Schutzgüter“ ging - gemeint ist in diesem Fall: Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU). Andere versuchten die Anfrage auszusitzen und reagierten zunächst gar nicht. Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) argumentierte eher bodenständig: Weil DUH-Mitarbeiter im Januar 2008 die Einhaltung der Umweltzone in Hannover in „schwarzen Bomberjacken“ kontrolliert hätten (es handelte sich laut DUH um dunkle Regenjacken mit der Aufschrift „Feinstaub-Kontrolle“), werde es überhaupt keine Auskunft geben. Erst nach einer Klagedrohung der DUH eine Woche vor ihrer Veröffentlichung knickte Sander ein und bekannte sich zu seinem BMW 765 mit 330 PS. Der thüringische 250km/h-Minister Volker Sklenar zeigte sich eher amüsiert und erkundigte sich nach dem „Dienstwagen des Bundesgeschäftsführers der DUH“. Dieser teilte - „trotz Sicherheitsbedenken“ - mit, er fahre einen Toyota Prius Hybrid mit 104 g CO2/km.
 
Eine Reaktion auf die Klimadebatte - und eine erste Dienstwagen-Erhebung der DUH im Februar 2007 - gab es im Bundesumweltministerium in Berlin: Neben seinem Audi A 8 2.8 FSI mit 238 km/h und 199 g CO2/km, darf sich Minister Sigmar Gabriel (SPD) inzwischen an einem Test-Mercedes S 400 Hybrid erfreuen, der demnächst auch dem 250 km/h-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, SPD, zur Verfügung stehen soll. Außerdem steht dem Umweltminister ein Erdgas-Mercedes E 200 NGT (227 km/h, 222 g CO2/km) zur Verfügung. Binnen eines Jahres sei der durchschnittliche CO2-Ausstoß des BMU-Fuhrparks zudem von 205 auf 167 g CO2/km und damit um 19 Prozent verringert worden, behauptet das Ministerium in seiner Antwort auf die DUH-Anfrage.
 
Debakel für Sigmar Gabriel
 
Doch auch Gabriel erlebte ein Debakel: Nachdem die DUH-Erhebung im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht hatte, setzte der Umweltminister im Kabinett eine Entschließung durch, wonach der CO2-Ausstoß der übergewichtigen Spritfresser in den Ministerien mit Bußzahlungen an Klimaschutzprojekte kompensiert werden sollte. Nach Informationen der DUH harrt dieser Beschluss mehr als 12 Monate später immer noch der Umsetzung.
 
Resch: „Es geht heute bei der Frage der Motorisierung unseres politischen Spitzenpersonals nur vordergründig um Symbolik. Tatsächlich bestimmen die Minister mit ihrem Vorbild mit darüber welche Autos morgen gekauft werden. US-amerikanische Starlets und Pop-Ikonen sind an diesem Punkt erheblich weiter als die Mehrheit deutscher Minister.“

Nachtrag:

Am Pfingsmontag konnte die DUH ihre Pressemitteilung vom 8. Mai durch die folgende Meldung ergänzen:
"Die Veröffentlichung der CO2-Emissionen und Höchstgeschwindigkeiten von Dienstlimousinen deutscher Spitzenpolitiker durch die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hat die Auskunftsbereitschaft der Ministerien gegenüber der Öffentlichkeit erfreulicherweise enorm erhöht. Unter www.duh.de werden die entsprechenden Tabellen für das Bundeskabinett, die Landesumweltminister und Ministerpräsidenten laufend aktualisiert. Zwischenzeitlich liegen auch die Daten von 15 der 16 Landesumweltminister vor (es fehlt nur noch Sachsen-Anhalt). Bei den Dienstfahrzeugen der Ministerpräsidenten gibt es hingegen keine Änderungen: Erst vier haben Emissionswerte und Höchstgeschwindigkeiten offengelegt. Die DUH wird notfalls die Informationen vor Gericht einklagen."
Zu gegebener Zeit werde die DUH Klimaschutz-Fortschritte oder -Rückschritte in den Minister-Fuhrparks erneut bilanzieren. Die aktuelle Bilanz weise nach wie vor aus, dass derzeit alle Ministerlimousinen des Bundeskabinetts als „Klimakiller-Pkw“ einzuordnen sind. Als „Klimakiller“ bezeichnet die DUH solche Pkw, die den EU-Zielwert für 2008 von 140 g CO2/km um mehr als 50 % (also mehr als 210 g CO2 /km) übertreffen. (PK)
 
Rückfragen an die DUH sind unter resch@duh.de und rosenkranz@duh.de möglich.

Online-Flyer Nr. 146  vom 14.05.2008



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